Titel
Brief
jede an eine bestimmte
Person gerichtete schriftliche Mitteilung, die offen oder unter
Verschluß statt mündlicher
Botschaft gesandt wird. Im
Altertum (zunächst bei Griechen und
Römern) pflegte man vorzugsweise
Wachstäfelchen, tabellae, zu gebrauchen, woher auch der Briefbote
, tabellarius, seinen
Namen erhielt. Sie waren
je auf einer Seite beschrieben und so zusammengefaltet, daß die nicht beschriebenen Seiten (gewöhnlich waren es nur zwei)
nach außen zu stehen kamen, und hatten einen erhöhten Rand, sodaß das Geschriebene oder Eingeritzte hohl lag und nicht
verwischen konnte.
Europa. Fluß- und Gebi

* 3
Europa.
Das
Siegel wurde auf die
Stelle gedrückt, wo die mit einem Bindfaden kreuzweise gebundenen Täfelchen
verknotet waren.
Beim Öffnen der Briefe
wurde das
Siegel genau geprüft. Auf der Außenseite des «Briefes»
stand die
Adresse, übrigens schrieb man schon zu
Ciceros
Zeiten außerdem auch auf Papier (Papyrus), das schon seit
Alexander dem
Großen
in Europa
[* 3] bekannt und bald einheimisch war. In diesem Fall wurden die zusammengefalteten
Blätter mit
einem
Faden
[* 4] durchnäht und die
Enden desselben geknüpft und gesiegelt. An Entfernte schrieb man dann gewöhnlich auf Papier,
an Einheimische auf Täfelchen; ob auch auf
Pergament (das 185
v. Chr. erfunden wurde) ist ungewiß.
Die Sklaven, welche als Sekretäre die Korrespondenz der Herren besorgten, hießen bei den
Römern ab
epistulis, a manu oder amanuenses. Auch das Schreiben in
Chiffren war den
Römern bereits bekannt. So setzte Julius
Cäsar in
seinen Geheimschreiben immer den vierten
Buchstaben von dem, den er eigentlich hätte setzen sollen,
Augustus immer den folgenden.
Das
Briefgeheimnis war den Alten heilig, aber auch
Beispiele des
Mißbrauchs kommen vor. Was die äußern
Formen betrifft, so begann und schloß der Grieche seine Brief
mit einem Glückwunsch («sei
gesund»),
der Römer [* 5] ähnlich, z. B.: Cajus Tito suo salutem dat (dicit)", oder nur «Cajus Tito salutem», wörtlich: «Cajus (sagt seinem) Titus Heil»; beide Formeln stets abgekürzt; hier also C. T. S. D. oder C. T. S., und zum Schluß «Vale» oder «Cura, ut valeas», oder «fac valeas» («lebe wohl»).
Im Mittelalter war bis zum 13. Jahrh. ausschließlich
Pergament in Gebrauch, das aber im 14. Jahrh. fast ganz vom Papier verdrängt
wurde. Der
Begriff, welcher mit dem Wort Brief
verbunden wurde, war bis ins 16. Jahrh.
völlig der von
Urkunde (s. d.), woran noch die
Ausdrücke
Adels-, Fracht-,
Kauf-,
Lehr-, Schuldbrief
,
Briefadel und verbriefen
erinnern; jetzt bedeutet es die persönliche Mitteilung im Gegensatz zu dem offiziellen Schreiben. Wie die Bezeichnung «Courier»,
so beruht auch der
Ausdruck «Brief»
für
Zeitung auf dem Umstand, daß die ersten
Zeitungen (s. d.) aus
Brief
entstanden.
Schweiz

* 6
Schweiz.
Geschworner Brief
war in der
Schweiz
[* 6] die Bezeichnung der alten Stadt- und Landschaftsverfassungen, während in der jetzigen Bedeutung
im Mittelalter mit Missive, später Sendschreiben, bezeichnet wurde. Dem Mittelalter dienten zu
Vorlagen für Brief die Brief
Ciceros
und
Alkuins, für amtliche Schreiben Formelbücher, deren sich viele erhalten haben (s.
Briefsteller). Diakon
Alberich von
Monte-Cassino (in der ars dictandi) unterschied 5 Hauptbestandteile des Brief: 1) salutatio
(Begrüßung), 2)
captatio benevolentiae (s. d.), 3) narratio (sachlicher
Inhalt), 4) petitio (Bitte um
Erhaltung des Wohlwollens),
5) conclusio
(Schluß). Diese 5
Teile erhöhten sich in der Zopfzeit des 17. Jahrh. bis zu 12
Teilen. Die
jetzige Postkarte (s. d.) hat wesentlich dazu beigetragen, alle diese Redewendungen
einzuschränken und Kürze des
Ausdrucks in den Briefstil einzuführen.
Die Mohammedaner beginnen ihre in der Regel mit einer Anrufung Gottes und schließen dieselben mit dem Salam. Der Unterschrift wird gewöhnlich das Siegel des Schreibers in einer unserer Buchdruckerschwärze ähnlichen dicken Tinte beigedrückt. In Brief, die sich über den alltäglichen Geschäftsstil erheben, wird gern eine gehobene, in gereimter Prosa sich bewegende Ausdrucksweise angewendet. Dementsprechend hat sich eine reiche Briefstellerlitteratur (arabisch: Inschâ) entwickelt.
Der Verschluß des Brief wurde seit den ältesten Zeiten durch Bienenwachs oder eine Art Siegelerde hergestellt, in der Siegelringe abgedruckt wurden (Siegelringe der Pharaonen, Sphinx [* 7] des Augustus). Im 15. Jahrh. wurde Siegellack aus China [* 8] eingeführt; das erste Siegel von Lack findet sich an einem Schreiben aus London [* 9] an den Rheingrafen Ph. Fr. von Daun. 1624 kamen in Speyer [* 10] die Oblaten auf (s. Siegelkunde). Die Briefumschläge (Couverts) wurden 1820 (von Brewer) in England erfunden.
Brief

* 24
Seite 53.529.Der Briefverkehr hat mit der Entwicklung des Postwesens zu einer Weltanstalt einen gewaltigen Umfang angenommen; es entfielen (1890) auf einen Einwohner im Durchschnitt aufgegebene und Postkarten: in Deutschland [* 11] 25,8, Belgien [* 12] 21,3, Bulgarien [* 13] 1,1, Dänemark [* 14] 20,3, Frankreich 18,5, Griechenland [* 15] 2,9, Großbritannien [* 16] und Irland 41,2, Italien [* 17] 7,4, Luxemburg 14,8, Niederlande [* 18] 20,4, Schweden [* 19] und Norwegen 11,1, Österreich [* 20] 17,9, Ungarn [* 21] 7,0, Portugal [* 22] 5,8, Rumänien 2,9, Rußland 1,8, Schweiz 32,4, Serbien 2,6, Spanien 6,1, Türkei [* 23] 0,4. ¶
mehr
Frühzeitig bildete sich die Briefschreibung (Epistolographie) zu einer eigenen litterar. Gattung aus, sei es nun, daß die Brief von ihren Verfassern sofort mit der Absicht der Veröffentlichung geschrieben, sei es, daß sie erst von andern gesammelt wurden. Ihr eigentümlicher Wert liegt darin, daß Brief einen besonders tiefen und richtigen Einblick in das Gefühls- und Geistesleben des Schreibenden ermöglichen, wertvolle Materialien zur Kenntnis der Geschichte und Sitte ihrer Zeit liefern und den unbefangenen Konversationsstil kennen lehren.
Rom

* 25
Rom.Aus der klassischen Zeit des griechischen Altertums sind zwar dem Namen nach eine Menge von Brief bedeutender Männer (Heraklit, Pythagoras, Themistokles, Plato, Sokrates, Isokrates, Aristoteles, Demosthenes) erhalten, aber sie sind, wenn auch aus dem Altertum stammend, wohl samt und sonders unecht. Echt sind dagegen, aus späterer Zeit, die Brief des Kaisers Julianus Apostata, des Libanius, des Bischofs Synesius, echt ferner, wenn auch der Inhalt reine Fiktion und die Briefform eine bloße Geschmackssache der Verfasser ist, die des Alciphron, des Aristänetus und des Theophylaktus von Simocatta. In Rom [* 25] entwickelte sich die Epistolographie, durch den ältern Cato eigentlich erst zu einer selbständigen Stellung erhoben, namentlich in polit.
Richtung (Cäsar, Cicero). Angesehene Männer Roms ließen ihre in Abschriften verbreiten, um sich zahlreiche Anhänger für polit. Zwecke zu erwerben. Einen hohen Grad von feingebildetem Ton (Urbanität) und einen bei aller Natürlichkeit sorgfältigen Stil zeigen Ciceros Brief. Nach dem Fall der röm. Republik diente die Briefform vielfach der Erörterung allgemeiner Probleme in Leben und Wissenschaft. Hierher gehören die Brief des Philosophen Seneca, Plinius des Jüngern u. a., von spätern die des Symmachus, Ausonius, Eidonius, Cassiodor.
Christliche Schriftsteller erörterten Glaubenslehren (Hieronymus, Augustin, Innocentius, Zosimus, Bonifacius, Cölestin, Sixtus, Leo I., Gregor I.), Alkuin und Lupus zu Karls d. Gr. Zeit wissenschaftliche Gegenstände in Brief. Auch poet. Episteln (s. d.) waren beliebt (Paulinus, Fortunatus). In der folgenden Blütezeit der klösterlichen Gelehrsamkeit ward auch die Briefschreibung viel gepflegt und zur Kunst erhoben. Eine berühmte lat. Briefsammlung des 13. Jahrh. war die des Kanzlers Friedrichs II., Petrus de Vinea (s. d.). Mit der Wiederbelebung der Wissenschaften durch den Humanismus nahm die Behandlung wissenschaftlicher Fragen in Briefform neuen Aufschwung. Anfangs schrieb man noch lateinisch (Vives, J. Lipsius, Reuchlin, Erasmus, Celtis, Mutian, Morhof u. a.). In absichtlich barbarischem Latein sind die satir. Epistolae obscurorum vivorum" (s. d.) abgefaßt.
In der Muttersprache schrieben zuerst die Italiener Brief von litterar. Wert, namentlich Annibale Caro, Mauritius, Dolce, Pietro Aretino, Bernardo Tasso, denen unter den Neuern besonders Gasp. Gozzi, Algarotti, Metastasio und Foscolo würdig zur Seite traten. Vortreffliches leisteten vor allen die Franzosen im eleganten und leichten Briefstil, so Pascal, Frau von Sévigné, Racine, Rousseau, Montesquieu («Lettres persanes»),
Spottiswoode - Sprache

* 26
Sprache.P. L. Courier, Merimeé («Lettres à une inconnue») und Madame de Rémusat. Unter der englischen Brieflitteratur ragen hervor die Brief von Swift, Pope, Hughes, William Temple, Addison, Locke, Bolingbroke, Lord Chesterfield, Shaftesbury, der Lady Montague, Richardson, Sterne und Moore; aus polit. Gründen machten großes Aufsehen die sog. Juniusbriefe. Deutschland kannte im 13. und 14. Jahrh. nur gereimte in deutscher Sprache; [* 26] die einzige erwähnenswerte Ausnahme bildet der Briefwechsel der Mystiker (Heinr. von Nördlingen, [* 27] Margarete Ebner).
Das deutsche Wort im Prosabrief tritt zuerst als Protest gegen das Latein der Fürstenhöfe im geschäftlichen Wechselverkehr der Städte auf, die ihre Handelsbriefe, gegenseitigen Verträge u. s. w. stets deutsch abfaßten. Im 15. und 16. Jahrh. nimmt der deutsche Brief großen Aufschwung (Luther), aber zumeist der Privat- und Geschäftsbrief ohne litterar. Anspruch; die Gelehrten bevorzugen noch bis ins 17. Jahrh. das Latein. Die Freien Reichsstädte senden seit der Reformation auch dem Kaiser und den Fürsten keine lateinischen Brief mehr, ja, die Mächtigern verlangen von erstern geradezu «das deutsche Wort».
Basel (Stadt)

* 30
Basel.Mit den Wappenzeichen verschiedener niederdeutscher Städte geschmückt sind die mannigfachen Briefbogen, die Nikolaus Glockendon in der von ihm um 1524 gemalten Bibel [* 28] (Bibliothek Wolfenbüttel) [* 29] nach zeitgenössischen Originalen dargestellt hat. Das Abzeichen von Basel [* 30] trägt an Hut [* 31] und Kleid der Bote, der in einem Holzschnitt zu S. Brant die närrische Botschaft in Gestalt eines versiegelten Brief bringt. Das Wachstum des Exporthandels und die Zunahme der Geschäftsreisen bilden den Briefstil weiter; zugleich wird das Briefwechseln unter den Gebildeten immer allgemeiner.
Freilich ringen die meisten noch arg mit dem Ausdruck; auch hinderte die Mode des franz. Briefschreibens lange die Entwicklung eines gewandten deutschen Briefstils. Erst um 1700 begann auch in Deutschland eine wirkliche nationale Brieflitteratur. Die Zopfzeit mit ihrem unnatürlichen und namentlich durch die schwerfälligen Titulaturen steifen Briefstil, dem sich freilich gesunde Naturen, wie die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans, [* 32] glücklich entzogen, wurde zuerst von Gottscheds Gattin, dann von Gellert bekämpft.
Seit der Mitte des 18. Jahrh. wird mit Brief vielfach ein sentimentaler Kultus getrieben. Wir besitzen ausgezeichnete Brief von Lessing, Winckelmann, Klopstock, Wieland, Weiße, Jacobi, Garve, Abbt, Glenn, Rabener, Bürger, Kant, Lichtenberg, Johs. von Müller, Goethe, Schiller, G. Förster, K. J. Weber, Jean Paul, Alexander und Wilh. von Humboldt, F. von Raumer, Rahel, Bettina, den Schlegel, den Brüdern Grimm, Schleiermacher, Stifter, R. Wagner, Bismarck u. a. Auch Gelehrte behandelten wiederum wissenschaftliche Gegenstände in Brief, so lieferten Ruhnken, Wyttenbach, Sauppe («Epistola critica»),
J. Grimm («Sendschreiben an K. Lachmann, über Reinhart Fuchs»), [* 33]
Brief (Börsenausdruck)

* 35
Seite 53.530.H. von Friesen («Shakspeare-Studien») u. a. in Briefform Beiträge zur litterar. Kritik, Liebig «chemische», Vogt «physiologische» und «zoologische», Lessing, Raumer und Böckh «antiquarische», Erdmann «psychologische» Brief. Die vielen Briefsammlungen aus dem 18. Jahrh. dienen ähnlich wie die Memoiren (s. d.) des 17. dem Forscher auf den Gebieten der Litteratur- und der Kulturgeschichte, namentlich bei monogr. Betrachtungen, oft als erste und zuverlässigste Quelle. [* 34] Als Sammlungen obgenannter Art, die für die Litteraturgeschichte wichtig sind, seien z. B. genannt: die Brief von und an Goethe und Schiller, die G. A. Bürgers (hg. von Strodtmann), die an Tieck (hg. von Holtei), namentlich auch «Aus klassischer Zeit. Wieland und Reinhold. Beiträge zur Geschichte des deutschen Geisteslebens im 18. Jahrh., hg. von R. Keil» (2. Aufl., Lpz. 1890). ¶
mehr
Vielfach wurde in der Romanlitteratur von dem Brief Gebrauch gemacht, zuerst von Richardson, den Rousseau, Rétif de la Bretonne, Musäus, Hermes, [* 36] Sophie de la Roche, Tieck nachahmten, auch Goethes «Werther», durch den wieder Foscolo zu den «Ultime lettere di Jacopo Ortis» angeregt wurde. Jetzt ist der Briefroman in Abnahme gekommen; zu erwähnen sind die von Dito und Idem, d. i. Carmen Sylva und Mite Kremnitz: «Astra», «Feldpost» und «Aus zwei Welten» (Bonn [* 37] 1886).
Die als Quellen für die ältere deutsche Geschichte wertvollen Brief sind in den «Monumenta Germaniae historica» in einer besondern Abteilung gesammelt.
Vgl. W. Roberts, History of letterwriting from the earliest period to the 5th century (Lond. 1843);
Steinhausen, Geschichte des deutschen Brief (2 Bde., Stuttg. 1889-91).
Auch die epistolarische Litteratur des Morgenlandes ist sehr reichhaltig. Zu besonderer Blüte [* 38] ist sie bei Arabern und Türken gediehen, wurde aber auch bei den Assyrern und Babyloniern gepflegt. (S. auch Briefgeheimnis, Briefporto, Briefsteller.)