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243 Religion in ihrem verworrenen Zustande zu belassen, jeden weitern Fortschritt zu hemmen und die Klärung der mannigfachen, im Laufe der Zeit zusammengeworfenen Anschauungen, die oft genug einander widersprachen, auszuschließen. Die hier gegebene kurze Darstellung der ägypt. Religion beruht namentlich auf den neuern Arbeiten, die Ed. Meyer in Bd. 1 seiner «Geschichte des Altertums» und in seiner «Geschichte des alten Ä.», sowie Maspero in mehrern, in der «Revue de l'historie des réligions» veröffentlichten Aufsätzen geliefert haben und die sich bemühen, in das Chaos der ägypt. Götterfiguren und Götterlegenden durch histor.
Auffassung Ordnung zu bringen. –
Vgl. Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter (Lpz. 1884–88; 2. Ausg. 1891);
von Strauß [* 2] und Torney, Der altägypt.
Götterglaube (2 Bde., Heidelb. 1889–91); Wiedemann, Religion der alten Ägyvter (Münst. 1890).
Leben nach dem Tode. Daß der Mensch nach dem Tode fortlebe, ist ein Gedanke, den die Ägypter seit der ältesten Zeit mit besonderer Vorliebe gepflegt haben. Allerdings sind sie auch hier nicht zu einer einheitlichen Auffassung gekommen. Die einen glaubten, daß die Wohnstätte des Verstorbenen das Grab sei, in dem er von den Opfergaben, die ihm die Überlebenden an bestimmten Tagen darbrachten, oder die ihm durch Recitation magischer Formeln gesichert wurden, weiter lebe; er konnte hingehen wohin er wollte, mußte aber immer wieder am Abend in seine Wohnung, das Grab, zurückkehren.
Nach andern wohnte der Tote auf der Insel der Seligen, die von einer Riesenschlange bewacht werde, oder in den Schluchten des westl. Gebirges, in denen die Schakale hausen. Noch andere meinen, daß der Tote sich mit den Sternen am Himmel [* 3] bewege, oder mit dem Sonnengotte in seiner Barke einherfahre. Auch über die Beschaffenheit des Wesens, das den Menschen überlebte, war man sich nicht im Klaren. Nach dem gewöhnlichen Glauben der alten Ägypter bestand der Mensch aus verschiedenen Wesen, dem Körper, der Seele und dem Doppelwesen, das man mit dem Namen «Ka» bezeichnete.
Der «Ka» ist ein Abbild des Menschen und giebt diesen Zug für Zug wieder. Er hat im Menschen seine Wohnung und entspricht ihm ganz und gar; ist der Mensch ein Kind, so ist auch der Ka ein Kind, handelt es sich um eine Frau, so ist der Ka eine Frau, handelt es sich um einen Mann, so ist der Ka ein Mann. Die Seele stellte man sich gewöhnlich unter dem Bilde eines Vogels vor. Keins dieser Wesen, aus denen der Mensch zusammengesetzt ist, war nun von Natur unvergänglich, sondern sie mußten, wenn sie sich selbst überlassen waren und für ihre Fortexistenz nicht Sorge getragen wurde, zu Grunde geben und für ewig ins Nichts versinken. Um dies zu verhindern, hatte man allerlei Mittel ersonnen.
Der Körper wurde einbalsamiert und somit seine Zersetzung nach Möglichkeit hinausgeschoben. Das Weiterleben der Seele wurde durch Gebete gesichert. Als Wohnstätte des «Ka» setzte man Statuen des Verstorbenen ins Grab, die seine Persönlichkeit genau wiedergaben. Zu seinem Unterhalt brachte man Opfergaben dar und sorgte durch fromme Stiftungen dafür, daß er auch für die ferne Zukunft vor Hunger und Durst bewahrt bleibe. Und nicht genug hiermit: man bildete auf den Wänden des Grabes allerlei Opfergaben ab und wähnte, daß durch eine magische Kraft [* 4] die dargestellten Gegenstände dem «Ka» die wirklichen Gegenstände, die sie wiedergaben, ersetzten.
Von einer ähnlichen Voraussetzung ausgehend, stellte man [* 1] Figuren von Dienern und Dienerinnen ins Grab, die für den «Ka» kochen und backen und wie im Leben für sein Wohlbefinden sorgen sollten. Außerdem pflegte man dem Toten, um ihn namentlich vor bösen Geistern und Schlangen [* 5] zu bewahren, noch allerlei Zauberfiguren und Amulette mit ins Grab zu geben. Diese Anschauungen von der Fortexistenz des Menschen haben nun durch eine Lehre, [* 6] die von Abydos ausging und an den dortigen Lokalgott Osiris [* 7] anknüpft, eine besondere Ausbildung erfahren: Osiris war von seinem Bruder Set ermordet worden, aber in seinem Sohne Horus [* 8] ist ihm ein Rächer erstanden;
er hat den Feind niedergeworfen und seinen Vater durch Zauberformeln zu neuem Leben erweckt.
Der Tod, den Osiris erlitten, wurde jedem Menschen zu teil, aber wie Osiris zu neuem Leben erwacht ist, so konnte auch der Mensch ein neues Leben beginnen, wenn für ihn nur dieselben Formeln von einem getreuen Sohne gesprochen wurden; er kam dann zu Osiris, ja er wurde sogar eins mit dem getöteten Gotte. Der Tote wird im mittlern Reiche geradezu Osiris genannt und er erhält das ständige Beiwort «mit wahrer Rede», weil man des Osiris Rede einst im Streite mit seinen Feinden als wahr befunden hatte. Durch die Verbreitung dieser Lehre war Osiris allmählich selbst zum Totengotte geworden, der als König im Jenseits über die Verklärten herrschte.
Gräber. Die Sitte, den Verstorbenen große Grabbauten zu errichten, beruht auf den dargelegten Anschauungen. Das Grab gilt ihnen als eine Wohnung, deren Einrichtung die Wohlfahrt des Toten begünstigen und seine Fortdauer sichern soll. Die ältesten, bis jetzt bekannten Gräber liegen in der Totenstadt von Memphis (von Abu Roasch bis Dahschur) und gehören der obersten Bevölkerungsschicht, dem Könige und dem Adel, an. Sie zerfallen nach ihrer Form in Pyramiden und Mastabas.
Die Gräber in Pyramidenform sind im alten Reiche fast nur für Könige gebräuchlich (über ihre Anlage s. Pyramiden); die Mastabas sind die Gräber der Vornehmen und gewöhnlich in Straßen um die Grabpyramide des Königs gruppiert. Die Mastaba (d. i. Bank) ist ein viereckiger Bau, der von weitem wie eine abgestumpfte Pyramide aussieht. Die Seitenflächen sind gleichmäßig geneigt und meistens glatt. Das zu ihrem Bau verwendete Material ist Haustein oder Ziegel.
Die Größe der Mastabas ist sehr verschieden; neben Riesenbauten von mehr als 1100 qm Grundfläche stehen kleinere von nicht mehr als 20 qm. Die Mastaba besteht gewöhnlich aus drei Teilen: einer Kapelle, dem Zimmer für die Statue und einer Kammer, in der der Sarg stand. Die Kapelle war der Raum, in dem dem «Ka" des Toten die Opfer dargebracht wurden; man legte sie auf einer Tischplatte an der Stelle nieder, an der man sich den Eingang zum Totenreiche dachte und die durch eine schmale Scheinthür gekennzeichnet war. Bei einfachern Bauten fehlte die Kapelle und wurde durch die an der Außenwand der Mastaba angebrachte Scheinthür ersetzt, so daß die Opfer auf der Straße dargebracht werden mußten. Die Wände der Kapelle waren mit Bildern und Inschriften bedeckt, die sich vor allem auf das Totenopfer beziehen und den Zweck haben, die dargestellten Gegenstände dem «Ka" in natura zu sichern (s. oben). Die Statue stand in einem schmalen und hohen Raume, dem sog. Serdâb ¶
Ägyptische Kunst I 1. Sphinx [* 10] und Pyramiden bei Giseh. 2. Tempel [* 11] auf der Insel Philä. 3. Tempel zu Edfu, vom östlichen Pylon aus gesehen. 4. Felsengräber von Benihassan. ¶
0245b Ägyptische Kunst II 1. Frontansicht des Tempels zu Edfu. 2. Kapitäl vom Tempel zu Philä. 3. Kapitäl vom Hathortempel zu Dendera. 4. Kopf einer Statue (4. bis 3. Jahrh. v. Chr.) 5. Kopf einer Statue. Mittleres Reich. (2200–1900 v. Chr.) 6. Längsschnitt des Chonstempels. 7. Grundriß des Chonstempels. 8. Grottentempel Ramses' II. zu Abu Simbel. 9. Sitzbild eines Mannes. Mittleres Reich. (2200–1900 v. Chr.) ¶
0245c Ägyptische Kunst III 1. Holzstatue eines Mannes. (Um 2600 v. Chr.) 2. Dolch [* 14] mit Bronzeklinge und Elfenbeingriff. 3. Elfenbeinschnitzerei (Götterscepter und Kröte). 4. Sessel aus Ebenholz mit Elfenbeinintarsia. 5. Die Königin Amenerdas. (um 720 v. Chr.) 6. Geschnitzter Holzlöffel mit Deckel (nackte Frau mit Laute). 7. Sphinx aus Rosengranit. (XIII. Dynastie.) 8. Sarkophag. [* 15] (XIX. Dynastie.) 9. Goldene Ohrringe. 10. Gefäß [* 16] aus Fayence. [* 17] 11. Spiegel [* 18] (Bronze). [* 19] 12. Topf in cyprischem Stil. 13. Bemaltes Holzkästchen. 14. Löffel. 15. Becher [* 20] aus Fayence (Sumpfvögel). 16. Geschnitztes Holzkästchen. 17. Familiengruppe. (XIX. bis XX. Dynastie. 1450–1150 v. Chr.) ¶
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244 (d. i. Keller), der unzugänglich war und nur bisweilen mit der Kapelle durch eine kleine Luke in Verbindung stand. Einzelne Mastabas enthalten übrigens mehr als einen (bis zu vier) Serdâb und dementsprechend auch mehrere Statuen. Die Sargkammer war unterirdisch angelegt; zu ihr führte ein 3–30 m tiefer senkrechter Schacht, der von einer Ecke der Kapelle oder gewöhnlich von der Mitte des platten Daches aus in den Felsen eingehauen war. In der schmucklosen Kammer ruhte der mit Binden eingewickelte Leichnam (s. Mumie) in einem großen steinernen Sarkophage.
War der Sarg in die Kammer gebracht, so legte man die Stücke der zum Totenopfer geschlachteten Rinder [* 22] und Gazellen auf dem Boden der Kammer nieder, vermauerte den Eingang und füllte den Schacht bis zur obern Öffnung mit Steinen, Sand und Erde an. Diese Masse wurde mit Wasser durchtränkt und wuchs so zu einem fast undurchdringlichen Gußmörtel zusammen, dessen Härte jedem Entweichungsversuche Widerstand leistete. So war der Leichnam von aller Welt abgeschlossen; niemand konnte zu ihm außer seiner Seele.
Diese verließ von Zeit zu Zeit ihre himmlische Wohnung und kam herab, um sich wieder mit dem Körper zu vereinigen. Mit dem Ausgange des alten Reichs schwindet die Sitte, sich das Grab zu Füßen der Pyramide des Königs zu erbauen, allmählich, und die Vornehmen ziehen es vor, sich in ihrer eigenen Heimat bestatten zu lassen. Ihre Gräber sind meist in den Felsen gehauene Kammern (z. B. in Assuan, Siut, Benihassan; vgl. Tafel: Ägyptische Kunst I, [* 21] Fig. 4), von denen aus der Schacht in die Tiefe führt.
Die Stelle des Serdâb, der sich im Felsen in der alten Weise nicht anlegen ließ, vertrat gewöhnlich eine Nische in der Rückwand der Kapelle. Auch hier sind die Wände mit Darstellungen bedeckt, deren Motive sich von den alten Bildern im Princip nur wenig unterscheiden. Im mittlern Reiche hat sich die Sitte der Einbalsamierung und der Errichtung von Gräbern weiter im Volke ausgebreitet; damit nehmen denn auch die Gräber bescheidenere Größen an. Neben den Felsengräbern kommen kleine, aus Ziegeln erbaute Pyramiden auf, die sich auf einem rechteckigen oder quadratischen Unterbau erheben.
Die Sargkammer wurde im Mauerwerk angelegt; die Stelle der Kapelle vertrat gewöhnlich eine einfache Steinplatte, die an der Außenwand des Unterbaues eingelassen war und auf der gewöhnlich der Tote vor einem Speisetisch sitzend dargestellt ist. Diese Ziegelgräber haben sich auch im neuen Reiche als Begräbnisstätten für die mittlern Stände erhalten. Die Vornehmen lassen sich auch in jener Zeit meist in Felsengräbern beisetzen; die Könige erbauen sich jetzt nicht mehr kolossale Pyramiden, sondern legen ihre Totengrüfte in den Abhängen des Gebirges auf dem thebanischen Westufer an. Diese Königsgräber bestanden aus langen Korridoren und Sälen, deren letzter den Sarg einschloß, und waren mit religiösen Bildern, welche u. a. die Fahrt der Sonne [* 23] während der zwölf Nachtstunden wiedergeben, geschmückt.
Für die Kapelle war im Gebirge kein Raum; sie wurde in der Ebene angelegt und nahm die Form großer Tempel an, die dem «Ka" des Königs geweiht waren. In dieser Zeit hat der Wunsch, durch Einbalsamierung den Körper vor Zerstörung zu schützen und so für das Heil der Seele zu sorgen, auch die niedrigsten Volksschichten ergriffen; da diese aber nicht im stande waren, sich eigene Gräber, die bei der größten Einfachheit immer noch kostspielig genug waren, zu errichten, so ließen sie sich in gemeinsamen Massengräbern, die gewöhnlich in einer natürlichen oder künstlichen Felsenhöhle angelegt waren, bestatten. Nach dem neuen Reiche hat sich die geschilderte Form der Bestattung und des Gräberbaues nur unwesentlich verändert.
2) Kunst. Unter den Künsten war es vorzüglich die Baukunst, [* 24] welche die Ägypter früh zu einer jederzeit bewunderten Höhe ausbildeten. Sie hat sich namentlich in der Schöpfung der Gräberbauten, Pyramiden (s. d.), Mastabas und Felsengräber (s. oben) und der Tempel bewährt. Schon die dem alten Reiche angehörigen Pyramiden von Giseh (s. Tafel: Ägyptische Kunst I, [* 21] Fig. 1) zeigen eine durch die neuern Untersuchungen immer deutlicher hervortretende Meisterschaft in der Technik und die Lösung der verschiedenartigsten und schwierigsten Probleme im einzelnen.
Unhaltbar ist die Annahme, daß die einfache Pyramidalform der Ursprung der Baukunst überhaupt sei. Die mit den Pyramiden gleichzeitigen Tempelgebäude liegen wenigstens noch in ihren Grundrissen und einigen Fragmenten vor. Bereits in jener Zeit findet man die beiden Hauptrichtungen des Felsenbaues und des freien Baues nebeneinander entwickelt, sowie die beiden Säulenordnungen, die sie wenigstens dem Begriffe nach charakterisieren, nämlich die Polygone oder kannelierte Säule ohne Kapitäl, die aus dem Pfeiler hervorgeht, und die dem Holzbau entnommene Säule mit Kapitäl, welche ursprünglich ein Pflanzenbündel nachahmte, das unter den Kelchen zusammengebunden war und mit seinen Knospen [* 25] oder offenen Blüten das Kapital bildete (s. Tafel: Ägyptische Kunst II, [* 21] Fig. 2, 3). Zur großartigsten Entfaltung erhob sich die ägypt. Architektur im Tempelbau, besonders unter den Herrschern des neuen Reichs, sowie unter den Ptolemäern und röm. Kaisern (s. Tafel: Ägyptische Kunst I, II).
Der wichtigste Teil eines altägypt. Tempels ist das Allerheiligste, ein kleines, viereckiges, niedriges und dunkles Zimmer, das nur den Priestern und dem Könige zugänglich war. In ihm stand die heilige Barke oder ein auf einem Gestell ruhendes Tabernakel aus bemaltem Holze; außerdem befand sich darin eine kleine Nische, in der an bestimmten Festtagen die Statue des Gottes oder seines heiligen Tiers Platz nahm. Nur in wenigen Fällen bestand jedoch ein Tempel lediglich aus diesem Allerheiligsten; gewöhnlich gruppierten sich um das «Gotteshaus» noch Kammern zur Aufbewahrung der wertvollen, im Kultus gebrauchten Gefäße und Stoffe, der Spezereien u.s.w.
Dann baute man vor dieser Gebäudemasse große, von Säulen [* 26] getragene Säle, in denen sich die Priester und Andächtigen versammelten, einen von Säulengängen eingeschlossenen Hof, [* 27] den die Menge zu jeder Zeit betreten konnte, ein Thor mit zwei Türmen (Pylonen) an den Seiten (s. Tafel: Ägyptische Kunst II, [* 21] Fig. 1), davor gewaltige Statuen und Obelisken, endlich eine Umfassungsmauer aus Ziegeln und eine Allee von Sphinxen, auf der sich die feierlichen Prozessionen an den Festtagen bewegten. Vor den Sälen, die seine Vorgänger errichtet, konnte ein König noch prunkvollere errichten, dasselbe konnten seine Nachfolger thun. So wurden von einer Regierung zur andern neue Kammern und Höfe, Pylonen und Säulengänge dem ursprünglichen Kerne hinzugefügt. Für dieses Verfahren liefert namentlich ¶