Wahrschein
lichkeit
(Probabilitas), der
Grad der Zuverlässigkeit, mit welchem man den
Eintritt oder den Nichteintritt
eines Ereignisses erwartet. Im gewöhnlichen
Leben bezeichnet man etwas als wahrscheinlich
, wenn die für eine
Annahme sprechenden
Gründe die Gegengründe überwiegen oder auch nur zu überwiegen scheinen; das Gegenteil hält man dann
für wenig wahrscheinlich
oder unwahrscheinlich. Unter mathematischer Wahrscheinlichkeit
eines Ereignisses versteht
man einen
Bruch, dessen
Zähler gleich der Anzahl der dem Eintreten dieses Ereignisses günstigen
Fälle und dessen
Nenner gleich
derjenigen aller möglichen
Fälle ist, vorausgesetzt, daß alle
Fälle gleich möglich sind.
Fragt man z. B. nach der Wahrschein
lichkeit, aus einen Wurf mit
Würfeln 9
Augen zu werfen, so ist die Anzahl der günstigen
Fälle 4: denn man erhält 9
Augen, wenn man mit dem ersten
Würfel 6 und
mit dem zweiten 3, oder mit jenem 5 und mit diesem 4, oder mit jenem 4 und mit diesem 5, oder mit jenem 3 und
mit diesem 6 wirft. Die Anzahl der mit 2
Würfeln möglichen Würfe ist aber 6 . 6 = 36, denn jeder der 6 Würfe des ersten
Würfels kann mit jedem der 6 Würfe des zweiten zusammen vorkommen. Sonach ist die gesuchte Wahrschein
lichkeit 4/36
= 1/9. In solchen und ähnlichen
Fällen, namentlich wenn es sich um Wahrschein
lichkeit beim
Spiel handelt, ist die Ermittelung
der Anzahl der günstigen und der möglichen
Fälle
Sache der
Kombinationslehre. Im Versicherungswesen wird die Wahrschein
lichkeit, welche den
Rechnungen zu
Grunde gelegt werden soll, aus einer sehr großen Anzahl von
Beobachtungen bestimmt. Je größer diese
Zahl und je größer die Zahl der
Fälle ist, für welche die Rechnung angestellt wird, um so zuverlässiger ist das Ergebnis
der letztern.
Nach der deutschen Sterbetafel erreichen von 54,454 Männern von 30
Jahren 48,775 das 40. Lebensjahr.
Daher ist für einen
30jährigen die Wahrschein
lichkeit, noch 10 Jahre zu leben, 48775/54454 = 0,8957.
Von vielen
Tausenden wird auch dieser Bruchteil nach 10
Jahren annähernd noch am
Leben sein. Man spricht von einer einfachen
Wahrschein
lichkeit, wenn nur ein Ereignis in
Frage kommt; von einer zusammengesetzten Wahrscheinlichkeit
, wenn es sich um das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse
handelt. Ist die einfache Wahrscheinlichkeit
für einen Mann, noch 10 Jahre zu leben, gleich 0,7,
die einfache Wahrscheinlichkeit
für seine
Gattin, bis dahin noch zu leben, gleich 0,8, so ist die zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit
, daß
beide am
Leben bleiben
werden = 0,7 × 0,8 = 0,56. Die weitere
Entwickelung der im
Begriff der Wahrscheinlichkeit
liegenden Aufgaben fällt der Wahrscheinlichkeit
srechnung zu,
deren erste Anfänge sich in dem Briefwechsel von
Fermat und
Pascal finden, und die dann von
Huygens,
Jak.
Bernoulli, Moivre,
Laplace u. a. weiter entwickelt worden ist.
Vgl.
Cantor,
Historische
Notizen über die Wahrscheinlichkeit
srechnung
(Halle
[* 2] 1874);
Laplace, Théorie analytique des probabilités (Par. 1812) und »Essai philosophique sur les probabilités« (das. 1814; deutsch von Schwaiger, Leipz. 1886);
Littrow, Wahrscheinlichkeit
srechnung
in ihrer Anwendung
(Wien
[* 3] 1832);
Hagen,
[* 4] Grundzüge der Wahrscheinlichkeit
srechnung (3. Aufl., Berl.
1882);
Meyer, Vorlesungen über Wahrscheinlichkeit
srechnung (deutsch von Czuber, Leipz. 1879);
Kries, Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Freib. i Br. 1886).
Wahrscheinlichkeitsleh

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Seite 16.333.Ein besonders wichtiger Teil der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist die Methode der kleinsten ¶
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Quadrate, welche aus Beobachtungen, die mit Fehlern behaftet sind, die wahrscheinlichsten Werte berechnen lehrt. Der wahrscheinlichste Wert ist derjenige, für welchen die Summe der Quadrate der Beobachtungsfehler am kleinsten wird, wobei jeder einzelne Fehler mit dem Gewicht der betreffenden Beobachtung zu vervielfachen ist. Darf angenommen werden, daß während der Untersuchungen keine Änderung in der Grundwahrscheinlichkeit eingetreten ist, so ist, wie z. B. bei Messung von Winkeln, Linien etc., die wahrscheinlichste Größe gleich dem arithmetischen Mittel aus allen Beobachtungen.
Dieses Prinzip ist zuerst von Gauß (1795) entdeckt worden, dem auch die Methode ihre weitere Entwickelung verdankt; doch ist Legendre (1805) ihm in der Veröffentlichung des Prinzips zuvorgekommen.
Vgl. Encke im »Berliner [* 6] astronomischen Jahrbuch«, Jahrg. 1834-36; Dienger, Ausgleichung der Beobachtungsfehler (Braunschw. 1857);
Jordan, Handbuch der Vermessungskunde (3. Aufl., Stuttg. 1888, 2 Bde.);
Vogler, Grundzüge der Ausgleichungsrechnung (Braunschw. 1883);
Gauß, Abhandlungen zur Methode der kleinsten Quadrate (deutsch von Börsch und Simon, Berl. 1887).