Südlich von der
Rotunde liegen die alte
Halle
[* 4] der
Repräsentanten, in welcher
Statuen berühmter Amerikaner aufgestellt sind,
und die neue
Halle derselben, die 42 m lang, 28 m breit ist, aber nur 11 m
Höhe hat. Im nördlichen
Flügel
befinden sich der Senatssaal (34,3 m lang, 24,4 m breit, 11 m hoch),
der oberste
Gerichtshof der
Vereinigten Staaten
[* 5] und unter letzterm eine Rechtsbibliothek von 30,000
Bänden. Die Baukosten des
Kapitols, einschließlich der 1851-62 ausgeführten Neubauten, belaufen sich auf 52 Mill. Mk.
Pennsylvania
Avenue, die Hauptstraße der Stadt, verbindet das
Kapitol mit dem 2 km entfernten
LafayetteSquare (mit
Mills Reiterbildnis
des
GeneralsJackson); an dessen Südseite, inmitten eines
Parks, befindet sich das
»weiße Haus«, die
Wohnung des
Präsidenten,
ein einfacher, weiß angestrichener
Bau (daher der
Name) mit ionischem
Portikus, dicht daneben das 1836 erbaute, 1855 erweiterte
Schatzamt (Treasury), 177 m lang, 91 m tief, mit großer ionischer
Säulenhalle, und das seit 1871 aus
Granit aufgeführte, 173 m
lange, 104 m tiefe Gebäude, in welchem die Ministerien des
Auswärtigen, des
Kriegs und der
Marine ihren
Sitz haben.
Nördlich von der Pennsylvania
Avenue liegt das
PatentOffice (auch Sitz des
Ministeriums des Innern), ein
Marmor- und Sandsteinbau, 124 m
lang, 84 m tief, mit vier dorischen Portiken (das Modellzimmer im obern
Stock wurde mit seinen reichen Sammlungen 1877 ein
Raub der
Flammen), daneben das Generalpostamt, ein weißer Marmorbau, und auf der andern Seite von Pennsylvania
Avenue das Ackerbauministerium mit landwirtschaftlichem
Museum,
Herbarium und Pflanzschule.
Die
Bevölkerung
[* 8] der Stadt, 1880: 147,293 (darunter 48,377
Neger) betragend, (1885) 173,606
Seelen, hängt
großenteils vom
Kongreß und den zahlreichen Beamten ab. Einiges
Leben zeigt sich nur während der Kongreßsitzungen, zwischen
Dezember und März oder Juni.
Handel und
Industrie sind ganz unbedeutend, obgleich
Schiffe
[* 9] von 4 m Tiefgang bis zur Stadt gelangen
können. Washington
[* 10] ist Sitz eines deutschen
Konsulats. Nachdem die Stadt 1791 gegründet worden und der
PräsidentWashington den Grundstein zum
Kapitol gelegt hatte, siedelte 1800 die
Bundesregierung von
Philadelphia
[* 11] dahin über.
Im
August 1814 wurde Washington von den Engländern unter
AdmiralCockburn genommen, der das
Kapitol und andre Gebäude in
Asche legen
ließ. 1818 bis 1827 wurde der ältere Teil des jetzigen
Kapitols wieder aufgebaut und 1851-62 erweitert.
Von
Georgetown (s. d.) wird Washington durch den
RockCreek getrennt, über den vier
Brücken
[* 12] führen.
Als gegen die Einfälle der
Franzosen und
Indianer in
Virginia die
Miliz einberufen wurde, trat Washington bei derselben
als
Major ein und ward bald zum
Oberstleutnant und Regimentskommandeur befördert, in welcher
Eigenschaft er mit Auszeichnung
am
Ohio focht. Die Geringschätzung, mit der die britische
Regierung die Milizoffiziere behandelte, veranlaßte ihn 1754, sich
auf den von seinem ältern
Bruder geerbten Landsitz
Mount Vernon zurückzuziehen.
Schon 1755 aber
schloß er
sich als Freiwilliger der Expedition des
Generals Braddock gegen die
Franzosen in
Kanada an und ward von demselben zu seinem
Adjutanten und nach dem
Treffen am
FlußMonongahela (Juni 1755) zum Befehlshaber der gesamten
Milizen derKolonieVirginia ernannt.
Washington-Expedition
* 16 Seite 16.411.
Als der
Krieg in diesen Gegenden 1763 endigte, zog er sich ins Privatleben zurück, verheiratete sich mit
Martha Custis, einer
jungen
Witwe, und lebte auf
Mount Vernon am
Potomac als Pflanzer, bis ihn seine Mitbürger in den Nationalkongreß der vereinigten
Kolonien sandten, der am zuPhiladelphia eröffnet wurde. Hier ward er bei allen
Ausschüssen,
welche sich mit der
Verteidigung des
Landes zu beschäftigen hatten, zum Vorsitzenden und, als der
Gang
[* 13] der Ereignisse zur Entfaltung
eines kühnern
Widerstandes führte, zum Oberbefehlshaber der nordamerikanischen
Armee ernannt. Mit Widerstreben
übernahm er das schwierige
Amt und wies jeden
Gehalt zurück. Da das aus den Kolonialkontingenten und
Milizen zusammengesetzte
Heer noch gar nicht organisiert war und es an allem Nötigen, namentlich an
Waffen
[* 14] und
Munition, mangelte,
so sah er sich zunächst auf die
Defensive beschränkt; dazu schufen die
Verfassung der
Kolonien und das schwache
Band
[* 15] ihres
Zusammenhanges immer neue Schwierigkeiten. Er
¶
Hunger, Kälte und Seuchen rafften einen Teil seiner Streitkräfte dahin, ein andrer Teil verließ nach Ablauf
[* 18] der immer nur
auf ein Jahr festgesetzten Dienstzeit die Fahnen. Mit dem Rest von 2000 Mann mußte Washington mitten im Winter
bis über den Delaware zurückweichen. Auf seinen Betrieb beschloß der Kongreß, das Heer auf mehr als 100 Bataillone zu bringen,
die bis zum Ende des Kriegs dienen sollten, und zugleich übertrug man dem Feldherrn eine fast unbeschränkte
Gewalt auf sechs Monate.
Jetzt ging Washington über den Delaware, machte 26. Dez. einen glücklichen Überfall auf die Engländer bei Trenton und schlug dieselben bei
Princetown, unterlag jedoch 11. Sept. der feindlichen Übermacht am Brandywinefluß und 3. Okt. bei Germantown und mußte sich in
die Einöde von Valley Forge zurückziehen. Doch harrte er unerschüttert durch alles Mißgeschick auf
seinem Posten aus, bis das Bündnis mit Frankreich ihm erlaubte, wieder angriffsweise vorzugehen, die Engländer unter Clinton
bei Monmouth zu schlagen und, verstärkt durch 6000 Franzosen unter Rochambeau, die 7000 Mann starke
englische Armee unter Cornwallis in Yorktown zur Kapitulation zu zwingen, worauf im November 1782 der provisorische Friede zu stande
kam.
Inmitten des heftigen Parteikampfes, der die Union gewaltsam zu zerreißen drohte, ordnete er die Staatsschuld,
die Landesverteidigung, den Verwaltungsorganismus und das öffentliche Unterrichtswesen und legte den Grund zu dem großartigen
Straßen- und Kanalsystem der Union. Nach außen beobachtete er strenge Neutralität und machte dadurch die Wiederaufnahme des
Handelsverkehrs mit England möglich. Nach Ablauf seiner Amtsjahre 1793 zum zweitenmal gewählt, hatte
er besonders nach außen eine schwierige Stellung wegen des Verhältnisses der Union zu dem revolutionären Frankreich. Er gab
aber dem Verlangen der Demokraten nach Unterstützung Frankreichs, England gegenüber, keineswegs nach, sondern schloß vielmehr
einen sehr vorteilhaften Handelsvertrag mit England und verwies die Agenten des französischen Direktoriums, die das Volk
zur Empörung gegen ihn aufzureizen suchten, aus dem Gebiet der Union, wofür man ihn mit den
schonungslosesten Anklagen überhäufte.
Als seine zweite Amtsperiode zu Ende ging, verbat er sich die abermalige Wiederwahl, legte sein Amt mit einer herrlichen Ansprache
an die Nation im März 1797 für immer nieder und zog sich wieder nach Mount Vernon zurück. Als aber 1798 der
Krieg mit Frankreich ernstlich drohte, bewog ihn der neue Präsident, Adams, die Stelle eines Oberfeldherrn nochmals anzunehmen.
Trotz seines Alters nahm er die Organisation eines neuen Heers und die Herstellung umfassender Verteidigungsanstalten mit Energie
in die Hand,
[* 20] und die ehrfurchtgebietende Stellung, welche Amerika
[* 21] mit rascher Entschiedenheit einnahm, bewog
die Franzosen, in Unterhandlungen zu treten. Washington starb in Mount Vernon, ohne Kinder zu hinterlassen. In seinem Testament
gab er seinen Sklaven die Freiheit. Washington sind in den Vereinigten Staaten zahlreiche Denkmäler errichtet worden, unter denen die
sitzende Kolossalstatue im Park des Kapitols zu Washington von H. Greenough, die Reiterstatuen in Richmond
von Th. Crawford, in Boston
[* 22] von Th. Ball, auf dem Union-Square in New York von H. K. Brown und in Philadelphia von dem Berliner
[* 23] Siemering
die hervorragendsten sind. Washington ist in allem Zeitenwechsel dem Amerikaner das große Vorbild
eines treuen Republikaners geblieben. In seinem Charakter waren jene Eigenschaften ausgeprägt, welche die thatkräftige, rücksichtslose
Entschiedenheit mit der ruhigen, gerechten Mäßigung vermitteln.
Ruhig im überlegen, feurig im Ausführen, standhaft im Unglück, standhafter noch im Glück, tapfer auf dem Schlachtfeld,
scharfsinnig in der Wahl seiner Ratgeber, fern von Neid und Selbstsucht, aufrichtig, auch den heftigsten
Parteiangriffen gegenüber nie vom Boden des Rechts weichend, pflichtgetreu, sich selbst beherrschend, gegen andre mild und
nachsichtig, frei von allem Hochmut, den Armen hilfreich, als Bürger wie als Mensch gleich vortrefflich, vor allem aber der Freiheit
mit Leib und Seele ergeben, steht Washington als einer der größten Männer aller Zeiten da. Washingtons Schriften
(amtliche und private Papiere) wurden gesammelt herausgegeben von Sparks (»Washington's writings«, neue Ausg.
1855, 12 Bde., mit Biographie; deutsch bearbeitet von F. v. Raumer, Leipz. 1839, 2 Bde.) und
von Washington C. Ford (New York 1888 ff., 14 Bde.).
Seine Biographie schrieben außerdem Marshall (3. Aufl., Philad. 1832, 2 Bde.),
Bancroft (Bost. 1851), Redding (Lond. 1835, 2 Bde.),
Edmonds (3. Aufl., das. 1839, 2 Bde.),
Washington Irving (deutsch von Bülau, Leipz. 1855-60, 5 Bde.),
Headley (New York 1856), Venedey(Freiburg
[* 24] 1861), Everett (New York 1861), Pardo (deutsch, Gotha
[* 25] 1885), Townsend (New York 1887),
Lodge (Bost. 1889, 2 Bde.), Scudder
(das. 1889).
Vgl. Baker, Bibliotheca Washingtoniana (Philad. 1889).