Titel
Ackerbau
oder
Agrikultur, derjenige
Teil der
Landwirtschaft (s. d.), der sich speciell mit der Bodenbestellung behufs
des Anbaues der Nutzgewächse beschäftigt. Nicht selten begreift man unter Ackerbau
das Gebiet
der gesamten ökonomischen Bodenproduktion, aber mit Unrecht; der
Begriff dehnt sich nicht weiter aus als auf den
Acker, das
pflugfähige oder urbare Erdreich. Der Ackerbau
ist älter als die
Landwirtschaft im weitern
Sinne, und wahrscheinlich jünger als
die Viehzucht.
[* 3] Der
Jäger ward zum Nomaden, dieser erst zum Ackerbauer
, sobald er sich an feste Wohnsitze
bannte. Die
Mythen aller
Völker verherrlichen diesen Übergang in
Allegorien, und zugleich giebt die Mythologie
Belege dafür,
daß von alters her der Ackerbau
als das erste und edelste aller
Gewerbe im höchsten Ansehen gestanden hat.
Lehrbegriff - Lehrerin
![Bild 61.37: Lehrbegriff - Lehrerinnen [unkorrigiert] Bild 61.37: Lehrbegriff - Lehrerinnen [unkorrigiert]](/meyers/thumb/61/61_0037.jpeg)
* 4
Lehre. Die
Lehre
[* 4] vom Ackerbau
zerfällt in zwei
Teile:
Agronomie und Pflanzenproduktionslehre. Die
Agronomie begreift
in sich die verschiedenen Disciplinen der Geologie,
[* 5] Geognosie, Physik,
Meteorologie,
Chemie und Mechanik in ihrer Anwendung
auf die Bodenkultur. Sie umfaßt folgende
Abteilungen und Unterabteilungen:
1)
Bodenkunde, behandelnd: ackerbau
geolog. Beschaffenheit des
Bodens; b. physikalische, c. chem. Eigenschaften; d.
landwirtschaftliche Klassifikationen des
Bodens.
2) Klimatologie, d. i. die Lehre von den klimatischen Einflüssen, den horizontalen und senkrechten Wärmeregionen in Bezug auf das Gedeihen der Kulturgewächse, und den Modifikationen, welche das örtliche Klima [* 6] bilden.
3) Mechan. Bodenbearbeitung, d. i. Überführung der Ackerkrume (s. d.) und des Untergrundes (s. d.) in einen Zustand, welcher eine Unterbringung der Saat zuläßt und den Pflanzenwurzeln ermöglicht, die größtmögliche Nahrungsmenge daraus zu entnehmen.
Gräser

* 7
Gräser.4) Bewässerung, in südl. Ländern ein unentbehrliches Hilfsmittel der Kultur, in Klimaten mit reichlichen Niederschlagen vorzugsweise bei der Kultur der Gräser, [* 7] dem Wiesenbau (s. d.), angewendet.
5) Entwässerung oder Abführung schädlichen Wassers aus der Atmosphäre, aus Quellen und aus stauender Feuchtigkeit auf undurchlässigem Untergrund (s. Drainierung).
6) Urbarmachung oder Kultur noch nicht mit landwirtschaftlichen Gewächsen bepflanzter Flächen durch Ausroden, Rajolen (s. Rigolen), Abbrennen, Plaggenschälen, Wegräumen von Hindernissen u. s. w.
7) Düngung, d. h. Ersatz der dem
Boden durch wiederholte Ernten entzogenen Pflanzennahrungsbestandteile durch geeignete
Stoffe
gleicher chem. Zusammensetzung (s.
Dünger). Die
Agronomie bildet das Fundament der ganzen
Theorie des Ackerbau.
Wenngleich
schon die Alten (so Mago der Karthager und die Scriptores rei rusticae) mit deren Grundzügen wohl vertraut waren, so gewann
sie doch wissenschaftliche Berechtigung erst mit der
Entwicklung der Naturwissenschaften im 18. und 19. Jahrh.
Der zweite
Teil der
Theorie des Ackerbau
, die Pflanzenproduktionslehre, zerfällt in einen allgemeinen und einen
speciellen
Teil.
Jener, die allgemeine Pflanzenproduktionslehre, umfaßt in erster Reihe die Kenntnis der Lebensbedingungen
der
Pflanzen, also deren
Anatomie und
Physiologie, vorzugsweise die Gesetze der
Ernährung und Organisation. Sodann beschäftigt
sich die Produktionslehre speciell mit den verschiedenen
Operationen zur Hervorbringung lohnender Pflanzenerträge.
Dahin gehören:
1) Die Vorbereitung der Saat, Auswahl, Reinigung, Sortierung des Samens;
Schutz desselben gegen Schmarotzerbildungen (durch Waschen, Beizen u. s. w.);
Anlage von Samenbeeten (Couchen oder Kutschen);
Erziehung der Pflänzlinge (oder Keime, Knollen, [* 8] Wurzelausläufer u. s. w.).
Hanc veniam etc. - Han

* 9
Hand.2) Die Saat selber, mit der Hand [* 9] oder Maschine, [* 10] breitwürfig oder in Reihen, gedibbelt oder in Horsten, auch das Verpflanzen aus den Samenbeeten; Unterbringung der Samen, [* 11] vielleicht mit Beidüngung oder mit Bewässerung bei dem Pflanzverfahren.
3) Die Pflege der Nutzpflanzen, ihr Schutz und ihre Bearbeitung während der Wachstumsperiode;
Behacken, Behäufeln, Schürfen;
Lichten, Verziehen, Dünnerstellung;
Ausrottung des überwuchernden Unkrauts, Jäten;
Behüten vor Krankheiten und schädlichen Tieren;
Schutz vor der Vergeilung (Schröpfen), Übereggen, Überwalzen;
endlich Nachhilfe stockenden Wachstums durch Überdüngung (Kopfdüngung, Top-dressing) und Bewässerung.
Ackerbauchemie - Acker

* 13
Seite 51.115.4) Die Ernte [* 12] oder das Sammeln und Einbringen der Produkte. Hierher gehören das Abbringen durch Mähmaschine, Sense, Sichte und Sichel, das Ausheben, Aushacken, Raufen (Lein), Pflücken u. s. w., je nachdem die ganze Pflanze oder nur ein Teil davon nutzbar verwendet wird; das Trocknen und Zurichten (Binden in Garben, Pyramidentrocknung, Törrung in erhitzten Riegen [Ostseeländer, Rußland]), Gärung (Sauerfutterbereitung); ferner das Einfahren, ¶
mehr
Einscheuern, Einmieten, Einkellern, die verschiedenen Methoden der Sonderung und Gewinnung der Samen aus dem Stroh oder Dürrkraut,
die Reinigung der gewonnenen Produkte und endlich deren vorteilhafte Aufbewahrung. In diesem gedrängten Rahmen bewegt sich
die gesamte Wissenschaft des Ackerbau.
Die einzelnen Nutzpflanzen, auf die er sich in Europa
[* 14] erstreckt, sind in
systematischer Aufzählung die folgenden:
1) Halmgetreide: Weizen, Spelz, Emmer, Einkorn, Roggen, Gerste, [* 15] Hafer, [* 16] Hirse, [* 17] Moorhirse, Mais, Canariensamen, Reis.
2) Hülsenfrüchte: Erbse, Linse, [* 18] Wicklinse, Wicke, Kicher-, Platterbse, Speisebohne, Pferdebohne, Sojabohne, Lupine.
3) Blattfrüchte: Buchweizen, Spergel.
4) Ölgewächse: Winterraps, Winterrübsen, Sommerraps, Sommerrübsen, Awehl, Mohn, Dotter, Madia, Senf, Sonnenblume, Ölrettich, Gartenkresse.
5) Gespinstpflanzen: Lein, Hanf, Nessel.
6) Farbepflanzen: [* 19] Krapp, Waid, Wau, Saflor, Schwarzmalve, Kermesbeere.
7) Gewürzpflanzen: [* 20] Hopfen, [* 21] Senf, Kümmel, Fenchel, Anis, Koriander, Schwarzkümmel, Safran, Zwiebel, Meerrettich.
8) Kaffeesurrogate: Cichorie, Erdmandel, Kaffeewicke.
9) Fabrik- und Gewerbspflanzen: Zuckerrübe, Tabak, [* 22] Weberkarde, Seifenkraut.
10) Wurzel- und Kohlgewächse: Kartoffel, Topinambur, Runkelrübe, Kohlrübe, Wasserrübe, Möhre, Pastinake, Batate, Kopfkohl, Kuhkohl.
Kurbelkette - Kürbis [
![Bild 60.831: Kurbelkette - Kürbis [unkorrigiert] Bild 60.831: Kurbelkette - Kürbis [unkorrigiert]](/meyers/thumb/60/60_0831.jpeg)
* 23
Kürbis.11) Futterpflanzen: Rotklee, weißer Klee, Inkarnatklee, Melilotenklee, mittlerer Klee, Bastardklee, Goldklee, Hopfenluzerne, Luzerne, schwed. Luzerne, Sandluzerne, Esparsette, Serradella, Wicken, Erbsen, Lupinen, Buchweizen, Hirse, Mais, Futterroggen, Zuckermoorhirse, Raps, Rübsen, Kürbis, [* 23] Cichorie, Malve, Stechginster, Schwarzwurz.
12) Grasbau (auf dem Acker): engl., ital. und franz. Raygras, Timothygras, Knaulgras, Kümmel, Pimpinelle, Spitzwegerich, weiche Trespe, Honiggras, jähriges Rispengras, Schafgarbe, hohe Trespe, Schafschwingel, Mohar. (S. die Tafeln: Futterpflanzen I und II, beim Artikel Futterbau und Futterpflanzen, und Getreidearten.)
Jahrtausendelang ist der in hergebrachten Bahnen betrieben worden. Was die röm. Schriftsteller darüber als Gesetz aufstellten, galt noch bis ins 18. Jahrh. als solches, und in vielen Gegenden finden sich sogar noch heute Geräte zur Ackerbestellung, welche sich der Form nach von denjenigen, die man auf den ältesten Denkmalen der Menschheit dargestellt findet, nicht wesentlich unterscheiden. Infolge mangelnder Naturkenntnis wußte und bedachte man auch nicht, daß der Boden, das urbare Ackerland, keineswegs ein unerschöpflicher Brunnen [* 24] an Pflanzennahrungsstoffen sei, und daß auch das reichste Kapital an diesen Stoffen sich erschöpfen müße, wenn immer viel davon genommen, wenig dazu gegeben werde.
Manche Länder und Gegenden, welche früher als Gipfel der Fruchtbarkeit gepriesen waren, jetzt aber infolge sinnloser Bewirtschaftung
verödet sind, beweisen dies, wenn auch der jetzige Zustand nicht lediglich dem mangelhaften Ersatze
der Pflanzennährstoffe, sondern noch andern Ursachen zuzuschreiben ist. Auch in den civilisiertesten Staaten der Neuzeit,
welche sich auf die rationelle Methode ihres Ackerbau
viel zu gute thun, ist die Verarmung der Felder und das Sinken
der Bodenproduktion auf das Schärfste nachgewiesen worden.
Liebig war es, der zuerst (1840) mit ernsten Worten auf die drohenden Gefahren hinwies, die ein derartig fortgesetzter «Raubbau» kommenden Geschlechtern unfehlbar bringen müsse, der aber auch zugleich auf die Mittel und Wege hinwies, denselben erfolgreich entgegenzuarbeiten. Diese lassen sich in dem Gesetze zusammenfassen: «Was dem Acker durch die Ernten in einem bestimmten Zeitraume an Mineralbestandteilen entzogen worden ist, muß ihm völlig wiedergegeben werden, wenn er sich auf der gleichen Höhe der Fruchtbarkeit dauernd erhalten soll.» In der richtigen Ausführung dieses Princips beruht hauptsächlich die Kunst des der damit einer neuen Zukunft entgegengeht, wenn auch weder die genaue Befolgung des an und für sich richtigen Naturgesetzes immer vorteilhaft, noch auch die Nichtbefolgung desselben auf Jahrzehnte hinaus schädlich auf die Produktion wirkt. (S. Agrikulturchemie.)
Aus der umfangreichen Litteratur über Ackerbau
im engern Sinne sind hervorzuheben: Koppe, Unterricht im A. und in der Viehzucht
(11. Aufl., Berl. 1885);
Hamm - Hammal

* 25
Hamm.Hamm, [* 25] Grundzüge der Landwirtschaft (2 Bde., Braunschw. 1854);
L. von Babo, Die Hauptgrundsätze des Ackerbau
(4. Aufl., Frankf. a. M.
1874);
von Rosenberg-Lipinsky, Der praktische in Bezug auf rationelle Bodenkultur (2 Bde., 7. Aufl., Bresl. 1890);
Schumacher, Der Ackerbau.
Die Lehre von der Bodenbearbeitung, Feldbestellung und vom allgemeinen Pflanzenbau (Wien
[* 26] 1874);
Hamm, Katechismus des praktischen Ackerbau
(3. Aufl. von Schmitter, Lpz.
1890);
Krafft, Lehrbuch der Landwirtschaft, Bd. 1 (6. Aufl., Berl. 1894);
Blomeyer, Die mechan. Bearbeitung des Bodens (Lpz. 1879);
von Schwerz, Praktischer Ackerbau
(neu bearb. von Funk, Berl.
1882);
Droysen und Gisevius, Ackerbau (2. Aufl., ebd. 1894);
Cl. Müller, Allgemeine Ackerbaulehre (Stuttg. 1895).