Philolŏgie
(grch.), eigentlich soviel wie Liebe zu Reden, Gefallen an Unterhaltung; wenn sich aber Sokrates bei Plato einen Philologen nennt, so sind in engerm Sinne die wissenschaftlichen Unterhaltungen verstanden, in denen sich noch ohne schulmäßige Abgeschlossenheit die Philosophie des Sokrates dialektisch bewegte. Als später mit Aristoteles der Ausbau der Philosophie und der Wissenschaften überhaupt begründet, aber auch die Kraft [* 2] des griech. Geistes ermattet war, nährte sich das geistige Leben vorzugsweise an den Schätzen der Vergangenheit, die man sammelte, erläuterte und von Entstellungen reinigte.
Drach - Drache

* 3
Fächer.
Diese wissenschaftliche Thätigkeit von überwiegend reproduzierendem Charakter, ohne
Beschränkung auf ein einzelnes Fach,
hieß in den letzten
Zeiten des
Altertums bei den Griechen Philologie
, und in demselben
Sinne kam das Wort zu den
Römern.
Encyklopädische
oder vermischte, auf vielerlei Fächer
[* 3] bezügliche
Schriften wurden philologische genannt. Nachdem bei
den
Römern
Marcus
Terentius Varro neun Einzelwissenschaften in eine
Encyklopädie zusammengefaßt hatte, bildete sich mit der
Zeit unter
Ausschluß von zweien, der
Medizin und
Architektur, der
Inbegriff der sog. sieben
Freien Künste (s. d.).
Wenn auch der
Name Philologie
im Mittelalter nicht gebräuchlich war, so blieb doch jene
Begrenzung und
Gliederung
des Unterrichts dieselbe. Aber die antike Philologie
war nun in einen ihr ganz fremden
Boden verpflanzt. Der durchgängige Grundzug
des Mittelalters ist neben dem unbedingten Autoritätsglauben in
Religion und Wissenschaft der davon unzertrennliche völlige
Mangel an histor.
Sinn und histor. Kritik; Sage und Geschichte,
Dichtung und Wahrheit mischten sich unbewußt,
selbst in den Erscheinungen der
Heimat und der Gegenwart; noch viel mehr erschien das
Altertum in nebelhafter Gestalt. Wenn
von einer Philologie
des Mittelalters die Rede sein kann, so ist diese nicht als Altertumsforschung, sondern als ein
der kirchlichen
Lehre
[* 4] und der scholastischen Wissenschaft dienstbares
Studium zu betrachten.
Italien

* 5
Italien.Die Antriebe, die über diesen Zustand hinausdrängten, gingen von Italien [* 5] aus. Hier führte das niemals außer Gebrauch gekommene röm. Recht in Verbindung mit dem Aufschwung des städtischen Lebens und des Handels auf das Studium der altröm. Rechtsquellen zurück; die Kreuzzüge, der gesteigerte Verkehr mit dem Byzantinischen Reich, die Verhandlungen über die Vereinigung der röm. und griech. Kirche brachten manche Kenntnis aus griechisch redenden Gegenden nach Italien und erweckten Liebe zur griech. Litteratur.
Die Gründung von Universitäten in Italien schuf neue Sammelplätze für ausgedehntere wissenschaftliche Studien und erweckte das Bewußtsein, daß die griech. Litteratur einen noch weit größern Schatz von Kenntnissen aller Art als die lateinische berge, den der immer unfruchtbarer gewordene Scholasticismus des Abendlandes nicht gewähren oder ersetzen könne. (S. Humanismus.) Als Philologen, die sich zunächst um die Sprachreinigung Verdienste erwarben, sind in Italien nach Petrarca und Boccaccio vor allen zu nennen: Franciscus Philelphus, Laurentius Valla, Angelus Politianus u. a.;
in Frankreich Stephanus Doletus, Dionysius Lambinus, Muretus, Budäus;
in Deutschland [* 6] Jak. Wimpheling, H. Bebel, Konr. Celtis, Herm. Buschius (von dem Bussche), Langen u. a.
Während die
Philologen roman.
Stammes, namentlich die
Italiener, sich bald mit der formalen Philologie
begnügten und ihre Gewandtheit,
sich die antiken Formen der Prosa und
Poesie anzueignen, ihnen ausreichende Befriedigung gewährte, hatte
die Wiedergeburt der Wissenschaften in
Deutschland, England und zum
Teil auch in
Frankreich viel tiefer eingreifende Wirkungen;
sie wurde auf den Mittelpunkt aller Wissenschaft, auf die Kirchenlehre und die
Philosophie bezogen und wirkte wesentlich mit
zur kirchlichen
Reformation. Je mehr aber die Wissenschaften fortschritten, desto mehr machten sich auch
die modernen Elemente darin geltend.
Weil der alte
Begriff damit verlassen wurde, erklärte man die Philologie
auch wohl bloß für einen
Teil der Polymathie, den man als
Kenntnis der
Sprachen
(Grammatik, Rhetorik, Metrik) und des gesamten
Altertums oder aber auch der Geschichte
überhaupt und ihrer Hilfswissenschaften zu bestimmen versuchte, so daß also die formalen und realen
Bestandteile darin verknüpft
wurden. Scheinbar konsequenter war die
Ansicht, wonach die Philologie
bloß
Sprachwissenschaft sein sollte, ihre Hauptteile demnach
Grammatik, Kritik und Hermeneutik.
Diese
Auffassung der Philologie
als einer bloß formalen Wissenschaft oder Fertigkeit war lange
sehr allgemein. Ihr letzter großer
Vertreter war Gottfr.
Hermann. Noch einseitiger war der Standpunkt, den Hemsterhuis und
seine Schule einnahmen; nach ihm war der
Philolog nichts anderes als Kritiker. Im 16. Jahrh. sind in
Italien als hervorragende
Philologen zu nennen Philologie
Bembus, Sadoletus, Nizolius, Philologie Manutius und Sigonius. Unter den
Franzosen waren im 16. Jahrh. namentlich von Bedeutung R. und H.
Stephanus, Pithöus, vor allen aber Casaubonus und als der
größte
Meister von umfassendstem
Wissen Justus Scaliger, ferner der gelehrte Cl. Salmasius, die beiden letztern hauptsächlich
in
Holland thätig.
Aus der großen Zahl der zum Teil in Deutschland geborenen niederländ. Philologen ragen außer G. H. Vossius im 17. Jahrh. besonders hervor: Dousa, Meursius und der auch als Begründer der Rechtsphilosophie, des Staats- und Völkerrechts und als Staatsmann berühmte H. Grotius, im 18. Jahrh. Fr. und Jak. Gronov, Burman, Heinsius, Drakenborch, und endlich die an Hemsterhuis sich anschließenden Ruhnken, Valckenaer und der Schweizer Wyttenbach. Weniger zahlreich sind die engl. Philologen, aber an ihrer Spitze steht einer der größten Kritiker aller Zeiten: Bentley;
außer ihm wirkten im 18. Jahrh. Potter, Markland, Musgrave und besonders Porson. Zu den schon genannten deutschen Philologen sind noch folgende hinzuzufügen: aus dem 16. Jahrh. Erasmus, Reuchlin, Melanchthon;
Philomela - Philopömen

* 7
Seite 63.98.aus dem 17. Gruter (geboren in ¶
mehr
Antwerpen), [* 8] Cellarius, Spanheim; aus dem 18. J. A. ^[Johann Albert] Fabricius, Reiske, Gesner, Ernesti.
Beim Aufblühen der deutschen Litteratur im 18. Jahrh. blieben die Philologen hinter der auf Erkenntnis des künstlerisch Schönen
gerichteten Bewegung nicht zurück; Christ, Klotz, Ernesti, Sachse, Heyne u. a. zogen die Archäologie und die Kunst in den
Kreis
[* 9] ihrer Studien, und Heyne wollte sogar die Philologie
mit der Ästhetik verbinden und aus beiden eine eigene Fakultät bilden.
Aber es fehlte noch immer der Zusammenhang zwischen den einzelnen Fächern, die zusammenfassende Idee. F. A. Wolf war es,
der die Aufgabe der Philologie
in diesem Sinne faßte. Er machte das gesamte Altertum, wie es sich in allen Erscheinungen
seines äußern und innern Lebens darstellt, zum selbständigen Gegenstande der Philologie
und nannte sie Altertumswissenschaft,
um die einseitigen Auffassungen, die sich mit dem Namen Philologie
verbunden hatten, zu beseitigen.
Auch verschaffte er der Philologie
eine selbständige praktische Lebensstellung, indem besonders durch
seine Einwirkung der propädeutische Unterricht für alle höhern Wissenschaften, den bis dahin hauptsächlich die Theologen
besorgt hatten, Männern überwiesen wurde, die diesen Unterricht als ihren Lebensberuf, nicht aber als Anhang des geistlichen
Amtes oder als bloße Vorbedingung zu diesem betrachteten; und da der Unterricht in den klassischen Sprachen nach wie
vor als der wesentlichste Bestandteil der Gymnasialbildung angesehen wurde, bildeten die Philologen den Kern dieses neuen Standes
von Schulmännern.
Am entschiedensten hat A. Böckh, namentlich in seiner berühmten «Encyklopädie und Methodologie der philol. Wissenschaften»
(2. Aufl., Lpz. 1886), die von Wolf begründete Auffassung der Philologie
systematisch durchgeführt. Das System Böckhs
zeichnet sich vor dem Wolfs namentlich dadurch aus, daß er mit größerer Konsequenz den Unterschied zwischen Sprach- und
Sachkenntnis aufhebt. Die bedeutenden Arbeiten Böckhs (und seiner Schule) richteten sich zwar vorwiegend auf die histor.
Spottiswoode - Sprache

* 10
Sprache.
Realien, aber doch auch auf Metrik und die lange versäumten griech. Inschriften; die Sprache
[* 10] trat allerdings
bei vielen allzusehr in den Hintergrund. Auch O. Müller stand wesentlich auf dem Wolfschen Standpunkt. G. Bernhardy lieferte
eine im einzelnen sehr verdienstliche Encyklopädie der Philologie
, gleichfalls vom Wolfschen Standpunkt, ohne mit dem Versuch einer
neuen Anordnung der einzelnen Teile durchzudringen. Auch F. Ritschl, obschon hervorgegangen aus der Hermannschen Schule,
stellte ein Schema der Philologie
von ähnlichem Umfang auf, wie Wolf und Böckh; und so hat sich denn die von Wolf vertretene Richtung
als die wahrhaft fruchtbare bewährt.
Freilich haben die neuern Philologen, auch wenn sie mit voller Überzeugung der Auffassung der Philologie
als Altertumswissenschaft
zustimmen, in ihrer gelehrten Thätigkeit sich beschränken müssen. So war Wolfs Schüler I. ^[Immanuel]
Bekker gleich den beiden Dindorf, den Schülern Hermanns, fast ausschließlich als Kritiker thätig, viele haben sich überwiegend
der Philologie im engern Sinne, der Grammatik und Metrik, Kritik und Exegese, zum Teil in Verbindung mit der Litteraturgeschichte, gewidmet,
wie außer G. Hermann und H. Ritschl Reisig, Lachmann, Meineke, Lehrs, Spengel, Haase, Haupt, Ahrens, Halm,
Schneidewin, Bergk, Köchly, Teuffel, Nipperdey, Bernays, Bonitz, Studemund, Sauppe, Hertz, Nauck, Kirchhoff, Westphal, Ribbeck,
Vahlen, Christ, Wölfflin, Usener, Bücheler, L. Müller, Rohde, Blaß,
von Wilamowitz, Diels, Schenkl, Gomperz, von Hartel, während
andere ihre Arbeiten auch oder vorzugsweise auf die realen Disciplinen ausdehnten, dabei aber, wie auch
viele der eben genannten, in der Regel sich naturgemäß dem einen oder andern der klassischen Völker überwiegend zuwandten,
wie den Griechen Buttmann, Lobeck, K. F. Hermann, E. Curtius, Wachsmuth, den Römern Niebuhr, A. Becker, Marquardt, Mommsen, Jordan,
Nissen. Auch Frankreich und England haben in neuester Zeit tüchtige Philologen hervorgebracht. In Dänemark
[* 11] ragt hervor Madvig.
Deutsche Altertümer -

* 12
Deutsche.Nach dem Muster der klassischen Philologie haben sich im 19. Jahrh. auch eine orientalische Philologie (s. Orientalische Litteratur und Sprachen) und eine Philologie der neuern Sprachen zum Range selbständiger Wissenschaften erhoben. Diese gliedert sich wieder je nach dem Forschungsgebiete in verschiedene Zweige, so Deutsche [* 12] Philologie (s. d.), romanische Philologie (s. Romanische Sprachen), slawische Philologie (s. Slawische Sprachen), englische Philologie (s. Englische Sprache) [* 13] u. s. w. (S. auch Sprachwissenschaft.)
Vgl. Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums (3. Aufl., 2 Bde., Berl. 1893);
L. Müller, Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden (Lpz. 1869);
Bursian, Geschichte der klassischen Philologie in Deutschland (19. Bd. der «Geschichte der Wissenschaften», Münch. 1884).
(Vgl. auch Archäologie.)