Opĭum
(Laudanum,
Meconium), aus angeritzten unreifen
Kapseln
[* 2] des
Mohns
(Papaver somniferum) ausfließender und eingetrockneter
Milchsaft, eine der wichtigsten
Droguen und ein im
Orient sehr beliebtes narkotisches
Genußmittel. Die Opium
gewinnung ist in
allen mildern und subtropischen Klimaten mit nicht zu starkem Regenfall möglich; aber der Wert des
Bodens und der
Arbeit
machen sie an vielen
Orten nicht lohnend, und gegenwärtig liefern nur
Kleinasien,
Persien,
[* 3]
Indien und
China,
[* 4] in geringerm
Maß
auch
Ägypten
[* 5] das Opium
des
Handels.
Das an vielen
Orten in
Europa
[* 6] (auch in
Deutschland),
[* 7] in
Algerien,
[* 8]
Nordamerika
[* 9] und
Australien
[* 10] gewonnene Opium
hat für den
Handel geringe
Bedeutung. In
Kleinasien wird der
Mohn (P. somniferum, var. β glabrum
Boiss.) besonders von kleinen
Bauern
kultiviert. Wenige
Tage nach dem
Abfallen der Blütenblätter macht man oberflächliche
Einschnitte in die
Kapseln, aus denen
sich nun über
Nacht der
Milchsaft ergießt. Man nimmt diesen am
Morgen mit einem
Messer
[* 11] ab, sammelt ihn auf einem Mohnblatt
und knetet ihn zu größern oder kleinern
Kuchen zusammen.
Eine
Kapsel liefert etwa 0,02 g Opium.
Das kleinasiatische Opium (jährlich 4-7000
Körbe zu etwa 75 kg) kommt über
Smyrna oder
Konstantinopel
[* 12] in den
Handel und ist die vorzüglichste
Sorte. Das
Smyrnaer ist bei
uns offizinell und bildet meist etwas zusammengedrückte oder fast kugelförmige, bis 0,75
kg schwere
Kuchen, seltener
Brote von 1 bis 3 kg, eingehüllt in Mohnblätter oder bestreut mit Ampferfrüchten.
Frisch sind
sie etwas weich, innen blaßbraun und bestehen aus kleinen, auf dem
Durchschnitt der
Kuchen sichtbaren Körnchen; getrocknet
sind sie dunkler, auf dem
Bruch glänzend und rotbraun. Opium
riecht eigentümlich narkotisch, schmeckt scharf
bitter, brennend, aber nicht kratzend, löst sich nur zum Teil in
Wasser und
Alkohol, enthält 9-14, im Innern oft 24 Proz.
Wasser,
Gummi,
Albumin,
Zucker
[* 13] (bis 8 Proz.), eine kautschuk-, harz- oder wachsartige
Substanz, sehr kleine
Mengen eines flüchtigen,
pfefferartig riechenden
Körpers, Mineralstoffe (3-5 Proz.
Asche) und folgende
Alkaloide:
Hydrokotarnin | C12H15NO3 ^[C12H15N_O3] | Mekonidin | C21H23NO4 ^[C21H23N_O4] |
Morphin | C17H19NO3 ^[C17H19N_O3] | Laudanosin | C21H27NO4 ^[C21H27N_O4] |
Kodein | C18H21NO3 ^[C18H21N_O3] | Lanthopin | C23H25NO4 ^[C23H25N_O4] |
Thebain | C19H21NO3 ^[C19H21N_O3] | Protopin. | C20H19NO5 ^[C20H19N_O5] |
Pseudomorphin | C17H19NO4 ^[C17H19N_O4] | Kryptopin | C21H23NO5 ^[C21H23N_O5] |
Kodamin | C20H25NO4 ^[C20H25N_O4] | Rhöadin | C21H21NO6 ^[C21H21N_O6] |
Laudanin | C20H25NO4 ^[C20H25N_O4] | Narkotin | C22H23NO7 ^[C22H23N_O7] |
Papaverin | C21H21NO4 ^[C21H21N_O4] | Narcein | C23H29NO9 ^[C23H29N_O9] |
Außerdem finden sich im O. Mekonin C10H10O4 und Mekonsäure C7H4O7 . Der
Morphiumgehalt beträgt im
Smyrnaer Opium
durchschnittlich 10-12 Proz. und erreicht 21, im nordfranzösischen
Opium
22,8 Proz. Der
¶
mehr
Narkotingehalt beträgt 2-4 Proz., bisweilen 10 Proz. und mehr. Kodein und Thebain erreichen jedes kaum 1 Proz., und die übrigen
Alkaloide finden sich noch sehr viel spärlicher. Das Opium
schafft, richtig angewandt, als Arzneimittel mehr Segen, gemißbraucht
aber, als Berauschungsmittel, mehr Elend als irgend eine andre Drogue. Es wirkt in geringen Gaben zunächst
erregend, dann beruhigend;
schmerz- und krampfstillend, schweißtreibend, schlafmachend, die Absonderungen mäßigend und verringernd;
in größern Gaben erregend, erhitzend, betäubend;
es stört, in großen Gaben verabreicht, die Sinnesthätigkeit, schwächt die Nerven, [* 15] verwirrt den Geist, verursacht anhaltenden, oft mit den angenehmsten Träumen erfüllten Schlaf und führt schließlich den Tod herbei.
Tödlich können wirken für Kinder schon 0,01 g, für Erwachsene 0,25-0,75
g; manche Tiere, besonders Affen,
[* 16] vertragen sehr große Gaben. Gegengifte bei Opium
vergiftung sind starker Kaffee, Gerbsäure,
größere Gaben Bittermandelwasser. Man benutzt das Opium
als Arzneimittel äußerlich und innerlich in sehr vielen Fällen, sowohl
als Opium
wie als Extrakt oder Tinktur; letztere enthält in 100 Teilen die löslichen Bestandteile von etwa 10 Teilen
Opium.
Große Mengen Opium
werden verbraucht zur Darstellung von Morphium und andern Alkaloiden, die größte Menge aber als Berauschungsmittel,
als welches es sowohl gekaut als geraucht wird.
Dieser Mißbrauch des Opiums
ist besonders im Orient, bei den Türken, Griechen, Persern, vorzüglich aber
bei den Chinesen und in immerhin bedenklichem Grad auch in Nordamerika und England herrschend. Die Opium
esser sind bei den Türken
verachtet und heißen Theriakides, sie finden sich in Konstantinopel auf dem sogen. Theriakmarkt ein und bringen ihr Opium
mit.
Es sind blasse, abgezehrte Gestalten mit gestrecktem Hals und gereckten Gliedern, erstorbenen Augen und
stammelnder Zunge, wandelnden Leichnamen gleich.
Sie setzen sich auf Sofas längs einer hölzernen Galerie, und es verschluckt jeder die ihm zusagende Zahl von Pillen, die stärksten
deren vier, größer als Oliven, mit einem Glas
[* 17] frischen Wassers; binnen einer Stunde sind sie dem beseligenden
Rausch des Opiums
hingegeben, der jedem die Wünsche seiner Einbildungskraft als erfüllt vorzaubert. Die Opium
esser beginnen
mit 0,03 g Opium und steigen bis auf 7,5 g und darüber, die
Wirkungen beginnen nach einer Stunde und dauern je nach den Individualitätsverhältnissen 5-6 Stunden.
Die wenigsten Opiumesser sollen ein hohes Alter erreichen. In China und Java wird das Opium behufs des Rauchens durch Kochen in Wasser gelöst, die Lösung wird filtriert und verdampft. Wollen die Chinesen rauchen, so legen sie ihren Kopf auf ein Kissen, nehmen mit einem nadelartigen Instrument etwas Opium, halten es an die Flamme [* 18] eines Lichts, stecken es in den kleinen Kopf der Opiumpfeife, bringen das Licht [* 19] während des Einziehens an den Pfeifenkopf und ziehen mittels eines Zugs oder zweier Züge den Rauch in die Lunge; [* 20] habituelle Raucher wiederholen dies mehreremal.
Nach Berichten englischer Ärzte sind die Opiumraucher anfangs aufgeweckt, gesprächig und heiter, oft aber auch jähzornig und zanksüchtig. Man bemerkt Röte des Gesichts, funkelnde Augen, beschleunigte Respiration und Zirkulation, Wärmegefühl, allgemeines Wohlbehagen, größere Lebhaftigkeit der Empfindungen und der Phantasie etc. Später tritt dann Abspannung ein. Ein höchst unangenehmes Gefühl am nächsten Morgen treibt zu neuem Opiumgenuß an. Wird dieser versagt so erleiden namentlich habituelle Raucher eine Plage, welche nicht zu beschreiben ist. Plötzliche Unterlassung des Opiumrauchens, wenn es vorher stark und anhaltend betrieben wurde, hat die übelsten Folgen und kann den Tod herbeiführen.
Der Mohn gehört zu den ältesten Arzneipflanzen, [* 21] und für die Bekanntschaft mit seiner schlafmachenden Wirkung sprechen viele Zeugnisse. Schon zu Homers Zeiten muß er in Kleinasien angebaut worden sein. Theophrast kannte das Opium unter dem Namen Mekonion, Dioskorides und Plinius beschrieben auch die Gewinnung, und man unterschied das Opos, den eingetrockneten Milchsaft der Kapsel, von dem minder wirksamen Extrakt der ganzen Pflanze, dem Mekoneion. Im europäischen Mittelalter wurde Opium wenig gebraucht und war längere Zeit eine seltene Drogue.
Als Theriaka oder Turiaga bezeichnete man opiumreiche Latwergen oder das Opium selbst. In reichlicher Menge wurde Opium in der oberägyptischen Landschaft Thebais gewonnen und sehr lange von dort ausgeführt, doch kam auch indisches Opium nach Europa. In Persien scheint die Unsitte der Benutzung des Opiums als Erregungsmittel zuerst aufgekommen zu sein, und erst in einer verhältnismäßig späten Zeit dürfte sie sich über Asien [* 22] verbreitet haben. Im Sanskrit fehlt wenigstens ein Name für Opium, während im ganzen Orient aus dem griechischen opos oder opios abgeleitete Bezeichnungen vorkommen.
Offenbar hängt diese Erscheinung mit der Verbreitung des Islam zusammen, dessen Bekenner in dem Genuß des Opiums Mut und Todesverachtung erlangten und auf keine Weise besser in ihrem rauschähnlichen Fanatismus erhalten werden konnten. Gewiß hat das Verbot des Weins dazu beigetragen, den Mißbrauch des Opiums zu steigern. In Indien setzte sich die Mohnkultur zunächst in Malwa fest, sicher im Zusammenhang mit dem Einzug mohammedanischer Herrscher im 16. Jahrh. 1511 war Opium ein wichtiger Einfuhrartikel des Hafens von Kalikat in Vorderindien, doch war es so teuer, daß nur die Reichen dem Genuß frönen konnten.
Die Chinesen holten damals viel Opium aus Indien als Arzneimittel, während das Rauchen daselbst erst nach der Mitte des 17. Jahrh. trotz vieler Verbote der Regierung gebräuchlich wurde. Die englische Ostindische Kompanie begann die Opiumkultur in Bengalen, monopolisierte dieselbe und führte seit 1773 Opium in immer steigenden Quantitäten in China ein. 1820 verbot die chinesische Regierung die Opiumeinfuhr, bewirkte dadurch aber nur die Organisation eines Schmuggelhandels, der endlich zu dem »Opiumkrieg« mit England führte.
Dieser kam 1842 zum Abschluß, und 1858 erfolgte im Vertrag von Tiëntsin von chinesische Seite die Zulassung des Opiums, welche weiterhin 1876 durch die Tschifukonvention geregelt werden sollte. Im Finanzjahr 1873-74 wurden in Indien 6,358,495 kg Opium produziert und davon nach China und den Ländern mit chinesischen Ansiedlern 6,144,132 kg exportiert. Für 1875 wird die Einfuhr von Opium in China auf 3,805,479 kg angegeben. Zwei Drittel der Produktion entfallen auf Bengalen, der Rest auf Bombay [* 23] und Malwa. Seit 1853 wird in China selbst Opium gewonnen und die jährliche Produktion auf 20-30,000 Kisten geschätzt.
Die Verbreitung des Opiumgenusses in England fällt in das 4. Jahrzehnt unsers Jahrhunderts, in dieselbe Zeit mit der Ausbreitung der Bestrebungen des Temperenzsystems. In Nordamerika erreichte das Opiumrauchen, abgesehen von dem bei den Chinesen üblichen Mißbrauch, erst in den 70er Jahren größere Verbreitung; erst 1876 gelangte es in die größern Städte des Ostens, Chicago, St. Louis und New ¶
mehr
Orleans, etwas später begann es in New York, wo gegenwärtig die Zahl der Raucher auf 300 geschätzt wird. Jetzt existiert wohl kaum eine Stadt, besonders des Westens, in welcher sich nicht Rauchstätten und Raucher befinden. In den letzten Jahren hat der Verbrauch an Opium stetig zugenommen, 1880 betrug derselbe ausschließlich für den Genuß 77,196 Pfd. und zwar 17,000 mehr als im Vorjahr. Daß dieser Zuwachs nicht der Vermehrung der chinesischen Bevölkerung [* 25] entspricht, geht deutlich daraus hervor, daß die letztere, von der 15 Proz. Gewohnheitsraucher und 20 Proz. Gelegenheitsraucher sind, seit 1876 fast stationär geblieben ist.
Die Zahl der jetzt rauchenden Amerikaner wird auf 6000 geschätzt. In Britisch-Indien, wo das Hanfrauchen bekanntlich überaus stark verbreitet ist, wird gleichzeitig das Opiumessen in starker Weise betrieben. In Kalkutta [* 26] waren 1870 nicht weniger als 15 Läden für Opiumesser, und 1874 waren in Britisch-Birma 32 gestattete Opiumläden, welche der Regierung 100,000 Rupien für die Konzession zahlten; 1881 wurde die Zahl, welche inzwischen auf 68 angewachsen war, auf 27 reduziert.
Auch in Großbritannien [* 27] ist das Opiumessen neben dem Opiumrauchen sehr verbreitet. Ersteres ist aber das weit gefährlichere Übel, denn das Rauchen kann in einer geeigneten Anstalt dem damit Behafteten leicht, abgesehen von gewissen, besonders gastrischen Störungen in der Abstinenzperiode, ohne Schaden und dauernd abgewöhnt werden, während die Erfahrungen, besonders in Bengalen, gezeigt haben, daß die Opiumesser stets Rückfälle haben; entzieht man dem ostindischen Opiumesser plötzlich das Opium, so stirbt er fast mit Sicherheit infolge von Darmstörungen.
Doch kann man fast stets und ohne Schaden die Opiumdosis, so groß sie früher gewesen sein mag, auf 0,5 g reduzieren.
Vgl. Calkin, Opium and the opium-appetite (Philad. 1870);
Cooke, The seven sisters of sleep (Lond. 1860);
Vignet, Étude sur l'opium (Par. 1875);
Turner, British opium-policy (Lond. 1876);
Christlieb, Der indobritische Opiumhandel (Gütersloh 1878);
Kane, Opium-smoking in America and Chine (New York 1882);
Wiselius, De Opium in Nederlandschen in Britisch-Indië (Haag [* 28] 1886).