Titel
Jesuiten
(Gesellschaft Jesu), geistlicher
Orden,
[* 3] der, gestiftet im alleinigen
Interesse der päpstlichen Allgewalt, bald
eine welthistorische Bedeutung wie kaum ein andrer
Orden zu erlangen wußte. Der
Stifter der
Gesellschaft, Ignaz von
Loyola (s. d.),
nannte,
weil er einst in einer
Vision gesehen, wie Gott der
Vater Jesu den besondern
Schutz des
Ordens übertrug,
denselben die
»Kompanie Jesu«; ihre Mitglieder fügten zu den drei Mönchsgelübden noch das vierte, »ihr
Leben dem beständigen
Dienst
Christi und der
Päpste zu widmen, unter dem Kreuzesbanner
Kriegsdienste zu leisten, nur dem
Herrn
und dem römischen Oberpriester, als dessen irdischem Stellvertreter, zu dienen, so daß, was immer der
gegenwärtige
Papst und seine Nac
hfolger in
Sachen des
Heils der
Seele und der Verbreitung des
Glaubens ihnen befehlen, und in
welche
Länder immer er sie entsenden möge, sie ohne jegliche Zögerung und Entschuldigung sogleich, soweit es in ihren
Kräften
liege,
Folge zu leisten gehalten sein wollten«. In einem Zeitpunkt, da alle
Welt dem
Papste den
Gehorsam
aufkündigte, legte sich ihm also hier ein aus schwärmerisch-phantastischen Anfängen rasch zum
Stadium weltkluger Berechnung
fortgeschrittener
Orden unbedingt zu
Füßen.
Kein
Wunder, wenn ihn schon
Papst
Paul III. bestätigte und
Julius III. seine Vorrechte in ausgedehntester
Weise erweiterte. Die J. wurden mit den
Rechten der
Bettelmönche und der
Weltgeistlichen zugleich ausgestattet, mit ihren
Gütern
von aller weltlichen
Gerichtsbarkeit und
Besteuerung, auch von bischöflicher Abhängigkeit befreit und hatten demnach
außer
ihrem Ordensobern und dem
Papst keinen
Herrn anzuerkennen; sie erhielten die Befugnis, alle Priesterfunktionen,
sogar während eines
Interdikts, zu verrichten, von allen
Kirchenstrafen und
Sünden eigenmächtig loszusprechen, die
Gelübde
der
Laien in andre
gute Werke zu verwandeln, von Fastengeboten, von Abwartung der kanonischen
Stunden, vom
Gebrauch des
Breviers
sich selbst zu dispensieren sowie überall
Kirchen und
Güter zu erwerben und Ordenshäuser anzulegen.
Dazu erhielt ihr
General neben einer unumschränkten
Gewalt über alle Ordensglieder die Befugnis, sie in jederlei Aufträgen
überallhin entsenden, sie allerwärts als
Lehrer der
Theologie anstellen und mit akademischen
Würden bekleiden zu können.
Organisation des Jesuiten
ordens.
In den
Konstitutionen und der darauf beruhenden gesellschaftlichen
Gliederung des
Ordens charakterisiert sich aufs
sprechendste die schon im
Stifter zu bemerkende
Verbindung überspanntester
Schwärmerei und raffiniertester Berechnung. Religiös-sittliche
Motive und politische
Kunst und
Klugheit haben zusammengewirkt, um eine mannigfaltig verzweigte, aber einheitliche Ordensregel
zu schaffen und der
Gesellschaft jene einzigartige
Organisation zu geben, welche einem aus festen
Ringen gefügten
Panzer gleicht,
der seinen
Träger
[* 4] wehrhaft macht
, schützt und zugleich elastisch genug ist, um ihm jegliche
Bewegung
zu verstatten.
Wille, Einsicht und
Gewissen der ganzen
Gesellschaft
werden daher in der
Hand
[* 5] des
Generals zu einem gefügigen
Werkzeug, welches
keinem Befehl versagt. Etwa 500mal kommen die
Konstitutionen darauf zurück, daß jeder im
General
Christus selbst sehen
müsse, wie überhaupt dem alten
Soldaten, welcher den
Orden gestiftet hatte, die
Subordination als das
Geheimnis aller Mac
htentfaltung,
als die
Seele aller
Tugend galt. »Ein jeder sei überzeugt, daß diejenigen, welche unter dem
Gehorsam leben, von der göttlichen
Vorsehung durch Vermittelung ihrer Vorgesetzten sich ebenso bewegen und regieren lassen
müssen, wie wenn sie ein
Leichnam wären« (perinde ac
si cadaver essent).
Innerhalb des durch die
Konstitution gezogenen Spielraums schaltet der
General souverän, so daß der Einzelne, nicht aber
die
Gesellschaft in seine
Hand gegeben ist. Durch die
Provinziale (praepositus provinciae) gewählt und nur dem
Papst verpflichtet,
setzt er alle höhern Beamten ein und ab, verfügt über den
Rang und die Wirksamkeit der Mitglieder,
handhabt die vom heiligen
Stuhl erhaltenen Privilegien,
Gerechtsame und
Konstitutionen, welche er ohne weitere Rechenschaft
schärfen, mindern, widerrufen kann, und übt überhaupt volle
Regierungs- und Jurisdiktionsgewalt aus. Er hat in den vier
Beisitzern
(Assistenten) gleichsam genossenschaftliche
Anwalte, welche ihn bei schwierigen
Geschäften durch
Rat und That unterstützen, aber auch beobachten
und, wenn er trotz der von dem Warner
(Zensor,
Admonitor) ausgehenden Abmahnung
bei Mißgriffen oder den Ordensregeln zuwiderlaufendem
Leben verharrt, vor den Generalkonvent bescheiden und hier auf Absetzung
oder noch strengere
Strafe antragen dürfen.
Ähnlich dem
General, welcher ihn ernennt, übt der
Provinzial in seinem bald größern, bald kleinern
Kreis
[* 6] die gleichfalls von
Beisitzern und dem Warner gezügelte Amtsgewalt aus, untersucht jährlich einmal sorgfältig den
Stand des
Bezirks, überwacht
auf
Hochschulen und in Kollegien
Lehrer und
Schüler und beschränkt hochbetagte oder für wissenschaftliche
Thätigkeit nicht befähigte Ordensglieder auf den
Beichtstuhl. Dem
Provinzial unmittelbar untergeordnet
sind die Vorsteher der Profeßhäuser
(Superioren), in welchen die vollendeten J. (professi quatuor votorum) wohnen.
Die gleichfalls von Räten und Mahnern (monitores) umgebenen Rektoren oder Vorsteher der Kollegien leiten die wissenschaftliche Thätigkeit und den Schulbetrieb des Ordens. Ein geregelter Briefwechsel verknüpft alle Gebiete und vermittelt alle Gesellschaftsbeziehungen. Wöchentlich einmal statten die Rektoren und Vorsteher der Profeßhäuser dem Provinzial Bericht ab, worauf jeden Monat Bescheid erteilt wird. Sämtliche Provinziale in Europa [* 7] schreiben dem General monatlich einmal, die Rektoren und Hausvorsteher alle drei Monate.
Die Beamtenkontrolle wird so geführt, daß der
General nicht nur im
Besitz vollständiger
Kataloge ist,
worin die einzelnen Ordensglieder nach
Namen,
Alter,
Studien, Beschäftigungen, geistiger Befähigung charakterisiert sind,
sondern auch über die
Entwickelung und Bewährung aller
Arbeiter beständig auf dem
Laufenden gehalten und dadurch in den
Stand
gesetzt wird, für jeden
Posten sofort den geeigneten Mann zu ersehen. Aus den einlaufenden zahllosen
Einzelberichten geht der jährlich zu
Rom
[* 8] in lateinischer
Sprache
[* 9] abgefaßte Generalbericht über den
Stand der
Provinz hervor.
Den untersten
Grad des
Ordens bilden die
Novizen, welche der von einem
Gehilfen (coadjutor) unterstützte Novizenmeister (magister
novitiorum) im
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mehr
Probehaus (domus probationis) beaufsichtigt und leitet. Zwanzig Tage lang dauert die Gastzeit, binnen welcher man den Fremdling
(Indifferenten) vorläufig beobachtet
und durch bestimmte vom Prüfer (Examinator) gestellte Fragen zu erforschen trachtet.
Für den Zugelassenen, der vor allem körperlich gesund und geistig befähigt sein muß, beginnt nun die Probezeit (Noviziat).
Die von 4 Uhr
[* 11] morgens bis 9 Uhr abends genau bestimmte Tagesordnung der Novizen umfaßt eine ertötende Monotonie
von düstern Andachtsübungen, niedern Dienstleistungen, phantastischer Lektüre und herber Selbstqual, ganz dazu gemacht,
alle gesunde Eigenart zu brechen und die geistige Verschrobenheit zu vollenden, die den jungen Mann ins Novizenhaus geführt
hat.
Nach zweijähriger Probezeit tritt der Novize mit feierlichem Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams als Koadjutor der Gesellschaft bei, deren Zwecke er von nun an thätig fördert, ohne noch die innersten Triebfedern des großen Maschinenwerkes selbst zu kennen. Seine Gelübde binden ihn, nicht aber den Orden, welcher einen Mißliebigen ohne weiteres entlassen darf. Es gibt geistliche Koadjutoren (Mithelfer, coadjutores formati, spirituales), welche den Jugendunterricht besorgen oder auch im Beichtstuhl und auf der Kanzel wirken, und weltliche Koadjutoren (coadjutores saeculares), welche als Verwalter, Diener, Köche, Handarbeiter für die physischen Bedürfnisse des Ordens sorgen und ohne bestimmte Erlaubnis nicht einmal lesen und schreiben lernen dürfen.
Nur wer als Scholastikus in einem Ordenskollegium fünf Jahre lang sich mit allgemein wissenschaftlichen Fächern beschäftigt, dieselben dann weitere fünf Jahre lang als Lehrer vorgetragen, hierauf ungefähr ebenso lange Theologie studiert und schließlich noch ein Jahr auf Wiederholung der Noviziatsübungen verwendet hat, empfängt die Priesterweihe und findet entweder Verwendung als geistlicher Koadjutor oder Aufnahme in die Zahl der Professen von vier Gelübden. Diese allein verwalten die höchsten Ämter, wählen aus ihrer Mitte den Großmeister und erscheinen auf den, freilich selten genug, in Rom abgehaltenen Generalkapiteln. Hinsichtlich des Vermögens galt früher der Unterschied, daß die Profeßhäuser von milden Gaben lebten, die Kollegien und Novizenhäuser aber gemeinschaftliche Einkünfte erwerben durften.
Inneres Ordensleben.
Das innere Ordensleben charakterisiert sich besonders nach den vier Seiten der häuslichen Zucht, des Gottesdienstes, des Unterrichts und des Missionswesens. Die Hausregel oder Tagesordnung strebt das Aufgehen aller individuellen Triebe und Kräfte im Gesamtinteresse an. Obenan steht die Pflicht, gegenüber den Befehlen der Obern dem eignen Willen zu entsagen. Niedrige, oft den Sinnen widerwärtige Geschäfte (officia abjecta) muß man so lange betreiben, bis die ursprüngliche Abneigung besiegt ist, für jeden Brief die Erlaubnis des Obern nachsuchen, alle Falten und Geheimnisse des Herzens, alle Fehler und Gebrechen nicht nur im Beichtstuhl enthüllen, sondern auch außerhalb desselben, wenn sie an einem Mitbruder entdeckt werden, ohne Säumnis einberichten, endlich zweimal des Tags sein Gewissen prüfen.
Der kategorische Imperativ des blinden Gehorsams erreicht dadurch seinen Höhepunkt, daß der Vorgesetzte kraft der gegebenen Vollmacht im Namen Jesu Christi dem Untergebenen selbst eine Handlung aufgeben kann, welche dessen eignes sittliches Gefühl oder Urteil mißbilligt. Die Selbstüberwindung gegenüber den Banden des Bluts fordert Aufgeben der angebornen Naturgefühle; von Vater, Mutter, Verwandten spricht schon der Novize als von solchen, die er nicht mehr hat.
Nicht weniger soll die Eifersüchtelei der Nationalität in dem Kreis der Brüderschaft verschwinden, daher
Gespräche über politische Gegenstände verboten sind. Jedes Mitglied soll nach Kräften Engelsreinheit des Geistes und Leibes
erstreben, Auge,
[* 12] Ohr
[* 13] und Zunge mit anhaltender Sorgfalt bewachen. Gang,
[* 14] Schritt, Gestikulation, Stimme, Haltung sind dem Jesuiten
genau vorgeschrieben. Er wandelt im langen schwarzen Gewand und Mantel, mit einer schwarzen viereckigen
Mütze oder dem flachbodigen Krempenhut angethan; sein Haupt darf er nicht frei bewegen, sondern muß es mit leichter Beugung
[* 15] nach vorn tragen; die Augen sollen den Boden suchen und nur den untern Teil des Gesichts des Angeredeten fixieren.
Auch auf etwanigen Wanderungen soll der Jesuit sich unaufhörlich in den Ordenskreis hineindenken und
in bestimmten Fristen vorgeschriebene Reisegebete wiederholen. Die Armut soll als eine eherne Ordensmauer (religionis murus)
geliebt und in aller Reinheit geübt werden. Niemand soll irgendwie Eigentum haben, jedermann mit dem geringsten Hausgerät
und Bedarf zufrieden und, im Fall Not oder Gebot es fordern, bereit sein, das Brot
[* 16] von Thür zu Thür zu erbetteln,
auch nicht Lohn und Almosen nehmen für geistliche Handlungen, als Messe, Beichte, Predigt, Unterricht. So wenigstens lauten die
Konstitutionen, die freilich durch päpstliche Eingriffe gerade auf diesem Punkt verhängnisvolle Änderungen erfuhren, in deren
Folge der Jesuiten
orden bald über unzählige Reichtümer gebot und in allen Ländern Handels- und Bankgeschäfte
betrieb.
Gottesdienst, Predigt und Seelsorge sind streng an die Überlieferung der römisch-katholischen Kirchenlehre gebunden; doch verschmähten die jesuitischen Theologen nicht, wo es die Erreichung ihres Hauptzwecks, Bekämpfung des Protestantismus und seiner Dogmatik, galt, auch unter Anwendung von utilitarischen und eudämonistischen Reflexionen die Seelen möglichst zu gewöhnen, ihr Heil auf dem Weg der Beichte und der verdienstlichen Werke zu suchen. Während sie in der Verfolgung dieses Ziels die Lehren [* 17] von der Gnade und Vorherbestimmung einer rein rationalistischen Kritik unterwarfen, huldigten sie auf andern Gebieten zugleich der krassesten Phantastik und trieben namentlich als fruchtbares Prinzip alles sinnlich-übersinnlichen Aberglaubens den Marienkultus auf die Spitze.
Dieser letztere überwucherte bald in seiner rohesten, geschmacklosesten und anstößigsten Form den ganzen Gottesdienst. Ein stehendes Thema in ihren Predigten und Erbauungsbüchern wurde es, daß es schwer sei, durch Christus, dagegen leicht, durch Maria selig zu werden. Aber auch sonst fand aller Heiligen-, Bilder- und Reliquiendienst die eifrigste Unterstützung, Fortbildung und Verbreitung unter den J. Sie produzierten Wundergeschichten, Talismane und Fetische in Menge und suchten auf diesem Weg die Phantasie des Volkes zu beschäftigen und einzunehmen.
Nichts wurde verabsäumt, um neben der schlagfertigen Frömmigkeit, welche jede Kapitulation mit dem Feind verschmähte, den religiösen Sinn an die Interessen des Ordens zu knüpfen. Für diesen bringt man im Beginn des Jahrs, Monats, der Woche ein besonderes Meßopfer dar; die Wohlthäter und Gönner finden in Gebeten und Messen dankbares Gedächtnis, kein wichtiges, der römisch-katholischen Kirche und Brüderschaft günstiges Ereignis bleibt ohne gottesdienstliche Feier. Das ganze Räderwerk der mannigfaltig abgestuften ¶
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Kultusangelegenheiten ist durch bestimmte Vorschriften geregelt. Den Übergang von dem stillen Gebet zu dem öffentlichen Gottesdienst bildet die unter dem Namen der geistlichen Übungen künstlich gegliederte Andacht. Den methodisch-didaktischen Leitfaden gewährt Loyolas »Geistliches Übungsbüchlein« (»Exercitia spiritualia«),
welchem schon 1548 Papst Paul III. mittels einer Bulle gleichsam kanonische Weihe, die Generalkongregation von 1594 aber weitere Ausführung verliehen hat. Es enthält eine nach vier Wochen, der religiös-geistlichen Dienstzeit, geordnete förmliche Anweisung zur Prüfung des eignen Gewissens und zum Beten, ganz dazu angethan, alle Willensfreiheit gänzlich niederzuschlagen und einen teils schwärmerisch fiebernden, teils leidenden Gemütszustand zu erzeugen, der jeden Eindruck des brüderschaftlichen Geistes duldet und den letzten Tropfen individuellen Bluts freudig der geistlichen Kelter überläßt.
Diese geistlichen Übungen konnten um so weniger ihre Wirksamkeit verfehlen, je planmäßiger das wissenschaftlich-pädagogische Element von dem Orden entwickelt und für praktische Endergebnisse benutzt wurde. Wollte man den Siegesgang der Reformation aufhalten, so erschien vor allem wirksamste Konkurrenz auf dem Gebiet des Unterrichts notwendig. Von Anfang an hat daher der Orden sein Augenmerk auf die Erziehung und Bildung der heranreifenden Generationen gerichtet und das Gelübde des Jugendunterrichts in seine Ordensregel aufgenommen. Um möglichst viele Zöglinge zu gewinnen, ward der Unterricht möglichst wohlfeil, im Prinzip sogar unentgeltlich erteilt, und zwar den Kindern aller Stände.
Abgesehen aber war es besonders auf Söhne aus bessern Ständen und talentvolle Köpfe, und der allbestimmende, die ganze pädagogische Betriebsamkeit leitende Gedanke war der Ordenszweck. Hatte bei der Wiederaufnahme des Studiums des klassischen Altertums in Italien [* 19] und Deutschland [* 20] teils die ästhetisch-sprachliche, teils die kritisch-historische Seite das Übergewicht erhalten, so trat in den Jesuitenschulen der Humanismus, seinem geschichtlichen Charakter geradezu entgegen, in den Dienst des römisch-mittelalterlichen Kirchentums.
Freilich war es fast ausschließlich das Lateinische, nicht das Griechische, was die Gesellschaft pflegte. War doch das Latein zugleich Kirchen- und Gelehrtensprache des ganzen Abendlandes. Als solche paßte es vortrefflich zu den römischen Tendenzen des Ordens: die nationale Bildung ward überall zurückgedrängt und die katholische Theologie unumschränkte Königin der Wissenschaften. Die Ausbildung einer schlagfertigen Geistlichkeit und einer von Ehrfurcht vor dem priesterlichen Stand erfüllten, unterwürfigen Laienschaft, dies ist das Ziel aller Lehranstalten.
Ihre Grenzen [* 21] und Befugnisse, ihre Hilfsbücher, Arbeits- und Mußestunden, Strafen und Belohnungen etc., alles ist durch feste Vorschriften gegen Ungewißheit oder Willkür sichergestellt. Selbst in Dingen, welche nicht dem Glauben und der Frömmigkeit angehören, soll jeder Lehrer, auf eignes Urteil verzichtend, die Ansichten bewährter Meister und die Gebräuche katholischer Schulen darlegen. So wurden Aristoteles auf philosophischem, Hieronymus auf exegetischem, Thomas auf dogmatischem Gebiet Vorbilder des großen Gedankenregenten in Rom, für dessen Dienst sie erzogen wurden.
Der unter dem General Aquaviva 1584 ausgearbeitete Studienplan (Ratio atque institutio studiorum societatis Jesu) lehnte sich so eng an humanistische Vorbilder, wie die Schulordnung des evangelischen Straßburgers Joh. Sturm und die Schola aquitanica (Collège de Guienne), an, daß er von der spanischen Inquisition getadelt und vom Papst Sixtus V. verworfen ward. Erst eine zweite Bearbeitung von 1599 erlangte wirkliche Geltung. Mit wenigen Zusätzen vom Jahr 1616 und einigen die Grundsätze nicht berührenden Änderungen des Generals Roothaan vom Jahr 1832 gilt die Ratio studiorum noch heute.
Nach ihr sind die der J. so eingerichtet, daß die niedern Studien (studia inferiora) den fünf oder sechs Gymnasialklassen (Principia, Rudimentum, Syntaxis, Humanitas, Rhetorica), die höhern Studien (studia superiora, d. h. Philosophie und Theologie) den beiden Lycealklassen (Facultas artium und Theologia) zufallen. Die drei untern Gymnasialklassen werden auch unter der Bezeichnung Grammatik, wie die beiden obern unter dem Namen Humanität zusammengefaßt.
Die Gymnasialklassen bis auf die zweijährige Rhetorik haben einjährigen Lehrgang. Die philosophischen Studium ^[richtig: Studien] sind auf zwei, die theologischen auf vier Jahre berechnet. Allenthalben suchte man den freiern Gebrauch der gewonnenen Kenntnisse und rhetorisch-dialektische Gewandtheit zu erzielen. Diesem Zweck dienten namentlich die sogen. akademischen Vereine, in welchen die Zöglinge unter der Vorsteherschaft eines Lehrers und nach ihren verschiedenen Stufen als Grammatiker, Humanisten, Rhetoriker, Philosophen, Theologen Aufgaben in mündlicher und schriftlicher Rede behandelten, Vorträge hielten und beurteilten, Sätze verteidigten und angriffen etc. Als Zuchtmittel gebrauchte man vorwiegend Ehrgeiz und Eitelkeit und führte nach den Kenntnissen und Sitten bestimmte Klassenplätze sowie Prämien ein.
Auch hier hatte jeder Schüler seinen Nebenbuhler und in ihm zugleich seinen Aufseher und Denunzianten. Auf Wetteifer (aemulatio) beruhte die ganze Disziplin. (Über jesuitische Erziehung vgl. Reinhold, K. L. Reinholds Leben, Jena [* 22] 1825, S. 5 ff.) So erhielt der Orden nach und nach einen Stamm von Zöglingen, welchen in den meisten katholischen Ländern die Leitung des Unterrichts zufiel, und die dabei einer religiös-körperschaftlichen Richtung folgten, deren Endergebnisse weniger der Wissenschaft als dem kirchlichen Leben förderlich werden mußten.
Der letzte Hebel
[* 23] des wachsenden Einflusses des Jesuiten
ordens war endlich der, daß er die Mission oder
Heidenbekehrung in den Bereich seiner Thätigkeit zog. Dies hatte schon in dem ursprünglichen Gedanken Loyolas gelegen, und
in dem Mitbegründer des Ordens, Franz Xaver (s. d.) erstand ihm einer der größten und erfolgreichsten,
Heidenmissionäre, die das Christentum aufzuweisen hat. Aber auch auf dem im äußersten Notfall betretenen
Weg der den Deckmantel des Glaubenseifers umwerfenden Eroberung oder einer schlauen Handelspolitik haben die J. in Ost- und
Westindien,
[* 24] in Japan
[* 25] wie in China und Abessinien dem Christentum und ihrer Gesellschaft Tausende von Anhängern gewonnen.
Dabei wandte man alle erdenklichen Mittel und Künste der Bekehrung an, verschmolz althergebrachte Vorstellungen und Gebräuche mit christlich-katholischen Begriffen und Gewohnheiten, bahnte sich in Ostindien [* 26] bald als christlicher Brahmane zu den Großen, bald als Freiheit verkündender Apostel zu den unterdrückten Volksmassen den Weg, trat in Japan als Lehrer und Vollstrecker eines strengen Sittengesetzes den wollüstiger Trägheit sich hingebenden Priestern entgegen und machte Partei bei dem der üppigen geistlichen Standesgenossenschaft grollenden Adel, gewann ¶