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der Krone von Indien, 1878 zu Ehren des Tags der Annahme des Titels einer Kaiserin von Indien gestiftet (50 Mitglieder). Unter den militärischen Ehrenzeichen nimmt das 1856 gestiftete Viktoriakreuz den vornehmsten Rang ein und ist bis 1886 an 250 Offiziere und Soldaten für »hervorragende Tapferkeit« im Feld verliehen worden. Ausführlichere Beschreibung der einzelnen Orden [* 2] s. in den betreffenden Artikeln.
Umfang und Bevölkerung des britischen Reichs.
Bestandteile | QKilom. | QMeilen | Bewohner |
---|---|---|---|
a) Europa. | |||
Vereinigtes Königreich | 313726 | 5697.7 | 36325115 |
Insel Man | 588 | 10.67 | 53558 |
Kanalinseln | 196 | 3.6 | 87704 |
Helgoland | 1 | 0.02 | 2001 |
Gibraltar | 5 | 0.09 | 24680 |
Malta | 323 | 5.9 | 162182 |
Zusammen: | 314839 | 5718.0 | 36655240 |
b) Asien. | |||
Ind. Reich (mit Birma etc.) | 2759310 | 50112.0 | 201760000 |
" " (Vasallenstaaten) | 1320120 | 23974.7 | 55191742 |
Aden und Perim | 190 | 3.4 | 35165 |
Ceylon | 65690 | 1193.0 | 2761396 |
Straits Settlements | 3742 | 68.0 | 540000 |
Keelings- oder Kokosinseln | 23 | 0.4 | 400 |
Labuan (auf Borneo) | 78 | 1.4 | 6286 |
Nordborneo | 59600 | 1082.4 | 150000 |
Hongkong | 83 | 1.5 | 160400 |
Port Hamilton (Korea) | 13 | 0.2 | 2000 |
Cypern | 9282 | 168.6 | 186173 |
Kuria-Muria und Kamaran | 220 | 4.0 | - |
Zusammen: | 4218351 | 76609.0 | 260793562 |
c) Afrika¹. | |||
Afrikanische Westküste | 44833 | 814.2 | 811000 |
Kapkolonie | 626104 | 11370.7 | 1250000 |
Betschuanenland | 480000 | 8717.3 | 478000 |
Natal | 54779 | 994.8 | 424500 |
Mauritius und Nebeninseln | 2753 | 50.0 | 385800 |
Tristan da Cunha | 116 | 2.1 | 105 |
St. Helena | 123 | 2.2 | 5059 |
Ascension | 88 | 1.6 | 165 |
Neuamsterdam u. St. Paul | 72 | 1.3 | - |
Zusammen: | 1208868 | 21954.0 | 3354629 |
d) Australien. | |||
Neusüdwales | 804774 | 14615.5 | 921264 |
Victoria | 227610 | 4133.6 | 961276 |
Südaustralien | 2339775 | 42492.3 | 313322 |
Queensland | 1731337 | 31443.1 | 309913 |
Westaustralien | 2527530 | 45903.0 | 33000 |
Tasmania | 68308 | 1240.5 | 130541 |
Neuseeland (mit Chatham) | 270540 | 4913.3 | 564304 |
Neuguinea | 229100 | 4160.7 | 135000 |
Fidschi und Rotumah | 20843 | 378.5 | 128414 |
Kleinere Inseln | 750 | 13.6 | 800 |
Zusammen: | 8220567 | 149294.0 | 3497834 |
e) Amerika. | |||
Kanada | 8987945 | 163230.5 | 4542000 |
Neufundland | 110670 | 2009.9 | 197330 |
Bermudas | 50 | 0.9 | 16200 |
Bahamainseln | 13960 | 253.5 | 43521 |
Jamaica und Turks | 12018 | 218.3 | 585600 |
Leeward Islands | 1827 | 33.2 | 121000 |
Windward Islands | 2150 | 39.0 | 610000 |
Trinidad | 4544 | 82.5 | 166630 |
Honduras | 19585 | 355.7 | 27452 |
Britisch-Guayana | 221000 | 4013.6 | 257473 |
Falklandinseln | 12532 | 227.6 | 1551 |
Zusammen: | 9386281 | 170465.0 | 6568757 |
Insgesamt: | 34229806 | 424040.0 | 310870022 |
¹Ohne Muscha (Insel im Tadschurragolf), Zeila, Berbera und Sokotora an der Ostküste und das Nigergebiet an der Westküste.
Die Kolonien Großbritanniens.
Die Kolonien und auswärtigen Besitzungen stellen das britische Reich hinsichtlich der Größe und Volkszahl über alle Staaten alter und neuer Zeit (s. Karte »Kolonien«). [* 3] Selbst das römische Weltreich ist mit dem Umfang und der Wichtigkeit des britischen Kolonialwesens nicht zu vergleichen. Dem System ihrer Verwaltung nach kann man die Kolonien (abgesehen von Indien) in drei Klassen einteilen. Die erste Klasse umfaßt diejenigen, welche eine dem Mutterland nachgebildete Verfassung mit verantwortlichen Ministern haben. In ihnen wird die Krone durch einen von der Zentralregierung ernannten Gouverneur vertreten. Es sind dies: Kanada, Neufundland, Kapkolonie, Neusüdwales, Neuseeland, Queensland, Südaustralien, Tasmania und Victoria. [* 4]
Ihnen schließen sich diejenigen Kolonien an, welche zwar eine repräsentative Verfassung haben, in welchen aber sämtliche Beamte von der Krone ernannt werden, welcher gleichfalls ein unbeschränktes Veto zusteht. Diese sind: Malta, die Bahamainseln, Bermudas, die Leeward und Windward Islands, Guayana, Natal, Ceylon, [* 5] Cypern [* 6] und Westaustralien. Die übrigen Kolonien werden als Crown Colonies durch Gouverneure ohne Teilnahme der Bevölkerung [* 7] verwaltet. Ausnahmen machen Nordborneo u. das Niger-Binuëgebiet, welche Handelsgesellschaften unterthan sind.
Die größern Kolonien sind in England durch Agenten vertreten. Einer Vertretung im britischen Parlament erfreuen sie sich nicht, anderseits aber steuern sie auch nicht zu den Ausgaben des Reichs bei. An Vorschlägen zur Umwandlung des britischen Reichs in einen Bundesstaat (federation) mit Bundesparlament hat es in jüngster Zeit nicht gefehlt. Die Kolonien werden vom Mutterland nicht nur nicht besteuert, sondern letzteres zahlt auch den größten Teil der für die Verteidigung nötigen Truppen (mit Ausnahme Ostindiens) und teilweise die Gehalte der Gouverneure und andrer Beamten. Die Ausgaben für die Kolonien beliefen sich 1884/85 auf 2,013,406 Pfd. Sterl. Es stehen in ihnen 93,000 Mann europäische Truppen, wovon 61,600 in Indien. Der Gesamtumfang und die Bevölkerung Großbritanniens mit Einschluß seiner sämtlichen Kolonien und auswärtigen Besitzungen sind aus der nebenstehenden Tabelle ersichtlich.
Litteratur.
Vgl. namentlich die Blaubücher, welche jährlich in großer Zahl erscheinen; Kellys »Directories«, die »Jahrbücher« und »Almanacks«; ferner Porter, The progress of the nation (3. Aufl., Lond. 1851);
Mac Culloch, Statistical account of the British empire (4. Aufl., das. 1854);
Milner, The land we live in (letzte Ausg., das. 1874);
E. Großbritannien [* 8] Ravenstein, Handbuch der Geographie und Statistik des britischen Reichs (Leipz. 1863), und dessen erweiterte Bearbeitung von Elisée Reclus' »Geographie universelle« (Lond. 1882);
Ramsay, The physical geography of the British islands (5. Ausg., das. 1878);
Hughes, Geography of British history (das. 1874);
E. Hull, [* 9] Contributions to the physical history of the British isles (das. 1883);
R. E. de Rance, The water supply of England and Wales (das. 1881);
J. ^[John] Beddoe, The races of Britain (das. 1885);
Bonwick, The British colonies and their resources (1886).
Von Spezialwerken kommen außer den bei den betreffenden Abschnitten bereits angegebenen in Betracht: Wiese, Deutsche [* 10] Briefe über englische Erziehung (3. Aufl., Berl. 1877, 2 Tle.);
Cox, Die Staatseinrichtungen Englands (deutsch, das. 1867);
R. Gneist, Das englische Verwaltungsrecht der ¶
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Gegenwart (3. Aufl., das. 1884, 3 Bde.);
Derselbe, Das englische Parlament (das. 1886);
Sir E. Creasy, The imperial and colonial constitutions of the Britannic empire (Lond. 1872);
Chalmers, Local government (das. 1883);
R. S. Wright und H. Hobhouse, An outline of local government and local taxation in England and Wales (das. 1884);
Blackstone, Commentaries on the laws of England (zuletzt hrsg. von Kerr, 4. Aufl., das. 1876);
Stephen, New commentaries on laws of England (9. Aufl., das. 1883, 4 Bde.);
Chitty, Collection of the statutes (3. Aufl., seit 1875, mit jährlichen Supplementen);
F. Pollock, The land laws (das. 1883);
weitere Litteratur über Verfassung, soziale Verhältnisse etc. s. unter Geschichte (S. 840).
Dann die Reisebeschreibungen von Kohl, Venedey, Scherer, Ghillany, Fontane, Rodenberg u. a.; die Reisehandbücher von Murray, Bädeker, Ravenstein (3. Aufl., in »Meyers Reisebüchern«).
Kartenwerke: Eine topographische Landeskarte (Ordnance map, in 1:63,360) ist vollendet, eine größere Karte (1:12,500) geht der Vollendung entgegen, und Kirchspielskarten (Parish maps, in 1:2500) sind in großer Anzahl erschienen;
in mittlerm Maßstab [* 12] sind die Indexkarten zur Ordnance map und den County maps angelegt, außerdem Stanford, Library map of England and Wales (1:381,000); eine Generalkarte liefert Keith Johnston in seinem Handatlas in 5 Blättern;
geologische Übersichtskarte von Ramsay (1:728,600, Lond. 1878).
Geschichte Englands, bez. Großbritanniens.
Übersicht der Regenten.
I. England unter den Römern 55 v. Chr. bis 410 n. Chr.
II. England unter den Angelsachsen 450-1066.
(1017-1042 Alleinherrschaft der Dänen.)
III. Normännische Könige 1066-1154.
1066-1087 Wilhelm I., der Eroberer
1087-1100 Wilhelm II.
1100-1135 Heinrich I.
IV. Haus Anjou oder Plantagenet 1154-1485.
1154-1189 Heinrich II.
1189-1199 Richard I., Löwenherz
1199-1216 Johann ohne Land
1216-1272 Heinrich III.
1272-1307 Eduard I.
1307-1327 Eduard II.
1327-1377 Eduard III.
1377-1399 Richard II.
1399-1413 Heinrich IV.
1413-1422 Heinrich V.
1422-1461 Heinrich VI.
1461-1483 Eduard IV.
(1483) Eduard V.
1483-1485 Richard III.
1485-1509 Heinrich VII.
1509-1547 Heinrich VIII.
1547-1553 Eduard VI.
1553-1558 Maria (die Blutige)
1558-1603 Elisabeth.
1603-1625 Jakob I.
1625-1649 Karl I.
1649-1660 Die Republik (Protektor Oliver Cromwell 1651-1658, Richard Cromwell 1658 bis 1659)
1660-1685 Karl II.
1685-1688 Jakob II.
1689-1702 Wilhelm III. von Oranien u. Maria
1702-1714 Anna.
VII. Haus Hannover [* 13] (seit 1714).
1714-1727 Georg I.
1727-1760 Georg II.
1760-1820 Georg III.
1820-1830 Georg IV.
1830-1837 Wilhelm IV.
1837 Viktoria.
Vorgeschichte; römische und angelsächsische Zeit (bis 1066).
Es muß dahingestellt bleiben, ob, wie man vermutet hat, in vorhistorischen Zeiten Großbritannien mit dem Festland von Europa [* 14] zusammengehangen hat;
so viel aber ist jedenfalls sicher, daß der Kanal, [* 15] der es heute von dem Kontinent trennt, eine Völkerscheide niemals gewesen ist;
jenseit wie diesseit desselben wohnte zur Zeit, da wir zuerst von der Insel hören, derselbe Volksstamm;
Briten und Gallier waren in Sprache, [* 16] Nationalität und Sitten nahe verwandt. In uraltem Handelsverkehr standen die Bewohner von Großbritannien mit den Karthagern und Phönikern, die von hier ein für die Alte Welt sehr wichtiges Metall, das Zinn, holten;
den abendländischen Völkern aber ward die erste Kunde von der Insel durch denselben Mann, dessen Reisen auch zur Entdeckung der germanischen Welt führten, durch den gelehrten Pytheas von Massalia (Marseille, [* 17] um 330 v. Chr.), dessen Landsleute sich später an dem britischen Zinnhandel lebhaft beteiligten.
Die Römer [* 18] kennen Albion (s. d.) als frühsten Namen für die Insel und berichten von einer Einwanderung der Belgier, welche sich an der Südküste niedergelassen hatten; diese Landstriche waren schon in früher Zeit einer reichen Kulturentwickelung teilhaftig geworden, während in den Hochlanden des Nordens und Westens noch andre britische Stämme in ursprünglicher Wildheit lebten. Bei dem innigen Zusammenhang, in dem die Inselkelten mit ihren festländischen Stammesgenossen lebten, kann es nicht befremden, daß die gallischen Kämpfe Cäsars auch auf Großbritannien ausgedehnt wurden; im Sommer 55 setzte Cäsar mit zwei Legionen nach der Küste von Kent über (am wahrscheinlichsten ist, daß seine Landung östlich von Dover [* 19] bei Walmer Castle erfolgte), mußte aber, ohne bleibende Erfolge zu erzielen, zurückkehren. Im Frühling 54 wiederholte er den Zug mit fünf Legionen und 2000 Reitern, ging über die Themse, unterwarf den Stamm der Trinobanten im heutigen Essex und drängte den britischen Fürsten Cassivellaunus zurück, ohne aber eine dauernde Festsetzung auf der Insel zu bewirken.
Fast ein Jahrhundert verging, bis Kaiser Claudius 43 n. Chr. die Unternehmungen gegen Britannien wieder aufnahm; nun wurden in vieljährigem Kampf wenigstens die Ebenen bezwungen, das keltische Wesen zog sich in unzugängliche Gebirge und auf das nahe Irland zurück; insbesondere unter der klugen und staatsmännischen Verwaltung des Gnäus Julius Agricola ward die Romanisierung des größern Teils der Insel vollendet, die in sechs Provinzen: Britannia prima und secunda, Flavia Caesariensis, Maxima Caesariensis, Valentia, Vespasiana, zerfiel.
Reiche Städte erstanden hier: London, [* 20] York, Lincoln u. a. O. sind römische Gründungen;
der Handel blühte, der Ackerbau ward wohl gepflegt, Britannien galt als eine Kornkammer für die nördlichen römischem Provinzen, wie Sizilien [* 21] für die südlichen.
Trotz alledem und trotz der Verbreitung des Christentums auch in diesem fernsten Teil des Römerreichs war doch Britannien nie so vollständig römisch geworden wie andre Provinzen, wie namentlich das nahe und von stammverwandter Bevölkerung bewohnte Gallien. Die vornehmern der Briten nahmen römische Sprache und Sitten an, aber die eigentliche Masse des Volkes scheint von dem Einfluß der römischen Kultur weniger ergriffen worden zu sein, als anderswo der Fall war; zu einer wirklichen Verschmelzung von Siegern und Besiegten, aus der dann eine neue, nicht mehr römische, aber romanische Nationalität hervorgegangen wäre, ist es in Großbritannien, soweit wir festzustellen vermögen, nicht gekommen.
Um 410 räumten die römischen Legionen das Land, um andre Gegenden des Reichs gegen die immer gefahrvoller werdenden Angriffe der germanischen Völkerstämme zu verteidigen.
Auch Großbritannien hatte bereits seit langer Zeit deren Bekanntschaft gemacht. Schon seit dem Ende des 3. Jahrh. machten sächsische Seeräuber die Küsten Englands unsicher; um die Mitte des 5. Jahrh. nahmen diese gelegentlichen Raub- und Plünderungszüge den Charakter einer vollständigen Eroberung und Kolonisation der Insel ¶
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durch die Angelsachsen (s. d.) an, deren sich die unter der römischen Herrschaft des Kriegs entwöhnten Briten nicht zu erwehren vermochten. Die Einzelheiten der viele Jahrzehnte währenden blutigen Kämpfe, unter welchen diese Eroberung erfolgte, entziehen sich unsrer Kenntnis vollständig; Hengist und Horsa (s. d.) sind uns nur durch die Sage, aber durch keine glaubwürdigen und zeitgenössischen Berichte bekannt. Als dies Dunkel, das über der Geschichte Großbritanniens während 150 Jahre ruht, sich zu lichten beginnt, ist die Eroberung vollendet und die Insel zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden, aber lokal gesonderten Nationalitäten geteilt. Im Osten, Süden und Norden [* 23] der Insel bestehen eine Anzahl germanischer Staaten; die Briten, denen zwar das Christentum, sonst aber wenig vom römischen Wesen geblieben ist, sind in den Westen zurückgedrängt, nur in den Gebirgen von Wales und in den schottischen Hochlanden haben sie sich behauptet.
Vor allem durch Einen Umstand unterscheidet sich diese Eroberung Britanniens durch die Angelsachsen von den meisten andern, welche in jenen Jahrhunderten von germanischen Völkern gemacht wurden: es kam hier zu keiner Trübung des germanischen Volkscharakters durch die Vermischung mit einer unterworfenen, aber den Siegern an Bildung überlegenen Bevölkerung, wie sie die Franken in Gallien, die Westgoten in Spanien, [* 24] die Langobarden in Italien [* 25] erfuhren. Was von den Eingebornen nicht in den blutigen Kämpfen zu Grunde gegangen oder aus den eroberten Gebieten verdrängt war (und diese Überreste scheinen nur gering gewesen zu sein), blieb in strenger Unterwürfigkeit als eine Bevölkerung mindern Rechts, mit welcher der siegreiche Sachse nur in oberflächliche Verbindung trat. So kam hier die germanische Art zu reinerer und reicherer Entfaltung als in allen übrigen germanischen Reichen, ja als in Deutschland [* 26] selbst (s. Angelsachsen).
Von der großen Anzahl von verhältnismäßig wenig ausgedehnten Staaten, welche sich unmittelbar nach der Ansiedelung der Germanen in Großbritannien gebildet hatten, blieben nach Verlauf der nächsten zwei Jahrhundert nur etwa sieben oder acht übrig, welche die andern in sich aufgenommen hatten; diese übrigbleibenden: Mercia, Kent (Ostkent und Westkent), Essex, Wessex, Sussex, Ostangeln (Eastanglia), Northumberland, bezeichnet man gewöhnlich als die angelsächsische Heptarchie, welcher Ausdruck indes nicht so verstanden werden darf, als ob zwischen diesen sieben Staaten ein ständiges Bundesverhältnis oder ein verfassungsmäßiger staatlicher Zusammenhang bestanden hätte. In allen diesen Staaten herrschte damals das Christentum, das man aus freier Entschließung der Könige und ihrer Großen angenommen hatte, und zwar in so engem Anschluß an die römische Kirche, daß die Anerkennung der päpstlichen Macht außer in Italien selbst kaum irgendwo solchen Vorschub erhalten hat als bei den Angelsachsen.
Eine neue Periode der angelsächsischen Geschichte begann zu Anfang des 9. Jahrh., als Egbert, König von Wessex, aus dem ruhmvollen Haus des Cerdic, der sich 13 Jahre lang am Hof [* 27] Karls d. Gr. aufgehalten hatte, nach seiner Rückkehr von dort die noch unabhängigen kleinen Königreiche unterwarf und mit Wessex vereinigte, so daß von nun an von einem Reich Anglia, einem Königtum aller Angelsachsen, die Rede sein konnte. Schon unter ihm, mehr aber noch unter seinen Nachfolgern wurde dies Reich von normännisch-dänischen Seeräubern angegriffen, welche immer aufs neue an den Küsten von Großbritannien landeten, tief in das Innere des Landes hinein verheerend und plündernd vordrangen und, nachdem sie um die Mitte des 9. Jahrh. festen Fuß gefaßt und mehr und mehr an Boden gewonnen hatten, dem angelsächsischen Staatswesen und dem Christentum den Untergang zu bereiten drohten. Von dieser Gefahr wurde Großbritannien durch Alfred d. Gr. (871-901) befreit, welcher die Dänen besiegte, unterwarf und, was das Wichtigste war, zum Christentum bekehrte, wodurch es ihm möglich ward, in seinem während der greuelvollen Kämpfe der letzten Jahre tief zerrütteten Staate durch eine weise Gesetzgebung und Verwaltung Recht und Ordnung wiederherzustellen.
Von Alfreds Nachfolgern war sein Urenkel Edgar (959-975) der bedeutendste und glücklichste; in einer seiner Urkunden rühmte er sich, seine Herrschaft weiter als irgend einer seiner Vorfahren, über die Inseln und Meere bis nach Norwegen [* 28] hin, ja über einen großen Teil von Irland, ausgedehnt zu haben. Aber schon unter seinem zweiten Sohn, Ethelred (dem Unberatenen, 978-1016), wurden die Angriffe der Dänen auf neue gefährlich; nur vorübergehend konnte man durch schmachvolle Tributzahlungen (das Danegeld) den Frieden erkaufen, und nachdem 1016 Ethelred und wenige Monate später sein tapferer Sohn Edmund (Eisenseite) gestorben waren, wurde der Dänenfürst Knut auf einer feierlichen Versammlung der angelsächsischen und dänischen Großen zu London als König von England anerkannt; auf seinem Haupt vereinigte er außer der englischen auch die Kronen [* 29] der übrigen nordisch-skandinavischen Reiche.
Indessen erhielt sich diese Verbindung nicht über den Tod Knuts (1035) hinaus; noch Knut selbst hatte Bedacht darauf genommen, England unter einem seiner Söhne wieder selbständig zu stellen. Schon sieben Jahre später (1042) erlosch mit Harthaknut das Geschlecht der dänischen Eroberer, und indem die Großen den Bruder Edmunds, Eduard den Bekenner (1042-1066), zum König von England erhoben, kehrten sie noch einmal zu dem alten einheimischen Herrscherhaus zurück.
Als dann auch Eduard kinderlos gestorben war, wählten die Großen Harald, den Sohn Godwins, einen der Mächtigsten aus ihrer Mitte, zum König; allein Wilhelm, Herzog von der Normandie, ein entfernter Verwandter der Cerdikiden, dem aller Wahrscheinlichkeit nach Eduard eine Anwartschaft auf die Nachfolge zugesichert hatte, erhob jetzt Ansprüche auf die Krone, landete, vom Papst Alexander II. begünstigt, mit einem Heer von 60,000 Mann an der Küste von Großbritannien und erfocht 14. Okt. in der Schlacht bei Senlac oder Hastings einen entscheidenden Sieg über Harald, der gleich im Beginn des Kampfes fiel. Diese Schlacht machte der angelsächsischen Herrschaft in ein Ende, und 25. Dez. wurde Wilhelm der Eroberer zu London durch den Erzbischof von York zum König von England gekrönt.
Infolge dieser Ereignisse erhielt der nacheinander von Briten, Römern, Angelsachsen und Dänen besessene Boden Englands in den Normannen wiederum neue Beherrscher. Zwar waren auch diese ursprünglich germanischen Bluts, aber die anderthalb Jahrhunderte, welche seit ihrer Festsetzung auf französischem Boden unter Herzog Rollo (912) verflossen waren, hatten zur vollständigen Romanisierung der nordischen Eroberer hingereicht. Ihre Sprache war ein Dialekt der französischen, ihre Sitten und Gewohnheiten waren erfüllt von dem frommen, kriegerisch-ritterlichen Geiste, der damals das kontinentale Europa beherrschte und in den Kreuzzügen seinen ¶
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vollkommensten Ausdruck fand; ihre Geistlichkeit stand im engsten Anschluß an die römische Hierarchie; in ihrer Verfassung war das feudale System zu einer so vollständigen Herrschaft gelangt wie in keiner andern staatlichen Bildung der Zeit. So geschah es, daß sich lange Zeit die normännischen Sieger und die angelsächsischen Besiegten feindlich und in unvermitteltem Gegensatz gegenüberstanden, diese das Joch der Fremdherrschaft, widerwillig und immer zu Aufständen geneigt, nur trugen, weil sie mußten, jene die Zügel der Regierung um so strenger und fester anzogen, je mißtrauischer und argwöhnischer sie gegen die Unterthanen zu sein Veranlassung hatten. Es bedurfte einer jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte, bis allmählich die Gegensätze sich ausglichen und Angelsachsen und Normannen zu Einer Nation, der englischen, verschmolzen.
England unter Wilhelm dem Eroberer und seinen nächsten Nachkommen (1066-1154).
Die politische Geschichte der Regierung Wilhelms I. (1066-1087) bewegt sich in drei großen Kämpfen. Den ersten hatte er gegen die eingebornen Angelsachsen zu führen, welche an den verschiedensten Stellen Englands bald allein, bald mit fremder (schottischer und dänischer) Unterstützung das Banner der Empörung aufpflanzten und erst nach siebenjährigen, mit unerhörter Grausamkeit und Erbitterung geführten Kämpfen unterworfen wurden. Unmittelbar nachher, im J. 1074, brach gegen den König eine Verschwörung seiner eignen normännischen Barone aus, an deren Spitze Roger von Breteuil, Graf von Hereford, und Radulf von Guader, Graf von Norfolk, standen, die mit den vom König ihnen verliehenen Lehen nicht zufrieden waren, deren Aufstand aber schnell und mit Härte unterdrückt wurde. Im J. 1078 folgte endlich eine Empörung des Prinzen Robert, des ältesten Sohns von Wilhelm, welcher das Herzogtum der Normandie für sich beanspruchte: der Aufstand endete mit der Flucht des Sohns aus den väterlichen Reichen, verwickelte aber den König in Händel mit Frankreich, wo Robert Unterstützung gefunden hatte, und endlich in einen Krieg, in welchem Wilhelm infolge eines Sturzes von seinem Roß in Rouen [* 31] verstarb.
Die Zustände Englands beim Tode des Eroberers erkennt man am besten aus dem zwischen 1083 und 1086 verfaßten Domsdaybook oder Reichsgrundbuch, das eine Grundlage für die ältere Statistik Englands gewährt, wie sie kein andres Land besitzt, und aus dem wir von den damaligen Verhältnissen des Grund und Bodens fast eine genauere Kenntnis erlangen, als wir sie von den heutigen besitzen. Die daraus entwickelte, noch heute der Theorie nach geltende Grundmaxime des englischen Rechts ist, daß der König alleiniger Eigentümer des ganzen eroberten England ist, und daß niemand in seinem Reich Land besitzen kann, das er nicht mittelbar oder unmittelbar durch seine Verleihung erlangt hat.
Der König selbst besaß ein Reservat von ursprünglich mehr als 1000 manors, welche neben einer großen Anzahl von Jagden, Parken und Forsten die königliche Domäne bildeten. Ungefähr 600 Personen und Körperschaften erscheinen als weltliche und geistliche Kronvasallen (chief-tenants, tenentes in capite), welche unmittelbar vom König belehnt und mit größern Güterkomplexen, aber in sehr verschiedenem Maß, ausgestattet waren. Außerdem werden 7871 Afterlehnsleute, 10,097 Freisassen und 23,072 Sochemannen, d. h. Freie mindern Rechts, erwähnt.
Die unfreie, in verschiedenen Abstufungen der Abhängigkeit stehende Bauernschaft und das ländliche Gesinde werden zu etwa 200,000, die Zahl der Knechte auf 25,000 anzunehmen sein, so daß die gesamte ländliche Bevölkerung etwa 270,000 Haushaltungen gezählt haben wird. Nur in der ersten Klasse, der der Kronvasallen, sind fast ausschließlich Normannen zu finden; alle übrigen setzen sich aus ihnen und Angelsachsen zusammen. Die Bevölkerung vieler größerer Städte, wie London und Winchester, die übrigens durch die Eroberung sehr gelitten hatten, ist im Domsdaybook nicht angegeben, das nur 7968 Bürger aufzählt; bringt man sie mit in Anschlag, so wird man die Zahl der Haushaltungen auf etwa 300,000, die Gesamtbevölkerung Englands aber höchstens auf 2 Mill. Seelen schätzen können.
Die alte Einteilung des Landes in Grafschaften ward beibehalten; an der Spitze einer jeden stand ein Vizecomes oder Sheriff als oberster Beamter in militärischen, finanziellen, administrativen und Justizsachen, der vom König ernannt ward und absetzbar war. Wiederholt im Jahr versammelte der König seine Großen und Vasallen, geistliche wie weltliche, zu Hoftagen, auf denen wohl auch finanzielle Geschäfte erledigt, Recht gesprochen und über wichtige Angelegenheiten in Krieg und Frieden Rat gepflogen wurde. Aber man ist nicht berechtigt, in diesen Versammlungen eine Fortsetzung der angelsächsischen Reichstage oder Witenagemote zu suchen; das normännische Königtum ist ursprünglich kein konstitutionelles, parlamentarisch beschränktes, sondern eine persönliche Regierung im eigentlichsten Sinn des Wortes, von der nur die Kirche vermöge ihres kanonischen Rechts eine gewisse Unabhängigkeit und Selbständigkeit bewahrte.
Auf Wilhelm den Eroberer folgte nach seinem Willen in der Normandie sein ältester Sohn, Robert, in England der zweite, Wilhelm II. (der Rote, 1087-1100), während der dritte, Heinrich, mit einer Geldsumme abgefunden wurde. Ein Aufstand der Barone in England, welche dasselbe nicht von der Normandie getrennt sehen wollten, zu gunsten Roberts wurde von dem König mit Hilfe der von ihm aufgebotenen und dadurch der Krone näher gebrachten angelsächsischen Bevölkerung bald unterdrückt.
Wilhelm bekriegte daraus den König Malcolm von Schottland, der seine Oberhoheit nicht anerkennen wollte, ließ 1093 ihn und seinen ältesten Sohn, Eduard, ermorden und gewann während der darauf in Schottland ausbrechenden Wirren Einfluß auf das Reich. Weniger glücklich waren seine Unternehmungen gegen die Walliser; dagegen erwarb er in Frankreich 1098 Le Mans, [* 32] verunglückte aber auf der Jagd, vielleicht ermordet. Die Versprechungen, gut und gesetzmäßig zu regieren, die er seinen Unterthanen wiederholt gegeben hatte, hat er nicht gehalten; hart und grausam lastete seine Hand [* 33] auf seinem durch Erpressung und Tyrannei schwer bedrückten Lande.
Da er keine Kinder hinterließ und Robert auf einem Kreuzzug begriffen war, so bestieg sein jüngster Bruder, Heinrich I. (Beauclerc, »der schöne Scholar«, oder Clericus genannt, 1100-35), den Thron. [* 34] Um sich denselben durch die Volksgunst zu sichern, bestätigte er in der sogen. Charta libertatum, einer Art von Wahlkapitulation, die alte angelsächsische Verfassung oder, wie man damals sagte, die Gesetze König Eduards mit den Zusätzen Wilhelms des Eroberers. Mit seinen angelsächsischen Unterthanen suchte Heinrich auch dadurch in ein besseres Verhältnis zu gelangen, daß er sich mit Mathilde, einer Urenkelin König Edmunds, vermählte. Als Robert von der Normandie die Krone von ¶
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England durch Waffengewalt zu gewinnen suchte, kam Heinrich durch Vermittelung des Erzbischofs Anselm von Canterbury mit ihm dahin überein, daß Robert die Normandie als Herzog behalten und jährlich 3000 Mark von Heinrich erhalten sollte. Als aber Robert sich weder weise noch stark genug bewies, die Barone der Normandie im Zaum zu halten, erschien Heinrich 1104 daselbst, schlug den Bruder, nachdem mehrere Versuche, eine Versöhnung herbeizuführen, gescheitert waren, bei Tinchebray und hielt ihn 28 Jahre lang bis zu seinem Tod in Cardiff gefangen. So kam die Normandie wieder an die englische Krone und wurde auch gegen Ludwig VI. von Frankreich, welcher Roberts Sohn Wilhelm in deren Besitz schützen wollte, durch einen vom Papst 1119 vermittelten Vergleich behauptet.
Noch einmal, 1127, kam es zwischen Heinrich und Wilhelm, welcher inzwischen die Grafschaft Flandern geerbt hatte, zum Kampf, den aber der Tod des erstern bald beendete; seitdem blieb Heinrich in ruhigem Besitz seiner Reiche. Im Innern führte die Regierung Heinrichs I. zu einer bedeutenden Steigerung der königlichen Macht durch die Demütigung mehrerer übermächtiger Kronvasallen: insbesondere erregte gleich zu Anfang seiner Regierung der Sturz des Grafen von Shrewsbury, Robert von Belesme, die allgemeine Freude der Engländer. Mit dem Klerus stand er in freundlichen Beziehungen, ohne jemals die Hoheitsrechte des Staats den Ansprüchen der Kurie aufzuopfern.
Da Heinrichs einziger Sohn, Wilhelm, samt der Blüte [* 36] des normännisch-englischen Adels 1120 durch Schiffbruch umkam, ließ er seine Tochter Mathilde, die Witwe des deutschen Kaisers Heinrich V., zur Kronerbin erklären und vermählte sie 1129 mit dem 16jährigen Gottfried Plantagenet, Grafen von Anjou. Mathilde fand jedoch nach Heinrichs Tod einen Rival an Stephan von Blois (1135-54), dem Sohn der Adele, einer Tochter Wilhelms des Eroberers, und zwar wußte derselbe durch Bestätigung der Gesetze König Eduards, Milderung der strengen Jagdgesetze und das Versprechen, die geistlichen Pfründen, die seine Vorgänger für sich behalten, herauszugeben sowie die kanonische Wahl der Bischöfe zuzulassen, seine Anerkennung durchzusetzen.
Die Normandie nahm er von Ludwig von Frankreich zu Lehen und besiegte den Grafen Robert von Gloucester, natürlichen Sohn Heinrichs I., der sich wider ihn erhob, sowie in der Standartenschlacht den König David von Schottland, der Mathildens Rechte verteidigte. Da er jedoch bald die bei seiner Thronbesteigung gegebenen Versprechungen vergaß, brach ein allgemeiner Aufstand aus; selbst Stephans eigner Bruder, Bischof Heinrich von Winchester, der seit 1139 zugleich das wichtige Amt eines römischen Legaten bekleidete, erklärte sich gegen ihn, und im September 1139 landeten Mathilde und Robert von Gloucester in England, denen sich ein großer Teil der Barone anschloß. Der Krieg nahm einen für den König ungünstigen Verlauf, und in der Schlacht bei Lincoln mußte Stephan selbst sich ergeben und wurde zu Bristol gefangen gehalten, worauf Mathilde sich 8. April in Winchester zur Königin wählen und krönen ließ. Da sie sich aber weigerte, die Gesetze Eduards anzuerkennen, und durch ihren Übermut und ihre Herrschsucht vielfach Anstoß erregte, dauerte der Kampf fort, in welchem das Land entsetzlich litt.
Robert von Gloucester fiel in die Hände der Gegner und mußte gegen König Stephan ausgewechselt werden; auch Heinrich von Winchester trat wieder zur Partei seines Bruders über. 1147 entschloß sich Mathilde, der zwecklosen Kämpfe müde, nach Frankreich zurückzukehren, wogegen ihr Sohn Heinrich, der 1149 vom König David von Schottland zum Ritter geschlagen wurde, jetzt in den Vordergrund trat. Diesem übertrug König Ludwig VII. von Frankreich die Regierung der Normandie, womit er das von seinem Vater ererbte Anjou und 1152 nach seiner Vermählung mit der Gräfin Eleonore von Poitou und Guienne auch diese Lande vereinigte. 1153 landete Heinrich in England; aber eine entscheidende Schlacht ward vermieden, und unter Vermittelung der Großen kam es in Wallingford zu Friedensverhandlungen, welche in Westminster vervollständigt wurden.
Stephan adoptierte Heinrich als Sohn und Erben des Königreichs, wogegen dieser für Stephans Lebenszeit auf seine Rechte auf die Krone verzichtete; Stephans Sohn Wilhelm sollte alles, was sein Vater vor der Thronbesteigung besessen, und alles, was er selbst persönlich erworben hatte, behalten. Außerdem war in dem Vertrag die Bestimmung enthalten, daß die vielen seit Stephans Regierungsantritt unrechtmäßig errichteten Burgen [* 37] geschleift werden sollten. Kaum ein Jahr später, starb Stephan plötzlich in Canterbury, und dem Erbvertrag gemäß bestieg nun (die erste unbestrittene Erbfolge seit der Eroberung) Heinrich II. und mit ihm das Haus Anjou (Plantagenet, 1154 bis 1485) den Thron Englands.
Die ersten Könige aus dem Hans Plantagenet.
Heinrich II. (1154-89) vereinigte sein väterliches Erbe und das seiner Frau sowie später das der Frau seines Sohns mit England und breitete hierdurch die Herrschaft des Königs von England über einen großen Teil von Frankreich aus. Wiederholt hatte er mit den Fürsten von Wales zu kämpfen; 1171 unternahm er einen erfolgreichen Zug nach Irland, empfing die Huldigung der geistlichen und weltlichen Großen dieses vielgeteilten Landes, ließ sich zu Dublin, [* 38] wo er bis Februar 1172 verweilte, einen Palast erbauen und legte so den ersten Grund zu der Besitznahme Irlands durch die Schwesterinsel.
Auch gegen Schottland, das sich in die innern Angelegenheiten Englands einmischte, war Heinrich II. glücklich: König Wilhelm von Schottland wurde 1174 gefangen genommen und mußte seine Freiheit mit der Anerkennung der englischen Lehnshoheit erkaufen. Unter Heinrichs Kämpfen in Frankreich ist von besonderer Wichtigkeit sein Zug gegen Toulouse, [* 39] auf das seine Gemahlin Ansprüche hatte, 1159, weil auf ihm zuerst das Schildgeld (scutagium) erhoben ward, eine Kriegssteuer, welche in der Folge beibehalten wurde und dem Feudalwesen einen ersten Stoß versetzte, insofern sie die Ablösung des persönlichen Kriegsdienstes gestattete und dem König die Möglichkeit gewährte, ein Söldnerheer zu unterhalten.
Von ganz besonderer Bedeutung aber ist Heinrichs II. Regierung für die innere und Verfassungsgeschichte Englands gewesen. Durch seinen Streit mit Thomas Becket (s. d.), Erzbischof von Canterbury, wurde der Kampf zwischen Staat und Kirche, welcher zu derselben Zeit auf dem Kontinent stattfand, auch auf den Boden von Großbritannien verpflanzt. Durch die 16 Konstitutionen von Clarendon (1164) suchte der König die streitigen Punkte unter strenger Wahrung der staatlichen Rechte zu schlichten, machte die Exkommunikation seiner Lehnsleute von seiner Zustimmung abhängig, behielt sich die Lehnsgerichtsbarkeit auch über Erzbischöfe und Bischöfe vor, ebenso einen Einfluß auf die Wahl zu den geistlichen Stellen und schränkte den Verkehr des Klerus mit Rom [* 40] ein. Der ¶
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Erzbischof nahm diese Beschlüsse anfangs gezwungen an, erklärte sich aber später dagegen; es kam zu offenem Bruch zwischen ihm und dem König; Becket floh 1164 nach dem Festland, kehrte aber 1170 zurück und wurde von mehreren Höflingen, welche den Wunsch des Königs, von dem ränkesüchtigen Priester befreit zu werden, erfüllen wollten, in der Kathedrale zu Canterbury ermordet. Eine Folge davon und der Wunder, die man am Grab des Ermordeten geschehen ließ, waren mehrfache Aufstände.
Heinrich mußte sich entschließen, am Grab des Märtyrers 1174 Kirchenbuße zu thun und auf die Ausführung der Konstitutionen von Clarendon zu verzichten. Was ihn vornehmlich zu diesem Zurückweichen nötigte, war ein allgemeiner Aufstand, der im Zusammenhang mit den durch Becket hervorgerufenen Wirren 1173 ausgebrochen war, und dessen Führer Heinrichs gleichnamiger, 1171 zum Mitregenten erhobener Sohn, unterstützt von den Königen von Frankreich und Schottland sowie einer großen Zahl mißvergnügter Barone, geworden war. In Frankreich errang Heinrich II. persönlich eine Reihe von Siegen, [* 42] in England blieben seine Getreuen ebenso entschieden im Vorteil, und der schließliche Sieg des Königs, der wesentlich von der angelsächsischen Bevölkerung unterstützt wurde, war ein so vollständiger, daß Heinrich in dem am abgeschlossenen Frieden großmütige Milde zeigen konnte.
Die wiederhergestellte Ruhe benutzte der König zur Durchführung einer Reihe von innern Reformen, von welchen die auf der Reichsversammlung zu Northampton (im Januar 1176) beschlossenen die wichtigsten sind. Ganz England wurde hier in sechs Gerichtsbezirke geteilt, und für jeden derselben wurden drei Richter bestellt, welche als fahrende Richter (justices itinerant) für ihren Bezirk im Namen des Königs Recht sprechen sollten. Ebenso wurde damals das Institut der Geschwornengerichte zwar nicht begründet, aber doch konsolidiert und gekräftigt, freilich in einer Gestaltung, die von der heutigen sehr verschieden ist, der aber diese doch ihren Ursprung verdankt.
Auch der erst Ende 1875 aufgehobene höchste englische Gerichtshof, die King's (Queen's) Bench, hat seinen Ursprung in den Tagen Heinrichs II., der 1178 ein ständiges Richterkollegium von fünf Männern am Hof einsetzte, das in Zivil- und Kriminalklagen anstatt des Königs richtete. Endlich trat auch die Bildung einer andern ständigen Oberbehörde, der Schatzkammer (Exchequer), gerade zur Zeit Heinrichs II. deutlicher hervor, so daß die jahrhundertelang beibehaltenen Normen der englischen Gerichts- und Finanzverfassung zum großen Teil auf seine Regierung zurückzuführen sind.
Heinrichs letzte Jahre waren dann von neuen Sorgen und Kämpfen erfüllt, welche durch die Empörungen seiner von Frankreich unterstützten Söhne hervorgerufen wurden. 1183 erhob sich Heinrich der jüngere, gereizt durch die scharfen Verse des Troubadours Bertran de Born, starb aber schon 11. Juni d. J. Seit 1187 neigte sich der zweite Sohn des Königs, Richard, dem Aufstand zu und erhob sich nach scheinbarer Versöhnung aufs neue gegen den Vater, als ihm dieser die feierliche Anerkennung als Nachfolger verweigerte und ihn von seiner Verlobten, Alice, der Schwester des Königs Philipp August von Frankreich, trennen wollte. Philipp unterstützte den Empörer, und selbst Johann, der Lieblingssohn des Königs, wandte sich diesem zu. Heinrich, durch diese Schicksalsschläge gebrochen, mußte den schimpflichen Frieden von Azay unterzeichnen und starb kurz darauf,
Richard I., Löwenherz (1189-99), Heinrichs II. zweiter Sohn und Nachfolger, hatte von seines Vaters Herrschertugenden nur die Tapferkeit geerbt. Während seines mit Philipp August von Frankreich unternommenen Kreuzzugs gegen den ägyptischen Sultan Saladin (s. Kreuzzüge) herrschte in England die größte Anarchie. Richards Bruder Johann befehdete den von jenem eingesetzten Reichsverweser William Longchamp, Bischof von Ely, der sich durch seinen Hochmut und die Begünstigung seiner normännischen Anhänger allgemeinen Haß zugezogen hatte, verband sich mit Philipp August, der nach seiner Rückkehr aus Palästina [* 43] Richards französische Besitzungen bedrohte, und bemächtigte sich nach Aussprengung des Gerüchts, Richard sei gestorben, der Regierung.
Richard war indessen auf der Rückkehr vom Orient in der Nähe von Wien [* 44] durch Herzog Leopold von Österreich [* 45] gefangen genommen und an den deutschen Kaiser Heinrich VI. ausgeliefert worden, der ihn erst nach langen Verhandlungen gegen das hohe und mit großer Mühe von den Engländern aufgebrachte Lösegeld von 100,000 Mark Silber im Februar 1194 freigab. Er kehrte darauf über Antwerpen [* 46] nach England zurück, landete bei Sandwich, nötigte seinen Bruder zur Unterwerfung und besiegte Philipp August, der die Normandie angegriffen hatte, bei Gisors worauf ein Friede zwischen beiden zu stande kam. 1199 unternahm Richard einen Zug gegen seinen Lehnsmann, den Vicomte Guidomar von Limoges, starb aber, durch einen Pfeilschuß bei der Belagerung der Burg Chaluz verwundet, Ihm folgte sein Bruder, der Graf von Mortagne, Johann, dem sein Vater einst den Beinamen Ohne-Land gegeben hatte (1199-1216); ihn hatte Richard vor seinem Tod zum Nachfolger ernannt, obwohl der Sohn seines ältern Bruders Gottfried, Arthur von der Bretagne, nähere Ansprüche gehabt hätte.
Diese Ansprüche versuchte Arthur mit Hilfe Philipps von Frankreich geltend zu machen, fiel aber in die Hände seines Oheims und wurde wahrscheinlich auf dessen Befehl 1203 ermordet. Philipp lud darauf den König Johann, einen der unfähigsten Fürsten, die England beherrscht haben, nach Paris [* 47] vor seinen hohen Lehnshof und ließ ihn, als er nicht erschien, aller seiner französischen Lehen verlustig erklären und zum Tod verurteilen, worauf er fast alle festländischen Besitzungen Johanns eroberte.
Bald darauf wurde des Königs Lage noch gefährlicher. Als nämlich 1205 der Erzbischof Hubert von Canterbury gestorben war, kam es über die Wahl seines Nachfolgers zu einem Streit mit Papst Innocenz III.; dieser sprach, nachdem Johann die Güter des Erzstifts mit Beschlag belegt hatte, 1208 das Interdikt über ganz England aus und exkommunizierte den König. Johanns Barone, bei denen der unzuverlässige, grausame und genußsüchtige Fürst allgemein verhaßt war, drohten deshalb abzufallen, und Philipp von Frankreich rüstete 1213 ein großes Heer, um in England einzufallen und den Bannstrahl zu vollstrecken. In dieser Not faßte Johann den verzweifelten Entschluß, sich dem Papst zu unterwerfen. Er legte die Krone von England und Irland nieder, um sie als päpstliches Lehen gegen eine jährliche Abgabe von 1000 Mark Sterl. zurückzuempfangen. Dieser schmähliche Vertrag brachte ihm allerdings die päpstliche Absolution; aber der Kampf mit Frankreich, in welchem Johann sich mit dem deutschen Kaiser Otto IV. verband, dauerte fort, und in der Schlacht bei ¶