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Schilderung (namentlich im beschreibenden Gedicht »Die Alpen«) [* 2] und durch einen Kern echter Empfindung über seine Vorbilder erhob; hierher der phantasievolle, wenn auch künstlerisch nicht durchbildete Romandichter Joh. Gottfr. Schnabel (1695-1750?),
dessen weitverbreitete Robinsonade »Die Insel Felsenburg« ein eigenartiges Stück Leben und die tiefe Sehnsucht zahlreicher Gemüter nach einem weltfernen, harmonischen, stillumfriedeten Dasein verkörperte; hierher der Liederdichter und poetische Erzähler Friedrich v. Hagedorn (1708-54), der sich an die heitern Dichtungen der Franzosen und jüngern Engländer anlehnte und zugleich das eigne Lebensbehagen im leichten Flusse seiner kleinen Gedichte ausdrückte.
Indes tauchten alle diese Talente vereinzelt auf und blieben insofern wirkungslos, als man die Hauptsache, durch welche sie sich von der Masse der Schreibenden und Dichtenden unterschieden, die selbständige Empfindung und den Bezug auf das Leben, gar nicht wahrnahm. Die Vorstellung, daß die poetische Kunst ein Anhängsel der Gelehrsamkeit sei, daß alles, was zur »Belustigung des Verstandes und Witzes« diene, entweder erworben werden könne, oder von Haus aus mit einer bestimmten Art der Bildung vorhanden sein müsse, die Überzeugung, daß eine vollendete und vollkommene Dichtung durch Befolgung gewisser Regeln und Vermeidung gewisser Irrtümer erreicht werden könne, war noch allgemein.
Seit der Schwulst der zweiten schlesischen Schule, deren Blüte [* 3] gerade in die Zeit fiel, wo die französische Litteratur ihren größten Aufschwung nahm, in Verruf gekommen war, richteten sich die hoffenden Blicke nach Frankreich. Ohne Verständnis dafür, daß die großen Leistungen der französischen Poesie aus den Tagen Ludwigs XIV. nur Resultat eines außerordentlichen Aufschwungs des gesamten französischen Lebens seien, ohne schärfere Empfindung für den innern Gehalt des Pariser Klassizismus und nur bemüht, die korrekte Form und klare Übersichtlichkeit der französischen Dichtungen zu erreichen, pries man die Mustergültigkeit französischer Poesie.
Das eigentliche Haupt einer mit Verwerfung aller bisher geltenden Muster die Franzosen nachahmenden Schule in der deutschen Litteratur ward Johann Christoph Gottsched (1705-66), als Leipziger Professor der Poesie und Beredsamkeit in den 30er und 40er Jahren des 18. Jahrh. der deutsche Geschmacksdiktator, welcher mit seiner »Kritischen Dichtkunst«, seinen verschiedenen Zeitschriften und zum Teil sehr verdienstlichen Sammlungen, mit seinen Briefen, seiner Deutschen Gesellschaft, mit zahlreichen Übersetzungen, eignen rhetorischen Gedichten und seiner nach französischen und englisch-französischen Vorbildern zurechtgeschnittenen Tragödie »Der sterbende Cato« der deutschen Litteratur den Weg zur echten Klassizität zu bahnen vermeinte.
Ehrlich für den Gedanken einer glänzenden und würdevollen Stellung der Litteratur begeistert, nicht ohne Verdienste um manche litterarische Einsichten, um die Wiederanknüpfung einer Verbindung zwischen dem Theater [* 4] und der Litteratur, war er doch zu trocken und dürr, um auch nur den Pope, geschweige den Boileau und Racine Deutschlands [* 5] vorstellen zu können, und erweckte sich überdies durch seinen Hochmut und seine beschränkte Rechthaberei zahlreiche Gegner.
Eine treue Mitarbeiterin fand er an seiner Gattin Luise Adelgunde Viktorie, geborne Culmus (gest. 1762), eifrige Schüler an J. ^[wohl eher Samuel Gotthold] Lange, J. ^[Johann] Joachim Schwabe, an dem Hamburger Kaufherrn Georg Behrmann (Dichter der Tragödien: »Die Horatier« und »Timoleon«),
an Otto, Freiherrn v. Schönaich (1725-1807),
dessen steifes und wertloses Heldengedicht »Hermann« Gottsched zum deutschen Nationalepos emporzuloben hoffte, an Christian Aug. Clodius, J. J. ^[Johann Jakob] Dusch und einer ganzen Reihe von dichtenden Magistern und Übersetzern. Gottsched war der Hauptrepräsentant der unbedingten Nachahmung der Franzosen, der letzte Vertreter einer »gelehrten« Dichtung im engsten und bedenklichsten Sinn des Wortes; beides aber, Franzosennachahmung und unlebendige Gelehrtenpoesie, erstreckten naturgemäß ihre Nachwirkungen noch weit in die folgende Periode und in alle Anstrengungen hinein, die gemacht wurden, um zu einer lebendigen, der gesamten Nation wiederum angehörigen Litteratur zu gelangen.
VII. Zeitraum.
Zeit der Übergänge und des beginnenden Aufschwungs.
Theoretisch waren die von Gottsched geübte Geschmacksherrschaft und die einseitige Dürftigkeit seiner litterarischen Anschauungen bereits seit den 30er Jahren von den »Schweizern«, d. h. den Züricher Gelehrten Joh. Jakob Bodmer (1698-1783) und J. J. ^[Johann Jakob] Breitinger (1701-76),
bekämpft worden, die in den »Diskursen der Maler«, in ihrer Vertretung Miltons, in Breitingers »Kritischer Dichtkunst« (1740) im Grund nur den entscheidenden Satz verfochten, daß zur Dichtung ein positives Element gehöre und die Vollkommenheit nicht in lauter Negationen gesetzt werden dürfe. Bei dem verkommenen Zustand der deutschen Litteratur war auch das Fortschritt und Gewinn. Den Schweizer Kritikern schlossen sich Zollikofer, Heinr. Meister, K. F. Drollinger u. a. an. Wichtiger und folgenreicher erwies sich die Wirksamkeit einer Gruppe von jungen Poeten und Schöngeistern, die, größtenteils Sachsen [* 6] und an der Universität Leipzig [* 7] studierend, anfänglich von Gottsched beeinflußt, sich von ihm loslösten und, zunächst ein Publikum suchend, das der gesamten deutschen Litteratur fehlte, bei Franzosen und Engländern die gewinnenden, anmutigern Formen der Dichtung, die frische Wiedergabe von Eindrücken und Zügen des Lebens, die Fähigkeit des Unterhaltens durch die Litteratur zu erlauschen suchten.
Das deutsche Leben selbst kam ihnen zu wenig entgegen, um ein rasches und volles Gelingen ihrer Absichten zu ermöglichen. Dennoch waren die »Bremer Beiträger«, wie sie wohl nach den von ihnen herausgegebenen, in Bremen [* 8] verlegten »Neuen Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes« genannt werden, die ersten Schriftsteller, deren Wirkungen wieder in weite und verschiedenartige Kreise [* 9] reichten, »wieder die ersten wahrhaft volkstümlichen, fast möchte man sagen, die ersten wahrhaft deutschen Dichter und Schriftsteller« (Hettner). Zu dieser Gruppe gehörten die Lyriker J. Anton ^[richtig: Johann Arnold] Ebert, Karl Christian Gärtner, Nik. Dietr. Giseke, J. A. ^[Johann Andreas Cramer] Kramer, Adolf Schlegel, ferner der Dramatiker J. ^[Johann] Elias Schlegel (1718-49), dessen theoretische Erkenntnis und instinktive Einsicht in das Wesen des Dramas, wie er sie in seinen dramaturgischen Abhandlungen bethätigte, freilich seine eignen dramatischen Versuche in Tragödie (»Kanut«) und Komödie (»Der Triumph der guten Frauen«, »Die stumme Schönheit«) weit überragten. Unmittelbarer aus dem Leben schöpfte Friedr. Wilh. Zachariä (1726-77),
der sich als deskriptiver Poet und Verfasser komischer Heldengedichte (»Der Renommist«, »Die Tageszeiten«, »Murner in der Hölle«) geltend machte. Der gefeierte Satiriker unter den »Beiträgern«, Gottl. Wilh. Rabener (1714-71),
konnte eben nur in seiner eignen schwächlichen Zeit als »der deutsche Swift« angesehen ¶
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werden; seine Satire, der es an Schärfe, Kühnheit, vielleicht selbst an Einsicht in die wahren Gebrechen und Mißstände der deutschen Kulturwelt fehlte, die daher nicht die Thoren, sondern in schwächlichen Typen und höchstens in ganz untergeordneten Gestalten die Thorheit schilderte, sich in unwesentlichen Details und salzlosem Spaß in behaglichster Breite [* 11] erging, interessierte aber gleichwohl das Bürgertum, das um die Mitte des 18. Jahrh. wieder Anteil an der Litteratur zu nehmen begann.
Bleibende Bedeutung erlangte Chr. Fürchtegott Gellert (1715-69), der bei weitem einflußreichste Schriftsteller des zweiten Drittels des 18. Jahrh. Er hatte mit kleinen Liedern, mit Schäfer- und Lustspielen im französischen Stil (»Sylvia«, »Die Betschwester«, »Das Los in der Lotterie« etc.) begonnen, dann mit seinem Roman »Das Leben der schwedischen Gräfin von G.« einen kühnern Griff in die Wirklichkeit gewagt, ohne sich aus den Banden einer bis zur Unsittlichkeit und Roheit entstellten äußerlichen und konventionellen »Moral« befreien zu können.
Seine außerordentliche Popularität aber beruht hauptsächlich auf seinen »Fabeln und Erzählungen«, in denen er mit bisher nicht erreichter Leichtigkeit und Lebendigkeit des Vortrags sich als höchst selbständiger Schüler, nicht mehr als bloßer Nachahmer Lafontaines erwies und mit Schärfe und Feinheit, wenn auch immer mit moralisierender Tendenz sittliche und soziale Zustände der eignen Zeit wie allgemeine menschliche Thorheiten spiegelte. Mit seinen »Geistlichen Liedern« erfüllte er das Andachtsbedürfnis seiner Zeit; auch seine prosaischen Schriften, wie die »Briefe« nebst der »Abhandlung von dem Geschmack in Briefen« und seine »Moralischen Vorlesungen«, übten eine kaum zu berechnende Wirkung.
Gleichzeitig mit den Männern der »Bremer Beiträge« löste sich eine Gruppe jüngerer Poeten, die persönliche Freundschaft während ihrer Studienzeit an der Universität Halle [* 12] verbunden hatte, von der Gottschedschen Litteraturauffassung. Zur Halleschen Poetengruppe zählten Sam. Gotthold Lange (1711-81), der als Lyriker eine Zeitlang Ruf genoß und späterhin für seine unzulängliche Horaz-Übersetzung von Lessing hart verurteilt und einer unerfreulichen Unsterblichkeit überliefert wurde;
Immanuel Pyra (1715-44), dessen Schrift »Beweis, daß die Gottschedianische Sekte den Geschmack verderbe« die Streitschriften der Schweizer an Heftigkeit überbot;
Nikolaus Götz (1721-81), der mit Uz die Oden Anakreons übertrug und in eignen Gedichten die griechischen Lyriker nachzubilden suchte;
der von leichten, tändelnden Gedichten im (vermeinten) Stil Anakreons, von Nachahmung der Popeschen komischen Epik im »Sieg des Liebesgottes« späterhin zur ernsten Ode und dem Lehrgedicht überging;
endlich Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), seit 1747 Sekretär [* 13] des Domkapitels zu Halberstadt, [* 14] dem eine der wunderlichsten litterarischen Laufbahnen beschieden war. In allen Formen und nach allen Mustern ein anempfindendes Talent, als tändelnder Anakreontiker, patriotischer Liederdichter, Fabel- und Spruchdichter, Erzähler und redseliger Didaktiker von unerschöpflicher, nie versiegender Produktionslust, aber äußerlich und flüchtig bis zur völligen Flachheit, erhob sich Gleim nur in den vom Siebenjährigen Krieg hervorgerufenen »Liedern eines preußischen Grenadiers« und in einer Anzahl Fabeln und Sinngedichten zu einiger Selbständigkeit.
Vor vielen andern in äußerlich begünstigter Lage, voll guten Willens, allen Hilfsbedürftigen beizustehen, unterstützte und regte er überall die Talente an, »hätte ebensowohl des Atemholens entbehrt wie des Dichtens und Schenkens und gewann sich so viele Freunde, Schuldner und Abhängige, daß man ihm seine breite Poesie gern gelten ließ, weil man ihm für die reichlichen Wohlthaten nichts zu erwidern vermochte als Duldung seiner Gedichte« (Goethe). Zum Kreis, [* 15] den sich Gleim in Halberstadt zu bilden suchte, gehörten der Fabeldichter Magnus Gottfr. Lichtwer (1719-83), der Lyriker Joh. Georg Jacobi (1740-1814), der Fabel- und Operettendichter J. B. ^[Johann Benjamin] Michaelis (1746-72), Klamer Eberhard Schmidt (1746-1824) u. a. Der Richtung auf das Idyll und das leichte, beschreibende Gedicht, welche durch die Hallenser gegeben war, zeigte sich Chr. Ewald v. Kleist (1715-59) verwandt, dessen beschreibendes Gedicht »Der Frühling« als ein Lenz auch für die Dichtung gepriesen wurde, und in dessen besten Gedichten uns eine feine Naturempfindung und das Gefühl männlicher Würde, das den ernst-soldatischen Dichter erfüllte, erfreulich entgegentreten.
Auch in den größern Formen der dramatischen Dichtung strebte man seit den 50er Jahren über Gottsched und die äußerlichste Franzosennachahmung hinauszukommen, sah sich aber freilich immer wieder zurückgeworfen und vermochte kaum die Fesseln der französischen Form (des Alexandriners) abzuwerfen, geschweige denn einen eignen Lebensgehalt künstlerisch zu gestalten. Die vielbelobten Anläufe, welche J. F. ^[Johann Friedrich] v. Cronegk (1731-59) mit dem Trauerspiel »Codrus«, J. W. ^[Joachim Wilhelm] v. Brawe (1738-58) mit den Tragödien: »Brutus« und »Der Freigeist«, L. v. Ayrenhoff (1733-1819) mit »Aurelius«, »Tumelicus«, »Antonius und Kleopatra«, »Antiope« u. a. nahmen, erwiesen, wie unselbständig und innerlich leblos die deutsche Dichtung in den Hauptsachen noch war.
Auch die Lustspieldichter Joh. Chr. Krüger, J. Ch. ^[Johann Christian] Brandes, die beiden Stephani ragen nicht höher. Ein echter Repräsentant des Eklektizismus, der aus der Nachahmung so verschiedenartiger Muster erwuchs, aber immer wieder in die Abhängigkeit von der französischen Litteratur zurückfiel, war Chr. Felix Weiße (1726-1804), welcher als fruchtbarer Poet auf allen Gebieten, als Verfasser von ernsten und scherzhaften, Amazonen- und Kinderliedern, als Übersetzer, Bearbeiter, Jugendschriftsteller, als Opern- und Lustspieldichter wie als vielgepriesener Tragiker die Bescheidenheit und Genügsamkeit der Ansprüche des deutschen Publikums erwies.
Daß die lange Gewöhnung an die Herrschaft des französischen Geschmacks noch bis in die Zeit des völligen Umschwungs hinein ihre Nachwirkungen hatte, zeigten Dichter wie Fr. Wilhelm Gotter (1746-97), der trotz seiner Beziehungen zu Goethe als Lyriker und Operndichter ein reiner Nachbildner der Franzosen war, wie die Leipziger Lustspielpoeten J. G. ^[Johann Gottfried] Dyk ^[auch: Dyck], Anton Wall u. a. bis zum Ausgang des Jahrhunderts. Indessen durften alle diese Produktionen und Bestrebungen als nichtsbedeutende von dem Augenblick an angesehen werden, in welchem wahrhaft schöpferische Geister der deutschen Litteratur selbständige, große Ziele gegeben und die tiefe Kluft zwischen Leben und Dichtung endlich geschlossen hatten.
In demselben Jahrzehnt, in welchem die frühsten bescheidenen Regungen eines neuen Geistes sich in den Arbeiten der »Bremer Beiträger« kundgaben, erfolgte das Auftreten des ersten wahrhaft genialen Dichters, den Deutschland [* 16] seit der Blütezeit der mittelhochdeutschen Poesie wieder erhielt. »Mit Klopstocks Erscheinung wurde offenbar, daß die Dichtung auf einer ursprünglichen genialen Begabung beruhe ¶