Papst
(v. griech. pappas, Vater), Titel des Bischofs zu Rom [* 2] als des Primas der römisch-katholischen Kirche. Nach der römisch-katholischen Auslegung von Matth. 16, 17-19,. Luk. 22, 31. u. 32, Joh. 21, 15-17. hat Christus seinem Jünger Petrus eine vorzügliche Gewalt vor den andern Aposteln und über dieselben in seiner Kirche verliehen und hiermit zugleich einen erblichen Primat eingesetzt, wonach die Bischöfe Roms als Nachfolger Petri und Erben seiner Macht und Würde zu erachten seien.
Indes ist diese Begründung der römischen Hierarchie erst später aufgekommen. Ihre wahren Grundlagen liegen in den Umständen, unter welchen sich die christliche Kirche in dem Römerreich ausbreitete, und in der Stellung, welche Rom und seine Bischöfe dabei einzunehmen durch örtliche und zeitliche Verhältnisse veranlaßt und befähigt wurden. Roms alter Ruhm und seine überwiegende Weltstellung gingen auf die in Rom frühzeitig entstandene Christengemeinde über, und hierzu gesellten sich noch neue, kirchengeschichtlich bedingte Vorzüge.
Die Gemeinde in Rom war im Abendland die einzige, welche sich apostolischen Ursprungs und ebendarum auch des Besitzes der allein wahren Lehrüberlieferung rühmen konnte. Der Apostel Paulus hatte an sie geschrieben, sie besucht, in ihrer Mitte den Tod gefunden, und schon im 2. Jahrh. findet sich die Angabe, daß auch das Haupt der zwölf Apostel, Petrus, den Grund des römischen Christentums gelegt habe. Hier mußten jedenfalls die innern Gegensätze und Kämpfe des ursprünglichen Christentums zur Ausgleichung und Entscheidung kommen.
Italien

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Italien.Frühzeitig waren daher die Blicke aller abendländischen Kirchen vorzugsweise auf Rom gerichtet, und von dorther entnahmen die Gemeinden in Italien, [* 3] Gallien, Spanien, [* 4] Britannien, Afrika [* 5] etc. die Normen ihres eignen Verhaltens um so lieber, als auch gerade von Rom aus das meiste für Verbreitung des Christentums im Westen und Norden [* 6] geschah. Dazu kam, daß gerade in den ersten christlichen Jahrhunderten viele durch glänzende Talente und politischen Scharfblick ausgezeichnete Männer den römischen Stuhl innehatten. Der Gedanke der Herrschaft über die gesamte Kirche ward von ihnen früh erfaßt und weise und konsequent verfolgt. Was einer erwarb an Gütern, Ehren oder Macht, vermehrte das Erbe des heil. Petrus und gab dem Nachfolger die Mittel zu weiterm ¶
Papst (Geschichte des

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Erwerb. Endlich begünstigten die politischen sowie die kirchlichen Zerwürfnisse im spätern Römerreich die Erhöhung Roms. Die morgenländischen Prälaten waren untereinander durch Eifersucht und Jahrhunderte währenden Ketzerstreit entzweit. In solchen Fehden gab der römische Bischof als mächtiger Alliierter oder als Schiedsrichter oft die Entscheidung.
Die Geschichte des Papsttums läßt sich in acht Perioden zerlegen. Die erste Periode umfaßt die drei ersten
Jahrhunderte der Kirche. Hier ist die Succession bis in die Hälfte des 2. Jahrh. nicht mehr ganz bestimmt zu ermitteln. Die
Papst
kataloge gehen von dem angeblichen Primat des Apostels Petrus aus, schwanken dann in der Reihenfolge der drei Namen Linus,
Anacletus (Anencletus oder Cletus) und Clemens I. und zählen dann folgendermaßen weiter:
Euaristus | (bis 109), |
Alexander I. | (bis 119), |
Sixtus | (bis 128), |
Telesphorus | (bis 139), |
Hyginus | (bis 142), |
Pius I. | (bis 157), |
Anicetus | (bis 168), |
Soter | (bis 176), |
Eleutherus | (bis 190), |
Viktor I. | (bis 202), |
Zephyrinus | (bis 218), |
Calixtus I. | (bis 223), |
Urban I. | (bis 230), |
Pontianus | (bis 235), |
Anterius | (bis 236), |
Fabianus | (bis 250), |
Cornelius | (251-252), |
Lucius I. | (bis 253), |
Stephan I. | (bis 257), |
Sixtus II. | (bis 258), |
Dionysius | (bis 269), |
Felix I. | (bis 274), |
Eutychianus | (275-283), |
Cajus | (bis 296), |
Marcellinus | (bis 304), |
Marcellus I. | (bis 310), |
Eusebius | (April bis Sept. 310), |
Melchiades | (311-314). |
Vgl. hierüber Lipsius, Chronologie der römischen Bischöfe (Kiel [* 8] 1869).
Im ganzen windet sich die Geschichte der römischen Bischöfe ziemlich dürftig durch diese Jahrhunderte des Druckes; indes erhoben doch einige unter ihnen, wie namentlich Viktor I., schon jetzt mit mehr oder minder Glück Ansprüche auf einen kirchlichen Primat, und die zentrale Bedeutung Roms ward schon von Irenäus im Abendland anerkannt.
Konstantinopel

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Konstantinopel.Die zweite Periode begreift die drei folgenden Jahrhunderte (300-600), von Silvester I. bis Gregor I.; sie ist die Zeit der weitern Durchbildung der hierarchischen Ideen und ihrer praktischen Verwirklichung in einem großen Teil des Römerreichs und bei mehreren germanischen Völkern. Wie der Übertritt des kaiserlichen Weltbeherrschers zur christlichen Kirche, so kam auch die gleichzeitige Verlegung der kaiserlichen Residenz nach Konstantinopel [* 9] dem römischen Patriarchen sehr zu statten, indem sie ihn aus der dem Aufblühen seiner Macht nicht günstigen Atmosphäre der Hofluft befreite.
Rom blieb doch in den Augen der Völker die erste Stadt der Welt und ihr Patriarch demnach der erste Bischof der Christenheit, wenngleich die Konzile von Konstantinopel (381) und Chalcedon (451) den Patriarchen von Konstantinopel dem römischen unmittelbar zur Seite stellten. Allerdings aber waren und blieben die römischen Bischöfe trotz mancher Privilegien, womit sie von den ersten christlichen Kaisern ausgestattet wurden, durchaus deren Unterthanen. Dagegen bezeichnete es einen Fortschritt in der kirchlichen Machtstellung der römischen Bischöfe, als Julius I. auf der Athanasianischen Parteisynode zu Sardica 343 von dem Präsidenten derselben, Bischof Hosius von Corduba, als Schiedsrichter in Sachen appellierender Bischöfe proklamiert wurde.
Bald war das Urteil des römischen Bischofs auch in Glaubensstreitigkeiten kaum mehr zu umgehen. Unter den römischen Bischöfen finden wir keine spekulativen Köpfe, selbst nur wenige Gelehrte; desto mehr praktischen Takt und strenge Konsequenz besaßen sie. Rom kehrte sich nie an Theorien, sondern hielt sich an das Bewährte, Sichere; was auf einer allgemeinen Synode entschieden war, das war für Rom fast ausnahmslos Glaubensnorm, und es hatte dabei fast immer den Ruhm der Orthodoxie für sich.
Bei dem Eindringen der germanischen Stämme wußte der römische Bischof das ganze Gewicht geltend zu machen, wodurch jemals geistliche Würde der Unkultur imponiert hat. Attilas Abzug von Rom, durch Leos d. Gr. Zureden bewirkt, galt bald als Wunderbeweis für die päpstliche Macht. Den Goten gegenüber schloß sich das italienische Volk nur noch enger an den einheimischen Machthaber an, der am sichersten gegen die fremden, dazu arianischen Eroberer Schutz verhieß.
Karten zur Geschichte

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Italiens.
Eine Einbuße an Ansehen erlitt der römische Stuhl erst infolge der Unterwerfung Italiens
[* 10] unter die oströmische
Herrschaft durch Belisar, so daß zu Ende des 6. Jahrh. der Papst
seiner politischen Bedeutung nach
in der That nur Vasall des griechischen Kaisers und seines Stellvertreters, des Exarchen zu Ravenna, war. Mehr als einmal haben
byzantinische Kaiser, wie Justinian, über römische Bischöfe Gericht gehalten, Absetzungsurteile, Verbannungen
und andre Strafen ausgesprochen.
Trotzdem blieb man im Abendland daran gewöhnt, von Rom aus den ersten Rang in Anspruch nehmen zu hören; schon ein Dekret Valentinians
III. vom Jahr 445 hatte den dortigen Bischof für die letzte Instanz der Bischöfe erklärt und ihm den unbedingten Primat
zuerkannt. Ließ sich derselbe auch noch lange nicht faktisch durchführen, erhoben namentlich auch unter den abendländischen
Bischofsitzen die wichtigsten, wie Mailand,
[* 11] Ravenna, Aquileja, von Zeit zu Zeit gegen die Einmischung des Papstes
in ihre Angelegenheiten
Protest, so überzeugte man sich doch immer allgemeiner davon, daß, wenn die Kirche eine Einheit bilden
solle, das dieselbe repräsentierende Oberhaupt in Rom residieren müsse (s. Hierarchie).
Auge des Menschen

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Auge.Manche Einzelheiten der Praxis verraten, zu welcher Bedeutsamkeit der apostolische Stuhl in dieser Periode nach und nach gelangte. So drückt die Anstellung von Vikaren des römischen Bischofs in entlegenen Ländern die Idee aus, daß dort, wohin das päpstliche Auge [* 12] selbst nicht blicken könne, ein Vertreter dafür gehalten werden müsse. Ebenso wurde es jetzt schon als notwendig angesehen, das bischöfliche Pallium [* 13] von Rom zu holen. Die Päpste der zweiten Periode umfassen die folgenden 33 Namen:
Silvester I. | (314-335), |
Markus | (Jan. bis Okt. 336), |
Julius I. | (bis 352), |
Felix II. | (bis 358), |
Liberius | (bis 366), |
Damasus | (bis 384), |
Siricius | (bis 398), |
Anastasius I. | (bis 402), |
Innocenz I. | (bis 417), |
Zosimus | (bis 418), |
Bonifacius I. | (bis 422), |
Cölestin I. | (bis 432), |
Sixtus III. | (bis 440), |
Leo I. | (bis 461), |
Hilarius | (bis 468), |
Simplicius | (bis 483), |
Felix III. | (bis 492), |
Gelasius I. | (bis 496), |
Anastasius II. | (bis 498), |
Symmachus | (bis 514), |
Hormisdas | (bis 523), |
Johann I. | (bis 526), |
Felix IV. | (bis 530), |
Bonifacius II. | (bis 532), |
Johann II. | (bis 535), |
Agapetus | (bis 536), |
Sylverius | (bis 537), |
Vigilius | (bis 555), |
Pelagius I. | (bis 560), |
Johann III. | (bis 573), |
Benedikt I. | (bis 578), |
Pelagius II. | (bis 590), |
Gregor I. | (bis 604). |
Papst (Geschichte des

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Seite 12.689. Die beiden bedeutendsten Päpste in dieser Reihe sind unstreitig Leo I. (s. d.) und Gregor I. (s. d.), welche beide das Prädikat
»der Große« erhalten haben. Beide übersahen mit scharfem Blick ihre Zeiten und redeten gleichsam im Vorgefühl der künftigen
Papst
würde. Bezeichnend für die Praxis des christlichen Rom, welches sich als direkte Nachfolgerin der
heidnischen Weltherrscherin faßte, ist, daß beide auch den Titel Pontifex maximus oder Summus pontifex
¶
mehr
annahmen. Zu derselben Zeit kamen auch die Ausdrücke auf: »apostolischer Herr«, »apostolischer Sitz« etc. Den Ehrentitel Papst
, den
in der griechischen Kirche alle Kleriker führten, gebrauchte in der lateinischen zuerst der römische Bischof Siricius zur Bezeichnung
seiner Stellung. Auch unter den übrigen römischen Bischöfen dieser Periode ist noch mancher staatskluge
und charakterstarke Mann. Liberius, zuerst wegen seiner Opposition gegen den Arianismus von Constantius exiliert, erwarb 358 durch
Übertritt zum Semiarianismus seinen Bischofstuhl wieder, den seit 355 der Arianer Felix II. eingenommen hatte, wodurch die
Orthodoxie Roms zum erstenmal befleckt erschien. Übrigens sind diese beiden ketzerischen Päpste von spätern Päpsten heilig
gesprochen worden.
Geschichtskarten von D

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Deutschland. Die dritte Periode reicht vom Anfang des 7. bis in die Mitte des 9. Jahrh. oder von Gregor I. bis auf Pseudo-Isidor. Immer fester
begründete Rom seine Hierarchie unter den germanischen Stämmen. Die fränkischen Könige zwar behaupteten lange Zeit auch in
kirchlichen Dingen große Selbständigkeit, dasselbe war in Spanien zur Blütezeit des Westgotenreichs der
Fall. England dagegen war durch seinen Apostel Augustinus in möglichst enge Beziehung zu dem römischen Stuhl gebracht, und auch
Bonifacius, der »Apostel der Deutschen«, hatte dem römischen Stuhl den Eid der Treue geleistet und war vom Papst
zum Primas von Deutschland
[* 15] ernannt worden.
Dieses Beispiel entschied auch für Frankreich, wohin gleichfalls Bonifacius, um die desorganisierten kirchlichen
Verhältnisse zu ordnen, berufen ward. Gleichzeitig trennte der Bilderstreit (s. Bilderdienst und Bilderverehrung) die Päpste,
welche hier ganz offen als Feinde der byzantinischen Kaisermacht auftraten, und Rom auf die Dauer von der letztern. Das Exarchat
fiel zwar zunächst den Langobarden zu, aber eben gegen diese ging nun das Papsttum einen dauernden Bund
mit den Karolingern in Frankreich ein. So wurde es vorbereitet, daß Pippin die fränkische Krone aus der Hand
[* 16] des Papstes
sich
geben ließ und zum Gegendienst diesen dafür von den Langobarden befreite u. mit einem ansehnlichen Land
belieh, welches Karl d. Gr. nachmals noch bedeutend erweiterte. So kam das Land zwischen Ravenna und Ancona
[* 17] unter päpstliches
Regiment.
Die weltliche Herrschaft des Bischofs von Rom war begründet (s. Kirchenstaat). Die Landeshoheit zwar behielt sich Pippin unter
dem Titel eines Patriziers der Stadt Rom vor, und auch sein großer Sohn betrachtete und behandelte fortwährend
den Papst
als seinen Vasallen; indem er aber aus den Händen Leos III. die römische Kaiserkrone empfing, räumte er dem apostolischen
Stuhl eine Ehre ein, die bald nachher als Recht von den Päpsten beansprucht und geltend gemacht wurde, und in welcher die nachmalige
Erhebung des Papstes
über den Kaiser selbst vorgebildet war.
Kraft [unkorrigiert]
![Bild 60.671: Kraft [unkorrigiert] Bild 60.671: Kraft [unkorrigiert]](/meyers/thumb/60/60_0671.jpeg)
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Kraft.
Erstreckte sich die Gewalt des Papstes
auch nur auf Sachen des Dogmas und des religiösen Zeremoniells, da der Kaiser das eigentliche
Kirchenregiment selbst übte, Bischöfe ernannte, Synoden berief, kirchliche Gesetze bestätigte und ihnen durch Aufnahme in die
Kapitularien erst verbindende Kraft
[* 18] verlieh: so ließ doch jene Stellung den römischen Bischof als den ersten
Mann nächst dem Kaiser erscheinen und schon die Möglichkeit ahnen, daß der Papst
einem schwachen Kaiser gegenüber als der
absolute Gebieter der Christenheit auftreten könne. Jetzt erst war sein Primat nicht mehr bloß ein Primat des Ranges. Aber
der Ruhm der Rechtgläubigkeit wurde auch in dieser Periode schwer kompromittiert durch Honorius I., welchen
das sechste ökumenische Konzil 680 und Papst
Agatho selbst als Ketzer verdammt hatten. Die Päpste der dritten Periode (im Verzeichnis
der Päpste 65-108) sind:
Sabinianus | (bis 606), |
Bonifacius III. | (bis 607), |
Bonifacius IV. | (608-615), |
Deusdedit | (bis 618), |
Bonifacius V. | (619-625), |
Honorius I. | (bis 638), |
Severinus | (640), |
Johann IV. | (bis 642), |
Theodorus I. | (bis 649), |
Martin I. | (bis 653), |
Eugen I. | (654-657), |
Vitalianus | (bis 672), |
Adeodat | (bis 676), |
Donus | (bis 678), |
Agatho | (bis 681), |
Leo II. | (682-683), |
Benedikt II. | (684-685), |
Johann V. | (686), |
Conon | (bis 687), |
Theodorus II. | (687), |
Sergius I. | (bis 701), |
Johann VI. | (bis 705), |
Johann VII. | (bis 707), |
Sisinnius | (708), |
Konstantin I. | (bis 715), |
Gregor II. | (bis 731), |
Gregor III. | (bis 741), |
Zacharias | (bis 752), |
Stephan II. | (752), |
Stephan III. | (bis 757), |
Paul I. | (bis 767), |
Konstantin II. | (bis 768), |
Philippus | (768), |
Stephan IV. | (bis 772), |
Hadrian I. | (bis 795), |
Leo III. | (bis 816), |
Stephan V. | (817), |
Paschalis I. | (bis 824), |
Eugen II. | (bis 827), |
Valentin | (827), |
Gregor IV. | (bis 844), |
Sergius II. | (bis 847), |
Leo IV. | (bis 855), |
Benedikt III. | (bis 858). |
Reimchroniken - Reims
![Bild 63.738: Reimchroniken - Reims [unkorrigiert] Bild 63.738: Reimchroniken - Reims [unkorrigiert]](/meyers/thumb/63/63_0738.jpeg)
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Reims.Die vierte Periode begreift die Zeit von der Mitte des 9. bis gegen Ende des 11. Jahrh., d. h. von Pseudo-Isidor bis auf Gregor VII. Waren schon seit etwa 500 eine Reihe von einflußreichen Fälschungen zur Verherrlichung des Papsttums vorgenommen worden, und waren schon fast zu Lebzeiten Pippins und Karls ihre Schenkungen an den römischen Bischof in die Anfangszeiten der Reichskirche zurückverlegt, zur mythischen »Schenkung Konstantins« an Silvester I. umgedichtet worden: so gewann jetzt das Papsttum eine neue und zwar weitaus die mächtigste Stütze durch die zu Reims [* 19] aufgetauchten, angeblich vom Bischof Isidor von Sevilla [* 20] verfaßten Dekretalen (s. Pseudo-Isidorus).
Durch die Aufnahme von vielen der neuen Dekretalen in die Rechtsbücher der Kirche gingen jene allmählich in das gemeine Recht über. Päpsten aus den frühsten Jahrhunderten werden hier die entsprechenden Worte in den Mund gelegt und so eine andre Vergangenheit dem damaligen Zustand untergeschoben. Mit dem Ausdruck eines Episcopus ecclesiae universalis werden Rechte und Befugnisse in Verbindung gesetzt, wodurch die kollegialische Gleichheit aller Bischöfe nach der Cyprianischen Idee völlig vernichtet ward.
Der Inhaber dieses Stuhls heißt das von Gott eingesetzte Haupt, von dem die ganze Kirchenregierung ausgeht, auf dessen Veranstaltung und unter dessen Autorität nur Synoden gehalten werden dürfen, dem höchste Jurisdiktion zukommt etc. Was in den abgelaufenen 800 Jahren nicht hatte errungen werden können, das galt jetzt auf einmal als bestätigt durch das Zeugnis einer ehrwürdigen Vergangenheit, und keine Kritik enthüllte eine so ungeheure Täuschung. Die Päpste nahmen gern an, was ihnen das Zeitalter bot.
Nikolaus I., einer der ersten Päpste, die sich krönen ließen, war ganz der Mann, Vorteil aus dem neuen Privilegienbuch zu ziehen. Er zwang den König Lothar II. von Lothringen, seine verstoßene Gemahlin wieder anzunehmen, bot, die Dekretalen in der Hand, dem ganzen französischen Klerus unter seinem Führer Hinkmar von Reims die Spitze, kassierte die in bester Form schon vollzogene Absetzung des Bischofs Rothad von Soissons und setzte die Bischöfe von Köln [* 21] und Trier [* 22] ab. Sein Nachfolger Hadrian II. gab zwar dieses ganze Gebiet wieder preis; dagegen gelangte Johann VIII., nachdem er Karl dem Kahlen die Kaiserkrone zugewendet hatte, wieder zur ¶