nach dem vatikanischen
Konzil von den anti-infallibilistischen Mitgliedern der armenisch-katholischen
Kirche zum
Patriarchen
gewählt und vom
Sultan als solcher anerkannt worden war, dem
Papst. Hassun wurde von der
Pforte als alleiniges Oberhaupt der
armenisch-katholischen (unierten)
Kirche im türkischen
Reich anerkannt. Im
September 1879 unterwarfen sich auch die übrigen
Antihassunisten (noch 13,000 mit 16
Bischöfen) dem päpstlichen
Stuhl. Hassun selbst aber begab sich ein
Jahr darauf gleichfalls nach
Rom und
[* 2] legte seine
Würde nieder.
Das
Dogma und der
Ritus der schismatischen Armenier nähern sich dem der alten griechischen
Kirche. Den Hauptunterschied von
dieser in ersterer Beziehung bildet die
Lehre
[* 3] von der Vermischung der göttlichen und menschlichen
Natur
in
Christus zu einer einzigen. Eigentümlich ist ihnen bei der
Feier der (sieben)
Sakramente, daß sie mit der
Taufe, bei welcher
der Täufling dreimal besprengt und untergetaucht wird, zugleich die
Firmelung verbinden, beim
Abendmahl unvermischten
Wein
und gesäuertes
Brot
[* 4] gebrauchen, welches, in
Wein getaucht, herumgereicht wird, und die
Letzte Ölung nur
an geistlichen
Personen gleich nach dem
Tod vornehmen.
Das Oberhaupt
(Katholikos) der ganzen schismatischen armenischen
Kirche ist der
Patriarch von
Etschmiadsin, dem ein
Rat von
Erzbischöfen
und
Bischöfen zur Seite steht, und dem die armenischen
Patriarchen von
Jerusalem
[* 5] und
Konstantinopel
[* 6] untergeordnet sind. Der
Bildungsstand der
Geistlichen ist gering, ihre Vorbereitung eine mehr äußerliche und asketische. Überhaupt ist die armenische
Geistlichkeit ärmer als jede andre. Die
Pfarrer ziehen ihren Unterhalt bloß aus den
Almosen, welche bei
Taufen, Begräbnissen
und für die Segensgebete gespendet werden, welche zweimal des
Jahrs für jedes
Haus stattfinden.
Sprache und Litteratur. Die armenische Sprache gehört dem indogerman. Sprachstamm
[* 8] an. Ob sie zu der iranischen
Gruppe desselben zu rechnen
(Fr.
Müller) oder als ein selbständiges Mittelglied zwischen der letztern
und den europäischen
Sprachen anzusehen sei
(Lagarde, Hübschmann), ist eine in den letzten
Jahren vielverhandelte Streitfrage.
Jedenfalls sind viele der
Wörter, welche die armenische Sprache mit den iranischen
Sprachen gemein hat, aus den letztern entlehnt.
Der grammatische
Bau und die
Laute des
Armenischen zeigen einen durchaus selbständigen
Charakter: namentlich
sind am
Verbum drei neue
Tempora, ein
Perfekt, ein Plusquamperfekt und ein
Futurum, durch Partizipia gebildet worden, während
anlautendes p in h übergegangen ist (z. B. armen. hayr = lat.
Pater,
»Vater«). Man unterscheidet das Altarmenische, noch jetzt die gelehrte und gottesdienstliche
Sprache, und das Neuarmenische,
die Volkssprache mit fremden, besonders persischen und türkischen, Beimischungen und sehr veränderter
Aussprache, die wieder in vier
Dialekte zerfällt.
Die altarmenische
Aussprache hat sich am besten im Ostarmenischen
(Tiflis) erhalten. Die
armenische
Schrift (s. »Schrifttafeln«)
hat nach der Angabe des
Moses von Chorene der heil. Mesrop nach dem
Muster des griechischen
Alphabets gebildet;
in der That entsprechen von den 36 Zeichen des armenischen
Alphabets 22 genau den gleichwertigen
Buchstaben des griechischen
Alphabets der nachchristlichen Zeit, während die übrigen, mit denen im
Griechischen nicht vorhandene
Laute bezeichnet werden,
neuerfundene Zeichen sind.
Die besten
Grammatiken des Altarmenischen lieferten
Petermann (Berl. 1837;
Auszug mit kurzer
Chrestomathie, 2. Aufl. 1872) und
Lauer
(Wien
[* 9] 1869;
Chrestomathie, das. 1881); eine
Grammatik und ein Vokabular des Neuarmenischen verfaßte Riggs
(Smyrna 1847).
Ein armenisch-englisches
Wörterbuch hat man von
Aucher (Vened. 1821, 2 Bde.),
ein neueres von Bedrossian (das. 1879), ein armenisch-französisch-italienisch-türkisches von
den
Mechitaristen
(Wien 1846), ein deutsch-armenisches von Goilaw (das. 1884). Sprachvergleichend ist das
Armenische namentlich
von
Bopp und
Petermann, neuerdings von
Fr.
Müller,
Lagarde, Derwischjan und Hübschmann untersucht worden. Über die
Stellung
des
Armenischen im
Kreis
[* 10] der indogermanischenSprachen schrieben Hübschmann (im 23.
Bande der
»Zeitschrift
für vergleichende Sprachforschung« 1875) und
Fr.
Müller (in den Sitzungsberichten der
WienerAkademie 1876). Eine sprachvergleichende
Darstellung des armenischen Wortschatzes lieferte Hübschmann in seinen »Grundzügen
der armenischen
Etymologie« (Leipz. 1884).
Die Litteratur der Armenier verdankt ihre Entstehung dem
Christentum, das im Anfang des 4. Jahrh. in
Armenien
eingeführt wurde. Aus der heidnischen Zeit sind nur wenige
Lieder und
Sagen, die
Moses von Chorene aufbewahrt hat, überliefert.
Als erster Schriftsteller gilt
Gregor der Erleuchter (Illuminator, armenisch: Lusaworitsch), der die Armenier zum
Christentum
bekehrte und 302-332
Katholikos von
Armenien war. Ihm werden die
Homilien zugeschrieben, welche in
Venedig
[* 11] 1838 unter
seinem
Namen herausgegeben wurden.
die Geschichte des heil.
Gregor des Erleuchters von Agathangelos
(Venedig 1862; franz. bei Langlois,
s. unten; über Zeit undQuellen vgl. Armenische v.
Gutschmid, Agathangelos, Leipz. 1877, aus der
»Zeitschrift der
Deutschen Morgenländischen
Gesellschaft«, Bd. 31);
die Geschichte der
ProvinzTaron von Zenob Glak (Vened. 1832; franz. bei
Langlois, s. unten);
die Geschichte
Armeniens von Faustus von Byzanz (das. 1832, Petersb. 1883;
franz. bei Langlois, s. unten; deutsch vonLauer,
Köln
[* 12] 1879).
Die genannten Werke werden meistens, aber
mit Unrecht, ins 4. Jahrh. gesetzt; sie können, in armenischer
Sprache wenigstens, frühstens im 5. Jahrh. geschrieben worden
sein, nachdem Mesrop auf
Grund des griechischen
Alphabets das nationale armenische
Alphabet im Anfang des 5. Jahrh. geschaffen
hatte. Nach Schaffung dieses
Alphabets wurde die
Bibel
[* 13] durch Sahak d. Gr. und Mesrop ins
Armenische übersetzt
und der armenischen Litteratur damit eins ihrer schönsten
Denkmäler gegeben (krit. Ausg., Vened.
1805). Zu den zahlreichen
Schülern dieser beiden ausgezeichneten und hochverdienten
Männer gehört:
Moses von Chorene (gest.
487), der bedeutendste, wenn auch bei genauer Betrachtung ein politisch¶
mehr
tendenziöser HistorikerArmeniens (vgl. Armenische v. Gutschmid, Über die Glaubwürdigkeit der armenischen Geschichte des Moses von
Khoren, Leipz. 1876), unter dessen Werken (Gesamtausgabe, Vened. 1865)
besonders die »Armenische Geschichte« (hrsg. mit lat. Übersetzung
von den BrüdernWhiston, Lond. 1736; mit franz. Übersetzung von Levaillant de Florival, Par. 1841; ins Italienische
übersetzt, Vened. 1849-1850; franz. bei Langlois, s.
unten; russ. von Emin, Moskau
[* 15] 1858; deutsch von Lauer, Regensb. 1869) und ein geographisches Werk (mit franz.
Übersetzung von Saint-Martin, Par. 1819; armen. u.
russ. von Patkanean, Petersb. 1877; armen.
u. franz. von Arsène Soukry, Vened. 1881) von Wichtigkeit sind. Neben ihm sind als
Geschichtschreiber aus dem 5. Jahrh. zu nennen: Elisäus mit seiner »Geschichte
der Kriege Wardans gegen die Perser« (Konstant. 1764 u. öfter; engl. von Neumann, Lond. 1830; ital. von Capelletti, Vened.
1840; franz. von Kabaragy, Par. 1844; russ. von Schanschejew, Tiflis 1853; Werke, Vened. 1859) und Lazar von Pharp mit
seiner »Geschichte Armeniens von 388 bis 485« (das. 1873); neben ihnen Koriun der Wunderbare (Skantscheli)
mit einer Biographie Mesrops (das. 1833). In derselben Zeit unternahm man viele Übersetzungen griechischer
und syrischer Schriften, von denen die Originale nicht mehr vorhanden sind, z. B. der Chronik des Eusebios (hrsg. von Aucher,
Vened. 1818, 2 Bde.;
Schöne und Petermann, Berl. 1866-75), der RedenPhilons (hrsg. von Aucher, Vened. 1822), der Homilien des Chrysostomos (das. 1826-62, 5 Bde.),
des BasiliusMagnus (das. 1830), des Ephrem Syros (das. 1836, 4 Bde.)
u. a. Damit war den litterarischen InteressenArmeniens ein ziemlich universeller Charakter aufgedrückt. So erscheint denn
der genannte Moses von Chorene auch als Verfasser einer Rhetorik (Vened. 1842, 1865), sein NeffeDavid »der Unbesiegbare« (Anhaghth)
als tüchtiger Philosoph (»Buch der Definitionen«, Konstant. 1731, Vened. 1833; außerdem Handschriftliches über die Logik des
Aristoteles, Pyrrhon etc.). Aus der theologischen Litteratur ist besonders Eznik hervorzuheben mit seiner
»Widerlegung der Sekten« (Smyrna 1762, Vened. 1826; franz. von Levaillant de Florival, Par. 1853), weil sie
merkwürdige Nachrichten über den Parsismus und die Manichäer gibt. Im 6. Jahrh. produzierte die armenische Litteratur kaum
etwas Bedeutendes, da ihr durch das Verbot des Verkehrs mit den Byzantinern, welches die persischen Könige erließen, die Lebensadern
unterbunden waren.
Von einigem Wert scheint nur die noch ungedruckte Geschichte des ephesischen Konzils 431 von Abraham dem Mamikonier zu sein.
Aus dem 7. Jahrh. sind hervorzuheben: Johannes der Mamikonier, welcher Zenobs Geschichte von Taron bis auf seine Zeit fortsetzte
(Vened. 1832);
Theodoros Kherthenavor und der Katholikos Sahak III., beide Verfasser von theologischen
Schriften (das. 1833);
Sebeos, Verfasser einer Geschichte des Heraklios (Konstant. 1851; russ. u. armen.
von Patkanean, Petersburg
[* 16] 1862 u. 1879).
Aus dem 8. Jahrh.: Johannes Odsnensis (Katholikos 718-729), unter anderm Verfasser
einer Streitschrift gegen die Eutychianer und Paulicianer (Werke, Vened. 1833; mit lat. Übersetzung von Aucher, das.
1834);
Ghevond (Leontius), Verfasser
einer Geschichte der arabischen Eroberungen in Armenien von 732 bis 788 (hrsg. von Schahnazarean, Par. 1857,
der zugleich eine französische Übersetzung lieferte, wie Patkanean 1862 eine russische).
Thomas Ardzruni, Verfasser einer Geschichte der Fürsten der Ardzrunier bis 936, später fortgesetzt bis 1226 (Konstant.
1852; franz. Übersetzung von Brosset, 1874).
Grigor Narekensis (gest. 1003), Sohn Chosrows, Verfasser zahlreicher
theologischer Werke (Vened. 1840);
Moses Kalankatuensis, Verfasser einer Geschichte der kaukasischen Albanier (Par. 1860, Mosk.
1860; russ. von Patkanean, Petersb. 1862);
Stephanus Asolik oder Asolnik, Verfasser einer bis 1004 reichenden
Chronik (Par. 1859; franz. von Dulaurier, das. 1883).
Aus dem 11. Jahrh.: Arisdag de Lastiverd, Verfasser eines die Zeit von 989 bis 1071 behandelnden
Geschichtswerks (Vened. 1844; franz. von Prud'homme, Par. 1864);
Aus dem 12. Jahrh.: Nerses Klajetsi (genannt
Schnorhali), gleich ausgezeichnet als Dichter und Theolog (Werke, lat., Vened.
1833, 2 Bde.);
Matthêos Urrhajensis, Verfasser einer Geschichte der Zeit von 952 bis 1136, fortgesetzt von Grigor bis 1163 (Jerus.
1869; franz. von Dulaurier, Par. 1858);
Nerses Lambronensis, ausgezeichneter Kanzelredner, Verfasser einer
»Synodalrede« (armen. u.
ital., Vened. 1812; deutsch von Neumann, Leipz. 1834; Werke, Vened. 1847).
Aus dem 13. Jahrh.: Wardan d. Gr., Verfasser von
Fabeln, theologischen Werken und einer Geschichte von Erschaffung der Welt bis 1267 (hrsg. von Emin, Mosk. 1861; Vened. 1862);
Kirakos von Gandzak, Verfasser einer Geschichte von 300 bis 1264 (hrsg.
von Oskan, Mosk. 1858; Vened. 1865; franz. von Brosset, 1870);
Wahram, genannt Rabuni, Verfasser einer versifizierten Geschichte
der Rubeniden bis 1280 (Par. 1859);
Stephanus Siunensis der Orbelier, Verfasser einer Geschichte der Provinz Siunia (hrsg.
von Schahnazarean, Par. 1859, und von Emin, Mosk. 1861; franz. von Brosset, Petersb. 1864).
Aus dem Anfang
des 14. Jahrh.: Sembad, Feldherr, Verfasser eines Geschichtswerks über die Zeit von 961 bis 1331 (hrsg. von
Oskan, Mosk. 1856, und von Schahnazarean, Par. 1859). Mit dem Schluß des 14. Jahrh. endigt die eigentliche Blütezeit der
armenischen Litteratur. Hervorzuheben sind aus der Zeit des Verfalls, im 15. Jahrh.: Thomas von Metsoph,
Verfasser einer Geschichte Timurs;
im 17. Jahrh.: Arrakhel von Tabris, Geschichte der Zeit von 1601 bis 1662 (Amsterd.
1669; franz. von Brosset, 1874);
im 18. Jahrh.: Michael Tschamtschean, Verfasser einer allgemeinen Geschichte seines Volks von
den ältesten Zeiten an (Vened. 1784-1786, 3 Bde; engl. von
Avdall, Kalkutta
[* 18] 1827, 2 Bde.);
im 19. Jahrh.: Lukas Indschidschean, Verfasser einer »Beschreibung von Altarmenien« (Vened.
1822),
Von poetischen Produkten sind außer kirchlichen Hymnen nur die meist geistlichen Gedichte des Nerses Klajensis, der als Historiker
bereits aufgeführt wurde (Vened. 1830), und des Petros Getadards, Katholikos 1019-58 (franz. von Nève,
Löwen
[* 20] 1855), sowie die Fabeln des Mechithar Gosch, der am Ende des 12. Jahrh. lebte (mit den Fabeln des
¶