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zerfiel in lauter nationale Gruppen. Von Bedeutung war, daß nicht weniger als 94 Bauern, darunter viele Ruthenen, in den Reichstag gewählt worden waren. Handelte es sich doch für den Bauernstand um die Aufhebung des drückenden Unterthänigkeitsverhältnisses und die Abschüttelung der Feudallasten (Robote), welche zwar meist thatsächlich erfolgt, aber nicht gesetzlich sanktioniert waren. Der dahin gehende Kudlichsche Antrag vom 26. Juli wurde vom Reichstag sofort beraten und 7. Sept. die Freiheit des Grund und Bodens beschlossen, ein bemerkenswerter Fortschritt, der auch nie zurückgenommen worden ist.
Inzwischen hatte die Regierung in den Provinzen wieder etwas an Ansehen und Kraft [* 2] gewonnen. Ein Aufstand, der im Anschluß an den Slawenkongreß 12. Juni Prag [* 3] ausbrach, wurde von Windischgrätz niedergeschlagen und damit den tschechischen Bestrebungen nach Selbständigkeit Böhmens ein Ende gemacht. Radetzky, der sich im Festungsviereck behauptet hatte, brach im Juli aus demselben hervor, besiegte 23. Juli bei Sommacampagna und 25. Juli bei Custozza [* 4] die sardinische Armee und rückte wieder in Mailand [* 5] ein.
Infolge des Waffenstillstandes von Vigevano (9. Aug.) räumten die Sardinier das Lombardisch-Venezianische Königreich, und nur Venedig [* 6] blieb unbezwungen. Unter diesen Umständen kehrte der kaiserliche Hof [* 7] von Innsbruck [* 8] nach Wien [* 9] zurück, wo er 12. Aug. unter lebhaftem Jubel des Volkes seinen Einzug hielt. Doch war die Stimmung des niedern Volkes in Wien infolge der Stockung aller Geschäfte und alles Verkehrs und der Abwesenheit der reichen Familien und Fremden eine verzweifelte geworden, die sie demagogischen Aufreizungen zugänglich machte. Als der Minister Schwarzer 21. Aug. den Tagelohn für die auf Staatskosten beschäftigten Arbeiter herabsetzte, brach ein Arbeiterkrawall aus, der zwar mit Waffengewalt unterdrückt wurde, dem aber wenige Wochen später (13. Sept.) ein zweiter folgte. Die Aufregung stieg infolge der Ereignisse in Ungarn. [* 10] Im September begann der Banus von Kroatien, Jellachich, insgeheim vom Wiener Hof aufgemuntert, den Krieg gegen die Magyaren. Der ungarische Reichstag schickte, um hierüber Beschwerde zu führen, eine Deputation an den Reichstag und das Volk von Wien, welche zwar von der slawischen Mehrheit des Reichstags nicht vorgelassen, von der Wiener Demokratie aber mit offenen Armen aufgenommen wurde, da dieselbe erkannte, daß die Unterwerfung der Ungarn ihren eignen Untergang nach sich ziehen müsse. Als die Ermordung des Grafen Lamberg in Pest (28. Sept.) den Bruch zwischen Österreich [* 11] und Ungarn unvermeidlich gemacht hatte und die Truppen an der ungarischen Grenze zusammengezogen wurden, suchten die Demagogen die Truppen zur Widersetzlichkeit aufzureizen. Wirklich weigerte sich 6. Okt. ein Grenadierbataillon, nach Ungarn abzumarschieren, und als sein Widerstand durch andre Truppen gebrochen werden sollte, entspann sich an der Taborbrücke zu Wien zwischen den Truppen, der Nationalgarde und dem Volk ein Kampf, in welchem letztere den Sieg behaupteten. Bei der Unthätigkeit und Kopflosigkeit der Behörden verbreitete sich der Aufruhr in das Innere der Stadt, der Kriegsminister Graf Latour wurde im Hofkriegsratsgebäude aufgespürt, aus seinem Versteck hervorgezogen, grausam ermordet und an einem Laternenpfahl aufgehängt. Ein Angriff auf das Zeughaus versorgte die aufrührerischen Massen mit Waffen, [* 12] und als die Nacht hereinbrach, waren sie Herren der Stadt. Der Reichstag nahm die Vermittelung zwischen dem Hof und dem Aufstand in die Hand [* 13] und verlangte vom Kaiser Einstellung des Kampfes, Amnestie und ein volkstümliches Ministerium. Fast wider Erwarten kam aus Schönbrunn die Nachricht, daß diese Forderungen gewährt seien, am Morgen des 7. Okt. aber die weitere, daß der Kaiser unter militärischer Bedeckung nach Olmütz [* 14] gereist sei. Ein zurückgelassenes Manifest verurteilte das Vorgefallene aufs schärfste und rief die Völker Österreichs zum Kreuzzug gegen die Revolution auf. Das Ministerium löste sich auf, viele Abgeordnete verließen den Reichstag.
Auf die Kunde von den Wiener Ereignissen rückte Jellachich sofort gegen Wien, und der Befehlshaber der kaiserlichen Truppen daselbst zog ihm entgegen. Gleichzeitig schickte Fürst Windischgrätz, der schon im Sommer vom Kaiser zum Oberbefehlshaber des ganzen kaiserlichen Heers außer dem Radetzkyschen in Italien [* 15] ernannt worden war, von Prag aus Streitkräfte gegen Wien und verhängte 20. Okt. Belagerungszustand und Standrecht über die Stadt. In Wien, wo es außer dem neugebildeten Gemeinderat an jeder Behörde fehlte, war die Bevölkerung, [* 16] von der 100,000 Menschen geflohen waren, zu einer entschlossenen Gegenwehr wenig geneigt.
Aber alle Versuche der Vermittelung und Versöhnung wurden vom Hof in Olmütz und von Windischgrätz zurückgewiesen. So fiel die Leitung der Dinge dem Zentralausschuß der demokratischen Vereine zu, der den ehemaligen Leutnant Messenhauser zum Oberkommandanten der Stadt ernannte. Ihm schlossen sich internationale Revolutionäre an, von denen der fanatische Pole Bem den Oberbefehl über die mobilen Truppen übernahm. Die Frankfurter Parlamentsmitglieder R. Blum und Fröbel, welche eine Zustimmungsadresse der Frankfurter Linken überbrachten, ermunterten die Wiener zum Widerstand.
Auch rechnete man auf den Beistand der Ungarn, welche schon die Leitha überschritten hatten. Als Windischgrätz' Forderungen, Entwaffnung und Auslieferung Bems, Pulszkys, der Mörder Latours u. a., nicht erfüllt wurden, schritt derselbe 26. Okt. zum Angriff zunächst auf die Vorstädte, 28. Okt. auf die Stadt selbst, die sich 30. Okt. auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Schon war man mit der Ausführung der Kapitulation beschäftigt, als der Kanonendonner die Ankunft der so lange vergeblich erwarteten Ungarn ankündigte und der Kampf von Messenhausers Adjutanten Fenner v. Fenneberg erneuert wurde.
Doch die Ungarn wurden bei Schwechat von Jellachich geschlagen und das planlos verteidigte Wien 31. Okt. abends von Windischgrätz erobert. Messenhauser, die Litteraten Becher [* 17] und Jellinek sowie R. Blum wurden erschossen, viele andre von den Kriegsgerichten zu Kerkerstrafen verurteilt. Die Bevölkerung, welche sich die Herrschaft der Aula und des Pöbels ruhig hatte gefallen lassen, unterwarf sich kriechend der siegreichen Soldateska und unterstützte deren Rachewerk durch Denunziationen.
Die Reaktion.
Nach der Niederwerfung des Aufstandes in der westlichen Reichshälfte wurde Fürst Felix Schwarzenberg an die Spitze eines neuen Ministeriums gestellt, welches die Monarchie wieder aufrichten sollte, und der Reichstag unter Bestätigung seiner vor dem 6. Okt. gefaßten Beschlüsse zum 22. Nov. nach Kremsier berufen. Kaiser Ferdinand legte die Krone nieder, und Franz Joseph I. übernahm im Alter von 18 Jahren die Herrschaft, in der Hoffnung, wie seine Proklamation sagte, »daß es ihm gelingen werde, alle Länder und Stämme der Monarchie zu ¶
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einem großen Staatskörper zu vereinigen«. In sicherer Erwartung einer baldigen Unterwerfung Ungarns ward der Reichstag zu Kremsier, der inzwischen in vollem Vertrauen auf die Versprechungen des Ministeriums dessen liberale Reformvorschläge eingehend beraten hatte, aufgelöst und die Oktroyierung einer vom 4. März datierten Verfassung für Gesamtösterreich verkündigt. Durch dieselbe wurden alle zur österreichischen Monarchie gehörigen Länder unter Aufhebung aller Unterschiede zu einem einheitlichen Staatskörper vereinigt; die ungarische Verfassung wurde zunächst noch nicht aufgehoben, aber die serbische Woiwodschaft, Serbien, [* 19] Kroatien und die Militärgrenze von Ungarn losgetrennt; die Feststellung des Verhältnisses des Lombardisch-Venezianischen Königreichs wurde einem besondern Statut vorbehalten. Schwarzenberg unternahm es also, das von Maria Theresia und Joseph II. begonnene Werk, die Verwandlung Österreichs in einen zentralisierten Einheitsstaat, der im Heer sein Vorbild hatte, mit Einem Schlag zu vollenden.
Die erste Vorbedingung hierfür war die Unterwerfung Ungarns (s. d.). Dieselbe schien Anfang 1849 sicher. Windischgrätz rückte 5. Jan. in Ofen-Pest ein und glaubte durch seinen angeblichen Sieg bei Kapolna (27. Febr.) die ungarische Feldarmee vernichtet zu haben. Aber infolge seiner Unthätigkeit gewannen die Ungarn Zeit, sich zu sammeln, in Siebenbürgen und im Banat die Kaiserlichen zurückzudrängen und im April die österreichische Hauptarmee in mehreren Schlachten [* 20] zu besiegen, so daß sie Pest räumen mußten. Nun beantwortet der ungarische Reichstag die Oktroyierung der Verfassung vom 4. März mit dem Beschluß vom 14. April, welcher Ungarn mit allen Nebenländern für einen selbständigen Staat und die habsburg-lothringische Dynastie für abgesetzt erklärte. Während die Ungarn Ofen belagerten und 21. Mai erstürmten, rief Österreich die russische Hilfe gegen die Revolution an, welche der Zar Nikolaus in einem Vertrag vom 21. Mai zusagte. Ein russisches Korps rückte in Siebenbürgen, die Hauptarmee unter Paskewitsch über die Karpathen in Ungarn ein. Gleichzeitig drangen die Österreicher unter Haynau die Donau abwärts vor. Die Ungarn erlagen der Übermacht, und 13. Aug. streckte Görgei mit der Hauptarmee (22,000 Mann) bei Világos vor dem russischen General Rüdiger bedingungslos die Waffen.
Die Russen überlieferten Ungarn auf Gnade und Ungnade den Österreichern, die, gereizt und erbittert, daß die Ungarn durch die Kapitulation von Világos dem hochmütigen Zaren einen leichten Triumph verschafft hatten, über die Häupter des Aufstandes ein grausames Strafgericht verhängten. Die ungarische Verfassung wurde für verwirkt erklärt und Ungarn zu einem bloßen Kronland des Gesamtstaats umgewandelt, die Nebenländer zu selbständigen Kronländern erhoben.
Der im März 1849 von Sardinien [* 21] von neuem erklärte Krieg in Italien wurde schon 23. März durch den glänzenden Sieg Radetzkys bei Novara beendet, im August auch Venedig wieder unterworfen und die Verhältnisse auf der Apenninenhalbinsel ganz so wiederhergestellt, wie sie vor 1848 gewesen waren. Außer dem Lombardisch-Venezianischen Königreich beherrschte Österreich indirekt Parma, [* 22] Modena, Toscana und die Romagna und besaß den maßgebenden Einfluß in Neapel. [* 23] Dieselbe Wiederherstellung seiner Machtstellung glückte Österreich in Deutschland. [* 24]
Hier hatte die Veröffentlichung der österreichischen Verfassung vom 4. März, welche auf die deutschen Verhältnisse keine Rücksicht nahm, die Mehrheit des Frankfurter Parlaments bewogen, im März 1849 den engern deutschen Bundesstaat und die Übertragung der Kaiserkrone auf den König von Preußen [* 25] zu beschließen. Die neue Reichsverfassung scheiterte an der Anlehnung der Krone durch Friedrich Wilhelm IV. Während Preußen nun mit den deutschen Fürsten über die Bildung einer Union unter seiner Führung verhandelte, bewältigte Österreich die Unruhen im Innern und konnte schon 1849 mit einem siegreichen Heer im Hintergrund bestimmend in die deutschen Dinge eingreifen. Es verlangte nicht bloß Wiederherstellung des Bundestags, sondern auch Aufnahme Gesamtösterreichs in den Bund, und seine Forderungen wurden von den süddeutschen Königlichen und von Rußland unterstützt.
Preußen wagte keinen Krieg für seine Unionspolitik und unterwarf sich in Olmütz (November 1850). Schwarzenberg konnte sich rühmen, den preußischen Nebenbuhler aufs tiefste gedemütigt zu haben, und spielte an der Spitze der deutschen Mittelstaaten, welche bei Österreich Schutz vor den deutschen Einheitsbestrebungen suchten, die entscheidende Rolle im wiederhergestellten Deutschen Bund. Aber es belud sich auch mit dem Fluch freiheits- und deutschfeindlicher Reaktion durch die Unterdrückung der Kurhessen und die Auslieferung Schleswig-Holsteins an Dänemark. [* 26] Und die Aufnahme Gesamtösterreichs in den Deutschen Bund erreichte es doch nicht, da die Westmächte gegen das Siebzigmillionenreich protestierten, ebensowenig wie die Zolleinigung mit Deutschland, zu welchem Zweck die ungarische Zolllinie aufgehoben und ein neuer Zolltarif erlassen worden war.
Die glänzenden Erfolge, welche Schwarzenberg Politik davongetragen, gaben der von ihm geleiteten Hof- und Militärpartei die Macht in die Hände. Nach Graf Stadions Tod welcher wenigstens ein vernünftiges Verwaltungssystem durchführen wollte, herrschte die Reaktion in Österreich unumschränkt. Sein Nachfolger Alexander Bach hatte nur das eine Ziel, Österreich zu einem einheitlichen, aber absolut monarchischen Staat zu machen. Nachdem als Beirat des Monarchen und Ersatz für die Volksvertretung ein aus kaiserlicher Ernennung hervorgegangener Reichsrat errichtet worden war, wurden 20. Aug. die Ministerverantwortlichkeit, das Stadionsche Gemeindegesetz und Schmerlings Gerichtsreform mit dem Institut der Schwurgerichte und 31. Dez. die Verfassung vom 4. März selbst aufgehoben.
Schwarzenberg starb auf der Höhe seines Glücks, aber auch nach seinem Tod schien sein Werk gesichert. Bach und der Kultusminister Graf Leo Thun arbeiteten im Sinn des Zentralismus und Absolutismus scheinbar erfolgreich, die meist slawische Büreaukratie entfaltete eine rührige Thätigkeit für Verschmelzung der Länder, und gegenüber der Zerfahrenheit und Thatenlosigkeit früherer Zeiten schien das neue System an sich nicht unzeitgemäß und ungeeignet zu sein.
Aber wirkliche Reformen wurden gar nicht versucht und nichts gethan, um durch wirtschaftliche Befreiung und materielle Wohlthaten die Bevölkerung mit dem Absolutismus zu versöhnen. Die Finanzlage war eine traurige, ergab Jahr für Jahr ein Defizit und zwang zur Ausgabe von Papiergeld, das immer tiefer im Wert sank und Handel und Gewerbe hemmte. Die Geistlichkeit gelangte zu schrankenlosem Einfluß, der seinen Höhepunkt in dem am mit dem päpstlichen Stuhl abgeschlossenen Konkordat erreichte, das die Souveränität des Staats mehr ¶