Titel
Germanen
und Germanien
[* 2] (hierzu
Karte »Germanien etc.«). Der
Name Germani wird zum erstenmal in den
Fasti capitolini,
d. h. dem in dem
Tempel
[* 3] des kapitolinischen
Jupiter aufbewahrten römischen Beamtenverzeichnis, zum Jahr 222
v. Chr.
erwähnt; doch ist es mehr als zweifelhaft, ob diese
Stelle auf alten Aufzeichnungen beruht, und ob nicht vielmehr erst bei
einer viel spätern Redaktion der
Fasten der
Name Germanen
eingeschoben ist. Denn es steht fest, daß er
erst mit der Zeit
Cäsars, der ihn in
Gallien kennen lernte, und durch ihn den
Römern geläufig geworden ist.
Spottiswoode - Sprache

* 4
Sprache.Wie er von den Galliern zu den Römern gekommen ist, so stammt er auch aus der keltischen Sprache; [* 4] alle Versuche, ihn aus dem Deutschen zu erklären (von denen die Ableitung von Ger und Mann, also Speermänner, wohl die gebräuchlichste war), sind jetzt aufgegeben. Am wahrscheinlichsten ist, daß der Name, welcher »Wäldler«, Bewohner eines Waldlandes, bedeutet, von den Galliern auf die im Maas- und Niederrheingebiet wohnenden kultur- und städtelosen Stämme keltischer und germanischer (wie die Tungern) Abstammung angewendet, schließlich auf die letztern beschränkt und zur Gesamtbezeichnung der großen Nation jenseit des Rheins geworden ist.
Geschichtskarten von D

* 5
Deutschland.
Andre deuten Germanen
als »gute Schreier«, andre als »Ostleute«,
noch andre als »Nachbarn«. Die germanischen
Völker haben den
Namen wohl selbst erst von den
Galliern gehört und sich desselben
nur im
Verkehr mit
Fremden, besonders mit
Römern, bedient; recht heimisch und volkstümlich
ist er bei ihnen
nie geworden, wie es denn überhaupt an einer allgemeinen und zusammenfassenden Bezeichnung für alle
Stämme der Germanen
lange fehlte.
Gerade darum hat sich die gelehrte Forschung des gallischen
Namens bemächtigt, aber sie gebraucht ihn in noch
weiterm
Sinn, als er ursprünglich hatte; wir verstehen jetzt unter Germanen
nicht nur die im jetzigen
Deutschland
[* 5] lebenden
Völker, sondern alle stammverwandten
Nationen, also auch
Goten,
Vandalen,
Burgunder, Skandinavier u. a.
Vgl.
Mahn, Über den Ursprung und die Bedeutung des
Namens Germanen
(Berl. 1864).
Die erste
Kunde von den Germanen
kam den Völkern des
Altertums durch die Reiseberichte des gelehrten
Kaufmanns
Pytheas von
Massilia
(Marseille),
[* 6] der sie um 250
v. Chr. an den
Küsten der
Nord- und
Ostsee kennen lernte; von hier gingen auch
die
Stämme der
Cimbern und
Teutonen aus, mit denen die Germanen
zuerst in die Geschichte eintreten, 113-101 die
Bevölkerung
[* 7] Italiens,
[* 8]
Galliens und
Spaniens in
Schrecken setzend. Es hat große
Wahrscheinlichkeit für sich, daß sie
später als Griechen, Italiker und
Kelten die gemeinsame
Heimat der
Völker des indogermanischen
Stammes in
Asien
[* 9] verlassen haben
und nach langen, zeitlich nicht zu bestimmenden
Wanderungen durch die Tiefebenen
Sarmatiens, wo
Slawen und
Letten sich von ihnen
loslösten, eben in jenen Küstenländern zuerst feste
Wohnsitze eingenommen und
sich von hier aus allmählich
weiter nach
S. und W. verbreitet haben.
Romanzement - Römer

* 10
Römer.
Ihr Land selbst aber war bis zu
Cäsars Zeit den
Römern fast ganz unbekannt, und auch durch
Cäsars kurze
Feldzüge im O. des
Rheins und durch das, was derselbe in
Gallien darüber hörte, konnte keine umfassendere und genauere Kenntnis
davon gewonnen werden. Erst durch die
Kriege, welche die
Römer
[* 10] in der Zeit kurz vor und nach
Christi
Geburt unter
Drusus,
Tiberius,
Germanicus u. a. gegen die Germanen
führten, und während welcher sie bis an die
Weser und
Elbe vordrangen, erwarben sie sich
eine genauere Kenntnis des
Landes.
Die
Grenzen
[* 11] Germaniens, welches die
Römer
Germania
[* 12] magna, auch Germanen
barbara und Germanen transrhenana nannten, waren, namentlich gegen
N. und O., sehr unbestimmt. Im W. trennte es der
Rhein von
Gallien. Als die östlichen Grenznachbarn werden die von den Germanen
durch die
Weichsel getrennten Sarmaten genannt. Im N. endlich bildete der
Ozean die
Grenze, und in ihm dachte
man sich das jetzige
Dänemark,
[* 13]
Schweden
[* 14] und
Norwegen als
Inseln, die man ebenfalls zu Germanen
magna in weitester Bedeutung rechnete.
Im S. grenzte es an die römischen
Provinzen
Vindelizien,
Noricum und
Pannonien; in älterer Zeit bis zu
Augustus' Zeit bildete die Südgrenze der germanischen
Wohnsitze der Hercynische
Wald (Hercynia silva), unter welchem der zusammenhängende
Gebirgszug verstanden wurde, welcher vom
Schwarzwald an durch
Franken und
Thüringen, über das
Erz- und
Riesengebirge sich fortsetzend,
bis zu den
Karpathen reicht.
Aus der Gesamtmasse der deutschen Mittelgebirge, die als Hercynia silva zusammengefaßt werden, tauchen dann aber eine Reihe von Namen auf, die sich mit größerer Bestimmtheit auf einzelne Gebirgszüge beziehen lassen. Dahin gehören: das Gabretagebirge (der Böhmerwald, im Mittelalter Nordwald genannt);
die Sudeten (Erzgebirge);
Monreale - Mons

* 15
Mons.der Mons [* 15] Abnoba oder Silva Marciana (Schwarzwald);
der Jura, dessen Name schon bei Ptolemäos und Cäsar auftritt;
der Vosagus (fälschlich Vogesus, d. h. Wasgau, Vogesen);
der Taunus;
die Silva Bacenis (deren Lage nicht zu bestimmen ist);
Semana (Thüringer Wald);
Melibocus (vermutlich der Harz);
Asciburgium (Riesengebirge);
der Teutoburger Wald u. a. Einige andre Benennungen, wie Eifel, Spessart, Odenwald etc., kommen dagegen erst im Mittelalter vor;
auch die Bezeichnung Buchenwald (silva Buchonia) für die Hohe Rhön und das Vogelsgebirge läßt sich im Altertum nicht nachweisen.
Von den Flüssen Germaniens kannten die Römer besonders den Danubius (Donau), der die Grenze von Vindelizien und Noricum gegen Germanien bildete, den Rhenus (Rhein) mit den Mündungsarmen Vahalis (Waal) und Rhenus (Alter Rhein) und mit den Nebenflüssen Nicer (Neckar), Moenus (Main) Laugona (Lahn), Luppia (Lippe) [* 16] u. a. Ferner kannten die Römer den Vidrus (Vecht), die Amisia (Ems), [* 17] die Visurgis (Weser), die Albis (Elbe), den Viadrus (Oder), die Vistula (Weichsel), den Guttalus (Pregel), [* 18] letztern freilich nur durch Hörensagen. Unter den Seen war den Römern als der bedeutendste der Lacus brigantinus oder Venetus (Bodensee) bekannt.
Die Berichte der Römer über die Bodenbeschaffenheit und das Klima [* 19] Germaniens lauten sehr ungünstig. Nach ihnen war Germanien durchweg ein rauhes Land voll von Sümpfen und dichten Wäldern; die Niederungen des Rheins waren weite Moore, die sich, mit Waldungen abwechselnd, bis an die Elbe fortzogen, und über welchen ein düsterer Himmel [* 20] und eine nebelvolle, regenreiche Luft sich ¶
Germanien und die nörd

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Germanen und Germanien

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Seite 7.176.Zum Artikel »Germanen« ^[richtig: »Germanen und Germanien«]. ¶
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ausbreiteten. Dem kurzen Sommer folgte ein langer Winter mit furchtbaren Stürmen, und die Ströme bedeckten sich auf lange Zeit mit Eis. [* 25] Die gewaltigen Wälder, die damals einen großen Teil des Landes bedeckten, bestanden vorzugsweise aus Buchen und Eichen; im N. gab es auch Nadelholz. Die ungeheuern Eichstämme bewunderte der ältere Plinius, der selbst im nördlichen Westfalen, [* 26] im Lande der Chauken, gewesen war. Obstbäume aber, wenigstens edlere, gediehen nach Tacitus nicht.
Die Getreidearten, welche der Boden hervorbrachte, waren Gerste, [* 27] Hafer [* 28] und Hirse, [* 29] vielleicht auch Weizen; dazu wurden Flachs und einiges Gemüse, Rüben, Rettiche, Spargel, Bohnen gebaut. Der hauptsächlichste Reichtum der Bewohner bestand in zahlreichen Viehherden, die auf den reichbewässerten Wiesengründen und Waldtriften die herrlichste Weide [* 30] fanden. Die Rasse des Rindviehs war zwar klein und unansehnlich, aber stark und dauerhaft; außerdem kamen Schafe, [* 31] Ziegen und besonders Schweine [* 32] vor.
Pferde II

* 33
Pferde.Die einheimischen Pferde [* 33] waren ebenfalls unansehnlich und nicht besonders schnell, aber sehr ausdauernd und genügsam. Wild der verschiedensten Art fand sich natürlich in den unermeßlichen Waldungen äußerst zahlreich und bot der Jagdlust der Germanen unerschöpfliche Nahrung. Am merkwürdigsten erschienen den Römern das Elen [* 34] oder Elch (Alces) und der Auerochs (Urus); außerdem aber fanden sich noch Bären, Wölfe, Luchse, wilde Katzen, [* 35] Wildschweine, Hirsche, [* 36] Rehe etc. in Menge.
Auch werden die Gewässer als fischreich gerühmt. Von den Mineralien [* 37] ist als am berühmtesten im Altertum der Bernstein [* 38] zu nennen, der bei den Germanen Glesum hieß. Auch Silber und Eisen [* 39] kommen vor, wenn auch nicht in großer Menge. Salz [* 40] gewann man aus den an verschiedenen Orten hervorbrechenden Salzquellen, indem man die Sole über die glühenden Kohlen eines brennenden Holzstoßes goß. An der Meeresküste wurde das Salz aus dem Meerwasser gewonnen. Auch die vorzüglichen Heilquellen, besonders am Rhein, waren bereits bekannt und benutzt, z. B. die Wässer von Wiesbaden [* 41] (Aquae Mattiacae) und die von Baden-Baden [* 42] (Aquae oder Civitas Aurelia Aquensis).
Windvogel - Winkel

* 43
Winkel.Als ein besonderer Teil von Germania magna ist das sogen. Zehntland, Agri decumates (s. d.), anzusehen, der südwestliche Winkel [* 43] Deutschlands [* 44] zwischen Oberrhein und Oberdonau, welcher nach dem Zurückweichen der Markomannen seit ca. 100 n. Chr. mehrere Jahrhunderte hindurch im Besitz der Römer blieb. Durch einen von Regensburg [* 45] durch Schwaben und Franken bis an den Rhein (bei Koblenz) [* 46] sich 500 km weit hinziehenden Grenzwall geschützt, diente es als Vorwacht gegen Einfälle in die römische Provinz, bis unter der Herrschaft des Honorius zu Anfang des 4. Jahrh. die Alemannen auf allen Punkten die Befestigungslinie durchbrachen, das ganze Zehntland überschwemmten und den Römern entrissen. Von der Thätigkeit der Römer in diesen Gegenden zeugen zahlreiche Anlagen von Kastellen, Straßen, Städten sowie viele aufgefundene Altertümer; die hauptsächlichsten Fundorte sind: Baden-Baden (Aurelia Aquensis oder Aquae), Rottweil [* 47] (Arae Flaviae), Rottenburg (Sumelocenna), Kannstatt [* 48] (Clarenna), Pforzheim [* 49] (Porta Hercynia) u. a.
Von Germania magna ist wohl zu unterscheiden Germanen
cisrhenana oder die römische Provincia
Germania, welche auf der westlichen Seite des Rheins diejenigen Gegenden umfaßte, die nach und nach von germanischen Stämmen,
die den Rhein überschritten hatten, besetzt worden waren. Anfangs rechnete man diese Landstriche
zu Gallia Belgica; allein
bald nach Augustus nannte man sie nach ihren Bewohnern Germania und teilte sie in zwei Teile: Germanen superior
oder Germanen prima vom Juragebirge bis zur Nahe und Germanen inferior oder Germanen secunda von der Nahe bis zum Meer.
Belgien und Luxemburg

* 50
Belgien.Auch in diesen Gegenden wurde von den Römern eine große Menge von festen Plätzen und Standlagern errichtet, und stets hatte hier eine größere Anzahl von Legionen als irgendwo sonst ihre Standquartiere, bereit, die Angriffe der kriegslustigen und gefürchteten Nachbarn zurückzuschlagen. Das Land zwischen Wasgau und oberer Maas gehörte zur Provinz des obern Belgien, [* 50] die Gebiete am Knie des Rheins bei Basel [* 51] zur sequanischen Provinz, die Länder südlich von der Donau zu den Provinzen Rätien und Vindelizien (vom Bodensee bis zur Mündung des Inn), Noricum (bis zum Wiener Wald und zur obern Save), Pannonien (bis zur mittlern und untern Save). Zu Germanien wurden alle diese Gebiete nicht gerechnet, wie denn auch ihre Bevölkerung noch größtenteils keltisch war.
Die Völkerschaften der Germanen
scheidet Tacitus in drei große Gruppen: die Ingävonen am Meer, die Herminonen in der Mitte des Landes und die Istävonen, zu denen alle übrigen gehören würden. Auch Plinius kennt diese drei Stämme, denen er aber noch einen vierten, die Vandalen, und als fünfte Gruppe die Peukiner und Bastarner hinzufügt. Diese letztere Fünfteilung ist jedenfalls unrichtig; aber auch die Dreiteilung des Tacitus beruht wohl nur auf alten Sagen und Liedern, welche dem Stammvater der Germanen, Mannus, drei Söhne gaben, von denen diese großen Gruppen abstammen sollten; im wirklichen Leben des Volkes findet sie keine Begründung. Viel mehr der natürlichen Gliederung des Volkes entsprechend ist eine von Cäsar und Tacitus gemachte Scheidung, bei der die Sueven im NO. der Elbe und die nichtsuevischen westlichen Völkerschaften einander gegenübergestellt werden; jene bewohnten die große nordöstliche Ebene, lebten weniger von Ackerbau als von Jagd und Viehzucht und [* 52] waren zu Wanderungen geneigt, wie sie dann auch ihre Wohnsitze den Slawen überließen.
Speidel - Speier

* 53
Speier.Unter den einzelnen Völkerschaften sind die wichtigsten folgende, die hier in den Sitzen, welche sie bis zum 3. Jahrh. n. Chr. eingenommen haben, aufgeführt werden. Am linken Rheinufer, wohin sie vielleicht mit Ariovist gekommen waren, also in der römischen Provinz Germania superior, saßen die drei Stämme der Triboker (im Elsaß), Nemeter (bei Speier) [* 53] und Vangionen (bei Worms); [* 54] Mainz [* 55] (Mogontiacum), Worms (Borbetomagus), Speier (Noviomagus) und Straßburg [* 56] (Argentoratum) sind hier die wichtigsten Plätze.
Weiter nördlich, im niedern Germanien, noch mitten unter keltischen Stämmen, wohnten die Ubier, deren Mittelpunkt Köln [* 57] (Colonia Ubiorum s. Agrippinensis) war; auch Bingen, [* 58] Koblenz, Remagen und andre Kastelle waren hier von Drusus gegründet; weiter der Mündung des Stroms zu, auf der vom Rhein gebildeten Insel, die ihrer Tapferkeit wegen gepriesenen Bataver, deren Name sich in dem Landschaftsnamen Betuwe noch erhalten hat, und im Innern um Tongern die Tungrer. An der Küste der Nordsee hin folgen die Friesen, vom Rhein bis zur Ems, und die Chauken, von der Ems über die Weser hinaus bis zur Elbe. Im S. schloß sich hier eine Reihe von Stämmen an, die später zu dem fränkischen Volk verschmelzen, die Chamaven und die Chattuarier;
Germanen und Germanien

* 59
Seite 7.177.an die erstern erinnert der im Mittelalter vorkommende Gau Hamaland um ¶
mehr
Deventer, letztere sind zwischen Ruhr und Lippe zu suchen;
weiter die Ampsivarier, ursprünglich an der Ems, aber von hier durch die Chauken verdrängt;
die Sigambrer, auf beiden Seiten der Ruhr von der Lippe bis zur Sieg, welche durch Tiberius besiegt und zum Teil auf römischem Boden angesiedelt wurden, während die Zurückgebliebenen später unter dem Namen Marser erscheinen;
endlich die Brukterer, in dem Winkel zwischen Ems und Lippe und die Ems hinab.
Mecklenburg, -Schwerin

* 61
Mecklenburg.Mehr im Innern sind die Hauptstämme die Katten, im jetzigen Hessen [* 60] und bis nahe an den Rhein, die Angrivarier, an der mittlern Weser, die Cherusker, von der Weser im O. bis zum Harz und weiter zur Elbe und im S. bis zum Thüringer Wald, und die Hermunduren, zwischen Main und Donau. Katten und Hermunduren bilden den Übergang zu den suevischen Stämmen, unter denen zu nennen sind: die Semnonen, östlich von der Elbe, die Reudigner, Avionen, Eudosen, Suardonen, Nuithonen und eine Anzahl andrer, wenig bekannter Völkerschaften im O. bis zur Meeresküste hin. Tacitus rechnet auch die Langobarden, die wohl schon zu seiner Zeit im Lüneburgischen saßen, sowie die Angeln und Wariner in Holstein und Mecklenburg [* 61] zu den Sueven. Auch die Markomannen in Böhmen [* 62] und die Quaden östlich von diesen an der Donau gehören zu den Sueven. Weiter ostwärts noch saß das mächtige, in mehrere Zweige zerfallende Volk der Lygier.
Eine eigne zusammengehörige Gruppe für sich bilden die Völker des gotisch-vandalischen Stammes, welche sämtlich im äußersten Osten des alten Germanien zwischen Oder und Weichsel und über dieselbe hinaus bis an die Memel [* 63] hin wohnten. Zu ihnen gehören außer den Goten und Vandalen selbst auch die Burgundionen, deren älteste Sitze im Gebiet der Netze und Warthe lagen, die Gepiden an der obern Weichsel, die Alanen, Rugier, Skiren, Turkilinger, Heruler, Lemovier u. a. Auch in Schweden und Dänemark haben eine Zeitlang Goten gesessen, wie die Namen einiger Provinzen noch an sie erinnern.
Spanien und Portugal

* 67
Spanien.Eine letzte Gruppe bilden endlich die nordischen Germanen oder Skandinavier, zu denen die Sulonen (Schweden) gehören, die Tacitus fälschlich zu den Sueven zählt. Die jenseit der Goten im N. sitzenden Ästuer gehören nicht mehr zu den Germanen, sondern zum lettischen Stamm. Sehen [* 64] wir von den Skandinaviern ab, so breiten sich also die Germanen von der Donau bis zur Ost- und Nordsee, vom Rhein bis zur Weichsel und den Karpathen aus. Cäsar kannte etwa 20 germanische Völker, Strabon und Plinius etwa 30, Tacitus über 60 und Ptolemäos über 100. Wesentliche Veränderungen in dieser geographischen Verteilung der Stämme der Germanen traten erst seit dem Ausgang des 2. und dem Anfang des 3. Jahrh. n. Chr. ein, zur Zeit, da auch die alten Völkerschaftsbezeichnungen allmählich verschwinden und neue Namen, neben dem der Goten die der Alemannen, Franken, Sachsen, [* 65] dann auch der Bayern [* 66] u. a., gebraucht werden, bis im 4. Jahrh. jene gewaltige Völkerbewegung (s. Völkerwanderung) einen großen Teil der Germanen zu Zügen bewog, auf denen sie das weströmische Reich zerstörten und auf dessen Boden mächtige Reiche, das westgotische in Gallien und Spanien, [* 67] das vandalische in Afrika, [* 68] das ostgotische und langobardische in Italien, [* 69] das burgundische im Rhônegebiet, das angelsächsische in Britannien, das fränkische im nordöstlichen Gallien, begründeten.
Hierdurch wurden die Grenzen Germaniens gänzlich verschoben; der Osten rechts der Elbe und Saale, Böhmen, Österreich, [* 70] das ganze Ostalpengebiet ging an die nachdrängenden Slawen verloren, die Reiche in Italien, Afrika und Spanien gingen zu Grunde, und ihre germanischen Einwohner wurden romanisiert. Gleiches Schicksal hatten die Burgunder und der westliche Teil des Frankenreichs. Germanisch blieben also bloß Skandinavien, England und dann das Gebiet zwischen Alpen [* 71] und Nordsee, Mosel, Maas und Schelde westlich, bis zur slawischen Grenze östlich, dessen Bewohner, sämtlich mit dem Frankenreich vereinigt, später ein eignes, das ostfränkische Reich, bildeten und im 10. Jahrh. den Namen »Deutsche« [* 72] empfingen (das Weitere s. unter Deutschland, Geschichte).
Haut (anatomisch)

* 73
Haut.Kulturgeschichtliches. Staatliche Einrichtungen.
Über Lebensweise, Sitten und Gebräuche sowie über die staatlichen Einrichtungen der Germanen verdanken wir ausführliche Nachrichten, die sich, je näher sie die kritische Forschung geprüft hat, als um so zuverlässiger erwiesen haben, der »Germania« des Tacitus, die 98 n. Chr. geschrieben ist. Große und kräftige Gestalt, weiße Haut, [* 73] blondes Haar, [* 74] glänzende, blaue Augen werden als allen Germanen eigentümlich bezeichnet. Schon in früher Kindheit ward der Körper an Arbeit und Entbehrung gewöhnt.
War der Jüngling herangewachsen, so bekleidete ihn ein angesehener Mann oder der eigne Vater in der Versammlung des Volkes mit den Waffen: [* 75] damit trat er in die Gemeinschaft des Volkes ein, und von nun an legte er die Waffen nicht wieder ab. In Jagd und Krieg ging das Leben des Mannes auf; die Geschäfte des Hauses und Feldes überließ man den Weibern, Knechten, Greisen und denen, die sonst zur Führung der Waffen unfähig waren; der freie Mann saß oft genug ganze Tage in träger Ruhe am Herde.
Doch war die Stellung der Frau keine niedere und unedle: streng ward die Heiligkeit der Ehe gewahrt, Vielweiberei war unbekannt, unkeuscher Wandel streng verpönt. Im Haus waltete die Frau als »Herrin«, der Mann hörte auf ihren Rat;
als Wahrsagerinnen thaten Frauen den Willen der Götter kund und übten so auf das Geschick ganzer Völker Einfluß aus.
Pflicht - Pflug

* 76
Pflug.Über die Stufe des nomadischen Hirtenlebens sind die Germanen zur Zeit, da wir von ihnen Kunde haben, schon hinausgekommen; längst war der Pflug [* 76] bekannt, und überall ward Ackerbau getrieben. Teils auf Einzelhöfen wohnte der freie Mann, teils hatte man sich in Dörfern angesiedelt, doch so, daß jedes Haus freier Hof- oder Gartenraum umgab; Städte gab es wenig, auch feste Plätze werden nur selten erwähnt, und die man hatte, waren ohne sonderliche Bedeutung. Im Charakter der Germanen überwogen die guten und rühmenswerten Eigenschaften: tadelte der Römer ihre Härte und Grausamkeit, ihre Roheit und ihren Mangel an feinerer Gesittung, so mußte er mit rühmenden Worten ihrer Gastfreiheit und Ehrlichkeit, ihrer Offenheit und ihrer Freiheitsliebe, ihrer Keuschheit und ihres Rechtsbewußtseins, vor allem aber ihrer Treue gedenken, die nur mit dem Leben endete.
Das nächste Band, [* 77] das die Genossen des Volkes umschlang, war das der Familie oder Sippe: den Mitgliedern eines Geschlechts lag ob die Pflicht gegenseitiger Unterstützung und gegenseitigen Schutzes, der Rache für einen der erschlagenen Blutsverwandten, ferner der Zahlung der Buße, des »Wergeldes«, das zu zahlen war, wenn einer aus seiner Mitte einen Totschlag begangen hatte, wie auch anderseits das Geschlecht als Gesamtheit das Wergeld zu empfangen hatte, wenn einer der Seinigen erschlagen war. Auch ¶