C10H8 , ein im
Steinkohlenteer reichlich (5-10 Proz.), auch im
Braunkohlen- und Holzteer
und in manchem
Erdöl
[* 3] vorkommender
Kohlenwasserstoff, scheidet sich in großen
Mengen aus dem völlig erkalteten Schweröl aus
und kann durch
Filtrieren,
[* 4] Ausschleudern oder
Pressen abgesondert werden. Da die
Reinigung dieses
Produkts aber ziemlich schwierig
ist, so begnügt man sich mit der Gewinnung von Naphthalin aus dem Karbolöl und zwar aus demjenigen
Teil desselben, welcher nach Behandlung des
Öls
[* 5] mit
Natronlauge zur Ausziehung des
Phenols zurückbleibt.
Dies
Öl wird der
Destillation unterworfen und liefert dabei zuerst wenig leichtes
Öl, dann aber fast reines Naphthalin, so daß der
Inhalt der
Vorlage zu einem weißen Kristallbrei erstarrt. Man bringt denselben auf eineFilterpresse,
[* 6] dann
auf eine
hydraulische Presse, behandelt den Rückstand mit 5-10 Proz. konzentrierter
Schwefelsäure,
[* 7] wäscht das Naphthalin mehrmals
mit
Wasser und dann zur vollständigen
Entfernung der
Säure mit schwacher
Natronlauge, worauf es schließlich sublimiert oder
destilliert wird.
Gewöhnlich gießt man das destillierte Naphthalin in flache
Schalen und bringt die erstarrtenKuchen, nachdem
sie noch einmal hydraulisch gepreßt worden sind, in den
Handel. Naphthalin bildet gereinigt farblose Blättchen, riecht penetrant,
schmeckt brennend, löst sich leicht in
Alkohol,
Äther und
Ölen, nicht in
Wasser, spez. Gew. 1,15, schmilzt bei 79°, siedet
bei 216°, verflüchtigt sich langsam auch bei gewöhnlicher
Temperatur und mit Wasserdämpfen, brennt
mit leuchtender, rußender
Flamme
[* 8] und zeigt in seinem chemischen Verhalten große
Ähnlichkeit
[* 9] mit dem
Benzol. Es bildet mit
konzentrierter
Salpetersäure Nitronaphthalin, und aus letzterm entsteht durch
Reduktion eine dem
Anilin entsprechende
Base,
das Naphthylamin.
Aus einem isomeren Nitronaphthalin erhält man ein zweites Naphthylamin, welches aus β-Naphthol dargestellt wird. Beide
Naphthylamine dienen zur Gewinnung von
Azofarbstoffen. Das Naphthalinrot
(Magdalarot,
Sedanrot) wird aus
Naphthylamin erhalten und kommt als
Chlorid in Form eines schwarzbraunen, undeutlich kristallinischen
Pulvers in den
Handel.
Seine
Lösung fluoresziert sehr stark, und diese
Fluoreszenz
[* 10] teilt es auch der
Seide
[* 11] mit, welche dadurch rosenrot gefärbt wird
und orangefarben schimmert. Es besitzt ein gleiches Färbevermögen wie das
Fuchsin, ist aber beständiger
als dieses.
Mit
Jodäthyl und
Jodmethyl liefert es violette und blaue Farbderivate. Mit
Salpetersäure liefert das Naphthalin
Phthalsäure, aus welcher
ebenfalls farbige
Produkte und beim Erhitzen mit
KalkBenzoesäure entsteht, so daß diese auch aus Naphthalin dargestellt werden kann.
Naphthalin dient als Schutzmittel für ausgestopfte
Tiere und zum
Karburieren des
Leuchtgases. Diese letztere Verwendungsweise
ist nicht mehr neu, hat aber in der letzten Zeit in Form der
Albokarbonlampe große Verbreitung gefunden.
Philipp wollte eine
Lösung von Naphthalin in
Petroleum im Sauerstoffstrom verbrennen (Karboxygengas), doch dürfte diese Beleuchtungsart zu umständlich
und kostspielig sein. In der
Medizin benutzt man Naphthalin gegen
Darmkatarrhe, äußerlich gegen
Krätze,
Herpes
tonsurans,
Favus etc.
Vgl.
Ballo, Das Naphthalin und seine
Derivate (Braunschw. 1870).
C16H8O , zwei isomere
Körper, welche bei Einwirkung von
salpetriger
Säure auf die
beiden isomeren Naphthylamine oder beim
Schmelzen der beiden Naphthalinsulfosäuren mit
Ätzkali entstehen.
α-Naphthol bildet farblose
Nadeln,
[* 12] riecht schwach phenolartig, schmeckt brennend, sein
Staub reizt zum
Niesen, es ist leicht
löslich in
Alkohol und
Äther, auch in
Alkalien, kaum in
Wasser, schmilzt bei 94°, siedet bei 278-280°. Es dient zu medizinischen
Zwecken, auch zur
Darstellung von
Azofarbstoffen.
Nitro-α-Naphthol, aus Nitronaphthalin erhalten, kristallisiert in gelben
Nadeln und bildet mit
Alkalien
goldgelbe, kristallisierbare
Salze, deren
LösungenWolle und
Seide goldgelb färben.
SeinNatronsalz kam eine Zeitlang als Französischgelb
oder Chrysoinsäure in den
Handel. Dinitro-α-Naphthol kristallisiert ebenfalls in gelben
Nadeln, und sein
Kalk- und
Natronsalz
ist als
Martiusgelb
(Manchestergelb, Naphthalingelb,
Jaune d'or) imHandel. Es kristallisiert in gelben
Nadeln,
ist in
Alkohol, nicht in
Wasser löslich, bildet orange- oder mennigrote
Salze und färbt
Wolle und
Seide zitronen- bis tief goldgelb
ohne
Beize. β-Naphthol ist dem α-Naphthol ähnlich, aber fast geruchlos, schmilzt bei 123° und siedet bei 285-286°. Es
dient in sehr großer
Menge zur
Darstellung von
Azofarbstoffen, in der
Medizin gegen
Krätze etc., auch wegen
seiner antiseptischen
Wirkung zur Herstellung anatomischer
Präparate.
(spr. néhpiĕr oder néhpīr), 1)
John, gewöhnlich Neper oder
Nepper genannt,
Mathematiker, geb. 1550 auf Merchiston
bei
Edinburg,
[* 13] Sohn des schottischen
Barons Archibald von Merchiston, studierte zu St.
Andrews, bereiste sodann
einen Teil
Europas und widmete sein ganzes
Leben mathematischen und astronomischen Forschungen. Am berühmtesten ward er als
Erfinder der Logarithmen. Auch die nach ihm genannten
Nepperschen Rechenstäbchen, durch deren
Gebrauch das Multiplizieren
und
Dividieren sehr abgekürzt wird, haben sich in der
Praxis nützlich bewiesen (s.
Rechenstäbchen).
[* 14] Napier starb auf
seinem Stammgut.
Sein Hauptwerk ist die von seinem Sohn herausgegebene »Mirifici logarithmorum
canonis constructio« (Edinb. 1618, neue Ausg. 1857); außerdem
sind zu nennen: »Rhabdologia seu numerationis per virgulas libri II« (das.
1617) und »Arithmetica seu logarithmorum chiliades centum« (2. Ausg.
von Vlaccius,
Gouda 1628).
SeinLeben beschrieb M. Napier (Lond. 1834),
der auch ein hinterlassenes Werk
desselben:
»De arte logistica« (das. 1839), veröffentlichte.
nach England zurückgekehrt, starb er in Oaklands bei Portsmouth.
[* 18] Er schrieb unter vielen andern Werken staatswissenschaftlichen,
militärischen und belletristischen Inhalts: »Lights and shades of military life« (Lond.
1851, 2. Aufl. 1853) und »Letter on the defence of England by corps of volunteers and militia« (das. 1852; deutsch,
Braunschw. 1852).
Vgl. W. Napier, The life and opinions of SirCh. J. Napier (Lond. 1857, 4 Bde.).
eins der besten Werke der kriegsgeschichtlichen englischen Litteratur. Ein Auszug daraus ist: »English battles
and sieges in the Peninsula« (Lond. 1852, neue Ausg. 1865).
Die Thaten seines Bruders feiern: »The conquest of Scinde« (Lond.
1845) und »History of GeneralSirCharles Napier's administration of Scinde« (das. 1852). Vieles andre von seiner Feder ist in
englischen Zeitschriften zerstreut.
Vgl. Bruce, Life of GeneralSir W. Napier (Lond. 1864, 2 Bde.).
5) SirCharles, brit. Vizeadmiral, geb. zu
Falkirk in Schottland, Vetter des vorigen, trat 1799 in den britischen Seedienst, zeichnete sich in dem Kriege gegen Frankreich
aus und wurde 1809 nach einem glänzenden Kampf bei Guadeloupe zum Kapitän ernannt, aber bald danach auf Halbsold gestellt.
Er wohnte darauf als Freiwilliger dem Feldzug auf der Pyrenäischen Halbinsel bei, ward aber 1811 wieder
mit dem Kommando einer Fregatte betraut, mit der er sich bei der Expedition an den neapolitanischen Küsten großen Ruhm erwarb.
Nach England zurückgekehrt, ward er 1841
ins Parlament gewählt, wo er sich durch seinen Eifer für die Hebung
[* 26] der
britischen Seemacht bemerklich machte und als konsequenten Whig bewährte. 1846 ward er Konteradmiral, kommandierte 1847 die
Kanalflotte, zeichnete sich im Kampf gegen die Rifpiraten aus und avancierte 1853 zum Vizeadmiral. Schonungslos deckte er in
einer Reihe von Briefen an die »Times«, die von seinem Vetter, dem GeneralWilliam Napier, gesammelt wurden (»The
navy, its past and present state«, Lond. 1850), alle Gebrechen im vaterländischen Seewesen auf. Im Februar 1854 erhielt er den
Oberbefehl über die britische Ostseeflotte, mit welcher er seit 28. Mai die russischen Küsten und Häfen der Ostsee blockierte,
nach Vereinigung mit der französischen Flotte21. Juni die Festung
[* 27] Bomarsund nahm und Anfang August die Alandsinseln
besetzte, im übrigen aber infolge der von ihm selbst früher gerügten Mängel nicht viel auszurichten vermochte. Im September
deshalb zurückberufen, lebte er fortan in London, trat wieder ins Parlament und rechtfertigte sich hier 1855 gegen die wider
ihn ungerechterweise erhobenen Vorwürfe. 1858 avancierte er zum Admiral der blauen Flagge und starb inMerchistonHall.
[* 28] Er schrieb: »The war inPortugal between Pedro and Miguel« (1836, 2 Bde.);
7) Robert Cornelis, Lord Napier of Magdala, geb. auf Ceylon,
[* 29] wo sein Vater als Major diente, erzogen
in der Militärschule der OstindischenKompanie zu Addiscombe in Surrey, trat 182 in das Korps der bengalischen Ingenieure ein
und organisierte 1842 die militärische Grenzstation Umbullah. Hier baute er nach einem neuen Plan gesunde und luftige Lagerkasernen,
welche allgemeinen Beifall ernteten und Napier-barracks genannt wurden. Nachdem er sich während der
Feldzüge gegen die Sikh 1845 und gegen Mulradsch 1848 rühmlichst hervorgethan hatte, ward er zum Obersten befördert und
nach Einverleibung des Pandschab zum obersten Zivilingenieur bei der Verwaltung dieses Landes ernannt, welches er mit einem System
vortrefflicher Land- und Wasserstraßen durchzog.
ernannt und brach im Januar 1868 von Bombay
[* 33] auf. Trotz der Schwierigkeit des gebirgigen Terrains, des Mangels an Lebensmitteln
und Trinkwasser gelang es ihm vor Eintritt der Regenzeit, durch einige kräftige Stöße die Macht des abessinischen Herrschers
zu brechen. Da König Theodor die geforderte Übergabe von Magdala verweigerte, so ordnete Napier einen Sturm
auf diese Felsenfestung an, welcher vollen Erfolg hatte, und bei dem Theodor sich selbst den Tod gab. Sofort trat Napier mit seinen
Truppen den Rückweg an, indem er das von innern Unruhen heimgesuchte Land sich selbst überließ. Er traf Anfang Juli inEngland
ein und wurde durch die Verleihung des Großkreuzes des Bathordens, einer jährlichen Pension von 2000 Pfd. Sterl.
für sich und seine direkten Nachkommen sowie durch die Ernennung zum Peer mit dem Titel als Lord Napier of Magdala belohnt. 1876 wurde
er zum Gouverneur von Gibraltar
[* 34] ernannt, kehrte aber, Ende 1882 zum Generalfeldmarschall befördert, 1883 nach England
zurück.
Nachdem er auf der Kriegsschule zu Paris
[* 47] 1786 die Prüfung bestanden, ward er Unterleutnant im RegimentLafère, das in Valence,
dann in Paris, Douai und Auxonne in Garnison stand. Die bedrängte Lage seiner Familie nach dem frühen Tod
seines Vaters (1785) nötigte ihn
zu der einfachsten Lebensweise, deren Grundsätze er in dem »Discours sur les vérités et
les sentiments qu'il importe le plus d'inculquer aux hommes pour leur bonheur«, der Beantwortung einer Preisfrage
der LyonerAkademie, niederlegte; die Arbeit erhielt nicht den Preis, und Napoleon suchte sie später zu beseitigen.
Die Schrift war bezeichnend für seinen Charakter, der neben höchster Willenskraft und Thätigkeit einen bei seiner Jugend
auffälligen völligen Mangel an Idealismus und sittlichen Grundsätzen, dagegen kälteste Berechnung zeigte.
Nicht lange nachher glückte es ihm, die Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich zu ziehen. Als er im Herbst 1793 seinen Landsmann,
der Konventskommissar bei der Belagerungsarmee vor Toulon
[* 51] war, besuchte, erkannte er, daß die Erstürmung des FortsMulgrave
und die Besetzung des Vorgebirges L'Eguillette die Engländer zur Räumung des Hafens zwingen müsse, und
führte, als Bataillonschef mit dem Oberbefehl betraut, 18. Dez. das Unternehmen aus, worauf die englische Flotte absegelte und
die Stadt sich ergab.
Der Lohn für die Einnahme von Toulon war seine Ernennung zum Brigadegeneral der Artillerie
Nachdem er die Mittelmeerküsten befestigt hatte, ward er im März der italienischen Armee zugeteilt, welche nach einem von
ihm entworfenen Plan im April die Piemontesen aus den Seealpen verdrängte, aber dann, da er mit dem jüngern Robespierre befreundet
war, in den SturzRobespierres verwickelt, des Verrats angeklagt und verhaftet. Zwar wurde
er wieder freigelassen, aber Anfang 1795 zur Armee in der Vendée versetzt und, da er sich weigerte, dorthin zu gehen, von
den Listen der Armee gestrichen (Juli 1795).
Ohne Vermögen, niedergedrückt von seiner Armut, lebte Napoleon eine Zeitlang zu Paris in völliger Zurückgezogenheit,
nur vorübergehend im topographischen Büreau des Kriegsministeriums beschäftigt, bis ihm der Aufstand vom 13. Vendémiaire
die ersehnte
¶
Unruhiger Ehrgeiz und Thätigkeitstrieb, die Hoffnung, auf dem morschen Boden des Orients rasch leichte und
glänzende Erfolge zu erzielen, welche die Phantasie der
Franzosen erregten und seine Popularität vermehrten, endlich nicht
am wenigsten die Berechnung, daß Frankreich und seine Regierung durch Unglücksfälle in neuen Kriegen während seiner Abwesenheit
seine Unentbehrlichkeit erkennen und ihn als den Retter und Befreier zurückrufen würden, das waren
wohl NapoleonsBeweggründe, während die Vernichtung der englischen Macht in Indien und der Sturz der Türkei
[* 65] seinem Geist wohl
vorschweben mochten, die Verwirklichung dieser gigantischen Pläne aber noch nicht schärfer ins Auge
[* 66] gefaßt war. Am verließ
Napoleon mit der Expedition Toulon, bemächtigte sich durch einen Handstreich Maltas und landete 30. JuniAlexandra.
Das französische Volk begrüßte ihn als Retter des in Auflösung begriffenen Staats. Seine Reise nach Paris, wo er 16. Okt. eintraf,
glich dem Einzug eines lang ersehnten Herrschers in sein Reich. Das Direktorium wagte nicht, ihn wegen
seiner eigenmächtigen Rückkehr zur Rede zu stellen. Napoleon war entschlossen, sich der Gewalt zu bemächtigen; »das Volk will und
braucht einen Herrn«, äußerte er zu seinen Vertrauten. Sofort begannen die Verschwornen, zu denen außer NapoleonsBrüdern,
Joseph und Lucian, Sieyès, Talleyrand und Fouché sowie die meisten Generale gehörten, die Vorbereitungen
zum Umsturz der Direktorialregierung, der am 18. Brumaire(9. Nov.) erfolgen sollte. An diesem Tag wurde von dem zum Teil eingeweihten
Rate der Alten der Rat der Fünfhundert nach St.-Cloud verlegt und Napoleon mit dem Oberbefehl über die Truppen der Hauptstadt
beauftragt. Barras ward von Talleyrand zum Verzicht bewogen, die beiden DirektorenMoulins und Gohier von Moreau gefangen gehalten.
Am 19. Brumaire(10. Nov.) rückte. Napoleon mit 8000 Mann nach St.-Cloud, besetzte die Zugänge zum Sitzungssaal der Fünfhundert,
trat selbst in denselben und hielt eine verworrene Rede, in der er von einem großen Komplott der Parteien
redete und die höchste Gewalt für sich forderte, die aber wirkungslos blieb. Er verließ den Saal und erschien wieder mit
einigen Grenadieren. Nun aber erhob sich ein großer Tumult: die Deputierten umringten Napoleon, überhäuften ihn mit Schmähungen
und schüttelten ihn am Kragen, so daß er fassungslos und fast ohnmächtig von den Grenadieren aus dem
Saal geschleppt werden mußte. Der Staatsstreich wäre gescheitert ohne die Entschlossenheit LucianBonapartes, der Präsident
der Fünfhundert war. Statt, wie die Versammlung forderte, die Acht über Napoleon aussprechen zu lassen, rief er von neuem die
Truppen herbei, ließ die Deputierten mit
¶
mehr
gefälltem Bajonett verjagen und am Abend von 30 Mitgliedern eine Dankadresse an Napoleon und die Truppen beschließen, 67 Mitglieder
für ausgestoßen erklären, beide Räte bis zum vertagen und eine Kommission zur Revision der Verfassung sowie ein
provisorisches Konsulat, aus Napoleon, Sieyès und RogerDucos bestehend, erwählen. Der Rat der Alten erteilte
diesen Beschlüssen seine Genehmigung, und nachts 12 Uhr
[* 69] leisteten die drei Konsuln vor beiden Räten den Eid.
Durch die Verfassung des Jahrs VIII, welche bereits im Dezember 1799 verkündet wurde, erhielt Napoleon unter dem Titel eines Ersten
Konsuls auf zehn Jahre die volle Gewalt eines konstitutionellen Fürsten; die beiden andern Konsuln, Cambacérès
und Lebrun, hatten nur eine beratende Stimme. Durch Besetzung der zahlreichen Staatsämter mit seinen Anhängern belohnte er
seine alten und gewann neue. Seine Wohnung verlegte er in die Tuilerien und bildete einen glänzenden Hof.
[* 70]
Der Mehrzahl der Emigranten wurde die Rückkehr gestattet und der Krieg in der Vendée durch kluge Maßregeln
beendet. Fouché organisierte eine furchtbare Polizei, welche die Tagespresse unterdrückte und die Parteien sprengte. Die innere
Verwaltung wurde nach dem Prinzip mechanischer Zentralisation, wie sie dem mathematisch angelegten GeistNapoleons entsprach,
umgeformt und war eine Hierarchie von einander übergeordneten Diktaturen, die in der des Ersten Konsuls
gipfelten. Napoleon handhabte diese Maschine,
[* 71] die allmählich das ganze geistige und materielle Leben der Nation regelte, mit überlegener
Intelligenz und verlieh ihr den Anschein einer genialen Schöpfung, während sie jede Selbständigkeit und individuelle Thatkraft
erstickte und der politischen Bildung der Nation höchst nachteilig geworden ist.
Die Stiftung der Ehrenlegion und das Konkordat mit dem Papst verstärkten die Macht des neuen Regiments über das
Volk, so daß Napoleon es wagen konnte, sich durch ein Plebiszit (3 Mill. Stimmen gegen wenige tausend) zum Konsul
auf Lebenszeit wählen zu lassen; doch hielt er es auch für nötig, seine Gegner einzuschüchtern und der Opposition jede
Möglichkeit, sich geltend zu machen, zu rauben. Die Mitglieder der gemäßigten Opposition im Tribunat und im GesetzgebendenKörper wurden im Januar 1802 ausgestoßen und durch Offiziere und Beamte ersetzt und durch Verfassungsänderungen
jede Kontrolle der Regierung des Konsuls beseitigt. Ein Attentat auf Napoleon gab den Anlaß, eine Anzahl Jakobiner hinzurichten
und 130 Republikaner zu deportieren.
Unter dem erschütternden Eindruck dieser Ereignisse, unter den Glückwünschen und Ergebenheitsbezeigungen
der Beamten und Staatskörper zu Napoleons glücklicher Errettung, beantragte der Senat in einer Adresse an Napoleon, die
höchste Gewalt in NapoleonsFamilie erblich zu machen. Napoleon nahm den Antrag25. April an, und nachdem Tribunat und Gesetzgebender Körper
ihre Zustimmung gegeben, ward Napoleon in Paris zum erblichen Kaiser der Franzosen proklamiert.
Die Errichtung der neuen Monarchie hatte die Steigerung des Despotismus im Innern zur Folge; auch die geistige Freiheit wurde
unterdrückt, der Unterricht der Jugend durch den geradezu gotteslästerlichen, aber von einem Kardinallegaten approbierten
»Catéchisme impérial« vergiftet, die Presse
[* 74] durch die brutalsten Maßregeln geknebelt. Nach außen handelte
er ganz nach Willkür und riß die Nation in seine Eroberungspolitik fort. Sein heißester Wunsch war, England zu demütigen.
Nachdem die Besetzung Hannovers (1803) wirkungslos geblieben, bereitete er in Boulogne eine Landung vor, die sich indes schließlich
wegen der Mangelhaftigkeit seiner Kriegsflotte als unausführbar erwies. Die Bildung einer neuen Koalition
gegen seine gewaltthätige Politik besonders in Italien, welche Pitt im August 1805 zu stande brachte, und welche aus England,
Österreich, Rußland und Schweden
[* 75] bestand, befreite ihn von der beschämenden Notwendigkeit, die Unmöglichkeit seines Landungsplans
einzugestehen.
Unersättlich in seiner Ruhmbegierde und Eroberungssucht, warf er sich nun auf Preußen,
[* 82] das durch seine schwächliche Politik 1805 seine
Verachtung und durch seine Schwankungen seinen Haß erweckt hatte, der sich in dem leidenschaftlichen,
übermütigen Ton seiner Befehle und Bülletins, in den rohen Schmähungen der KöniginLuise kundgab. Der Sieg von Jena
[* 83]
den Napoleon selbst erfocht, und die schmähliche Haltung der preußischen Heerführer lieferten ihm mit Einem SchlagPreußen in die
Hände.
Nachdem Napoleon in Potsdam
[* 84] vom GrabFriedrichs II. dessen Degen geraubt hatte, hielt er 27. Okt. seinen Einzug in Berlin, von wo er 21. Nov. das
Dekret über die Kontinentalsperre erließ. In Polen, wo ihm die Preußen zu Hilfe kommenden Russen entgegentraten, geriet sein
Siegeszug im Winter von 1806 bis 1807 ins Stocken, und bei Preußisch-Eylau (7. u. 8. Febr.) erfocht Napoleon trotz
ungeheurer Verluste keinen Sieg. Nach längerer Unthätigkeit in schwieriger Lage brachte er aber 14. Juni bei Friedland den Russen
eine entscheidende Niederlage bei, worauf er mit KaiserAlexander25. Juni auf der Memel
[* 85] die Zusammenkunft hatte,
in welcher er Polen opferte und Alexander mit der Hoffnung auf die Herrschaft über Nord- und Osteuropa schmeichelte, dadurch
aber ihn ganz für sich gewann und bewog, Preußen preiszugeben. Den Versuch der KöniginLuise, für ihr Land günstigere Bedingungen
zu erlangen, wies er in roher Weise zurück. Er konnte sich weder zu großmütiger Behandlung noch zur
völligen Vernichtung Preußens
[* 86] entschließen; indem er es zwang, die Hälfte seines Gebiets abzutreten, und drückende Lasten
und Demütigungen ihm auferlegte, zog er sich selbst einen unversöhnlichen Feind groß.
Napoleon hatte in Tilsit
[* 87] seinen Plan, eine Weltherrschaft zu begründen, der Verwirklichung näher gebracht; im mittlern
und westlichen Kontinent von Europa schaltete er als unbedingter Herr. Aber es lag sowohl im System des Cäsarismus als im CharakterNapoleons selbst, daß sein Ehrgeiz und seine gewaltthätige Herrschsucht keine Schranken in dem Recht und der Freiheit andrer
anerkennen wollten und ihn zur Überschätzung seines eignen Könnens und zur Geringschätzung fremder
Widerstandskraft verleiteten.
Nachdem er 1807 Portugal hatte besetzen lassen, weil es England nicht seine Häfen sperrte, benutzte er 1808 den in der spanischen
Königsfamilie ausgebrochenen Streit zwischen Karl IV. und seinem Sohn Ferdinand VII., um beide im Mai zu Bayonne zum Verzicht
auf den Thron
[* 88] zu bewegen, den er darauf seinem BruderJoseph verlieh, während Murat König von Neapel wurde.
Aber in Spanien stieß er bei dem stolzen, streng katholischen Volk auf ungeahnte Schwierigkeiten, die mit der Kapitulation
eines französischen Heers bei Baylen(21. Juli) begannen. Die Erhebung des spanischen Volkes und das Eingreifen der Engländer unter
Wellington, die nach der Vernichtung der letzten französischen Flotte bei Trafalgar (1805) nun auch auf
dem Kontinent Napoleon entgegenzutreten vermochten, rieben NapoleonsKräfte auf, ohne daß es ihm gelang, die Pyrenäenhalbinsel
dauernd zu erobern.
Der unglückliche Verlauf des Kriegs in Spanien, die ErhebungTirols, die Aufstandsversuche in Deutschland, endlich das Attentat
von Staps (12. Okt.) hätten Napoleon auf die erwachenden nationalen Kräfte aufmerksam machen können; doch glaubte
er durch rücksichtslose Gewalt der »Ideologie« Herr zu werden. Seine Selbstüberhebung und Menschenverachtung waren so hoch
gestiegen, daß sich ihm die Grenzen
[* 96] des Möglichen verwischten; was er wollte, mußte er auch können. Auch in seinem persönlichen
Auftreten wurde er herrisch und gewaltthätig, und jeder Widerspruch reizte ihn zur leidenschaftlichen
Wut. Über Völker und Länder schaltete er nach Willkür. Der Kirchenstaat wurde 1809 mit dem Kaiserreich vereinigt und der
dagegen protestierende Papst nach Frankreich abgeführt. Nachdem 1810 auch Holland und die deutschen Nordseeküsten einverleibt
worden waren, erstreckte sich das Kaiserreich bis zur Ostsee und den Ionischen Inseln, umfaßte 130 Departements,
und, die Vasallenstaaten eingerechnet, verfügte Napoleon über 100 Mill. Menschen. Um dies ungeheure Reich an einen Sohn zu vererben
und so seine Zukunft zu sichern, ließ er durch einen Senatsbeschluß vom seine kinderlose Ehe mit Josephine scheiden
und vermählte sich mit der Erzherzogin MarieLuise, der Tochter des Kaisers Franz I., die ihm einen
Sohn gebar, der bei seiner Geburt den Titel eines Königs von Rom
[* 97] empfing. Napoleon glaubte das ReichKarls d. Gr. erneuert und für
seine Dynastie gesichert zu haben. Die letzten Freiheiten der Revolution wurden beseitigt, die alte Hofetikette,
der Erbadel, die Zensur, ja auch die »lettres de cachet« wiederhergestellt.
Das 1808 erneuerte Bündnis mit Rußland war bei Napoleons Herrschsucht nicht aufrecht zu erhalten. Rußland wollte sich die
Kontinentalsperre nicht länger gefallen lassen und hob sie teilweise auf, Napoleon gönnte Rußland die EroberungFinnlands und seine Erfolge im Türkenkrieg nicht und beleidigte Alexander durch die AnnexionOldenburgs, des Fürstentums seiner
¶