Reisen
,
das, hat sich im
Lauf der Zeit und mit dem Fortschreiten der
Zivilisation in einer staunenswerten
Weise entwickelt,
namentlich im Anschluß an die Vervollkommnung der Verkehrsmittel und die durch verbesserte internationale Beziehungen
gewährleistete Sicherheit der Reisenden.
Die
Zwecke der Reisen
sind heute sehr verschieden. Anfänglich durch rein merkantile
Bedürfnisse angeregt, verfolgen sie jetzt die
Entdeckung und Erforschung unbekannter
Länder, sie werden unternommen zur Belehrung,
zur Herstellung oder
Befestigung der
Gesundheit, zum
Vergnügen, zur Anknüpfung oder
Befestigung kaufmännischer
Verbindungen
oder auch aus religiösen
Motiven.
Reisen (Entdeckungs-,

* 3
Seite 13.704.
Naturgemäß hat das Reisen
gleichen
Schritt mit der zunehmenden Leichtigkeit des
Verkehrs gehalten. Während auf den ersten
Stufen
der
Kultur eine Überschreitung der engen Heimatsgrenzen bei den meisten Völkern nur in ganz außergewöhnlichen
Fällen vorkommt,
gehört heute eine
Reise um den ganzen Erdball und in die entlegensten
Winkel
[* 2] desselben zu den alltäglichen
Vorkommnissen, und die Zahl der »globe-trotters« ist
Legion. Im Anfang war es besonders der Handelstrieb, welcher bei vielen
Völkern
¶
mehr
zu weiten Reisen
Veranlassung gab. So unternahmen die Phöniker große Handelsexpeditionen in weit entlegene Teile der Alten Welt,
so wagten sich die Polynesier auf ihren unsichern Kanoes über Meeresstrecken, welche man nach dem Stand ihrer nautischen Kenntnisse
und ihrer Fahrzeuge als ungeheure bezeichnen muß. Das zweite Motiv in historischer Folge war das religiöse,
und wenn auch dieses jetzt in seiner Wirkung gegen andre Motive sehr zurücktritt, so war es doch in frühern Zeiten und ist
in manchen Ländern auch noch heute eine gewaltige Triebkraft zu Reiseunternehmungen, bei welchen religiöse und kommerzielle
Interessen sich häufig verquicken. Später lösten sich von den nur materiellen Zwecken dienenden Reisen
die wissenschaftlichen Forschungsreisen
los, noch später sind die gefolgt, welche sanitären oder Vergnügungszwecken ihre
Entstehung dankten.
Ägypten etc

* 4
Ägypten. Entdeckungs- und Forschungsreisen
wurden schon in den ältesten Zeiten unternommen, zunächst zur Anknüpfung und Erweiterung
von Handelsbeziehungen, von Phönikern, Karthagern, Griechen. Solche sind: die im Auftrag des Königs Necho
von Ägypten
[* 4] ausgeführte Umschiffung Afrikas, die Reisen
des Hanno, des Skylax von Karyanda, des Pytheas von Massilia u. a. Dagegen
hatten die von einigen griechischen Philosophen gemachten Reisen
rein wissenschaftliche Zwecke, so die Herodots; durch Alexanders
d. Gr. Feldzüge konnte Aristoteles Erkundigungen über den fernen Osten einziehen lassen. Durch die Ausbreitung der
römischen Herrschaft wurden Reiseunternehmungen innerhalb des großen Reichs wesentlich gefördert. Dann unternahmen die
Wikinger in den nördlichen Meeren ihre Fahrten, die sie bis nach Grönland und Nordamerika
[* 5] ausdehnten (s. Nordpolexpeditionen).
Die Ausbreitung des Islam war ein mächtiger Sporn zum Reisen.
Die jährlichen Pilgerfahrten führten Mohammedaner aus allen Weltteilen
zusammen, auch rüsteten mohammedanische Herrscher Expeditionen aus zur Lösung naturwissenschaftlicher
Fragen, so Harun al Raschid zur Erforschung des Ursprungs und der Natur der grauen Ambra. Ebenso wurden die Pilgerfahrten von
Hindu und Buddhisten zu großen Reiseunternehmungen und sind es auch noch heute. Vom Abendland pilgerten gläubige Christen
zum Heiligen Lande, die Kreuzzüge waren nur ein großartiger Ausdruck dieses Dranges.
Zentral-Asien

* 6
Zentralasien.
Auch das früher hermetisch verschlossene Zentralasien
[* 6] öffnete sich, und durch Begünstigung der Mongolenfürsten konnte es
Handelsreisenden
möglich werden, von Europa
[* 7] bis zur Hauptstadt des großen chinesischen Reichs zu gelangen. Dorthin bestand
eine bestimmt vorgezeichnete Straße. Als kaufmännisches Volk ersten Ranges unternahmen die Venezianer große
Reisen
, ihr bedeutendste Reisender jener Zeit ist unzweifelhaft Marco Polo. Die Entdeckung der Neuen Welt und des Seewegs nach
Ostindien
[* 8] gab der Neigung zum Reisen
neue Nahrung. Es beginnt das »Zeitalter der Entdeckungen«, gekennzeichnet durch die Namen Kolumbus
und Vasco da Gama.
Amerikanische Völker

* 9
Amerika.
Mit Magelhaens beginnen die Reisen
um die Erde, die Fahrten zur Auffindung einer nordwestlichen Durchfahrt,
die Nordostfahrten, die Fahrten in die Südsee durch die Magelhaensstraße, die Nordpolexpeditionen und die Fahrten nach den Südpolarländern.
Bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrh. waren merkantile Zwecke für die Richtung der großen Entdeckungsreisen
ausschließlich
oder doch hauptsächlich maßgebend. Die Spanier dehnten ihre Entdeckungen in Amerika
[* 9] nicht über die Fundstätten
von Edelmetallen aus, die Portugiesen suchten nach kostbaren Gewürzen, die Russen nach
wertvollen Pelztieren, während das
vornehmste Ziel der Engländer war, möglichst kurze Seewege nach den neuentdeckten Gebieten im Osten und Westen zu finden. Später
folgten Niederländer und Franzosen, während Deutsche
[* 10] nur in Diensten andrer Nationen auftraten, so Tysker
als Begleiter der Normannen nach Nordamerika, so M. Behaim als Begleiter Diego Cams nach Angola; Steller ging mit Bering, die beiden
Forster mit Cook, Chamisso mit Kotzebue. Die letzten Unternehmungen verfolgten neben den merkantilen auch wissenschaftliche Zwecke.
Die wissenschaftlichen Forschungsreisen beginnen um die Mitte des 17. Jahrh. und haben sich seitdem namentlich in neuerer Zeit in großartiger Weise entwickelt. Ihre Zwecke waren verschieden. Es handelte sich um die Beobachtung von besondern Himmelserscheinungen (Durchgang der Venus, Sonnenfinsternis [* 11] etc.), Gradmessungen und andre wissenschaftliche Aufgaben, um die Erforschung bestimmter Gebiete in Bezug auf ihre geographischen Verhältnisse, ihre Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt, um Messungen der Tiefen der Ozeane und die Ergründungen ihrer Bodenformation sowie ihrer Bewohner, endlich um das Studium der wirtschaftlichen Zustände fremder Länder zur Anknüpfung von Handelsbeziehungen.
Ausdehnung (der festen

* 12
Ausdehnung.Alle diese Richtungen erfuhren einen ganz besondern Aufschwung durch die großartige Ausdehnung [* 12] des Handels, namentlich der Engländer, welche infolge ihrer über die ganze Erde verzweigten Handelsbeziehungen und ihres großen Kolonialbesitzes ganz besonders darauf hingewiesen wurden, fremde Länder und Völker genauer kennen zu lernen. Die Zahl englischer Forscher, welche zum großen Teil auf Kosten des englischen Staats oder der Kolonialregierungen ausgerüstet wurden, ist ebenso wie die daraus hervorgegangene wissenschaftliche Reiselitteratur eine sehr große.
Sie finden sich verzeichnet bei den einzelnen Erdteilen, ebenso wie die Unternehmungen der Franzosen, deren fast sämtlich aus öffentlichen Mitteln bestrittene Expeditionen meist sehr bedeutende wissenschaftliche Resultate zu Tage gefördert und in umfangreichen Werken niedergelegt haben. Auch die Thätigkeit der Russen, Schweden, [* 13] Dänen, Nordamerikaner ist eine bedeutende gewesen und die Litteratur über ihre Reiseunternehmungen sehr beachtenswert. Die deutschen wissenschaftlichen Expeditionen haben sich besonders durch innern Gehalt und Vielseitigkeit ausgezeichnet.
Die Kosten der meisten von ihnen wurden von einzelnen deutschen Regierungen oder Fürsten, auch mehreren derselben zusammen sowie aus öffentlichen Sammlungen bestritten. So wurden Spix und Martius durch die bayrische Regierung nach Brasilien [* 14] abgesandt, so wurde das österreichische Kriegsschiff Novara für seine Weltreise und namentlich für die Ozeanforschung ausgerüstet, so bewilligte Preußen [* 15] die erforderlichen Mittel für Expeditionen nach Ägypten unter Brugsch und Lepsius, nach Ostasien und Persien, [* 16] so konnte Heuglin nach Ostafrika gehen, und verschiedene Fahrten in die Nordpolargegenden kamen auf diese Weise zu stande.
Reisen (zu Handelszwec

* 18
Seite 13.705.Nach Aufrichtung des Deutschen Reichs trat die deutsche Reichsregierung in kräftiger Weise bei der Unterstützung von Reisenden ein, so namentlich bei den Forschungsreisen in Afrika [* 17] und bei der Polarforschung. Zur Ozeanforschung wurde das deutsche Kriegsschiff Gazelle entsandt, auch wurden verschiedene Expeditionen nach Afrika von der Reichsregierung nachhaltig unterstützt. Allerdings standen die Mittel, welche den deutschen Reisenden bewilligt werden konnten, weit zurück ¶
mehr
hinter denjenigen, welche England, Frankreich, Rußland, die Vereinigten Staaten [* 19] ihren Sendboten zur Verfügung stellten; desto rühmenswerter ist der entsagungsfreudige Eifer, mit dem so viele tüchtige Männer sich der schwierigen und gefahrvollen Forschung widmeten. Die Hauptziele der wissenschaftlichen Reisen im 19. Jahrh. waren Innerafrika, Zentralasien, das Innere Australiens, die Nordpolarländer. [* 20] Zur Erforschung des afrikanischen Kontinents bildeten sich in verschiedenen europäischen Ländern Afrikanische Gesellschaften (s. d.), welche zum Teil großartig ausgerüstete Expeditionen aussandten.
Durch sie wurde das große Seengebiet Afrikas entschleiert und die lang umstrittene Frage der Nilquellen endgültig gelöst. Die bedeutendste dieser Gesellschaften ist unzweifelhaft die mit den reichen Mitteln des Königs der Belgier ins Leben gerufene Internationale Afrikanische Association, aus welcher die Association du Congo und später der Congostaat hervorgegangen sind, nachdem Stanley in seinem großartigen Zug quer durch den dunkeln Kontinent den Lauf des afrikanischen Riesenstroms bestimmt hatte.
China und Japan

* 21
China.Danach sind Reisen quer durch Afrika wiederholt gemacht worden. Nach Zentralasien richteten Engländer, Deutsche und Russen ihre Reisen, zugleich bahnten hier die Eroberungen der letztern den Weg, während die Kolonialbestrebungen der Franzosen wesentlich zur bessern Kenntnis der hinterindischen Halbinsel beitrugen. Auch China [* 21] zeigte sich zugänglicher, so daß verschiedene Reisende dort Forschungen zu machen im stande waren. In Australien [* 22] waren es die dortigen englischen Kolonisten, welche zahlreiche Reiseunternehmungen ausrüsteten und das allerdings zum großen Teil auch heute noch wenig bekannte Innere in mehreren Routen durchschnitten.
Für Reisen in den Nordpolargebieten erweckte Petermann neues Interesse, und seiner rastlosen Agitation haben wir eine Reihe von Unternehmungen zu danken, denen man in jüngster Zeit die Anlage von dauernden Polarstationen folgen ließ. Gegenwärtig wendet sich das lebhafteste Interesse, auch der Australier, der Erforschung der Südpolargegenden zu. Die Ozeanforschung hat außer Deutschland [* 23] auch in England und Nordamerika thätige Förderung erfahren, und die Reisen des Challenger und der Tuscarora stehen würdig neben der der Gazelle (vgl. Maritime wissenschaftliche Expeditionen).
Die Geschichte der Entdeckungsreisen behandeln: Peschel, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen (2. Aufl., Stuttg. 1877);
Erdkunde (im Mittelalt

* 24
Erdkunde.Derselbe, Geschichte der Erdkunde [* 24] (2. Aufl., Münch. 1877);
Ruge, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen (Berl. 1881);
Vivien Saint-Martin, Histoire de la géographie (Par. 1873);
Embacher, Die wichtigern Forschungsreisen des 19. Jahrhunderts (Braunschw. 1880);
Derselbe, Lexikon der Reisen und Entdeckungen (Leipz. 1882).
Als Anleitungen und Führer für wissenschaftliche Reisende dienen: Neumayer (in Verbindung mit andern Gelehrten), Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen (2. Aufl., Berl. 1888, 2 Bde.);
Richthofen, Führer für Forschungsreisende (das. 1886);
Semler, Das Reisen nach und in Nordamerika, den Tropenländern etc. (Wism. 1884);
Sir John Herschel, The Admiralty manual of scientific enquiry (Lond. 1849, neubearbeitet von Reisen Main);
»Hints to travellers«, herausgegeben im Auftrag der Geographischen Gesellschaft zu London [* 25] (5. Aufl., das. 1885);
Kaltbrunner, Manuel du voyageur (2. Aufl., Zürich [* 26] 1888; auch deutsch), und für Reisen in unkultivierten Ländern: Galton, Art of travel in wild countries (5. Aufl., Lond. 1872).
Die Royal Geographical Society hat Lehrkurse veranstaltet, in welchen angehende Reisende für ihre Unternehmungen praktisch und wissenschaftlich ausgebildet werden.
Italien

* 27
Italien.Zu Handelszwecken sind Reisen von jeher unternommen worden. In neuerer Zeit sind umfassende Expeditionen auch unter der Ägide verschiedener Regierungen ausgegangen, um behufs eventueller Anknüpfung von Handelsbeziehungen die wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Länder kennen zu lernen. Solche Zwecke verfolgten neben andern die österreichische Novaraexpedition, die preußische Expedition nach Ostasien u. a. Die Expedition von Löhnis u. a. nach der Levante hatte den gleichen Zweck, dasselbe wollten auch die von Deutschland, Frankreich, Italien [* 27] ausgesandten Handelsexpeditionen auf besonders eingerichteten Schiffen mit Musterlagern.
Daß Handelsreisende aller Länder gegenwärtig bereits die entlegensten überseeischen Absatzgebiete aufsuchen, ist bekannt; man will jetzt junge Kaufleute für dergleichen Reisen besonders vorbereiten und zum Studium der kommerziellen Verhältnisse bestimmter Länder aussenden. In neuester Zeit sind mehrfach Reisen unternommen worden, um die Tauglichkeit bestimmter Länder für Ackerbaukolonien zu erforschen, in allerneuester Zeit endlich behufs Erwerbung von Kolonialbesitz. [* 28] - Religiöse Motive trieben und treiben noch immer in manchen Ländern zu großen Reisen, in dieser Beziehung Wallfahrten genannt.
Rom

* 31
Rom.Die Juden machten solche jährlich zum Passahfest nach Jerusalem, [* 29] die Griechen und Römer [* 30] zogen zu berühmten Tempeln, die ursprünglich auf religiöser Basis ruhenden Spiele versammelten viele Tausende von nah und fern, die Germanen zogen zu heiligen Hainen. Mit dem Christentum kamen die Pilgerfahrten zum Heiligen Land auf, aus denen sich später die Kreuzzüge entwickelten. Später traten an die Stelle von Jerusalem Rom, [* 31] Compostela u. a., in neuester Zeit Lourdes und Marpingen. Bei den Mohammedanern gehen jährlich große Pilgerkarawanen nach Mekka und Medina sowie zu heiligen Gräbern im allgemeinen. Ebenso machen die Hindu jährlich große Pilgerfahrten zu heiligen Städten (Benares u. a.) und Plätzen (Gangesquelle), die Buddhisten von Birma ziehen in großen Scharen nach Rangun [* 32] und Ceylon [* 33] (Anarâdhâpura). - Weitere Veranlassung zu Reisen gibt das Suchen nach Erwerb, das die Bewohner ärmerer, stark bevölkerter Länder zum Aufsuchen bessere Verdienstverhältnisse bietender Gebiete treibt. So gehen die Bewohner unsrer armen Gebirgsgegenden, vieler Länder Österreich-Ungarns, Italiens, [* 34] Spaniens, Chinas, Indiens u. a. fort, um nach längerer oder kürzerer Zeit wieder ihre Heimat aufzusuchen.
Umgekehrt veranlaßt größerer Wohlstand zu Vergnügungsreisen, die sich in neuester Zeit auf außerordentliche Entfernungen ausgedehnt haben, so daß selbst Reisen um die Erde unternommen werden. Gefördert wird diese Neigung durch die von Unternehmen (Stangen in Berlin, [* 35] Cook u. Sohn in London) veranstalteten Gesellschaftsreisen. Eine ganz außerordentliche Ausdehnung haben auch die Reisen zu Gesundheitszwecken erfahren, womit die jährlich sich vermehrende Zahl von Bädern und Sommerfrischen zusammenhängt. Dabei sind die durch öffentliche Mildthätigkeit ermöglichten Ferienreisen armer, der Erholung bedürftiger Kinder, wie sie in der Schweiz [* 36] und Deutschland bestehen, zu erwähnen (s. Ferienkolonien). Erholung und Belehrung verbinden die neuerdings in Deutschland unternommenen Schülerreisen unter Führung eines Lehrers; in Frankreich hat Levasseur den Gedanken von periodischen Unterrichtsreisen um ¶