Wille
Wille - Willemer

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Seite 16.650. (Voluntas), dasjenige
Begehrungsvermögen, dessen
Begehren (das
Wollen) mit der
Vorstellung der Erreichbarkeit des
Begehrten verbunden ist. Dasselbe unterscheidet sich vom
Begehrungsvermögen (s. d.) überhaupt dadurch, daß das letztere
über Erreichbarkeit oder Nichterreichbarkeit des Begehrten nicht weiter reflektiert, vom
Wunsch (s. d.)
aber dadurch, daß der letztere der Überzeugung von der Unerreichbarkeit des Gewünschten zum Trotz am Begehrten festhält,
während der Wille
erlischt, wenn jene eingetreten ist. Der als erreichbar gedachte Gegenstand des Willens heißt
Zweck, das um der Erreichung desselben willen
Gewollte heißt
Mittel; daher versteht es sich von selbst, daß,
wer den
Zweck will, auch die
Mittel wollen muß, wenn aber diese (physisch oder moralisch) unmöglich sind, auch die
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mehr
Erreichung des Zwecks es ist. Der Zweck des Willens
unterliegt seiner Löblichkeit oder Schändlichkeit, Erlaubtheit oder Unerlaubtheit
nach der Beurteilung durch die praktische, seiner Erreichbarkeit oder Unerreichbarkeit nach einer solchen durch die theoretische
Vernunft (s. Vernunft). Die Mittel unterliegen, ihrer Erlaubtheit oder Unerlaubtheit nach, gleichfalls der Beurteilung durch
die praktische, ihrer Durchführbarkeit nach, der durch die theoretische Vernunft, ihrer Zweckmäßigkeit
oder Unzweckmäßigkeit nach in Bezug auf den Zweck aber noch überdies einer Beurteilung durch den Verstand (s. d.). Je nachdem
das Urteil der praktischen Vernunft auf den Willen
bestimmend (als Motiv) wirkt, das von jener für gut Erklärte gewollt, das
von jener für schlecht Erklärte unterlassen wird (sittliche oder Willensfreiheit, Herrschaft der Vernunft
über den Willen
), oder der Wille sich selbst bestimmt (transcendentale Freiheit, Willkürherrschaft des Willens
) oder, statt
durch das Urteil der Vernunft, durch jenes der Un- oder Scheinvernunft bestimmt wird (sittliche Knechtschaft, Herrschaft der
Un- oder Scheinvernunft über den Willen
), wird der Wille als moralisch oder unmoralisch unterschieden.
Je nachdem das Urteil der theoretischen Vernunft (über Erreichbarkeit oder Unerreichbarkeit) auf den Willen
bestimmend wirkt,
so daß der als unerreichbar eingesehene Zweck fallen gelassen wird oder der Wille
trotzdem an seinem Zweck beharrt, wird derselbe
als klug oder unklug unterschieden. Je nach der Angemessenheit oder Unangemessenheit der Mittel wird der
Wille
verständig oder unverständig genannt.
Der moralische (freie) Wille
ist daher keineswegs unmotiviert, die (transcendental freie) Willkür grundlos, aber nicht moralisch,
der unmoralische Wille
motiviert, aber unfrei. Da der gebotene oder erlaubte Zweck möglicherweise unerreichbar, der erreichbare
Zweck aber verboten sein kann, so muß der moralische Wille
mit dem klugen (der unmoralische
mit dem unklugen) Willen
ebensowenig wie, da der an sich erreichbare Zweck mit unpassenden Mitteln erstrebt werden kann, der
kluge Wille
mit dem verständigen (der unkluge mit dem unverständigen) Willen in Eins zusammenfallen.
Vgl. Begehrungsvermögen und Begierde. - Der Wille hat auch in rechtlicher Beziehung große Bedeutung.
Die Willensbestimmung gründet sich hier namentlich auf die bestimmte Absicht, ein Rechtsgeschäft mit rechtlicher Wirkung vorzunehmen. Da diese fehlt, wenn der Handelnde durch Zwang, Betrug oder Irrtum (errantis non est voluntas) zu dem Geschäft veranlaßt ist, so sind alle so entstandenen Geschäfte ebenso ungültig und rechtlich unwirksam, als Äußerungen des Scherzes, alle mit so schweren Bedingungen belasteten Dispositionen, daß daraus der Mangel des Ernstes hervorgeht, alle bloß gelegentlichen Äußerungen, Simulationen etc. wegen Mangels der Willensernstlichkeit keine rechtliche Verpflichtung begründen. Die Willensbestimmung ergibt sich aus der Willenserklärung (voluntatis declaratio), die entweder ausdrücklich, also durch klare, unzweifelhafte, mündlich oder schriftlich ausgedrückte Worte, Kopfschütteln, Kopfnicken etc., oder stillschweigend, d. h. durch solche Worte oder Handlungen kundgegeben ist, woraus sich mit Zuverlässigkeit auf die Willenserklärung schließen läßt, oder vermutet wird, wenn weder aus Worten noch Handlungen, die auf den vorliegenden Fall Beziehung haben, sondern aus andern wahrscheinlichen Gründen unter Zustimmung der Gesetze auf eine Willenserklärung geschlossen werden kann. Über den »letzten Willen« s. Testament. Im Strafrecht hängt die Zurechnungsfähigkeit von der Willensfähigkeit und Willensfreiheit ab; daher widerrechtlicher (böser) Wille s. v. w. Dolus (s. d.).