Geburtssta
tistik,
s. Bevölkerung, [* 2] S. 854, und Moralstatistik.
Geburtsstatistik
4 Seiten, 1'975 Wörter, 14'524 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Geburtsstatistik,
s. Bevölkerung, [* 2] S. 854, und Moralstatistik.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Geburtsstatistik,
ein Hauptteil der die Bevölkerungsbewegung (s. Bevölkerung) zum Gegenstand habenden Statistik, stellt aus den individuellen Eintragungen der Geburten in die Civilstandsregister (s. d.) oder in die Kirchenbücher (s. d.) «große Zahlen» mit Unterscheidung der besonders bedeutsamen Kategorien zusammen, weist auf die Schlüsse bin, die sich aus denselben in betreff der hygieinischen, socialen, sittlichen und wirtschaftlichen Zustände ergeben, und hebt die in den Zahlenreihen auftretenden Regelmäßigkeiten oder Gesetzmäßigkeiten hervor.
Zur bessern Aufstellung dieser letztern Erscheinungen werden in der neuesten Zeit die Geburten auch vielfach nach Rücksichten
gruppiert, die ein rein naturwissenschaftlich-physiol. Interesse haben,
wie z. B. nach dem Geschlecht in Verbindung mit dem kombinierten Alter der Eltern, nach der Ordnungszahl der Niederkünfte
der Mutter u. s. w. Die Grundziffer der Geburtssta
tistik ist natürlich die Gesamtzahl
der Geborenen innerhalb eines Jahres; dieselbe fällt nicht vollständig mit der Zahl der Niederkünfte oder Geburten zusammen,
da immer ein gewisser Prozentsatz von Mehrlingsgeburten vorkommt. Aus jener Gesamtzahl sind diejenigen Fälle auszuscheiden,
die für die Volksvermehrung keine Bedeutung haben, nämlich die Totgeborenen. Dieser Begriff ist indes
¶
in den verschiedenen Ländern nicht gleichmäßig begrenzt, indem er z. B. in Frankreich alle Kinder umfaßt, die bei der Eintragung in das Civilstandsregister nicht mehr lebten, wenn sie auch lebend zur Welt gekommen waren. In England werden die Totgeborenen überhaupt nicht registriert. Andere wichtige, insbesondere socialstatist. Fragen knüpfen sich an die Unterscheidung der Geburten in eheliche und uneheliche, an die Verteilung der Geborenen auf die Jahreszeiten [* 4] und an die eheliche Fruchtbarkeit.
Faßt man zunächst die Gesamtzahl der Geborenen einschließlich der Totgeborenen ins Auge, [* 5] so gelangt man für das Deutsche Reich [* 6] zu folgendem Ergebnis:
Jahr | Mittlere Bevölkerung | Geborene | Auf 1000 E. entfallen Geborene |
---|---|---|---|
1881 | 45093000 | 1748686 | 38,49 |
1882 | 45717000 | 1769501 | 38,71 |
1883 | 46014000 | 1749874 | 38,03 |
1884 | 46334000 | 1793942 | 38,72 |
1885 | 46705000 | 1798637 | 38,51 |
1886 | 47132000 | 1814499 | 38,52 |
1887 | 47628000 | 1825561 | 38,40 |
1888 | 48166000 | 1828379 | 38,07 |
1889 | 48715000 | 1838439 | 38,70 |
1890 | 49239000 | 1820264 | 36,97 |
1881/90 | 47108000 | 1798778 | 38,18 |
1891 | 49767000 | 1903160 | 38,24 |
Das hier berechnete Verhältnis der Geborenen zur Bevölkerung, die sog. allgemeine Geburtenziffer, ist im Laufe der letzten 10 Jahre nur unbedeutenden Schwankungen unterworfen gewesen. In den frühern Jahren trifft man auf größere Unterschiede in der Geburtenfrequenz. Die allgemeine Geburtenziffer betrug nämlich 1841/50: 37,5,1851/60: 36,8, 1861/70: 38,7, 1871/80: 40,7 und 1881/90: 38,2. Wenn es im allgemeinen auch zutreffend erscheint, daß die Geburtenfrequenz von der wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung derart abhängig ist, daß günstige Zustände eine Steigerung, ungünstige eine Minderung der Geburten herbeizuführen vermögen, so bleibt doch zu beachten, daß andere Umstände das Ergebnis zeitweilig stark beeinflussen. Es ist daher unzulässig, von einer hohen Geburtenziffer ohne weiteres auf vorteilhafte ökonomische Verhältnisse zu schließen. Es können z. B. die größere oder geringere Sorglosigkeit, die Heiratsfrequenz und die hiermit im engen Zusammenhang stehende Verehelichungsgesetzgebung, Kriege, ja selbst die Kindersterblichkeit auf die Gestaltung der Fruchtbarkeit von Einfluß sein. Zudem kommt in der allgemeinen Geburtenziffer die Vermehrungstendenz der Bevölkerung überhaupt nur unklar zum Ausdruck, da strenggenommen nur ein Bruchteil der weiblichen Bevölkerung, nämlich die Zahl der gebärfähigen Frauen, für die Stärke [* 7] der Fortpflanzung als Maßstab [* 8] dienen kann. Dieses Verhältnis der Gebärfähigen zur Gesamtzahl der Geborenen pflegt man als besondere Geburtenziffer der allgemeinen gegenüberzustellen.
Im folgenden sind zu den Gebärfähigen sämtliche Verheiratete und Verwitwete bis zum Alter von 50 Jahren, ferner die Ledigen von 15 bis 20 Jahren zur Hälfte, sowie sämtliche Ledige im Alter von 20 bis 50 Jahren gerechnet worden. Es entfielen im Durchschnitt der Periode 1871/85 auf:
Staaten | 100 E. Gebärfähige | 1000 E. Geborene | 1000 Gebärfähige Geborene |
---|---|---|---|
Deutsches Reich | 22,81 | 40,0 | 174,9 |
Preußen | 22,71 | 40,0 | 176,3 |
Bayern | 22,72 | 43,5 | 191,3 |
Sachsen | 23,32 | 44,2 | 189,5 |
Württemberg | 22,75 | 45,4 | 199,4 |
Baden | 22,99 | 38,2 | 166,2 |
Elsaß-Lothringen | 22,40 | 34,6 | 154,4 |
Schweiz | 23,33 | 31,2 | 128,4 |
Frankreich | 23,36 | 26,3 | 107,4 |
Belgien | 21,74 | 33,4 | 147,1 |
Dänemark | 22,35 | 32,8 | 143,1 |
Schweden | 22,81 | 31,0 | 132,1 |
Österreich | - | 39,8 | - |
Ungarn | - | 38,2 | - |
Italien | - | 38,3 | - |
Großbritannien u. Irland (ohne Totgeborene) | - | 33,0 | - |
Infolge des abweichenden Verhältnisses der Zahl der gebärfähigen Frauen zur Gesamtbevölkerung ist es für die Rangstellung der einzelnen Staaten keineswegs belanglos, ob die allgemeine oder die besondere Geburtenziffer zu Grunde gelegt wird. Besondere Beachtung verdient der scharfe Gegensatz zwischen den deutschen Staaten und Frankreich, wo die Geburtenfrequenz infolge des dort herrschenden Zweikindersystems (s. d.) außerordentlich gering ist.
Bei der Verteilung der Geborenen auf die einzelnen Monate des Jahres ist zu beachten, daß dieselbe durch die größere oder geringere Zahl der Konzeptionen bedingt ist. Im Deutschen Reich kommen während des Zeitraums von 1872 bis 1888 bei einem Tagesmittel von 1000 Geborenen für das ganze Jahr auf die Monate:
Januar | 1027 |
---|---|
Februar | 1051 |
März | 1036 |
April | 1000 |
Mai | 972 |
Juni | 952 |
Juli | 959 |
August | 983 |
September | 1049 |
Oktober | 995 |
November | 991 |
Dezember | 989 |
In Bezug auf die Zahl der Geburten ist die Reihenfolge der Monate: Februar, September, März, Januar, April, Oktober, November, Dezember, August, Mai, Juli, Juni;
in Bezug auf die Zahl der Konzeptionen: Mai, Dezember, Juni, April, Juli, Januar, Februar, März, November, August, Oktober, September.
Wenn auch, mit der Verteilung der Eheschließungen aus die Jahreszeiten verglichen (s. Ehestatistik), die Schwankungen nicht als sehr beträchtlich erscheinen, so sind dieselben dennoch keineswegs bloß zufällige, sondern in ähnlicher Weise auch in andern Staaten beobachtet worden. Ein Maximum der Konzeptionen entfällt auf den Mai, ein anderes auf den Dezember, überhaupt ist ihnen das Frühjahr ebenso günstig wie die Herbstmonate ungünstig sind. Physische und sociale Einflüsse sind hier wirksam. Als solche teils fördernde, teils hemmende Ursachen kommen in Betracht: der belebende Einfluß des Frühlings, die erschlaffende Wirkung des Sommers infolge der Hitze und der anstrengenden Erntearbeiten, die winterliche Ruhe der Landbevölkerung und der gesundheitsschädliche Übergang des Winters zum Frühling. Der Wechsel in der Zahl der Eheschließungen während des Jahres scheint keine ¶
durchschlagende Wirkung auf die Häufigkeit der Konzeptionen auszuüben.
Von großem moralstatist. Interesse ist die Verteilung der Geburten nach Ehelichkeit und Unehelichkeit. Wirft man von diesem Gesichtspunkte aus einen Blick auf die einzelnen Staaten, so darf auch das Verhältnis der ehelichen und unehelichen Geborenen zur Zahl der verheirateten, bez. ledigen gebärfähigen Frauen auf Beachtung Anspruch erheben, zumal da durch die erstere der beiden Ziffern der eheliche Kinderreichtum einen befriedigenden statist. Ausdruck findet. Während der J. 1871-1885 entfielen auf:
Staaten | 100 Geborene | 100 Gebärfähige und zwar | ||
---|---|---|---|---|
eheliche | uneheliche | verheiratete ehelich Geborene | ledige unehelich Geborene | |
Deutsches Reich 90,97 | 9,03 | 28,35 | 3,60 | |
Preußen | 92,26 | 7,74 | 28,69 | 3,15 |
Bayern | 87,40 | 12,60 | 31,72 | 5,10 |
Sachsen | 87,05 | 12,95 | 27,73 | 6,06 |
Württemberg | 91,54 | 8,46 | 33,57 | 3,70 |
Baden | 91,85 | 8,15 | 28,72 | 2,89 |
Elsaß-Lothringen | 92,39 | 7,61 | 27,38 | 2,45 |
Belgien (ohne Totgeborene) | 92,45 | 7,55 | 26,92 | 2,24 |
Frankreich (ohne Totgeborene) | 92,60 | 7,40 | 16,79 | 1,95 |
Schweiz | 95,00 | 5,00 | 24,88 | 1,41 |
Dänemark | 89,54 | 10,46 | 24,48 | 3,32 |
Schweden | 89,58 | 10,42 | 24,66 | 2,80 |
Für die Würdigung dieser Thatsachen ist nicht außer acht zu lassen, daß die Häufigkeit der unehelichen Geburten an sich noch keinen unbedingt zuverlässigen Maßstab für die Beurteilung der sittlichen Zustände eines Landes abgiebt. Nicht nur, daß die gewiß verwerfliche Prostitution die unehelichen Geburten zu vermindern strebt, auch die verschiedenartige wirtschaftliche Lage der Bevölkerung, das ländliche Erbrecht sowie der Zustand der Ehegesetzgebung üben einen beachtenswerten Einfluß auf die Frequenz der unehelichen Geburten aus. Wie sehr der letztgenannte Faktor von Bedeutung sein kann, lehren die bayr. Verhältnisse, wo bis 1868 die Eheschließungen rechtlich äußerst erschwert waren, infolgedessen 1835-60 unter 100 Geborenen 21,1, 1860-68 gar 22,2 uneheliche gezählt wurden.
Die Gefährdung des menschlichen Lebens vor der Geburt kommt in der Zahl der Totgeborenen zum Ausdruck. Im Deutschen Reich entfielen auf 100 Geborene überhaupt Totgeborene in den J. 1841-50: 3,9, 1851-60: 4,0, 1861-70: 4,1, 1871 -80: 4,0 und 1881-90: 3,7. Die deutschen Einzelstaaten weichen hiervon nur wenig ab. Größere Unterschiede treten bei einem internationalen Vergleich hervor. Das Prozentverhältnis der Totgeborenen betrug 1871-85 in den Niederlanden 5,11, in Frankreich 4,47, in Belgien [* 10] 4,41, in der Schweiz [* 11] 4,12, in Norwegen [* 12] 3,39, in Italien [* 13] 3,03, in Dänemark [* 14] 3,12, in Schweden 2,97, in Österreich [* 15] 2,52 und 1876-85 in Ungarn [* 16] 1,72. Leider beruht die Feststellung der Totgeburt in den einzelnen Ländern nicht auf denselben Grundsätzen. Auch wird aus religiösem Interesse, namentlich in kath. Gegenden, die Thatsache einer Totgeburt vielfach verheimlicht und das Kind als kurz nach der Geburt verstorben registriert. Es darf als feststehend gelten, daß unter den unehelichen Geburten verhältnismäßig mehr tote sind als unter den ehelichen, weshalb schon eine größere außereheliche Fruchtbarkeit (s. oben) die Zahl der Totgeborenen steigern kann.
Die Untersuchungen über das Geschlecht der Geborenen sind so alt wie die bevölkerungsstatist. Studien überhaupt. Schon im vorigen Jahrhundert hat Süßmilch auf den konstanten Knabenüberschuß aufmerksam gemacht und Wappäus fand durch Beobachtung einer Zahl von 58¼ Mill. Geborenen in den größern europ. Ländern, daß auf 100 Mädchen 106,31 Knaben entfielen. Die neuern Berechnungen führen ungefähr zu dem gleichen Ergebnis. Es kamen nämlich auf 100 Mädchen 1872-88 im Deutschen Reich 106,2, 1871-85 in Preußen [* 17] 106,3, in Bayern [* 18] 106,4, in Sachsen [* 19] 106,0, in der Schweiz 106,2, in Österreich 106,6, in Norwegen 106,4, in Belgien 105,7, in Italien 107,0, 1872-85 in Württemberg [* 20] 105,1, in Baden [* 21] 105,5, in Elsaß-Lothringen [* 22] 106,0, 1876-85 in Ungarn 105,6, in Frankreich 104,3 und in Schweden 106,2 Knaben.
Die überraschende Regelmäßigkeit dieser Erscheinung hat zu zahlreichen Erklärungsversuchen angeregt. Am bekanntesten ist die Hofacker-Sadlersche Hypothese, nach der das Alter der Eltern auf die Geschlechtsbildung des Kindes derart von Einfluß ist, daß das höhere Alter des Mannes gegenüber der Frau die Tendenz einer Knabenqeburt in sich schließt. Obwohl nun auch die Thatsache des höhern Durchschnittsalters des Mannes im Vergleich zur Frau (s. Ehestatistik) dieser Theorie eine Stütze verleiht, ist sie doch wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den Ergebnissen der neuern Bevölkerungsstatistik aufgegeben worden.
Vorläufig muß die Regelmäßigkeit des Knabenüberschusses noch als wissenschaftliches Rätsel betrachtet werden, das zu lösen auch neuerdings wieder mehrfach versucht worden ist. Im allgemeinen pflegt der Knabenüberschuß bei den ehelich Geborenen etwas größer zu sein al5 bei den unehelichen. Dies gilt insbesondere auch für das Deutsche Reich, wo 1872-85 unter den Ehelichen 51,51 Proz. Knaben und 48,49 Proz. Mädchen und unter den Unehelichen 51,29 Proz. Knaben und 48,71 Proz. Mädchen gezählt wurden. Weit stärker ausgeprägt erscheint überall der größere Knabenüberschuß unter den Totgeborenen im Vergleich zu den Lebendgeborenen; unter diesen waren 1872-85 im Deutschen Reich 51,30 männliche und 48,70 weibliche, unter jenen hingegen 56,23 männliche und 43,77 weibliche Geborene. Das Leben der Knaben ist also schon vor und bei der Geburt stärker gefährdet als das der Mädchen.
In betreff der Mehrlingsgeburten befanden sich unter 100 Geborenen überhaupt:
Staaten | Jahre | Einfache Geborene | Mehrlingskinder | Darunter Zwillinge | Darunter Drillinge u.s.w. |
---|---|---|---|---|---|
Preußen | 1876-85 | 97,52 | 2,48 | 2,44 | 0,04 |
Bayern | 1876-85 | 97,52 | 2,48 | 2,44 | 0,04 |
Sachsen | 1876-85 | 97,68 | 2,32 | 2,29 | 0,03 |
Ungarn | 1876-85 | 97,23 | 2,77 | 2,72 | 0,05 |
Norwegen | 1876-85 | 97,33 | 2,67 | 2,62 | 0,05 |
Frankreich | 1876-85 | 98,01 | 1,99 | 1,96 | 0,03 |
Schweiz | 1871-85 | 97,61 | 2,39 | 2,35 | 0,04 |
Italien | 1871-85 | 97,59 | 2,41 | - | - |
Österreich | 1871-85 | 97,65 | 2,35 | 2,30 | 0,05 |
Wirft man schließlich noch einen Blick auf die Fruchtbarkeit der Ehen, so muß man sich ¶