(spr. tibŏdäng), franz.
General und Kriegsminister, geb. 1827 zu Moulins-en-Gilbert, geriet als
Oberst bei
Mars-la-Tour in Kriegsgefangenschaft, wurde in Mainz
[* 2] interniert und entfloh von dort unter
Bruch des Ehrenwortes
im Dezember nach
Frankreich. Hier stellte ihn der Kriegsminister unter dem
Namen seiner
Mutter, Commagny, als Divisionscommandeur
bei der Ostarmee an und übertrug ihm bald darauf den
Befehl über das 24. Korps. Thibaudin wurde nach dem
Übertritt des Bourbakischen
Heers über die
Schweizer Grenze in der
Schweiz
[* 3] interniert und dann wegen
Bruch seines Ehrenwortes aus dem aktiven Dienste
[* 4] entlassen.
Schon 1872 als Oberst wieder angestellt und bald zum Brigadegeneral befördert, wurde Thibaudin als
Direktor der Infanterie ins Kriegsministerium berufen und 1882 zum Divisionsgeneral ernannt. Am wurde Thibaudin Kriegsminister
und beseitigte auf
Grund des Prätendentengesetzes die Prinzen durch Dekret vom 23. Febr. aus der franz.
Armee. Thibaudin war ein gefügiges
Werkzeug der radikalen Partei, aber ohne Thatkraft und organisatorisches
Talent. Er vollzog die Umformung
der Festungsartillerie nach dem
Entwurfe des
GeneralsBillot und wurde vom Ministerpräsidenten Ferry zum Rücktritt
veranlaßt wegen seines taktlosen Betragens beim Besuche des Königs von
Spanien
[* 5] in
Paris.
[* 6] Thibaudin wurde im März 1885 zum Präsidenten
des beratendenKomitees für Infanterieangelegenheiten und im Dez. 1886 zum Kommandanten von
Paris ernannt;
im Nov. 1887 trat er in den
Ruhestand.
(spr. -boh),Ant. Friedr. Justus, Jurist, geb. zu Hameln,
[* 7] studierte zu Göttingen,
[* 8] Königsberg
[* 9] und Kiel,
[* 10] habilitierte sich 1796 in Kiel und wurde 1798 daselbst Professor derRechte, 1802 in
Jena,
[* 11] wo
er starb. Nach dem
Sturz der Napoleonischen Herrschaft trat Thibaut für Einführung eines einheitlichen
Rechts in
Deutschland
[* 12] ein in der
Schrift«Über die
Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen
Rechts für
Deutschland» (Heidelb. 1814; neue Ausg.
1840),
wogegen sich Savigny (s. d.) erklärte. Sein Hauptwerk ist
das
«System des Pandektenrechts» (2 Bde.,
Jena 1803; 9. Aufl., von
Buchholtz, 1846). Außerdem sind zu erwähnen: «Jurist.
Encyklopädie
und
Methodologie»
(Altona
[* 13] 1797),
«Versuche über einzelne
Teile der
Theorie des
Rechts» (2 Bde.,
Jena 1798; 2. Aufl. 1817),
«Über die sog. historische und nichthistor. Rechtsschule» (ebd. 1838). Mit Löhr
und Mittermaier gab Thibaut das
«Archiv für civilistische Praxis» (Heidelb. 1818 fg.) heraus. Als ein
großer Freund und Kenner der
Musik huldigte er
Palestrina in der
Schrift«Über Reinheit der
Tonkunst» (Heidelb. 1825; 7. Aufl.,
Freib. i. Br. 1893). T.s «Jurist. Nachlaß»
hat Guyet (2 Bde., Berl. 1841‒42)
herausgegeben. –
(Thidhrikssaga) oder Wilkinasaaa, eine norweg. Sammlung von Sagen, die
zum
Teil die einzige
Quelle
[* 14] der deutschen
Heldensage ist. Die Sagen gruppieren sich
um Dietrich von Bern,
[* 15] stehen aber mit diesem oft
gar nicht in
Verbindung. Weil auch das Wilkinaland mehrfach in der Thidrekssaga erwähnt wird, nannte
sie der erste
Herausgeber Wilkinasaga. Die Thidrekssaga ist in der 2. Hälfte des 13. Jahrh. in
Norwegen
[* 16] entstanden; ihr Verfasser benutzte zum
Teil
Erzählungen niederdeutscher
Männer, zum
Teil Gedichte der
Heimat.
Das Werk enthält die Sagen von König Samson, von König Osantrix, von
Attila, von
Wieland dem kunstreichen
Schmiede, von Sigurdh und den
Burgunden, von
Walther und Hildegunde, von Herburt und Hilde, von
Iron und Appollonius, beide
aus der Artussage, von Ermanrik und vor allem von Dietrich von Bern,
von seinen Kämpfen mit Feinden und
Riesen. Neben der norweg.
Fassung, die in einer einzigen alten Handschrift erhalten ist, giebt es noch eine altschwed. Bearbeitung
dieser Saga. Herausgegeben ist die Saga von C. R.Unger, «Saga Didriks, Konungs af Bern"
(Krist. 1853),
Andreas,
Bischof von
Ermland, geb. zu Lokau bei Seeburg in Ostpreußen,
[* 18] wurde 1849 zum
Priester geweiht, wirkte zwei Jahre als
Kaplan in Memel
[* 19] und
Tilsit
[* 20] und bezog dann zur Fortsetzung seiner
Studien die
UniversitätBreslau.
[* 21] 1853 habilitierte er sich als Privatdocent der
Theologie am Lyceum Hosianum zu
Braunsberg,
[* 22] wo er 1855 außerord. und 1858 ord.
Professor der
Kirchengeschichte und des Kirchenrechts wurde. 1871 siedelte er als Domherr nach Frauenburg über und trat als
Generalvikar an die
Spitze der Diöcesanverwaltung.
Vom Domkapitel zu Frauenburg wurde Thiel zum
Bischof von
Ermland erwählt, durch päpstl.
Breve bestätigt
und erhielt vom
Kaiser Wilhelm die landesherrliche
Anerkennung und 9. Mai die
Bischofsweihe durch
den frühern
Armeebischof Namszanowski.
Außer mehrern
Arbeiten über Preußisch-Ermländische Geschichte, für deren
Verein
(1857) und Zeitschrift (1858) Thiel Mitbegründer, Sekretär
[* 23] und 1869‒75 Präsident war, veröffentlichte er namentlich:
«Epistolae romanorum Pontificum genuinae a sancto Hilaro usque ad Pelagium II», Bd. 1 (Braunsb.
1868).
Karl, preuß. Minister, geb. 30 Jan. 1832 zu Wesel,
[* 24] studierte
in
Bonn
[* 25] und
Berlin
[* 26] die
Rechte, wurde 1851 Gerichtsauskultator, 1860 Regierungsassessor in
Arnsberg,
[* 27] verwaltete als solcher drei
Jahre lang das Landratsamt zu
Berleburg und war dann kurze Zeit Mitglied der Regierung in Koblenz.
[* 28] Nachdem
Thielen 1864 in die Eisenbahnverwaltung übergetreten war, wurde er 1867 Mitglied der Direktion der Rheinischen Eisenbahn;
als diese 1880 verstaatlicht wurde, trat Thielen als Abteilungsdirektor der Linksrheinischen Eisenbahn in den
Staatsdienst zurück
und wurde Präsident der Eisenbahndirektion
Elberfeld,
[* 29] der zu Hannover
[* 30] und zum
Minister der öffentlichen
Arbeiten ernannt.
verbündete (1807), gegen Preußen
[* 34] und Russen an der Belagerung von Danzig
[* 35] und an der Schlacht bei Friedland. Im Französisch-ÖsterreichischenKriege von 1809 suchte er sich, zum Obersten ernannt, mit einem kleinen Korps gegen die in Sachsen eingedrungenen Österreicher
zu behaupten, dann führte er bei dem westfäl.-franz. Hilfskorps die Vorhut. Im Juli 1809 wurde er Generalmajor
und im Febr. 1810 Generallieutenant. Im Feldzuge gegen Rußland führte er die sächs. Kürassierbrigade, kämpfte ruhmvoll
bei Borodino und befand sich dann fast immer im Gefolge Napoleons I. Der König von Sachsen erhob hierauf in den Freiherrenstand.
Als ihm die Verteidigung von Torgau
[* 36] übergeben wurde, machte ihm der König von Sachsen strenge
Neutralität zur Pflicht. Schon hoffte Thielmann, als der König mit Österreich
[* 37] in Unterhandlungen trat, einen Umschwung aller Verhältnisse
zur BefreiungDeutschlands
[* 38] und verhandelte deshalb mit den verbündeten Monarchen in Dresden. Als er nach der Schlacht bei Lützen
[* 39] von seinem Könige 10. Mai den Befehl erhielt, die Festung
[* 40] den Franzosen zu übergeben, legte er das Kommando
nieder, begab sich mit seinem Stabschef Aster in das Hauptquartier der Verbündeten und trat erst in russ. und, nachdem er
nach der Schlacht bei Leipzig
[* 41] die sächs. Armee neu organisiert und sie 1814 in den Niederlanden befehligt
hatte, im April 1815 in preuß. Dienste. An dem Tage von Waterloo
[* 42] hielt Thielmann bei Wavre mit dem 3. Armeekorps das franz. Korps
Grouchy fest und behauptete seine Stellung, wodurch er zum Erfolge der Hauptschlacht wesentlich mitwirkte. Thielmann wurde hierauf
kommandierender General des 7., später des 8. Armeekorps und starb als solcher in Koblenz.
-
Stadt in der belg. Provinz Westflandern, an den Bahnlinien Thielt. - Lichtervelde (17 km) und
Deynze-Ingelmünster, mit (1897) 10 339 E., von deren einst blühender Tuchindustrie noch die Tuchhalle Zeugnis ablegt.
auch Tiene, Hauptstadt des Distrikts Thiene (28 638 E.) der ital. Provinz Vicenza in Venetien, an der Seitenbahn Vicenza-Schio,
bat (1881) 6484 E., Wasserleitung
[* 43] und ein Schloß mit Fresken von Paolo Veronese;
(spr. tĭärih), Amédée Simon, franz. Geschichtschreiber, Bruder des folgenden, geb. zu Blois, widmete
sich anfangs dem öffentlichen Lehrfache und erhielt eine Professur in Besançon.
[* 48] Nach der Julirevolution von 1830 ernannte
ihn die Regierung zum Präfekten der Obern Saône. In den letzten zehn Jahren der Julimonarchie und auch
unter dem zweiten Kaiserreich versah er das Amt eines Requetenmeisters im Staatsrat. Im Jan. 1860 erfolgte seine Ernennung
zum Senator. Thierry starb zu Paris. Er ist der Verfasser eines «Résumé de l'histoire de la Guyenne»
(Par. 1828) sowie mehrerer trefflicher Arbeiten über die älteste Geschichte Frankreichs.
Dahin gehören vor allem: «Histoire des Gaulois jusqu'à la domination romaine» (3 Bde., Par. 1828 u. ö.),
«Histoire de la Gaule sous l'administration romaine» (3 Bde., ebd.
1840-46 u. ö.),
«Récits de l'histoire romaine au cinquième siècle»
(Par. 1860 u. ö.). Von seinen übrigen Arbeiten seien erwähnt: «Saint-Jérôme, la société chrétienne à Rome et l'émigration
romaine en Terre-Sainte» (2 Bde., Par. 1867 u. ö.),
«Saint-Jean Crysostome, et l'impératrice Eudoxie, la société chrétienne en Orient» (ebd. 1872; 2. Aufl. 1874).
(spr. tĭärih),Augustin, franz. Geschichtschreiber, geb. zu
Blois, trat 1811 in die Normalschule und ging 1813 als Lehrer an eine Provinzialschule. Schon 1814 kehrte er indes nach Paris
zurück, schloß sich mit Begeisterung den socialistischen Bestrebungen Saint-Simons an und veröffentlichte 1816 die Schrift
«Des nations et de leurs rapports mutuels». Jedoch
trennte er sich 1817 von Saint-Simon und wurde Mitarbeiter an dem Blatte Comtes und Dunoyers «Le
[* 49] Censeur européen».
Später beteiligte er sich an dem «Courier français», in welchem er 1820 zehn
Briefe über die franz. Geschichte veröffentlichte, die viel Aufsehen machten. Thierry erkannte,
daß der äußerliche Pragmatismus der Geschichtschreibung die histor. Wahrheit nicht an das Licht
[* 50] fördern
könne. Von tüchtigen Forschungen, einer lebhaften Phantasie und allgemeiner Bildung unterstützt, wendete er sich darum der
genetischen Methode zu, die für die Engländer wie Franzosen neu war und von letztern gewöhnlich die beschreibende oder
pittoreske genannt wird.
Seine erste bedeutende Arbeit war die «Histoire de la conquête de l'Angleterre
par les Normands» (3 Bde., Par. 1825 u. ö.;
deutsch von Bolzenthal, 2 Bde., Berl.
1830-31). In erweiterter Form ließ er hierauf die obenerwähnten Briefe u. d. T. «Lettres sur l'histoire
de France» (Par. 1827 u. ö.) erscheinen. Nach seiner fast
gänzlichen Erblindung setzte er seine Arbeiten mit Hilfe seiner Freunde fort. hielt sich 1831-35 bald
in den Bädern von Luxeuil, bald zu Vesoul bei seinem Bruder auf. Mit dessen Hilfe veröffentlichte er 1835 «Dix ans d'études
historiques». Um diese Zeit übertrug ihm Guizot die Herausgabe des «Receuil
des monuments inédits de l'histoire du tiers-état» (einer Abteilung der «Collection de documents inédits
sur l'histoire de France»). Seine Hauptmitarbeiter waren Felix Bourquelot und Charles Louandre. 1840 publizierte Thierry die
«Récits des temps
¶
wofür ihm die Akademie einen ihrer Hauptpreise zuerkannte. Ferner erschien noch «Essai
sur le histoire de la formation et des progrès du tiers-état» (Par. 1853). Er starb Seine «Œvres
complétes» erschienen in 9 Bänden (Par. 1846-47), dann in 10 Bänden (ebd. 1856-60). -
Vgl. Aubineau,
M. Aug.
Thierry, son système historique et ses erreurs (2. Aufl., Par.
1879).
1) Arrondissement im franz. Depart.Puy-de-Dôme in der Auvergne, hat auf 852 qkm (1896) 74 867 E., 6 Kantone und 41 Gemeinden.
- 2) Hauptstadt des Arrondissements Thiers, am Nordwestfuß der Monts du Forez, 400 m ü. d. M., an der Linie
Clermont Ferrand-St.
Etienne der Mittelmeerbahn, ist Mittelpunkt einer seit Jahrhunderten in dieser Gegend bestehenden Messer- und Papierfabrikation,
[* 52] besteht aus zwei getrennten Teilen, der obern Neustadt
[* 53] beim Bahnhof und dem außerordentlich malerisch gelegenen mittelalterlichen
Teil am steilen Abhang des Besset (623 m), am rechten Ufer der zur Dore gehenden Durolle mit interessanten
geschwärzten Häusern (aus dem 15. Jahrh. und weiter zurück) und hat (1896) 12 200, als
Gemeinde 17 135 E., einen Gerichtshof erster Instanz, Handels- und Schiedsgericht, Ackerbau- und Gewerbekammer, eine roman.-spitzbogige
Kirche St. Genes (11. und 12. Jahrh.), im Thal
[* 54] die im 7. oder 8. Jahrh. gegründete Kirche einer Benediktinerabtei
Le Moûtier, meist aus dem 11. Jahrh., und an den malerischen Ufern der Durolle eine Menge
industrieller Anlagen (Papiermühlen, Schleifereien u. a.). Thiers hat ein College, Spital, Theater,
[* 55] Sparkasse und außer den vielen
Messerschmieden Brauerei, Lohgerberei und Handel mit Stahlwaren, Stahl, Eisen
[* 56] und Wein. 15 km nordöstlich
bietet der 1292 m hohe Puy-de-Montoncel in den Bois Noirs eine umfassende Aussicht.
(spr. tĭähr), Louis Adolphe, franz. Staatsmann
und Geschichtschreiber, geb. zu Marseille,
[* 57] studierte zu Aix die Rechte und ließ sich dort in den
Advokatenstand aufnehmen. Bald jedoch wandte er sich der Geschichte, Politik und Nationalökonomie zu und ging 1821 nach Paris,
wo er in die Redaktion des «Constitutionnel» eintrat. Seiner Thätigkeit
gelang es in kurzer Zeit, sich zu einem Wortführer des Liberalismus emporzuschwingen, zumal seine «Histoire le la Révolution
française» (10 Bde., Par.
1823-27 u. ö.; deutsch Lpz. 1854) mit großem Enthusiasmus aufgenommen
ward.
Auf Anregung Talleyrands und im Verein mit ArmandCarrel und Odilon Barrot gründete er den orleanistisch gesinnten
«National», dessen kühnes und kräftiges Auftreten für die damalige Lage ein polit. Ereignis war. Thiers' Ausspruch «Le roi
règne, il ne gouverne pas» wurde das Schlagwort des Tages. Als am Morgen des die Ordonnanzen
(s. Frankreich, Geschichte) erschienen, entwarfen die Redacteure aller liberalen Zeitungen unter Thiers' Einfluß eine heftige
Protestation. Thiers nahm persönlichen Anteil an den Unterhandlungen mit dem Herzog von Orléans,
[* 58] die zu dessen Thronbesteigung
führten, und wurde nach der Julirevolution zum Staatsrat und Generalsekretär im Finanzministerium und
im Nov. 1830 unter Laffitte zu dessen Unterstaatssekretär ernannt.
Als Abgeordneter der Stadt Aix trat er in die Deputiertenkammer ein. Bei Laffittes Rücktritt (März 1831) blieb in seiner
Stellung unter
Périer; nach dessen Tode wurde er Minister des Innern. Ein Zerwürfnis mit seinen
Kollegen bewog ihn, im Dez. 1832 das Departement des Innern mit dem des Handels und der öffentlichen Arbeiten zu vertauschen.
Seit war er Mitglied der Akademie. Während er sich dem Hofe, trotz manches Zerwürfnisses, notwendig zu machen
wußte, unterhielt er mit der liberalen Partei ein freundliches Verhältnis.
Unter solchen Umständen blieb er in dem umgestalteten Kabinett und übernahm wieder das Ministerium des Innern.
Seine Strenge gegen die demokratischen Aufstände in Paris und Lyon
[* 59] entzweiten ihn jedoch dauernd mit seinen republikanischen
Freunden. Als im Febr. 1836 das vielfach modifizierte Ministerium abtrat, erhielt Thiers den Vorsitz
in dem neuen Kabinett mit dem Portefeuille des Auswärtigen. Als er in Spanien zu Gunsten des Liberalismus gegen die Karlisten
einschreiten wollte, scheiterte er an dem Widerstande des Königs, so daß er 26. Aug. zurücktrat und sich an die Spitze der
Opposition stellte. Am wurde er wieder Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen.
Als solcher ordnete er die Zurückführung der Leiche Napoleons I. von St. Helena an, trat der Quadrupelallianz vom 15. Juli entgegen,
wollte Mehemed Ali von Ägypten
[* 60] gegen die Türkei
[* 61] unterstützen und veranlaßte den Beschluß, Paris zu befestigen.
Da der König vor einem Kriege zurückscheute, gab Thiers seine Entlassung und führte nun bis zum Sturze des Julikönigtums
die Opposition gegen das Guizotsche Ministerium und die Politik des Königs.
Nach Ausbruch der Februarrevolution von 1848 sollte Thiers 24. Febr. mit Odilon Barrot ein neues Kabinett bilden.
Aber es war zu spät, die Republik wurde proklamiert. Thiers wurde bei den Ergänzungswahlen (4. Juni) in die Nationalversammlung
gewählt und war bald einer der Führer der sog. Burgraves (s. d.). Da er den imperialistischen PlänenLudwig Napoleons entgegenwirkte,
wurde er beim Staatsstreich verhaftet und des Landes verwiesen. Nachdem er einige Zeit in England,
der Schweiz und Oberitalien
[* 62] verlebt hatte, erhielt er 1852 die Erlaubnis zur Rückkehr nach Frankreich, wo er sich histor.
Arbeiten widmete. Seine «Histoire du Consulat et de l'Empire» (20 Bde.,
Par. 1845-62 u. ö.; deutsch von Bülau, 20 Bde., Brüss. und
Lpz. 1845-62; von Burckhardt und Steger, 4 Bde., Lpz. 1845-61)
war die Frucht dieser Muße. Bei den Neuwahlen von 1863 wurde er in Paris zum Mitgliede des Gesetzgebenden Körpers gewählt,
wo er namentlich die auswärtige Politik Napoleons III. scharf kritisierte. Diese Reden erschienen als «Discours
prononcés au Corps législatif» (Par. 1867). Als das Ministerium Ollivier im Juli 1870 die span. Thronfolgefrage
zum Vorwand gebrauchte, um den Deutsch-FranzösischenKrieg zu entzünden, war Thiers einer der wenigen, die gegen solche Überstürzung
protestierten.
Nach dem Sturze des Kaisertums übernahm Thiers (12. Sept.) eine diplomat. Mission an die Höfe von London,
[* 63] Petersburg,
[* 64] Wien
[* 65] und Florenz,
[* 66] um diese zu einer Intervention für Frankreich zu bewegen. Da er unverrichteter Sache heimkehrte, unterhandelte
er (30. Okt. bis 6. Nov.) mit Bismarck im Hauptquartier zu Versailles
[* 67] über einen Waffenstillstand, doch scheiterten die Unterhandlungen,
worauf Thiers von Tours
[* 68] aus, wohin er sich begeben hatte, einen
¶
mehr
Bericht über seine Verhandlungen veröffentlichte. Bei denWahlen zur Nationalversammlung ward Thiers von der legitimistisch-orléanistischen
Partei an 26 Orten gewählt. Nach Eröffnung der Versammlung zu Bordeaux
[* 70] wurde er 17. Febr. zum Chef der Exekutive gewählt, worauf
er als seine erste Aufgabe den Friedensschluß in Angriff nahm. In Begleitung des Ministers Favre reiste
er selbst nach Versailles und unterzeichnete 26. Febr. die Friedenspräliminarien. Kaum war auf seinen Vorschlag10. März der Beschluß
gefaßt, den Sitz der Nationalversammlung nach Versailles zu verlegen, als 18. März der Aufstand der Commune ausbrach (s. Paris).
Seiner Entschlossenheit gelang es, die Erhebung örtlich zu beschränken und sie durch etwa 120000 Mann
unter dem Marschall Mac-Mahon in kurzer Zeit niederzuwerfen.
Am10. Mai wurde der endgültige Friede mit Deutschland in Frankfurt
[* 71] a. M. unterzeichnet. Thiers' nächstes Ziel war nun, das Land
möglichst bald von der Occupation zu befreien und die Kriegskosten aufzubringen, was ihm noch vor der
im Frieden festgesetzten Zeit gelang. Am 31. Aug. wurde er zum Präsidenten der Französischen Republik auf drei Jahre ernannt.
Das Wichtigste, was unter seiner Präsidentschaft geschaffen wurde, war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.
Die monarchischen Parteien aber sahen sich durch Thiers getäuscht, da dieser an die Nationalversammlung, als
sie wieder zusammentrat, eine Botschaft richtete, worin er die endgültige Proklamierung der Republik und verschiedene
Verfassungsänderungen befürwortete. Die gesamte monarchisch-klerikale Rechte beschloß daher seinen Sturz. Da Thiers bei der
Neubildung des Kabinetts die Minister ausschließlich aus den Reihen der Republikaner nahm, so brachten die
Monarchisten 19. Mai eine Interpellation über die Bildung des Ministeriums ein und setzten nach heftigen Debatten23. Mai mit 360 gegen 344 Stimmen
ein Tadelsvotum gegen das Ministerium durch.
Darauf zeigte Thiers seinen Rücktritt von der Präsidentschaft an. Mit 368 gegen 339 Stimmen wurde seine Demission genehmigt.
Aufs neue zog sich Thiers vom öffentlichen Leben zurück und betrat nur noch einmal die Rednerbühne, um gegen
die Herabsetzung der militär. Dienstzeit zu sprechen. Die Wahl zum Senator lehnte er ab und nahm die eines Abgeordneten
des 19. Pariser Wahlbezirks 20. Febr. an. Nach der Einsetzung des Broglieschen Ministeriums unterschrieb
er das von Gambetta verfaßte Manifest der 363 an die Nation. Thiers starb zu St. Germain-en-Laye. Statuen von ihm wurden
zu Nancy
[* 72] 1879 und zu St. Germain-en-Laye 1880 enthüllt. Thiers' «Discours
parlamentaires» (15 Bde., Par.
1879-83) wurden von Calmon veröffentlicht.
Vgl. Laya, Études historiques sur la vie privée, politique et litteraire de Monsieur
[* 73] Thiers, 1830-46
(2 Bde., Par. 1846);
ders., Histoire populaire de Monsieur Thiers (ebd. 1872);
Richardet, Histoire de la présidence de Thiers (ebd.
1875);
Eggenschwyler, Thiers' Leben und Wirken (Bern
1878);
J. Simon, Le gouvernement de Monsiseur Thiers (2 Bde.,
Par. 1878);
Auch bei der Konkurrenz um das deutsche Reichstagsgebäude in Berlin (1883) erhielt sein Plan einen ersten Preis, doch wurde
der ebenfalls mit einem ersten Preise gekrönte Entwurf Wallots ausgeführt. 1881 bereiste er Konstantinopel
[* 81] und Kleinasien, 1884 Ägypten und Syrien. Noch sind von seinen Bauten zu nennen: die Renovierung des alten Rathauses zu Lindau
[* 82] (1885-87), mehrere Wohn- und Geschäftshäuser in München, der Umbau des Kunstvereinsgebäudes (1890), das neue Justizgebäude
(begonnen 1891). Gemeinschaftlich mit dem Bildhauer W. Rümann schuf er einen Brunnen
[* 83] zu Lindau (1884),
das Monument der bei Wörth
[* 84] gefallenen Bayern
[* 85] (1889), den Luitpoldbrunnen zu Landau
[* 86] i. Pf. und andere Denkmäler. In Gemeinschaft
mit Fr. Habich bewerkstelligte er 1894 den Umbau und die Erweiterung des von Albert Schmidt erbauten Löwenbräukellers in
München.
Friedr. Wilh., Philolog, geb. zu Kirchscheidungen bei Freyburg a. d. U., studierte
in Leipzig und Göttingen und erhielt hier eine Lehrerstelle am Gymnasium, nachdem er sich 1808 bei der Universität habilitiert
hatte. 1809 als Professor an das neu eingerichtete Gymnasium zu München berufen, wurde er der Begründer der philol. Studien
in Bayern (praeaceptor Bavariae). Bei den damaligen, von Christoph von Aretin ausgehenden Streitigkeiten und
Parteiungen gegen die angestellten Ausländer wurde Thiersch wegen seiner Schrift«Über die angenommenen Unterschiede zwischen Süd-
und Norddeutschland» (Lpz. 1810) heftig angefeindet, und es ward sogar ein Mordversuch auf ihn gemacht.
Das von ihm gestiftete Philologische Institut wurde 1812 mit der Akademie und bei Verlegung der Universität
nach München mit dieser vereinigt. Wie er sich 1813 bei dem Befreiungskämpfe mannigfach thätig zeigte, so bewies er auch
die wärmste Teilnahme für die Wiedergeburt Griechenlands und trug besonders während seines Aufenthalts in Griechenland 1831 und 1832 dazu
bei, dort eine günstige Stimmung für Deutschland, vornehmlich für Bayern, hervorzurufen.
Hierauf bezieht sich das wichtige Werk «De l'état actuel de la Grèce et des moyens d'arriver à sa restauration» (2 Bde.,
Lpz. 1833). 1837 rief er bei dem Universitätsjubiläum zu Göttingen die regelmäßigen Versammlungen
der Schulmänner und Philologen ins Leben. 1848 wurde er Präsident der BayrischenAkademie der Wissenschaften.
Er starb Seine wissenschaftlichen Bestrebungen bekunden unter anderm die «Acta philologorum Monacensium», Bd.
1-3 (Münch. 1811-26),
die «Griech. Grammatik, vorzüglich des Homerischen Dialekts» (3. Aufl., Lpz.
1828),
von der ein Auszug als «Schulgrammatik» (4. Aufl., ebd.
1854) erschien; ferner die Bearbeitung des Pindar (2 Bde., ebd. 1820) und die Schrift«Über die Epochen
der bildenden Kunst unter den Griechen» (2. Aufl., Münch. 1829). Vielseitiges Interesse bietet seine «Allgemeine Ästhetik
in
¶
mehr
akademischen Lehrvorträgen» (Berl. 1846). Ferner schrieb er: «Über gelehrte Schulen, mit besonderer Rücksicht auf Bayern»
(3 Bde., Stuttg. und Tüb.
1826-37) und «Über die neuesten Angriffe auf die Universitäten» (Stuttg. und Tüb. 1837). Sein Schulplan
für die bayr. Gymnasien und lat. Schulen (mit Schelling 1829 entworfen)
kam nur in verkümmerter Gestalt zur Ausführung. Streit entzündete Thiersch durch die Schrift«Über den gegenwärtigen
Zustand des öffentlichen Unterrichts in den westl. Staaten von Deutschland, in Holland, Frankreich und Belgien»
[* 88] (3 Bde., Stuttg.
und Tüb. 1838). - Vgl. Heinr. Thiersch, Friedrich T.s Leben (2 Bde., Lpz.
1866).
Sein BruderBernhard Thiersch, geb. zu Kirchscheidungen, wurde 1817 Oberlehrer
zu Gumbinnen,
[* 89] 1818 zu Lyck
[* 90] in Ostpreußen, 1823 am Gymnasium zu Halberstadt,
[* 91] 1832 Direktor des Gymnasiums zu Dortmund.
[* 92] Er
starb emeritiert zu Bonn Als Philolog ist er durch Schriften über die Homerische Frage sowie durch seine mit F.
Ranke begonnene Ausgabe des Aristophanes, Bd. 1 u. 6 (Lpz. 1830), bekannt. Er ist der Dichter des «Preußenliedes».
Heinrich Wilh. Josias, prot. Theolog, später Anhänger des Irvingianismus (s. Irvingianer), Sohn von Friedr.
Wilh. Thiersch, geb. in München, studierte erst Philologie in München, dann Theologie in Erlangen,
[* 93] wurde 1838 Lehrer
an der Missionsanstalt zu Basel,
[* 94] 1839 Repetent und 1840 Privatdocent in Erlangen, 1843 Professor der Theologie in Marburg. Er neigte
sich mehr und mehr den Bestrebungen der apostolisch-kath. Kirche zu und trat, nach einer Reise nach England, 1850 von seiner
theol.
Professur zurück. Bis 1864 lehrte er in der philos. Fakultät zu Marburg, ging dann als «apostolischer
Hirt für Süddeutschland und die Schweiz» nach München, von wo er 1868 nach Augsburg
[* 95] und 1875 nach Basel
übersiedelte; hier starb
er Unter seinen Schriften sind hervorzuheben: der gegen die Baursche Kritik gerichtete «Versuch zur Herstellung
des histor. Standpunktes für die Kritik der neutestamentlichen Schriften» (Erlangen 1845),
Unter Thiersch' wissenschaftlichen Arbeiten
sind hervorzuheben: eine Untersuchung über die Entwicklung der innern
Genitalien, die für die Lehre vom Hermaphroditismus von Einfluß wurde (in Rubners «Mediz. Zeitschrift»,
Bd. 1, 1852);
eine Experimentaluntersuchung über die Infektionsfähigkeit der Cholera, über die er in der 1867 von der Französischen Akademie
gekrönten Schrift «Infektionsversuche an Tieren mit dem Inhalt des Choleradarms» (Münch. 1856) berichtete;
ferner sein Werk «Der Epithelialkrebs namentlich der Haut»
[* 97] (Lpz. 1865, mit Atlas)
[* 98] und seine Arbeit in Pithas und Billroths «Handbuch
der allgemeinen und speciellen Chirurgie» (Stuttg. 1867), über die feinern anatom.
Veränderungen verwundeter Weichteile, sowie verschiedene Abhandlungen besonders auf dem Gebiete der plastischen Chirurgie.
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Ludw., Maler, geb. zu München, jüngster Bruder der beiden vorigen, machte seine Studien auf der
MünchenerAkademie, erst als Bildhauer unter Schwanthaler, später als Maler unter Julius Schnorr und Karl Schorn. Während eines
dreijährigen Aufenthalts in Rom
[* 99] (1849-52) wandte er seine Aufmerksamkeit besonders den ältern Meistern,
namentlich auch den alten Mosaiken in den KirchenRoms zu. Im Herbst 1852 ging er nach Athen,
[* 100] wo er eine Professur der Malerei
an der Kunstschule erhielt. 1855 in die Heimat zurückgekehrt, folgte er 1856 einem Rufe nach Wien, wo er den Plafond
der griech. Kirche am Fleischmarkt mit Fresken schmückte; 1860-64 führte er zu Petersburg in den Kapellen der Paläste der
GroßfürstenMichael und Nikolaus in stereochromischer Manier umfangreiche Gemälde auf Goldgrund aus.
Seit 1864 zu München lebend, malte er: Charon
[* 101] der Seelenführer, Triumphzug des Bacchus, Klage der Thetis um Achilles (Baron
Sina in Wien), Altarbilder für die prot. Kirchen in Kempten
[* 102] und München und Predigt Pauli in Athen (Rathaus zu Athen), Alarich
bei einem Gastmahl in Athen (jetzt in Neuyork).
[* 103] 1880 erhielt Thiersch den Auftrag, für die neue griech. Kirche in London mehrere Gemälde
zu malen, darunter das Ölbild Christus als Kinderfreund. Hierauf folgten die Ölgemälde Sieg Christi
über die Macht der Finsternis, Orpheus
[* 104] von Eurydice getrennt, Christus auf dem Leidenswege und andere Bilder mytholog. Inhalts. 1891 erhielt
er den Auftrag, für die neu erbaute griech. Kirche in Paris die Ikonostasbilder zu malen. 1893 malte er einen segnenden Christus
für die prot. Kirche in Reichenhall, 1894 eine Himmelfahrt Christi für die Kapelle des syr. Waisenhauses
in Jerusalem
[* 105] und 1895 Christus im Gebet zu Gethsemane für die prot. Markuskirche in München. Thiersch lebt in München.
Dorf im KreisRügen des preuß. Reg.-Bez. Stralsund,
[* 106] auf der Halbinsel Mönchgut, hat
(1895) etwa 200 evang. E., Postagentur, Telegraph, Dampferverbindung mit Stralsund im Sommer, Lotsenstation, Rettungsstation
für Schiffbrüchige und wird als Seebad besucht.
Östlich die ins Meer abfallende Landspitze Thiessower Höwt, nordwestlich
der Große Zickersee mit Winterhafen.
(auch Dietmar oder Dithmar geschrieben), Bischof von Merseburg,
[* 107] deutscher Chronist, geb. 25. Juli 975,
Sohn des Grafen Siegfried von Walbeck, der ein naher Verwandter des Kaisers¶
mehr
war, und einer geborenen Gräfin von Stade.
[* 109] Thietmar erhielt eine sorgfältige Erziehung in der Klosterschule zu Quedlinburg,
[* 110] dann
im Johanniskloster zu Magdeburg,
[* 111] kam 991 in das Domkapitel zu Magdeburg und wurde 1002 Propst des von seinem Großvater gestifteten
Klosters Walbeck an der Aller. 1009 wurde er zum Bischof von Merseburg geweiht. Er starb Thietmar hat
sich große Verdienste um das Bistum Merseburg erworben; wertvoll ist sein «Chronicon» (am besten hg. von Fr. Kurze in den
«Scriptores rerum Germanicarum», Hannov. 1889;
deutsch von Laurent; 2. Aufl. von Strebitzki, Lpz. 1892), das, ausgehend
von einer Beschreibung der Geschicke Merseburgs, in acht Büchern die Geschichte von den ZeitenHeinrichs
I. bis zu Ende Aug. 1018, zuletzt fast in Art eines Tagebuchs erzählt und in T.s eigenem Entwürfe erhalten ist. Das Werk
ist die Hauptquelle für die Geschichte der slaw. Gegenden jenseit der Elbe. -
Ludwig Gustav von, preuß. General und Staatsmann, geb. zu Dresden, trat 1795 in den preuß. Militärdienst,
wurde 1804 Adjoint im Generalstabe, 1811 Chef des Generalstabes beim Kommando in Pommern,
[* 112] 1812 Major und
Direktor der 1. Division im Allgemeinen Kriegsdepartement (des spätern Militarkabinetts), machte in der Umgebung des Königs
die Feldzüge mit und wurde 1815 Oberst; besondere Verdienste erwarb er sich dann um die Friedensorganisation der Landwehr
als Inspecteur der Landwehr im Reg.-Bez. Potsdam.
[* 113] 1818 wurde Thile Generalmajor, 1829 Generaladjutant, 1830 Commandeur
der 6. Division, dann interimsweise Kommandant von Erfurt
[* 114] und Torgau, 1832 Generallieutenant, 1838 Mitglied des Staatsrats und
Präses der Generalordenskommission. 1841 ernannte ihn Friedrich Wilhelm IV. zum Geh. Staatsminister und übertrug ihm die
Verwaltung des Staatsschatzes und der Münzen.
[* 115] Einflußreich wurde Thile vor allem durch den ihm übertragenen
Immediatvortrag in allgemeinen Landesangelegenheiten. Namentlich in kirchlichen Fragen, in denen Thile auf orthodox-pietistischem
Boden stand, folgte der König seinem Rate. 1844 wurde Thile General der Infanterie, 1848 trat er zurück und starb in
Frankfurta. O.
s. Arsenpantasulfid ^[richtig: Arsenpentasulfid]. ^[= As2S5, entsteht als gelbe glasige Masse bei Zusammenschmelzen von Arsentrisulsid mit Schwefel ...]
eine durch Einführung von Schwefel in die Kohlenwasserstoffe der Mineralöle dargestellte
Substanz, die in ihren pharmaceutischen Eigenschaften und Wirkungen vollständig dem Ichthyol (s. d.) entspricht und gleich
diesem äußerlich bei Hautkrankheiten
[* 116] Verwendung findet.
Vor dem Ichthyol besitzt es den großen Vorzug, daß es vollständig
geruchlos ist.
(spr. tĭongwil), franz. Name von Diddenhofen (s. d.). ^[= Der Name ist griech. Ursprungs; die einheimische Benennung war Kemet (kopt., Keme in oberägypt., ...]
die zweiwertig wirkende Gruppe SO als Radikal des Thionylchlorides, SOCl2, und der sog.
Sulfinverbindungen der organischen Chemie, z. B. des Diäthylsulfins, (C2H5)2SO, der Äthylsulfinsäure, C2H5.SO.OH,
u. a. m.
eine chem. Verbindung von der Zusammensetzung C4H4S und der Konstitutionsformel
^[img]
Es findet sich im Steinkohlenteer und kann auch durch Synthese dargestellt werden. Die vier Wasserstoffatome
des Thiophen können durch andere Atome oder Atomgruppen ersetzt werden, wodurch eine sehr große Zahl von Thiophenderivate entsteht.
Je nachdem die Substitution des Wasserstoffs an den mit α oder β bezeichneten, durch ihre Stellung zum Schwefelatom unterschiedenen
Kohlenstoffatomen erfolgt, bilden sich verschiedene isomere α- oder β-Thiophenderivate.
Die merkwürdigste Eigenschaft des von V. Meyer 1883 entdeckten Thiophen ist seine große Ähnlichkeit
[* 117] mit dem Benzol. Es ist eine
farblose, benzolähnlich riechende Flüssigkeit, die fast den gleichen Siedepunkt (84°) besitzt wie Benzol (80,4°). Auch
in seinem chem. Verhalten ist es dem Benzol so ähnlich, daß es zu den aromatischen Verbindungen gezählt
werden muß. Es unterscheidet sich vom Benzol durch die sog. Indopheninreaktion, indem es (und seine Derivate) beim Mengen
mit Isatin und konzentrierter Schwefelsäure
[* 118] eine intensiv dunkelblaue Färbung giebt.
Diese Reaktion fehlt dem ganz reinen Benzol; man hielt sie früher für eine charakteristische Eigentümlichkeit des Steinkohlenteerbenzols,
bis man erkannte, daß das letztere immer einige Prozente Thiophen enthält. Das Thiophen wird
von verschiedenen Reagentien leichter angegriffen als das Benzol. So kann man es dem Steinkohlenteerbenzol entziehen, wenn
man dieses mit konzentrierter Schwefelsäure schüttelt, wobei zuerst das in Sulfosäure übergeführt wird, die von dem unveränderten
Benzol durch Wasser getrennt werden kann.
Die Thiophensulfosäure läßt sich durch Destillieren mit Wasserdämpfen wieder in freies Thiophen und Schwefelsäure
zerlegen. Die sonderbare Beziehung des Thiophen zum Benzol zeigt sich auch bei den Derivaten, die man zum Teil auch genau so wie die
Benzolderivate darstellen kann. So findet sich im Toluol aus SteinkohlenteerThiotolen oder Methylthiophen,
C4H3S.CH3, mit fast dem gleichen Siedepunkt wie Toluol, im Xylol ist Thioren (Dimethylthiophen), C4H2S(CH3)2,
enthalten. Auch die α-Thiophencarbonsäure, C4H3S.COOH, ist der Benzoesäure in Aussehen, Geruch und Schmelzpunkt höchst
ähnlich. Außerdem zeigt das Thiophen mancherlei Beziehungen zu den ähnlich konstituierten VerbindungenFurfuran und Pyrrol. Eine
praktische Bedeutung besitzen die Thiophenderivate bisher noch nicht.
Schwefelsubstitutionsprodukt des Resorcins, wird durch Einführung von Schwefel in eine kochendheiße
Lösung von Resorcin in Natronlauge gewonnen. Es stellt ein schwach gelbliches oder gelblichgraues geruchloses, in Wasser
unlösliches Pulver dar, welches als antiseptisches Wundheilmittel an Stelle des Jodoforms sowie gegen chronische Hautkrankheiten
benutzt wird.
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