Erkältung
(Verkühlung), die Schädigung, welche der
Körper durch raschen
Wechsel der
Temperaturen und zwar auch solcher
Temperaturen erleidet, welche
an sich ganz wohl erträglich und in der That schon oft ohne
Schaden ertragen worden sind. Die
Erkältung
wirkt um so entschiedener nachteilig auf die
Gesundheit ein, wenn die kühlere
Luft zugleich in einem
gewissen
Grad von
Bewegung begriffen ist (Zug,
Zugluft), und wenn sie solche Teile der
Haut
[* 2] trifft, welche sonst bedeckt getragen
werden oder im
Moment der Erkältung
zufällig schwitzen.
Die
Thatsache der Erkältung
und der dadurch bewirkten Schädigung des
Körpers
an sich wird gewiß niemand bezweifeln
mögen; im Gegenteil wird sehr häufig sowohl von
Ärzten als von
Laien die Erkältung
ganz gedankenlos als Krankheitsursache bezeichnet,
wo dies höchst zweifelhaft oder doch nicht sicher zu erweisen ist. Allein was bei der Erkältung
denn eigentlich
im
Organismus vor sich geht, vermöge welcher Verknüpfung der Verhältnisse eine kühlere
Temperatur oder
eine Zugluft dem
Körper
Schaden bringen könne, das ist noch in tiefes
Dunkel gehüllt.
Viele gesunde und kränkliche Leute müssen sich
Tag für
Tag Temperaturwechseln aussetzen, ohne sich zu erkälten. Im harten
Winter, wo zwischen der warmen Zimmerluft und dem
Freien ein Temperaturunterschied von 30 und mehr
Grad
besteht, kommen bekanntlich seltener Erkältungen
vor als im Frühjahr und
Sommer. Es ist deshalb schwer zu bestimmen,
ob eine
Krankheit mit Erkältung
zusammenhängt, wenn sie einen
Menschen betrifft, der sich alltäglich solchen Temperaturwechseln aussetzt.
Allein es liegt in alledem kein hinreichender
Grund, die
Thatsache der Erkältung
selbst abzuleugnen. Denn zwei
Umstände deuten auf den Zusammenhang der
¶
mehr
Krankheit mit einer Verkühlung: einmal empfindet der sich Erkältende die kühlere Temperatur unangenehm, bekommt bald allgemeines
Frösteln, und zweitens schließt sich daran sehr bald ein allgemeines Krankheitsgefühl und der Eintritt bestimmter Krankheitssymptome.
Die Krankheiten, welche entschieden durch Erkältung
entstehen, sind besonders die sogen.
rheumatischen Affektionen, also mit herumziehenden Schmerzen verbundene Leiden
[* 4] der Muskeln
[* 5] und Gelenke, dann
Katarrhe der Schleimhäute der Nase,
[* 6] des Kehlkopfes, der feinern Luftwege, aber auch des Darms, zumal des Dickdarms.
Auch als Gelegenheitsursache zum Ausbruch gewisser Infektionskrankheiten, z. B. der Cholera, des Wechselfiebers etc., scheint
die Erkältung
eine Rolle zu spielen. Merkwürdig ist die Thatsache, daß zwischen dem erkälteten Hautteil und
diesem nahegelegenen Organen eine ganz bestimmte Beziehung besteht. Erkältung
des Halses führt bekanntlich leicht zu Kehlkopfkatarrh,
den Schnupfen bekommt man leicht, wenn man aus heißen Zimmern in die Kälte kommt, doch auch umgekehrt; Menstruationsstörungen
entstehen durch der Füße oder des Unterleibes, Durchfälle durch Erkältung
des Bauches etc. Ebenso bekannt aber
ist die Thatsache, daß jedermann, welcher einen »schwachen Teil«, z. B.
eine nicht ausgeheilte Wunde, eine sehr zu Katarrhen neigende Luftröhre, eine Verhärtung seiner Lungenspitze etc., besitzt,
an diesem erkrankt, welchen Körperteil die Erkältung
auch betroffen haben möge.
Zur Erklärung aller dieser zum Teil schwer zu vereinigenden Thatsachen hat man verschiedene Theorien der
Erkältung
aufgestellt. Zuerst stellte man sich vor, daß durch Erkältung die Hautsekretion unterdrückt,
daß dadurch ein dem Organismus schädlicher Stoff im Blut zurückgehalten werde, dessen Ablagerung in irgend einem Organ die
Krankheit des letztern verursache. Diese Annahme beruht auf lauter unerwiesenen oder falschen Vermutungen.
Denn es ist gar nicht erwiesen, daß durch eine Erkältung
die Hautperspiration geändert wird; auch hat niemand den
schädlichen Stoff im Blut oder im Krankheitsherd jemals nachgewiesen, und endlich sind die Erscheinungen der unterdrückten
Hautausdünstung ganz verschieden von denjenigen bei der Erkältung.
Eine andre Theorie nimmt die Nerven
[* 7] zu Hilfe,
indem sie behauptet, daß bei der Erkältung
eine Alteration der sensibeln Hautnerven stattfinde, welche reflektorisch auf die Gefäßnerven,
sei es der erkälteten, sei es einer andern Provinz, übertragen werde und somit Zirkulationsstörungen an den letztern Orten
hervorrufe.
Diese Ansicht kann nicht ganz von der Hand
[* 8] gewiesen werden, ist aber bisher in keiner Weise positiv begründet
worden. Die praktische Medizin hat sich schon längst mit der Aufgabe beschäftigt, einesteils den Körper vor zu großer Empfänglichkeit
für Erkältungen
zu bewahren, andernteils, wenn dieselben eingetreten sind, deren nachteilige Folgen wenigstens zu vermindern.
Das erste Erfordernis ist eine von früher Jugend an geübte Abhärtung durch kalte Waschungen und Bäder
sowie durch eine zwar zweckmäßige, den verschiedenen Jahreszeiten
[* 9] angemessene, doch immerhin den wohlthätigen Einfluß
der Luft auf die Haut nicht allzusehr abhaltende Bekleidung.
Auch fleißige Bewegung in frischer Luft, Turnen, Reiten etc. sind anzuraten, um dadurch die Widerstandsfähigkeit des Körpers
zu vermehren. Hat aber eine Erkältung
eingewirkt, fühlt man sich infolge davon unbehaglich, zu Frost geneigt,
beginnen die Vorboten eines fieberhaften oder sonstigen krankhaften Zustandes, dann ist die gleichmäßige Wärme
[* 10] des Bettes
gleichzeitig mit dem Genuß warmen Thees etc., zeitig genug angewendet, oft das beste
Mittel zur Verhütung ernstlicher Erkrankung.
Die früher viel häufiger als jetzt noch angewendete Schwitzkur hat ihre volle Berechtigung und ist oft die sicherste Methode zur Abwendung von schweren Lokalkrankheiten, welche andernfalls sich einzustellen drohen. Wer aber einmal zu Erkältung sehr geneigt ist und vermöge seines Berufs und seiner Beschäftigung der Einwirkung wechselnder Temperaturen sich nicht wohl zu entziehen im stande ist, dem ist neben der Abhärtung durch kalte Bäder u. dgl. namentlich in der kältern Jahreszeit oder in feuchten Gegenden das Tragen von flanellener oder seidener Bekleidung auf der bloßen Haut anzuraten.