Belutschistan
(Beludschistan), Staatengruppe in Asien, [* 2] westlich vom Indus, der südöstlichste Teil des Hochlandes von Iran, liegt zwischen 24° 50' bis 30° 20' nördl. Br. und 61° 20' bis 70° 45' östl. L. v. Gr., im S. vom Indischen Ozean, im O. vom englisch-indischen Reich, im N. von Afghanistan [* 3] und im W. von Persien [* 4] begrenzt (s. Karte »Zentralasien«), [* 5]
und umfaßt ein Areal von 276,510 qkm (5020 QM.). Das Land, bis 1810 den Europäern fast gänzlich unbekannt und auch jetzt im Innern noch nicht erforscht, ist ein Gebirgsland, im Innern unbewohnbare Steppe, stellenweise Wüste mit tiefem, fliegendem Sande; die Wüste ist gebirgig und von vielen Flüßchen durchschnitten. Der nördliche Teil des Landes dacht sich nach Afghanistan ab; hier liegt in 1737 m Höhe Quetta mit englischer Garnison. Dahinter erhebt sich das Kurkleki-Meridiangebirge, ein Ausläufer der Iran von Indien abschließenden Ketten; östlich davon streicht das Halagebirge bis zum Meer.
Dieser Teil ist durchweg gebirgig und von Indien her nur in den dahin gerichteten, tief in das Gebirge eingeschnittenen Flußthälern zu ersteigen. Die gangbarsten dieser Thäler sind der Bolan (s. d.) nach Quetta und der Mula nach Kelat und Mastung. Von der Küste führt der gangbarste Weg von Sunmiani über Bela nördlich. Geologisch zeigt das Gebirge nur Steinmassen jüngerer Bildung. Die Küste, östlich vom Kap Muwarik oder Monze, mit welchem das Halagebirge ins Meer fällt, westlich vom Kap Djask begrenzt, besteht aus einem blendenden, furchtbar heißen, von jeder Spur von Vegetation entblößten Landstrich, hinter dem sich, selten über 15-22 km landeinwärts, kahle, ebenfalls völlig vegetationslose Gebirge erheben.
Auf der ganzen 1930 km langen
Küste gibt es keinen guten
Hafen, nur einige
Reeden. Das indopersische
Kabel ist bei der Telegraphenstation
Gwadar emporgezogen. An einem großen
Fluß fehlt es Belutschistan;
im W. herrschen Wassersnot und
Dürre vor. Der
bedeutendste Küstenstrom ist der Doscht (Daschti), der westlich vom
Ras
Nun mündet, in seinem
Lauf aber noch wenig erforscht
ist; im N. berührt der
Hilmend die
Grenze. Im östlichen Gebirgsland sind Flußläufe häufig, aber nicht das ganze Jahr gefüllt.
Jundt - Jupiter

* 6
Klima.Das Klima [* 6] wechselt nach der Beschaffenheit und Höhe des Bodens. Im O., am Fuß des Gebirges, indisch und heiß, haben die Hochthäler im Gebirge norditalienischen Sommer, heftige Stürme in der Regenzeit, kalte Winter und geringe wässerige Niederschläge; auf den Steppen und Wüsten herrscht trocknes kontinentales Klima, zeitweise mit allen Schrecken der Wüste. Der Ackerbau ist durchweg von der Bewässerung der Felder bedingt, die seßhafte Bevölkerung [* 7] leistet darin Großes.
Die Berggipfel sind kahl, auch die Abhänge zeigen selten dichte Waldungen; die Kabulpistazie (Pistacia cabulica) herrscht vor. In den niedern Thälern trifft man wilde Oliven-, Mandel- und Pfirsichbäume; auf der Steppe gibt Buschholz das Feuerungsmaterial. In Gärten gedeiht die Dattelpalme noch bei 1100 m Höhe; berühmt sind durch ihre Güte die Trauben. Hauptackerfrüchte sind Weizen, Gerste [* 8] und Mais; Tabak [* 9] gedeiht überall, aber Baumwolle [* 10] nirgends. Die unbewässerbaren Strecken werden durch Abweiden nutzbar gemacht.
Madras (Stadt)

* 11
Madras.
Bedeutend ist die
Zucht von
Pferden, die bis nach
Madras
[* 11] im südöstlichen
Indien gesucht sind, sowie die
von
Schafen. Transporttiere sind
Pferde
[* 12] und
Kamele.
[* 13] An wilden
Tieren kommen vor
Leopard,
[* 14]
Wolf,
Schakal,
Affen,
[* 15] in den
Wüsten der
wilde
Esel. Unbedeutend sind die gewerblichen Leistungen; nur in
Filzen, die zu
Zelten allseitig Verwendung finden, leistet
die
Hausindustrie Vorzügliches. Der
Handel ist in den
Händen weniger
Klassen, die Karawanenführer gehören
meist dem Momoschistamm der
Brahui an. Seit durchzieht das östliche Belutschistan
die englische, 232 km lange Militäreisenbahn
von Rohri am
Indus bis
Sibi an der Nordgrenze von Belutschistan;
ihre Fortsetzung erfolgt bis
Quetta.
Asiatische Völker

* 16
Völker.Die Bevölkerung, deren Zahl auf 1½-2 Mill. angegeben wird, zerfällt in die beiden Volksstämme der Belutschen und der Brahui, beides vorwiegend nomadische Hirtenvölker. Die Belutschen (s. Tafel »Asiatische Völker«, [* 16] Fig. 34) sind ein Volk iranischen Ursprungs, dem jedoch tatarisches Blut beigemengt ist; sie sprechen eine dem Neupersischen sehr nahe verwandte Sprache [* 17] und wohnen hauptsächlich im N. und W. des Landes. Die Hauptstämme heißen Nharui, Rhind und Maghzi. Die Nharui wohnen zunächst westlich der Wüste sowie bei Neschki und in Seïstan; sie sind ein schöner, großer Menschenschlag, abgehärtet gegen das Klima, fähig, die größten Beschwerden zu ertragen, und sehr tapfer, aber auch der wildeste und räuberischte Teil der Belutschen. Die Rhind und Maghzi sind besonders westlich von Kelat, in Katscha-Gandawa, ansässig, wohin sie zu ¶
Belvedere - Belzig

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verschiedenen Zeiten aus Mekran übergesiedelt sind, und wo sie sich nach und nach mit den Dschat (ebenfalls arischen Ursprungs) verschmolzen haben. Sie gleichen den Nharui im Äußern, ihre Gesichtsfarbe ist jedoch dunkler; das heiße Klima, in dem sie wohnen, hat sie verweichlicht, sie sind daher weniger abgehärtet, aber auch weniger räuberisch. Alle Belutschen sind sehr gastfrei. Sie wohnen in Zelten aus schwarzem Filz (Ghedan), in Lehmhäusern oder in Festungen.
Schwerstein - Schwert

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Schwerter.Eine Anzahl von Zelten oder Häusern heißt Tuman oder Dorf; die Einwohner bilden einen Khail oder eine Genossenschaft. Ihre gewöhnliche Kleidung ist ein grobes, meist blaues Hemd aus Kattun, das bis an die Kniee reicht, und Beinkleider aus demselben Stoff oder aus gestreiftem Zeug. Die Kopfbedeckung ist eine Mütze, bei feierlichen Gelegenheiten ein Turban. Der Anzug der Frauen ist dem der Männer sehr ähnlich. Ihre Waffen [* 19] sind Flinten, Spieße, Schwerter, [* 20] Dolche und Schilde, wovon die besten vom Ausland bezogen werden.
Ihre Vergnügungen bestehen in der Jagd, der sie leidenschaftlich ergeben sind, in Körper- und ritterlichen Übungen, vorzüglich in einem Speerspiel und einem Nationaltanz (von Männern). Den Nomaden unter den Belutschen ist sicher mongolisches Blut beigemischt; ihre Füße sind groß und haben breite Sohlen, die Stirn ist niedrig, das Haar [* 21] hart, die Nase [* 22] meist stumpf und breit; sie gleichen (nach Khanikow) am meisten den Kirgisen. Die Nahrung ist eine bloß vegetabilische. Die Religion ist der Islam, bestimmend jedoch ist der Glaube an böse Geister. Die Sprache der Belutschen (das Balutschi) gehört zur iranischen Sprachengruppe; Grammatiken derselben schrieben Mockler (Lond. 1877) und Gladstone (das. 1880, mit Vokabular). Die Brahui (s. d.) dagegen sind ein Volksstamm drawidischer Abkunft. Dehwar, d. h. Dorfbewohner, heißen die Kolonisten persischer Abkunft; sie sind gutmütig, treiben Ackerbau und sind zu gewissen Fronen verpflichtet.
Banco - Banda

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Band.Man unterscheidet als Landesteile: Sarawan, Kelat, Katscha (Katscha-Gandawa), Dschalawan und Las im O., Mekran längs der Küste, Pandschgar im Innern. Das staatliche Band, [* 23] welches die einzelnen Landschaften zu einem Ganzen verbindet, ist sehr locker; die politischen Zustände gleichen etwa jenen im Deutschen Reich zur Zeit der Blüte [* 24] des Reichsgrafentums. Der Mir von Kelat übt ein Herrscherrecht über die andern Chane aus, aber mehr nominell als thatsächlich. Britisch-Indien hatte mit fünf Fürsten Verträge abzuschließen, um seine Grenzen, [* 25] Unterthanen u. Verkehrsanstalten zu schützen. An der Küste hat der Imam von Maskat eine kleine Besitzung.
Die Geschichte Belutschistans
, des alten Gedrosien, läßt sich nur in höchst dürftigen Spuren rückwärts verfolgen. Zur
Zeit Alexanders d. Gr. war Pura im Westen die Hauptstadt des Reichs Gedrosien. Im 10. Jahrh., unter den Wirren
der Seldschukken und Ghasnawiden, begann die Verbreitung der Belutschen nach Osten. Kelat und das umgebende Land scheint aber
noch viele Jahrhunderte von eignen Fürsten beherrscht worden zu sein, die als Hindu (Inder) bezeichnet werden, den Sehraï,
später den Sehwa.
Thrombus - Thugut

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Thron.
Diese letztern wurden durch Angriffe der Afghanen genötigt, Kumbur, den Häuptling der Belutschen in
Pandschgar, zu Hilfe zu rufen. Kumbur kam wohl, vertrieb aber die einheimische Dynastie (etwa 1500). Von da an nahmen Belutschen
den Thron
[* 26] von Kelat ein. Aber schon um die Mitte des 16. Jahrh. wurde Belutschistan
mit angrenzenden
Gebieten durch Akbar, den Herrscher von Dehli, unterworfen. 1738
bemächtigte sich Nadir Schah des Landes,
überließ aber den Nachkommen Kumburs die Regierung.
In der Mitte des 18. Jahrh. ganz unabhängig geworden, hob sich das Chanat von Kelat zu wirklicher Bedeutung unter dem geschickten und kraftvollen Nasir Chan, welcher sich die meisten Stämme der Belutschen unterwarf. Nach seinem 1795 erfolgten Tode trat jedoch eine Periode der Anarchie ein, so daß sich die Perser allmählich eines großen Gebiets bemächtigen konnten. Bei der Expedition nach Afghanistan zogen die Engländer durch den Osten des Landes, nahmen die Hauptstadt Kelat ein, setzten aber 1841 bei ihrem Abzug den rechtmäßigen Herrscher wieder ein. 1854 schloß der Mir von Kelat mit den Engländern einen wichtigen Vertrag ab, dessen § 4 der indischen Regierung das Recht zugesteht, zu jeder beliebigen Zeit Truppen dort aufzustellen.
Schon 1857 nötigten Thronstreitigkeiten dazu, vorübergehend Instrukteure wie eine Art Leibwache von wenigen Mann an das
Hoflager abzuordnen. Fast jährlich zählen die indischen Verwaltungsberichte neue Fehden auf; der gegenwärtige Mir, Chodabad
Chan, war durch Beschluß der Großen und des Volks schon einmal vom Thron entfernt worden und gelangte erst 1864 wieder zur
Regierung. Der Mangel an Macht auf seiten des Herrschers macht Belutschistan
zu einem sehr
unangenehmen Nachbar Britisch-Ostindiens; Raubanfälle auf Dörfer in Sind nötigen zur Aufstellung eines militärischen Kordons
und hindern die Entwickelung eines geregelten Handelsverkehrs.
Hof (meteorologisch) -

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Hof (meteorologisch) - Hofburgwache.
Der Mir mußte an seinem Hof
[* 27] einen politischen Residenten der Engländer zulassen und dulden, daß längs des Meers von Gwadar
an der europäisch-indische Telegraph
[* 28] läuft. Goldsmid und Rost haben, ersterer 1864 Westbelutschistan
,
letzterer das Südgebirge, bereist. 1872 mußte der Westen des Landes die Perser als Oberherren anerkennen; Quetta besetzten
die Engländer.
Vgl. Bellew, From the Indus to the Tigris (Lond. 1874);
Hughes, The country of Baloochistan (das. 1877);
Macgregor, Wanderings in Baloochistan (das. 1882);
für die ältere Geschichte Spiegel, [* 29] Eranische Altertumskunde (Leipz. 1871-73, 2 Bde.);
Elphinstone, The history of India (5. Aufl., Lond. 1867).