bilden einen wesentlichen
Teil der neuern
Turnkunst, da durch sie die Ausbildung
von Kraft,
[* 2] Gewandtheit, Anstelligkeit, Besonnenheit und
Mut der Übenden gefördert werden soll. Man unterscheidet das
Turnenmit und das
Turnenan Geräten. Ersteres umfaßt die turnerischen Thätigkeiten mit beweglichen, leicht zu handhabenden Übungsmitteln,
wie
Stäbe, Hantel, Gewichte, Ger
u. dgl., letzteres die
Übungen an feststehenden oder doch während des
Gebrauchs befestigten Vorrichtungen. Meist verläßt hierbei der
Turner seinen
Stand auf dem
Boden und bringt seinen Körper
an den Geräten in verschiedene Zustände; bald sind diese dann ein Hangen, bald ein
Stemmen, bald beides zugleich, bald ein
Springen und Stützen zugleich (der sog. gemischte
Sprung), bald ein Schweben.
(Turnen), die Kunst der Leibesübung (Gymnastik) in ihrer deutschen Entwickelungsform. Der Name stammt vom Turnvater
Jahn, der ihn als einen vermeintlich echt deutschen dem altdeutschen turnan (drehen) entnahm, welches
aber nur ein Lehnwort aus dem griechisch-lateinischen tornare (runden, drehen) ist, verwandt mit Turnier und Tour. Die Turnkunst umfaßt
die Gesamtheit der bei uns einer geregelten Ausbildung des menschlichen Körpers um dieser selbst willen dienenden Leibesübungen,
bietet so aber auch die Grundlage für die bestimmten Zwecken dienenden leiblichen Fertigkeiten, wie z. B.
für den Tanz und die militärischen Bewegungsformen, für Fechten und Reiten, schließt aber solche nicht schon in sich. Sie
ist somit als allgemein vorbildend ein wesentlicher Teil der Erziehung und eine Pflicht der letztern insofern, als ihr die
Ausbildung der menschlichen Kräfte innerhalb der Grenzen
[* 5] eines
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mehr
harmonischen Zusammenwirkens derselben obliegt. Durch letzteres unterscheidet sie sich von der die leibliche Kraft und Gewandtheit
ausschließlich und berufsmäßig ausbildenden Athletik wie von dem nur einzelne Fertigkeiten pflegenden Sporte. Die Turnkunst hat
mit ihrem Einfluß auf die Funktionen der Leibesorgane eine wesentliche Bedeutung für die Gesundheit, sowohl durch Bewegung,
Kräftigung und AbhärtungKrankheit verhütend als eingetretenen Störungen des Organismus entgegenwirkend.
Das Turnwesen bildet somit einen wichtigen Teil der auf Volksgesundheitspflege gerichteten Bestrebungen. Da nun aber Leib
und Geist als Teile desselben Organismus in steter Wechselwirkung stehen, so wird die leibliche Ausbildung zur Pflicht nicht nur
um des Leibes willen, sondern die Turnkunst kann und will auch an ihrem Teil geistige Frische und Rüstigkeit,
Selbstvertrauen in die Leibeskräfte, männliche Wehrhaftigkeit, sittliche Beherrschung des Leibes mit fördern helfen.
Auf den Namen einer Kunst hat die Turnkunst nur in bedingter Weise, aber insofern Anspruch, als sie, wie die Baukunst
[* 7] und andres Kunsthandwerk,
bei der Ausführung ihrer einem praktischen Zweck dienenden Übungen nach Schönheit der Form strebt. Auch
werden manche ihrer reigenartigen Gebilde in den Ordnungsübungen, gewissen Formen der Tanzkunst verwandt, oft nur um der Gestaltung
wohlgefälliger Formen willen geschaffen. Für den Zusammenhang der Turnkunst mit geistigen Bestrebungen ist bezeichnend, daß,
wie die griechische Gymnastik sich bei dem geistig am höchsten und vielseitigsten entwickelten Volk des
Altertums findet, so auch die Turnkunst einer Zeit voll höchster geistiger Regsamkeit und begeisterten patriotischen
Aufschwunges ihren Anstoß verdankt, und daß auch ihre weitern Schicksale mit den Wandlungen unsers nationalen Geisteslebens
engen Zusammenhang zeigen.
[Geschichte.]
Das Leben setzt in jeder Form ein gewisses Maß leiblicher Fertigkeit und Übung voraus,
und wenn man von mönchisch-asketischen, auf Ertötung des Leiblich-Sinnlichen gerichteten Bestrebungen absieht, konnte der
Nutzen leiblicher Kraft und Gewandtheit kaum irgendwo verkannt werden, ja vielmehr hat sich die Lust an leiblicher Regung,
in welcher Form es auch sei, noch zu allen Zeiten geltend gemacht. Daher finden sich auch in Deutschland
[* 8] seit der Zeit des Mittelalters, wo die Bewegungslust mit dem Waffenhandwerk den Bund zu ritterlichem Kampf- und Turnierwesen
eingegangen war, mannigfache Leibesübungen in den verschiedenen Kreisen unsers Volkslebens, an welche vielfach dann die Turnkunst nur
anzuknüpfen brauchte (vgl. Gymnastik);
so einmal als eine Art Nachklang jener ritterlichen Zeit die Fechtkünste
und das Voltigieren (s. d.) am lebenden oder am nachgebildeten Pferd,
[* 9] wie besonders an Universitäten und adligen Schulen;
ferner
die mehr allgemein als Jugendspiele oder gelegentliche Volksbelustigungen auftretenden Ballspiele (s. d.), das Ringen (s. d.),
Wettlaufen, Klettern u. a.;
Der Leibesausbildung um ihrer selbst willen redeten zuerst wieder Vertreter der
in der Zeit vor derReformation erwachenden humanistischen Studien das Wort, die ja auch in dieser Hinsicht auf das Vorbild des
klassischen Altertums hinweisen konnten; ein Zeugnis solcher Bestrebungen ist das Buch des italienischen
ArztesHieron. Mercurialis: »De arte gymnastica« (2. Aufl. 1573). Daß man seitdem besonders um der Erziehung willen Leibesübungen
befürwortete, ihre Vernachlässigung beklagte,
hier und da auch zu einem Versuch leiblicher Schulung Hand
[* 11] anlegte, dafür
sind Aussprüche und Lehren
[* 12] von Männern wie Luther, Zwingli, Camerarius und Comenius am bezeichnendsten.
Auch von seiten der realistischen philosophischen Betrachtung kam man wegen der Wirkung des Sinnlichen auf das Geistige zu der
Forderung einer geregelten Leibeserziehung, wie besonders Locke in seinen »Gedanken über Erziehung« (1693) als höchstes Ziel
der Erziehung den gesunden Geist im gesunden Körper hinstellte. Mit noch größerm Nachdruck und weit allgemeinerer
Wirkung besonders auf das deutsche Erziehungswesen erhob dieselbe Forderung J. J. Rousseau (s. d.) in seinem epochemachenden
Erziehungsroman »Émile« (1762), der ein Ideal naturgemäßer Erziehung geben sollte gegenüber der unnatürlich künstelnden
Erziehung seiner Zeit.
Von hier übertrug diese Übungen Salzmann in die von ihm 1784 zu Schnepfenthal gegründete Erziehungsanstalt, in welcher die
Leibesübungen seit 1786 mit größter Sorgfalt und nachhaltigster Wirkung J. Chr. Guts Muths (s. d.) leitete,
welchem außerdem das große Verdienst gebührt, in seiner zuerst 1793 erschienenen »Gymnastik für die Jugend« öffentlich
nicht nur als ein begeisterter Fürsprecher der Leibesübungen aufgetreten zu sein, sondern auch besonders den von ihm in emsigem
Nachforschen und Prüfen stark erweiterten und geordneten Übungsstoff weitern Kreisen erschlossen zu haben. Zu
gleicher Zeit gab G. U. A. Vieth in Dessau (1763-1836) in seinem »Versuch einer Encyklopädie der Leibesübungen« (Tl. 1 u. 2,
1794-95; Tl. 3 mit Nachträgen, 1818) sowohl eine Übersicht der Leibesübungen vieler Völker aus alter und neuer Zeit als
auch den ersten Versuch einer systematischen Einteilung der Leibesübungen.
Auch Pestalozzi stellte sich seit 1807 in der Schweiz
[* 14] die Aufgabe, Leibesübungen nach einem der Bewegungsfähigkeit
der Körperteile folgenden systematischen Plan zu erfinden und zu üben. Der sogen. Tugendbund (s. d.) machte 1809 den ersten
Versuch mit Einrichtung eines öffentlichen Turnplatzes zu Braunsberg.
[* 15] Während aber die bisher angegebenen Anregungen nur
zu ganz vereinzelter Einführung der Leibesübungen und meist an geschlossenen Erziehungsanstalten geführt
hatten, war es das Verdienstvon F.L.Jahn (s. d.), mit dem nach Deutschlands
[* 16] tiefer Erniedrigung in den NapoleonischenKriegen
zumal in Preußen
[* 17] erwachenden ernsten Streben nach einer Wiedergeburt unsers Volks- und Staatslebens und unsrer Wehrkraft, wie
es sich besonders in Arndts »Geist der Zeit«, in Fichtes »Reden an die deutsche Nation«, in Jahns »Volkstum«,
in SteinsReformen und in den Gneisenau-ScharnhorstschenPlänen zur Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht zeigte, den lauten
Ruf nach einer »volkstümlichen« Leibeskunst zu verbinden und mit Einsetzung
seiner ganzen kraftvollen, jugendliche Begeisterung weckenden Persönlichkeit in Berlin
[* 18] dieser »Turnkunst« die
erste öffentliche Stätte zu bereiten. Im
¶
mehr
Frühjahr 1811 wurde von ihm der Turnplatz in der Hasenheide bei Berlin eröffnet, von dem aus durch seine Schüler die Keime
einer wirklich jugendfrischen, die Knaben in ihrer Vollkraft packenden Leibeskunst bald auch nach andern OrtenDeutschlands,
insbesondere an die HochschulenHalle,
[* 20] Jena
[* 21] und Breslau,
[* 22] verpflanzt wurden. Nachdem das Treiben auf dem Turnplatz
natürlich durch die Unruhe der folgenden Kriegsjahre beschränkt worden, auch manche der eifrigsten Jünger der Turnsache,
wie besonders Friedr. Friesen (s. d.), im Feld geblieben waren, wurde die Sache mit erneutem Eifer und größerer Vertiefung
und Sichtung des Übungsstoffes wieder aufgegriffen.
Den letztern durch Einführung von reicher Ausnutzung fähigen Geräten, wie des Recks und des Barrens,
erweitert und über das Gebiet der einfachen volksüblichen Übungen noch mehr erhoben zu haben, ist neben seiner Sorge für
die sprachliche Bezeichnung (s. unten) Jahns entscheidendes technisches Verdienst um die Turnkunst. Die Ergebnisse dieser Bemühungen
sind von ihm in der 1816 mit seinem Schüler E. Eiselen zusammen herausgegebenen »Deutschen Turnkunst« niedergelegt.
Die in dieser Zelt im Gegensatz zu der erwarteten freiheitlichen Gestaltung unsers Staatslebens eintretende Reaktion glaubte
natürlich gegen die mit freiheitlichen und nationalen Ideen erfüllten, dazu allerdings hier und da auch ungebundenes und
ungeschlachtes, renommistisches Wesen zur Schau tragenden Jahnschen Turnerscharen besonderes Mißtrauen
hegen zu müssen. Die Schattenseiten des turnerischen Treibens und das unreife Gebaren von Mitgliedern der mit der Turnerei
enge Fühlung unterhaltenden Burschenschaften auf dem Wartburgfest veranlaßten zunächst die litterarische Breslauer
Turnfehde, die besonders durch Henrich Steffens (s. d.) und K. A. Menzel auf gegnerischer Seite, auf turnerischer
geführt ward von FranzPassow, Chr. W. Harnisch (s. d.) und dem Hauptmann W. v. Schmeling, dem Verfasser von »Die
Landwehr, gegründet auf die Turnkunst«. Nach Kotzebues Ermordung durch den Burschenschafter und TurnerSand (1819) folgte die Schließung
sämtlicher (über 80) preußischen, bald auch der meisten andern deutschen Turnplätze und JahnsVerhaftung.
Nun wurde zwar auch während dieser Zeit der sogen. Turnsperre an nicht wenigen Orten fortgeturnt, und namentlich hatte ErnstEiselen (s. d.) Verdienste um die dauernde Pflege und innere Weiterbildung der Turnkunst, desgleichen Klumpp in Stuttgart,
[* 23] H. F. Maßmann
(s. d.) in München;
[* 24] der eigentliche Lebensnerv war aber der Sache durch den Ausschluß der Öffentlichkeit
und Jahns erzwungene Fernhaltung unterbunden. Erst der durch Ignaz Lorinsers (s. d.) Schrift »Zum Schutz der Gesundheit in den
Schulen« hervorgerufene Schulstreit über die körperliche Schädigung der Jugend durch den Schulunterricht, ferner die Erweckung
des deutschen Nationalgefühls durch die französischen Rheingrenzgelüste im J. 1840 und der gleichzeitige
Regierungsantritt FriedrichWilhelms IV. brachten für die Turnsache wieder bessere Zeiten; durch die Kabinettsorder vom wurden
die Leibesübungen als ein »notwendiger und unentbehrlicher Bestandteil der männlichen Erziehung« anerkannt und 1843 Maßmann
behufs Einrichtung des Turnunterrichts im preußischen Staat nach Berlin berufen.
Während jedoch letzterer an die Überlieferungen des Jahnschen, eine gemeinsame Beteiligung von jung
und alt auf den Turnplätzen voraussetzenden, also Schul- und Vereinsturnen noch nicht scheidenden Turnbetriebs enger anknüpfte,
als es sich mit der
Aufgabe einer allgemeinen Einführung des Turnens an den Schulen vertrug, war mittlerweile durch AdolfSpieß
(s. d.), welcher die Gebiete der Frei- undOrdnungsübungen erschlossen, den turnerischen Übungsstoff
systematisch gegliedert und mit Rücksicht auf das Schulturnen beider Geschlechter reich entwickelt hatte, der Turnkunst die nötige
Ergänzung zu teil geworden, um als Schulunterrichtsfach allgemein zur Einführung gelangen zu können.
Für die weitere Entwickelung des Schulturnens und die methodische Verarbeitung des Übungsstoffes
war nicht ohne Bedeutung die Gründung von Turnlehrerbildungsanstalten, wie der zu Dresden
[* 25] (1850) unter dem auch als fruchtbarer
Turnschriftsteller wirkenden MoritzKloss (gest. 1881, seitdem unter Bier) und der preußischen Zentralturnanstalt zu Berlin.
Die letztere, die 1851-77 die Abteilungen für die Ausbildung von Militär- und Zivilturnlehrern vereinigte, suchte unter Rothsteins
(s. d.) Oberleitung (bis 1863) die auf Lings (s. d.) System beruhende, sogen. schwedische Gymnastik zur Einführung zu bringen,
die aber von seiten der deutschen Turnkunst entschieden und erfolgreich bekämpft wurde und auch mehr und mehr dem
deutschen Turnen Platz machte, in der Zivilabteilung, die 1877 in eine selbständige Turnlehrerbildungsanstalt umgewandelt
wurde, unter KarlEulers (s. d.) Vermittelung.
Für Württemberg
[* 26] besteht eine Turnlehrerbildungsanstalt seit 1862 in Stuttgart unter OttoJäger (s. d.), der ein eignes Turnsystem
eingeführt hat, für Baden
[* 27] seit 1869 in Karlsruhe
[* 28] unter Maul (s. d.), für Bayern
[* 29] in München seit 1872 unterWeber. Auch für
Turnlehrerinnen bieten die meisten der gedachten Anstalten neuerdings entsprechende Ausbildungsgelegenheit.
In einzelnen kleinern deutschen Staaten werden Turnlehrerausbildungskurse von Zeit zu Zeit durch geeignete Kräfte abgehalten.
- Auch die Turnlehrerversammlungen, deren seit 1861 an verschiedenen Orten zehn stattgefunden, haben durch Vorträge, Verhandlungen
und Vorführungen zur Förderung des Turnunterrichts und Klärung der für ihn geltenden Grundsätze beigetragen.
Der Turnunterricht ist jetzt in Deutschland an den höhern Schulen und den Seminaren so gut wie allgemein,
wenn auch an vielen Orten noch in unzulänglicher Form, eingeführt; auch für die Knabenvolksschulen ist er in den meisten
Staaten, in Preußen seit 1862, in Baden seit 1868, in Sachsen
[* 30] seit 1873, in Württemberg seit 1883, gesetzlich
zur Pflicht gemacht, läßt aber hier noch vieles, an den Landschulen vielerorts noch so gut wie alles zu wünschen übrig.
Mit dem Turnunterricht an Mädchenschulen ist man bisher meist nur in Städten vorgegangen.
In der Regel beschränkt sich die Einführung des Schulturnens auf zwei wöchentliche Unterrichtsstunden, und selbst
diese können wegen Mangels geeigneter Winterturnräume noch nicht überall das ganze Jahr hindurch fortgesetzt werden. Schulneubauten
in Städten erhalten jetzt in der Regel eigne Schulturnhallen. Außer dem Schulturnen werden auch an nicht wenigen Orten noch
Turnspiele gepflegt, besonders seit dem dahin gehenden Erlaß des preußischen Ministers v. Goßler vom Oktober 1882. Eine
Übersicht über die Entwickelung des Turnunterrichts und seinen Stand um das Jahr 1870 gibt die »Statistik des Schulturnens
in Deutschland«, hrsg. von J. K. Lion (Leipz. 1873); vgl. Pawel, Kurzer Abriß der Entwickelungsgeschichte
[* 31] des deutschen Schulturnens
(Hof
[* 32] 1885).
Vgl. auch Euler und Eckler, Verordnungen und amtliche Bekanntmachungen, das Turnwesen in
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