Phantasie
(grch.) oder
Einbildungskraft,
Name für eine große Anzahl von psychischen Vorgängen,
in denen die Erzeugung sinnlicher
Bilder das Gemeinsame bildet. Faßt man das Wort in allgemeinster Bedeutung, so gehört
darunter schon die ursprüngliche
Bildung aller unserer Wahrnehmungen, insofern dabei aus den Elementen der Empfindung zusammenhängende
Anschauungen gebildet werden. Diese Art der Phantasie
ist, da sie zu bewußten Objektvorstellungen führt,
als appercipierende Phantasie
zu bezeichnen.
Eine zweite Thätigkeit der Phantasie
ist die Wiedererzeugung der
Bilder vergangener Wahrnehmungen. Dies ist die sog. reproduktive
Phantasie.
Sie fällt zusammen mit der Erinnerungsthätigkeit, insofern darunter ein neues Bewußtwerden der in der
Seele auf unbewußte Art aufbewahrten Gedächtnisspuren verstanden wird. Erzeugen sich hingegen aus den
durch das
Gedächtnis aufbewahrten
Spuren neue
Bilder und Bildergruppen, so heißt diese Thätigkeit schöpferische oder produktive
Phantasie.
Man unterscheidet außerdem die anschauliche und die kombinierende Phantasie, je nachdem die Fähigkeit
überwiegt,
Vorstellungen von sinnlicher Lebhaftigkeit zu bilden, oder die andere, sie mannigfaltig zu verknüpfen.
Ferner redet man von einer analytischen und synthetischen Phantasie
bei der künstlerischen Thätigkeit
und beim Genießen und Würdigen eines Kunstwerkes. Herrscht dort die
Richtung vom Ganzen zu den
Teilen vor, so entsteht auf
synthetischem Wege erst das Ganze durch die successive Aneinanderreihung der Einzelheiten. Das Höchste, was die Phantasie
hervorbringen
kann, leistet sie in der Kunst.
In den bildenden Künsten schließt sie sich am engsten an die sinnliche
Anschauung an, aus der sie ihre
Stoffe entlehnt.
Gleichheit - Gleichsch

* 2
Gleichgewicht.
In der
Musik tritt das die bildnerische Phantasie
in Thätigkeit versetzende Gefühl vorherrschend hervor. In der
Dichtkunst halten
beide Elemente einander das
Gleichgewicht,
[* 2] wobei der
Gedanke als Herrscher und Ordner über beiden seine
Gewalt aufs höchste steigert. Die fortwährende Verschmelzung der
Bilder und Gefühle in der
Poesie kündigt sich durch die
sinnliche Anschaulichkeit der bilderreichen, d. h. in Gleichnissen sich bewegenden
Sprache
[* 3] an. Wenn die Erzeugnisse der produktiven
Phantasie
den
Boden der Wirklichkeit so weit verlassen haben, daß sie darauf gar nicht mehr denkbar erscheinen,
so nennt man sie phantastisch. Der Wert der Phantasie
für die ästhetischen Untersuchungen ist namentlich von den
deutschen Romantikern, wie Schelling, Solger u. a., betont worden-. J. G.
Fichte
[* 4] betrachtete die Phantasie
als das schöpferische
Grundprincip des gesamten geistigen Lebens, und in neuerer Zeit hat Frohschammer («Die
Phantasie
als Grundprincip des Weltprozesses»,
Münch. 1877) den Versuch gemacht, die Phantasie
zum metaphysischen Kardinalbegriff zu erheben.
-
Vgl. Ölzelt-Newin, über Phantasie
vorstellungen (Graz1889);
Schmidkunz,
Analytische und synthetische Phantasie
(Halle
[* 5] 1889).
In der
Musik heißt Phantasie
eine
Komposition, in welcher der Tonsetzer weder auf eine bestimmte Form noch auf eine ganz
genau zusammenhängende Ordnung der musikalischen
Gedanken Rücksicht nimmt. Bindet er sich weder an ein
gewisses
Thema noch
an
Takt und Rhythmus, so nennt man die Phantasie
frei; gebunden hingegen, wenn eine bestimmte Taktart zu
Grunde liegt und in allen
Teilen eine gewisse Einheit beobachtet wird, wie in
Mozarts C-moll-Fantasia.