Gott
,
Gott
heit. Im Wesen des
Menschen liegt das Bedürfnis begründet, bei Lebensereignissen, die ihm auf unumgängliche
Weise seine kreatürliche Abhängigkeit zum
Bewußtsein bringen, Äußerungen einer unüberwindlichen, über alles
Endliche
erhabenen Macht zu sehen, und zu dieser letztern ein geistiges Verhältnis zu suchen, indem er durch
ihre rückhaltlose
Anerkennung zu dauernder innerer
Freiheit und Ruhe sich erhebt. Der Naturmensch ahnt in den Mächten des
Naturlebens, von denen er umgeben ist, ein in denselben nur erscheinendes
Geistiges, das er nach dem
Maße seiner eigenen geistigen
Entwicklung mit gewissen, der
Analogie des Menschengeistes entnommenen Eigenschaften ausstattet. (S.
Anthropomorphismus.)
Mit dem fortschreitenden Selbst- und Weltbewußtsein des
Menschen gewinnt der
Glaube an diese höhere Macht immer reichern
und tiefern
Inhalt, und die ursprüngliche
Scheu vor dem geheimnisvoll waltenden Leben in der Natur wird zum Gott
esglauben.
Reflexerscheinungen -

* 2
Reflexion.
Der Ursprung des
Glaubens an Gott
ist daher weder eine bewußte
Reflexion
[* 2] noch eine willkürliche Satzung,
sondern der notwendige Drang des menschlichen
Geistes überhaupt, das im
Endlichen sich offenbarende
Unendliche anzuerkennen,
zu wahren und mit ihm Gemeinschaft zu suchen, um in dieser Gemeinschaft seiner eigenen Unendlichkeit inne zu werden. Der
Fortschritt vom sinnlich-natürlichen zum vernünftig-sittlichen Leben giebt diesem Drange seine nähere
Bestimmtheit, der frommen
Erhebung ihre konkrete Gestalt und ihren lebendigen
Inhalt.
Macht, Intelligenz und Wille sind in den verschiedensten Formen der religiösen
Vorstellung die Grundzüge des Gott
esbegriffs.
Mit der
Entwicklung des religiösen
Bewußtseins als solchen darf die der religiösen
Vorstellung oder des theoretischen Gott
esbewußtseins
nicht verwechselt werden, obwohl beide aufs engste zusammenhängen. Der religiöse Gehalt des Gott
esglaubens kann auf sehr
verschiedenen
Stufen der religiösen
Vorstellung der nämliche sein.
Gott

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Das Göttliche ist für das fromme Gefühl eins und dasselbe, möge die
Vorstellung es nun in eine Vielheit von Einzelwesen
zersplittern oder zur Erkenntnis der Einheit G.s fortgeschritten sein, möge sie dasselbe in der Form
eines persönlichen Wesens oder als unpersönliche Macht, Weisheit und Güte auffassen. Die
Andacht vereint, was die
Vorstellung
trennt. Aber da das Gott
esbewußtsein, obwohl im Innern des
Menschen begründet, immer von außen her angeregt wird, so geht
die Gott
esvorstellung des
Menschen zunächst von der Form der äußerlichen Einzelheit aus. Zunächst
sind es einzelne besonders mächtige Eindrücke des äußern Lebens, an denen dem
Menschen die
Ahnung eines Göttlichen erwacht,
aber noch malt die ungeordnete
Phantasie die
¶
mehr
Göttergestalten ins Ungeheure. Wenn dann das Denken zur Anerkennung einer sittlichen Ordnung der Dinge hindurchgedrungen ist,
erhält die Gott
esvorstellung bestimmtere Gestalt. Gegenüber der Verworrenheit der ältesten Vorstellungen ist die gegliederte
Vielheit des griech. Götterhimmels ein Fortschritt, zu dem sich das hellen. Volk erst durch eine lange Entwicklung emporschwang.
Aber der Polytheismus (s. d.), der das Göttliche in seiner
besondern Erscheinungsform festhält, hat in sich selbst einen Trieb, die Einheit in der Vielheit zu suchen, der, sobald das
Leben sich mit sittlichem Gehalte erfüllt, immer bestimmter monotheistische Elemente in sich aufnimmt.
Bei aller Mannigfaltigkeit der geistigen Güter ist doch die sittliche Ordnung nur eine. Die griech. Philosophie
hat diese Einheit gesucht und in ihrer Weise auszudrücken gestrebt, obwohl sie entweder in den polytheistischen Voraussetzungen
des Volksglaubens befangen blieb oder seinen religiösen Gehalt verflüchtigte. Niemals dagegen war der Monotheismus die
ursprüngliche Form der Religion. Geschichtlich ist der monotheistische Glaube nur bei den Israeliten die
Grundlage der Volksreligion geworden. Doch ward auch hier die reine Geistigkeit G.s erst allmählich erkannt und blieb für
das Volksbewußtsein noch lange durch widersprechende Reminiscenzen an das altsemit. Heidentum verdunkelt. Der Ursprung des
israel. Monotheismus aus der Verehrung eines Stammesgottes
verrät sich auch nachmals noch in den dem Gott
esglauben
beigemischten sinnlichen und partikularistischen Elementen.
Erst das Christentum hat durch den Glauben an den «himmlischen Vater», mit dem der «Sohn» sich eins wußte, und durch die Idee
der Gott
eskindschaft das religiöse Bewußtsein der Menschheit vollendet. Der außerweltliche Gott
offenbarte sich in einer
geschichtlich menschlichen Persönlichkeit und mittels des Glaubens an diese im eigenen Innern des Menschen
als versöhnende Liebe. Das theoretische Gott
esbewußtsein in Gemäßheit des neuen religiösen Bewußtseinsgehaltes auszugestalten,
ist die noch nicht vollendete Aufgabe der christl. Theologie und Philosophie geworden.
Die kirchliche Dreieinigkeitslehre (s. Trinität) ist die unter Einfluß der antiken Weltanschauung und Philosophie ausgeprägte Fassung des eigentümlichen religiösen Gehalts des Christentums: der unendliche Gott als liebender Vater der Menschen, in seiner Wesensfülle offenbar im Sohn und mit seiner Geistesmacht wirksam gegenwärtig in der Gemeinschaft der Gläubigen. Wenn die orthodoxe Theologie dabei eine Dreiheit göttlicher «Personen» verstand, so ward die Einheit und Absolutheit des geistigen Wesens G.s nur um so energischer betont.
Aber dieses göttliche Wesen ward überwiegend platonisch als das reine bestimmungslose Sein gefaßt, mit dem die konkreten Bestimmungen der kirchlichen Dreieinigkeitslehre übel genug zusammenstimmten. Daß der eine Gott selbst lebendiger einheitlicher Wille sei, ward mehr vom frommen Gefühle geglaubt als wissenschaftlich begründet. Daher fand die unpersönliche Fassung des Göttlichen (neuerdings gewöhnlich als Pantheismus [s. d.] bezeichnet) bei Philosophen und Mystikern Anklang und schien den christl. Gottesglauben selbst bald mit Versenkung in die absolute «Substanz», bald mit Verflüchtigung zur absoluten «Idee» zu bedrohen.
Licht

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Licht.Die altscholastische Ausführung der Gotteslehre, von der luth. Dogmatik und der Wolffschen Philosophie (im 18. Jahrh.) nur noch bestimmter vollendet, stellte die Widersprüche des altchristl. Gottesbegriffs nur um so schärfer ins Licht. [* 4] Daher die Aufklärung nach Beseitigung der Trinitätsidee zu der farblosen und trotz ihrer Leerheit noch widersprechenden Vorstellung «des höchsten Wesens», d. h. eines überweltlichen, aber in die Welt nicht eingreifenden Einzelwesens fortschritt und in Demonstrationen für die Existenz desselben und dessen vornehmste «Eigenschaften» als «Beweise für das Dasein G.s» sich abmühte.
Das Ungenügende aller dieser Verstandesbeweise deckte Kant auf, ohne die Vorstellung des allervollkommensten Einzelwesens, für die er selbst im sittlichen Bewußtsein des Menschen eine neue Stütze suchte, zu verlassen. Um so mächtiger machte sich der Einfluß Spinozas seit Ende des 18. Jahrh. geltend. Lessing und Herder erinnerten an ihn, Schleiermacher, Schelling und Fichte [* 5] (in seiner spätern Zeit) suchten seine Lehre, [* 6] die Lehre von der absoluten Substanz, weiter zu bilden.
Für Schleiermacher war Gott die absolute, in sich selbst einfache und bestimmungslose Kausalität alles natürlichen und geistigen Geschehens; Fichte definierte ihn als die moralische Weltordnung, Schelling als die ewig sich selbst aus der Bestimmungslosigkeit der reinen «Indifferenz» zu bestimmtem, immer höher organisiertem Leben ausgebärende Natur; Hegel endlich als die absolute Vernunftidee, die in der Natur sich ihrer selbst entäußert, um in der endlichen Geisterwelt als absoluter Geist zu sich selbst zurückzukehren. Das dem religiösen Gefühl entsprechende Wort «Gott» schien hinter dem philos. Ausdruck das «Absolute» fast völlig zu verschwinden.
Gegen die Bedrohung des religiösen Interesses, das ein persönliches Verhältnis zu Gott verlangt und diesen nur als absoluten, über den Weltlauf erhabenen, aber in demselben sich wirksam erweisenden Willen verstehen kann, erhoben Theologen und «theistische» Philosophen Widerspruch. Die mit Hegelschen Vorstellungen neu verzierte altkirchliche Dreieinigkeitslehre ward von den einen empfohlen, von den andern eine stark vermenschlichende Fassung des Gottesbegriffs, die sogar die Behauptung einer allmählichen Entstehung und Vervollkommnung G.s nicht scheute, von den dritten die einfache Rückkehr zu den altorthodoxen Bestimmungen.
Auch für die unbedingte Unzulässigkeit jeder nähern Bestimmung des göttlichen Wesens, also für das Verharren auf dem Standpunkt eines unvermittelten Glaubens, erhoben sich geachtete Stimmen. Die neuere «pantheistische» Philosophie ist bisher mehr aus einem Gefühle innern Ungenügens zurückgedrängt als wissenschaftlich überwunden worden. Während unter dem Einflusse der modernen Naturwissenschaften eine immer weiter sich verbreitende Zeitrichtung auch die pantheistische Auffassung als Halbheit verwarf und zum erklärten Atheismus fortschritt, arbeiteten einzelne Denker an dem großen Problem, die Forderungen der «modernen Weltanschauung» mit dem frommen Bedürfnis des Christen zu versöhnen.
Gotter - Göttergeschic

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Seite 58.203.Die Vorstellung eines «außerweltlichen» G.s, der, mehr oder minder als ein ins Ungeheure gesteigerter Mensch gedacht, von außen her die Welt in Bewegung setzt und, wenn er will, eingreift in ihren Verlauf, kann dem heutigen Standpunkt nicht mehr genügen. Die Absolutheit G.s kann nicht als willkürliche Macht, die Weltordnung zu durchbrechen, sondern nur als in dieser selbst sich bethätigend begriffen werden. Auch die lebendige Geistigkeit G.s, seine ¶
mehr
Intelligenz und seinen Liebeswillen nach Analogie des endlichen Geisteslebens zu fassen, hat fast unüberwindliche Schwierigkeiten, die bei jedem Versuche, G.s Eigenschaften näher zu bestimmen, zu Tage treten. Dennoch kann der Mensch davon nicht ablassen, sich das Wesen G.s auf solche Weise vorstellig zu machen, und findet ein Recht dazu in der Erkenntnis, daß der endliche Geist eben als Geist die Offenbarung des unendlichen ist. Vor allem das religiöse Bedürfnis verlangt einen lebendigen Gott, zu dem wir beten können, dem der Betende vertrauensvoll wie Ich und Du gegenübertritt.
Leere Abstraktionen bringen dieses Bedürfnis niemals zum Schweigen. Die Spekulation muß das Recht dieses Bedürfnisses anerkennen, aber auch auf ihrem eigenen Rechte bestehen, die notwendige Bildlichkeit aller religiösen Vorstellungen nachzuweisen. Die Einheit unsers Geisteslebens aber fordert den Aufbau einer einheitlichen Weltanschauung, welche die natürliche (kausale) und die religiös-sittliche (teleologische) Weltbetrachtung versöhnt, indem sie den unendlichen Geist als den höchsten Einheitsgrund der natürlichen und der sittlichen Welt, zugleich aber als den erst in letzterer sich voll offenbarenden zwecksetzenden Willen auffassen lehrt.
Die neuerdings von der Ritschlschen Schule erhobene Forderung, den ganzen Inhalt des Gottesbegriffs auf den Gedanken des zwecksetzenden Willens zu beschränken, den Inhalt desselben aber lediglich der geschichtlichen Offenbarung im Christentum zu entnehmen und alle metaphysischen Untersuchungen über den Begriff des «unendlichen Geistes» und des ewigen Daseinsgrundes von Natur und Geist beiseite zu stellen, bedeutet keine Lösung der dem menschlichen Denken sich von alters her aufnötigenden Probleme.