Kriegskunst
,
die
Kunst, durch zweckmäßigen
Gebrauch der sich darbietenden Kriegsmittel den Kriegszweck (vgl.
Krieg)
auf die beste
Weise zu erreichen. Die Aufgaben, welche der
Krieg stellt, sind so vielseitig, die zu verwendenden
Mittel nach
Zeit und
Ort so verschieden, die jedesmaligen besondern Verhältnisse der kriegführenden
Parteien, der
Kriegsschauplätze etc.
so mannigfaltig, daß die
Führung eines jeden
Kriegs wieder andre Anforderungen stellt. Daneben gibt
es aber doch gewisse unveränderliche
Grundsätze für die Kriegführung aller
Zeiten und aller
Völker, und diese systematisch
darzustellen, ist die
Sache der
Kriegswissenschaften (s. d.). Die Geschichte der Kriegskunst
und
des Kriegswesens stellt den
Gang
[* 2] dieser
Entwickelung in
Kriegs- und Friedenszeiten, also die militärischen Einrichtungen, die
Waffen,
[* 3]
Taktik, Operationskunst etc. aller oder einzelner
Völker und
Zeiten dar sowie die Einwirkungen der Kriegserfahrungen,
der
Wissenschaften, der
Erfindungen auf die Kriegskunst.
Sie ist demnach etwas andres als die
Kriegsgeschichte (s. d.).
Im
Altertum war auch die Kriegführung einfach.
Erst als man entferntere
Züge unternahm, wurden auch die Vorkehrungen verwickelter. Unter dem Perserkönig
Kyros scheint die
Kriegskunst
der Asiaten den höchsten Gipfel erreicht zu haben. Die politischen Verhältnisse der griechischen
Bundesstaaten waren
der
Entwickelung der Kriegskunst
nicht günstig; erst auswärtige
Feldzüge führten zu eingehender Beschäftigung
mit derselben.
Ihren Glanzpunkt erreichte die Kriegskunst
der Griechen unter
Alexander d. Gr. Die
Römer
[* 4] bildeten sich nach den Griechen,
führten aber bald den
Krieg auf eigne
Weise;
Cäsar brachte die auf die höchste
Stufe der
Ausbildung.
Unter den
Kaisern geriet sie allmählich in
Verfall, obschon es nicht an großen
Feldherren fehlte. Die
Völker, welche sich in das große
römische Reich teilten, folgten mehr ihrem
Instinkt als den
Grundsätzen einer
Kunst. Ebensowenig
war im
Mittelalter von einer Kriegskunst
die
Rede; sogar untergeordnete
Zweige derselben, wie die
Taktik, blieben fast unkultiviert. Die
höchst mangelhafte Heerverfassung jener
Zeiten erschwerte entfernte Heereszüge und eine planmäßige
Kriegführung.
Die neuere Kriegskunst
beginnt mit dem Aufschwung der
Wissenschaften, zunächst in den südwestlichen
Staaten
Europas, und demnächst
mit der Errichtung stehender
Heere.
Heinrich IV. von
Frankreich,
Prinz
Moritz von
Nassau,
Alexander
Farnese u. a. machten sich besonders
um die
Entwickelung der Kriegskunst
verdient. Einen
Abschluß in dieser
Entwickelung brachte der Dreißigjährige
Krieg, während dessen
Gustav
Adolf wichtige Veränderungen in der
Taktik vornahm, leichtere
Waffen einführte und namentlich
um die Verbesserung der
Artillerie sich große
Verdienste erwarb.
Nach ihm ging die
Pflege der Kriegskunst
zunächst nach
Frankreich über. Unter
Ludwig XIV. fanden durch seinen Kriegsminister
Louvois als Organisator,
Vauban als
Ingenieur und die lange
Reihe französischer
Feldherren, denen ein
Wilhelm von
Oranien,
Prinz
Eugen von
Savoyen,
Herzog von
Marlborough,
Kurfürst
Friedrich
Wilhelm und
Leopold von
Anhalt
[* 5] entgegentraten, alle
Zweige der Kriegskunst
reiche
Entfaltung.
Friedrich
Wilhelm I. erhob
Preußen
[* 6] zu einer ansehnlichen Militärmacht, und durch seinen Sohn
Friedrich d. Gr. erhielt die Kriegskunst
eine hohe
Ausbildung; seit dem Siebenjährigen
Krieg wurde die preußische
Taktik
(Saldern,
Lascy)
das Vorbild für alle
Heere
Europas, aber seit ihr der
Geist
Friedrichs fehlte, verfiel sie bald in mechanisches
Drillen und taktische
Künstelei. Der nordamerikanische Unabhängigkeitskrieg und die französischen
Revolutionskriege brachten
neue
Elemente in die Kriegskunst
, welche dann durch
Napoleon I. weiter entwickelt wurden. Die
Kunst, große
Massen auf dem entscheidenden
Punkt zu vereinigen und zu siegen, indem der Feind strategisch wie taktisch zersprengt wurde, war die Form des
Napoleonischen
Verfahrens, ein
Gegensatz zu demjenigen
Friedrichs d. Gr., welcher den Feind
¶
mehr
durch Angriff auf einen Flügel gewissermaßen beiseite schob. Die Erfahrungen dieser langen Kriegsperiode führten zu der Aufstellung
eines wissenschaftlichen Systems der Kriegskunst
(vgl. Kriegswissenschaft). Die Kriegsmittel haben indes in der neuesten Zeit durch
die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die Fortschritte der Waffentechnik, der Chirurgie, vor allem aber in der Entwickelung
des Verkehrswesens eine so tiefgreifende Umgestaltung gewonnen, daß mit dem Krieg von 1859 auch eine neue Epoche der Kriegskunst
beginnt,
die im deutsch-französischen Krieg 1870/71 zu großartiger Bethätigung kam.
Auch die allgemeine Teilnahme der Völker am öffentlichen Leben förderte die Teilnahme aller am Krieg und das Eintreten ganzer
Völker in den Krieg, der um große nationale Zwecke geführt wird. Je größer aber die aufgebotenen Massen
sind, um so weniger kann die Entscheidung lange hingezogen werden; sie muß rasch erfolgen, daher im Frieden sorgsamst vorbereitet
sein und dann der Schlag mit aller Kraft
[* 8] und in der entscheidenden Richtung geführt werden. In Amerika
[* 9] rächte
sich die Vernachlässigung der Kriegskunst
und der Wehrhaftigkeit im Frieden durch ungeheure Opfer und jahrelange Kämpfe, in Europa
[* 10] aber
fanden große Kriege 1859 und 1866 in wenigen Wochen, ja 1871 ein wahrhafter Volkskrieg in wenigen Monaten ihr Ende.
Vgl. Hoyer,
Geschichte der Kriegskunst
von Anwendung des Pulvers bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Götting. 1797-1799, 2 Bde.);
G. v. Berneck, Geschichte des Kriegswesens (3. Aufl., Berl. 1867);
Meynert, Geschichte des Kriegswesens (Wien [* 11] 1868, 3 Bde.);
J. ^[Julius] v. Hardegg, Anleitung zum Studium der Kriegsgeschichte (Berl. 1868-78, 3 Bde.);
Jähns, Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens von der Urzeit bis zur Renaissance (Leipz. 1880, mit Atlas); [* 12]
Derselbe, Heeresverfassungen und Völkerleben (Berl. 1885);
v. d. Goltz, Das Volk in Waffen (3. Aufl., das. 1885);
Köhler, Entwickelung des Kriegswesens und der Kriegführung in der Ritterzeit (Bresl. 1886 ff.).
Über das Kriegswesen in prähistorischer Zeit lassen sich aus den erhaltenen Verteidigungswerken, Heidenschanzen und einzelnen uns überkommenen Waffenstücken nur wenige Schlüsse ziehen. Ursprünglich waren Jagd- und Kriegswaffen dieselben, und vielfach dienten axt- und messerförmige Werkzeuge [* 13] auch zugleich als Waffen. Man wird wohl annehmen dürfen, daß die Keule aus Holz [* 14] und der geschleuderte Stein die ersten Waffen waren, denen sich später der Holzspeer, anfangs nur mit Holzspitze, und Bogen [* 15] und Pfeil, letzterer anfangs ebenfalls nur mit Holzspitze, zugesellten.
Mit der Erfindung der schneidenden Werkzeuge und der Vervollkommnung derselben ging auch die Vervollkommnung der Waffen Hand [* 16] in Hand; die ursprünglich ganz aus Holz hergestellten Waffen wurden mit Stein- und Knochenschärfen armiert, bis schließlich die Erfindung der Metallbearbeitung auch diese unvollkommenen Stücke beseitigte. Jetzt findet man Pfeilspitzen aus Feuerstein noch in Gräbern der Merowingerzeit, eigentliche Steinwaffen, d. h. Steinäxte und Speere, waren aber zu jener Zeit in diesen Gegenden längst außer Gebrauch. Aus dem Kampf des Einzelnen gegen wilde Tiere und seinesgleichen bildete sich allmählich mit der sozialen Entwickelung der Familie, des Stammes und Volkes auch die Kampfesweise vom Einzelkampf bis zur Heeresschlacht heraus.