Kompositio
nslehre,
die
Lehre
[* 2] von der musikalischen
Komposition (s. d.); sofern man Kompositio
nslehre von der
Harmonielehre und dem
Kontrapunkt
unterscheidet, versteht man darunter die
Lehre von den musikalischen
Formen, d. h. vom
Ausbau der Themata, der Gegenüberstellung
verschiedener Themata und
Durchführung derselben, von den speziellen Bestimmungen, welche sich in dieser
Beziehung für die einzelnen
Gattungen von Musikstücken historisch herausgebildet haben, ferner von den verschiedenen Stilarten
und der
Konstruktion der großen
Formen.
Keine Kunst kann der Form entbehren, die nichts andres ist als der Zusammenschluß der Teile des Kunstwerkes zum einheitlichen Ganzen; dieser Zusammenschluß ist aber nur möglich, wenn die verschiedenen Elemente in innerer Beziehung zu einander stehen, andernfalls ist das Resultat nur eine äußere Vereinigung, ein Aneinanderreihen. Die oberste Forderung für alle Formgebung, auch die musikalische, ist daher Einheit; diese kommt aber erst zur vollen Entfaltung ihrer ästhetischen Wirkung am Gegensätzlichen, als Kontrast und als Widerspruch (Konflikt).
Die Einheit in der speziellen musikalischen Gestaltung tritt uns entgegen im konsonanten Akkord, in der Ausprägung einer Tonart, dem Festhalten einer Taktart, eines Rhythmus, in der Wiederkehr rhythmisch-melodischer Motive, der Bildung und Wiederkehr abgerundeter Themata; der Kontrast und Konflikt im Harmoniewechsel, der Dissonanz, Modulation, dem Wechsel verschiedener Rhythmen und Motive, der Gegenüberstellung im Charakter gegensätzlicher Themata. Der Kontrast muß in einer höhern Einheit aufgehoben, der Konflikt gelöst ¶
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werden, d. h. die Akkordfolge muß eine Tonalität (Tonart) ausprägen, die Modulation muß sich um die Haupttonart bewegen und zu ihr zurückführen, die Dissonanz muß sich auflösen, aus den Wirren der Durchführungsteile müssen die Themata wieder heraustreten etc. So ergeben sich die Gesetze für die spezifisch musikalische Gestaltung aus allgemeinen ästhetischen Gesetzen. Innerhalb der dadurch vorgeschriebenen Normen sind jedoch vielfache Bildungen möglich. Mehrsätzige (cyklische) Werke werden in ähnlicher Weise aus Sätzen verschiedenen Charakters, verschiedener Tonart und Taktart zusammengesetzt.
Durch die Anwendung der einsätzigen und cyklischen abstrakten Formen auf die nach Zahl und Art der zusammenwirkenden Instrumente, nach Zweck und Stilart, Zusammenwirken mit andern Künsten etc. verschiedenen Musikgattungen entstehen nun viele konkrete Formen, deren Name schon eine bestimmte Vorstellung erweckt; nämlich A. für die reine Instrumentalmusik: Etüde, Präludium (Phantasiestück, Lied ohne Worte etc.), Tanzstücke (Allemande, Bourree, Branle, Chaconne, Tschardas, Gavotte, Galopp, [* 4] Gigue, Hornpipe, Loure, Mazurka, Menuett, Passacaglio, Passamezzo, Pavane, Polka, Polonäse, Rigaudon, Sarabande, Walzer etc.), Marsch (Trauermarsch etc.), Fuge, Toccata, Suite, Partite, Sonate, Phantasie, Duo, Trio, Quatuor (Quartett), Quintuor (Quintett), Sextuor (Sextett), Septuor (Septett), Oktett, Nonett, Divertissement, Serenade, Kassation, Konzert, Ouvertüre, Symphonie. B. für Vokalmusik: Lied, Chorlied, Kanzone (Chanson), Duett, Terzett, Quartett etc., Antiphonie, Psalmodie, Sequenz, Hymne, Choral, Motette, Madrigal, Ode, Messe, Requiem etc. C. für begleitete Vokalmusik ohne und mit Szene: Recitativ, Arioso, Kavatine, Arie, Konzert, Kantate, Oratorium, Oper, Passion, Romanze, Ballade, Legende etc. Über die einzelnen Formen vgl. die gleichnamigen Artikel.
Die theoretische Erklärung geht bei der in der Regel Hand
[* 5] in Hand mit den praktischen Übungen, so daß
die Kompositio
nslehre absolviert haben so viel heißt wie die praktische Komposition erlernt haben. Von Handbüchern der Kompositio
nslehre sind zu empfehlen:
Reicha, Traité de haute composition musicale (Par. 1824-26, 2 Bde.;
deutsch von Czerny, Wien
[* 6] 1834);
Marx, Die Lehre von der musikalischen Komposition (Leipz. 1837-45, 4 Bde.; vielfach aufgelegt, 1. Bd. neu bearbeitet von Riemann, 1887);
Sechter, Grundsätze der musikalischen Komposition (das. 1853-54, 3 Bde.);
Lobe, Lehrbuch der musikalischen Komposition (4 Bde., das. 1858-67 und öfter; neu bearbeitet von Kretzschmar, 1884 ff.).