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des sonst untergegangenen Gotischen. Aber das mutige Beispiel des arianischen Bischofs fand keine entsprechende Nachahmung, und nur das äußerste Bedürfnis drang den fränkischen, irischen und angelsächsischen Bekehrern im eigentlichen Deutschland [* 2] nach und nach Übersetzungen einzelner Predigten, Glaubens- und Beichtformeln ab oder reizte zu eigenen Abfassungen in der im ganzen doch für barbarisch erachteten Sprache. [* 3] In der Hauptsache war es »dürftige Prosa«, was auf diesem Weg entstand.
Dem Reichtum und der eigentlichen Macht der deutschen Sprache wichen die Geistlichen eher aus, als daß sie ihn suchten. Da sie die Lust des Volkes an den alten Liedern, welche in dieser Zeit der wandernde Spielmann noch von Herd zu Herd trug, als verderblich erachteten, in der Erinnerung an die kriegerischen Sagenhelden nicht mit Unrecht Rückfall ins Heidentum witterten, da sie sich lange in einem völligen Gegensatz zu der Vorstellungs- und Sinnesweise des Volkes befanden und das Gefühl dieses Gegensatzes in den Klosterschulen auch bei der heranwachsenden Generation genährt ward, so währte es geraume Zeit, bis ein Einklang zwischen der eigentlichen Volksnatur und Volkssitte und der neuen kirchlichen Ordnung eintrat.
Spärlich waren unter solchen Umständen auch die poetischen Versuche, welche aus der neuen christlichen Bildung und aus den Reihen der Geistlichkeit hervorgingen. Einige Gesänge aus dem 9. Jahrh. (»Bittgesang an den heil. Petrus«, ein »Loblied auf den heil. Georg«, eine Bearbeitung des 138. Psalms),
das »Wessobrunner Gebet« und das vom Jüngsten Tag handelnde Gedicht »Muspilli«, welches mit der heidnischen Vorstellung vom großen Weltbrand durchsetzt ist, zeigen die Dürftigkeit der Vorstellungen, die Ungelenkheit der Form. In poetischer Hinsicht wichtiger sind die beiden christlichen Hauptdichtungen der karolingischen Zeit: der in altsächsischer Mundart nach dem Evangelium des Matthäus und der Tatianischen Evangelienharmonie verfaßte, kräftig-einfache »Heliand« (Heiland), den ein niederdeutscher Dichter in den Tagen Ludwigs des Frommen (vielleicht im Auftrag desselben) schrieb, und der im direkten Anschluß an die Weise der allitterierenden Heldengesänge die tiefere Teilnahme des neubekehrten Sachsenvolkes an dem mächtigen Sohn Gottes als dem Völkerherrn und Landeswart zu wecken suchte, und die hochdeutsche »Evangelienharmonie« des Weißenburger Mönches Otfried vom Ende des 9. Jahrh., in welcher der Dichter den Franken ein christliches Heldengedicht zu schaffen beabsichtigte. Otfried war der erste, welcher an die Stelle der Stabreimform den Reim setzte und regelmäßigen Strophenbau einführte, womit er für einen Teil der folgenden Dichter vorbildlich wurde.
Ungefähr derselben Zeit gehört das von einem Geistlichen verfaßte weltliche »Ludwigslied« an, welches einen Sieg Ludwigs III. über die Normannen bei Saucourt (881) feiert. In der Weise dieses auf ein Zeitereignis bezüglichen Liedes haben nach zuverlässigen Zeugnissen noch andre Lieder existiert, die namentlich während des 10. und im Übergang zum 11. Jahrh. zahlreicher wurden. Auch gemischt lateinische und deutsche Gedichte scheinen zu erweisen, daß zwischen der Spielmannsdichtung und der Poesie der Kleriker sich allmählich eine Wechselwirkung herstellte.
In der lateinischen Klosterlitteratur dieses Zeitraums entwickelten sich überdies mancherlei Keime, welche später in der deutschen Litteratur aufgehen sollten, und so muß der ältesten Anfänge der Weihnachts- und Passionsspiele in kleinen lateinischen Dramen sowie der lateinischen Stücke der Gandersheimer Nonne Hroswitha (Roswitha) vom Ende des 10. Jahrh. gedacht werden, mit denen sie den in den Klöstern vielgelesenen Terenz verdrängen wollte.
Die Litteraturdenkmäler, auch im 10. Jahrh. noch vereinzelt, werden im 11. etwas zahlreicher; es treten bestimmtere Autorennamen, man kann noch nicht sagen erkennbare Dichterpersönlichkeiten, hervor. In der Zeit der sächsischen und fränkischen Kaiser (von der Thronbesteigung Heinrichs I., 919, bis zum Tod Heinrichs III., 1056) bestanden im wesentlichen die großen Formen der karolingischen Monarchie, des »theokratischen Kaisertums« fort; die emporstrebende streng kirchliche Auffassung samt der ganzen Vorstellungswelt der Geistlichkeit drang auch in die Volksmassen ein, obwohl mit Spott und Entrüstung bezeugt wird, daß die »Bauern« fortfuhren, von Siegfried und Dietrich von Bern zu singen.
Die Legendenpoesie, mit den Pseudoevangelien, mit heimischen und fremden Wundergeschichten genährt, trat in den Vordergrund, fand inzwischen erst im 12. Jahrh. künstlerische Gestaltung. Dem 11. Jahrh. gehören die deutsche Psalmbearbeitung des St. Gallener Mönches Notker Labeo (gest. 1022), die Auslegung des »Hohenliedes« des Fuldaer Mönches Williram (gest. 1085 als Abt des Klosters Ebersberg),
die biblischen Gedichte des Scholastikus Ezzo, auch das vielbesprochene kosmographische Gedicht »Merigarto« an. Im Übergang zum 12. Jahrh. verfaßte eine Frau Ava (gest. 1127 zu Göttweih) ein größeres Gedicht: »Vom Leben Jesu und vom Antichrist«, ihr angeblicher Sohn Heinrich ein Gedicht »Von des Todes Gehügede«. Die meisten Gedichte und poetischen Bruchstücke dieses Zeitraums erscheinen kunstloser, verwilderter; in manchen wechselt Poesie und Prosa. Die eigentlich althochdeutsche Sprache, von der die ganze Litteraturperiode den Namen der althochdeutschen führt, klingt mit Notker aus. Auch die altniederdeutsche (altsächsische) Sprache bewahrte höchstens bis zu diesem Zeitraum die alte Kraft [* 4] und Fülle; die Zeugnisse eines litterarischen Lebens blieben ganz vereinzelt, der »Heliand« fand keine Nachahmung.
II. Zeitraum.
Zeit der Kreuzzüge. Aufschwung der Dichtung. Beginn der ritterlich-höfischen Poesie.
Im Wendepunkt des 11. zum 12. Jahrh. beginnt eine neue, hochinteressante und reiche Entwickelung der deutschen Litteratur, im wesentlichen an das Emporkommen und die weitere Durchbildung der als Mittelhochdeutsch bezeichneten Schriftsprache gebunden. Den stärksten Anteil an dem raschen Aufblühen einer großen geistlichen Litteratur in deutscher Sprache und einer ihr kühn zur Seite tretenden ritterlichen Dichtung hatten die Eindrücke der bewegten Zeit. Der unter Heinrich IV. beginnende Riesenkampf zwischen der weltlichen Gewalt und den Weltbeherrschungsansprüchen der Hierarchie, die gewaltigen, bunten und wechselnden Eindrücke der Kreuzzüge, die tausendfach neuen Lebensverhältnisse selbst, die in Deutschland aus dem Emporkommen der Landesfürsten, dem gesamten Lehnssystem und Städtewesen erwuchsen, die Aufwühlung der Volksseele bis in ihre Tiefen und die Erweiterung des Gesichtskreises förderten gleichmäßig das Gedeihen der Litteratur, welche sich fast ausschließlich in den Formen der Poesie darstellt und selbst in Weltbeschreibungen, Lebensgeschichten und historischen Werken die Übermacht einer gesteigerten Phantasie erkennen läßt. Das tiefe innige Glaubensleben, das sich in ¶
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dieser Zeit geltend machte, schloß eine freudige, kräftige, selbst verwegene Weltlichkeit nicht aus, ja durchdrang sich in wundersamster Weise mit derselben; aus heimischem Leben und Fremde, aus Lektüre und Anschauung strömte den Dichtern eine Fülle der Stoffe wie der Empfindungen zu. Die niemals erstorbene und von den wandernden Spielleuten weiter getragene Volksdichtung erwacht gleichzeitig mit der ritterlichen Poesie zu neuem Leben, zieht höher strebende poetische Kräfte zur Neugestaltung ihrer alten großen Stoffe an, und das Mittel der Schrift wird für einzelne ihrer Bildungen in umfassenderer Weise in Anspruch genommen. Die ganze volle Entfaltung all dieses poetischen Lebens fand erst in der folgenden Periode unter den hohenstaufischen Kaisern statt, aber immerhin darf die Zeit von der Mitte des 11. bis gegen das Ende des 12. Jahrh. schon eine litterarisch reiche genannt werden.
Mit dem »Annolied«, zu Ehren des 1075 verstorbenen heil. Anno, Erzbischofs von Köln, [* 6] gedichtet, mit der poetischen »Kaiserchronik« (bis 1147 reichend),
die ältere Dichtungen in sich aufgenommen hat, mit dem »Lied von Alexander« des niederrheinischen Pfaffen Lamprecht, dem aus einem französischen Gedicht übersetzten »Rolandslied« des Pfaffen Konrad, die sämtlich der ersten Hälfte des 12. Jahrh. angehören, betreten wir das große Gebiet der epischen Dichtung, deren Stoffmischung sich schon hier offenbart. Gedichte von »König Rother«, »Orendel«, »St. Oswald«, die Sage von »Pilatus«, die »Legende der heil. Veronika« von Wernher vom Niederrhein weisen zum Teil auf die weltliche Spielmannsdichtung hin.
Wie die alten Stoffe weiter bearbeitet wurden, geht aus »Reinhart Fuchs« [* 7] von Heinrich dem Gleißner (Glichesäre), einem Elsässer, der nach französischem Vorbild dichtete, hervor. Vertreter der eigentlichen Kunstlyrik und der Anfänge des nachmals so ausgebreiteten Minnesanges treten gleichfalls in der ersten Hälfte und um die Mitte des 12. Jahrh. auf: so der Österreicher von Kürenberg (zwischen 1120-40), der sich der Nibelungenstrophe bedient, und dem darum einzelne Forscher die Dichtung des Nibelungenliedes selbst zuschreiben wollen;
so sein Landsmann Dietmar von Aiste, der Schwabe Meinloh von Sevelingen, der Burggraf von Regensburg [* 8] und Friedrich von Hausen, der als Kreuzfahrer 1190 im Heiligen Land blieb.
Mit dem letztern begann die Herübernahme der Weisen romanischer Lyrik in die deutsche Dichtung; rasch entfaltete sich eine große Abwechselung der Formen und der Liederarten. Die »Taglieder«, »Klagelieder«, »Leiche«, »Tanzlieder«, »Lob- und Rügelieder«, »Kreuzlieder« in der weltlichen Lyrik, die »Marienlieder« in der geistlichen begannen von allen Seiten zu erklingen.
III. Zeitraum.
Die Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung. Zeit der Hohenstaufen (Staufer).
Die höchste Blüte [* 9] der mittelhochdeutschen Dichtung, vom Ende des 12. Jahrh. an, fiel mit der ruhmreichen Herrschaft der Kaiser aus dem staufischen Haus zusammen. Selbstgefühl, Thatkraft und Wohlstand aller Stände des deutschen Volkes waren mächtig gehoben, die gewaltigen Herrschergestalten Friedrichs I. (Rotbart), Heinrichs VI. und Friedrichs II., die fortwirkenden Eindrücke großen Weltverkehrs [* 10] und siegreicher Kämpfe, gesteigerter und freudiger Lebensgenuß, namentlich an den Höfen und in den Kreisen des ritterlichen Adels, gaben der Periode den Charakter einer Glanzzeit.
Die poetische Litteratur in allen Formen der erzählenden Dichtung, der Lyrik und Lehrdichtung, spärlich nur in dramatischen Gebilden, erlangt eine beinahe überwältigende Fülle und erstaunliche Breite. [* 11] Ihre Hauptrepräsentanten waren jetzt nicht mehr Geistliche, sondern Männer ritterlichen Standes. Nahmen an der Minnedichtung Fürsten und Herren, selbst die staufischen Kaiser und Könige Anteil, so machten doch vorwiegend Glieder [* 12] des niedern Adels, denen sich vereinzelt bürgerliche Meister anschlossen, die Dichtung zum Lebensberuf und suchten durch unablässiges Anrufen der »Milde« hochgepriesener Gönner Unterhalt und gelegentlichen Überfluß zu gewinnen.
Daß neben diesen ritterlichen Sängern die fahrenden Spielleute nicht verschwanden, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Soweit Namen und Gestalten erkennbar sind, bevorzugten die ritterlich-höfischen Dichter die neuen weltlichen welschen Stoffe, die ihnen meist aus französischen Quellen zuflossen; indes bleibt es Thatsache, daß die endgültigen Gestaltungen der großen, auf rein deutschen Überlieferungen beruhenden Nationalepen, das »Nibelungenlied« und »Gudrunlied«, in die Blütezeit der ritterlichen Dichtung fallen und in Südostdeutschland der Entfaltung der ritterlichen Epik auf Grund fremder Sagen und Erfindungen zur Seite standen, vielleicht vorangingen.
Auf alle Fälle sind die Volksepen, voran »Der Nibelungen Not«, die großartigsten Denkmäler dieser Blütezeit deutscher Poesie. Das »Nibelungenlied« vereinigt die hervorragendsten Gestalten des niederrheinischen und burgundischen mit einzelnen des gotischen Sagenkreises; es sucht an erzählender und charakterisierender Kraft, an innerm Reichtum und gewaltiger hochdramatischer Steigerung, namentlich in der zweiten Hälfte, seinesgleichen. Wieviel auch in einzelnen Liedern und Abenteuern vorhanden gewesen sein mag, an der nun niedergeschriebenen Gestaltung, die in den Anfang dieser Periode hinaufreicht, muß eine mächtige dichterische Begabung entscheidenden Anteil gehabt haben. In mindern, aber noch immer hohem Grad begegnen uns die eindringlichen Vorzüge der volkstümlichen Epik im »Gudrunlied«, welches friesisch-normännische Sagen mit dem Hintergrund der See- und Raubzüge und der Kämpfe altgermanischer Seekönige gestaltet und namentlich im unübertrefflich schönen, seelisch tiefen letzten Teil auf einen großen Dichter zurückweist.
Ferner im Zeitalter der ritterlichen Dichtung entstandene und wahrscheinlich ritterlichen Sängern angehörige Gestaltungen alter Sagenstoffe waren: »Die Rabenschlacht« und »Dietrichs Flucht« (beide von einem Heinrich dem Vogler),
»Alphart«, »Walther und Hildegunde« (von einem steirischen Dichter, nur bruchstückweise erhalten),
»Ortnit«, »Wolfdietrich«, »Der große Rosengarten«, »Biterolf«, »Laurin«, »Der kleine Rosengarten«, »Der Nibelungen Klage«, »Das Eckenlied«, »Dietrichs Drachenkämpfe«, »Goldemar« (von einem Tiroler Ritter, Albrecht von Kemenaten), von denen denn freilich ein Teil nur in spätern Überarbeitungen und Handschriften erhalten blieb.
Die ritterlich-höfische Epik im engern Sinn, mit Trägern, von deren Leben und Schicksalen wir meist einige Nachrichten besitzen, Dichtern, denen mehrere Werke angehören, und die beinahe alle auch in den Reihen der Lyriker (Minnesänger) stehen, hatte einen raschen Aufschwung, eine glänzende Entfaltung und verhältnismäßig raschen Verfall. Ihr erster namhafter Vertreter war Heinrich von Veldeke (zwischen 1175-90), aus dem Limburgischen, ein Edelmann vom Niederrhein, der auch sprachlich insofern Bedeutung hat, als er den Übergang vom »Mitteldeutschen« ¶