Komplexe
Größen, in der
Arithmetik früher s. v. w. mehrgliederige
Zahlen, z. B. a+b,
a+b+c etc.,
im
Gegensatz zu den eingliederigen. Gegenwärtig wird diese veraltete Bezeichnung nicht mehr angewandt; man versteht vielmehr
unter komplexen
Größen solche, welche aus einem reellen und einem rein imaginären
Glied
[* 3] bestehen, also die Form a+b ^[Wurzel]-1
haben, wo a und b reelle
Zahlen bedeuten. Zwei die sich nur durch das Vorzeichen des imaginären
Gliedes
unterscheiden, wie a+b ^[Wurzel]-1 und a-b ^[Wurzel]-1, heißen konjugierte Auf solche
Zahlen kommt
man in der
Algebra zuerst
bei der
Auflösung quadratischer
Gleichungen (s.
Gleichung); es zeigt sich aber, daß auch jede
Lösung
(Wurzel)
[* 4] einer algebraischen
Gleichung höhern
Grades sich unter der allgemeinen Form a±b ^[Wurzel]-1 darstellen läßt, und zwar kommen
stets zwei konjugierte komplexe
Lösungen zusammen vor.
Während es Verhältnisse des alltäglichen
Lebens gibt, die dem
Gegensatz zwischen positiven und negativen
Größen entsprechen,
wie
Vermögen und
Schulden, findet man scheinbar hier nichts, was an den
Gegensatz zwischen reellen und
imaginären oder komplexen
Größen erinnert. Dies ist auch die
Ursache der Benennung »imaginäre« oder gar »unmögliche«
Zahlen. Es sind aber diese
Zahlen genau nach demselben
Prinzip in die
Arithmetik eingeführt worden wie die negativen und gebrochenen:
sie sollen die
Lösung der gestellten Aufgabe
(Ausziehen der
Quadratwurzel) in allen
Fällen möglich machen.
Auch sind die imaginären und komplexen
Zahlen unter gewissen konventionellen Voraussetzungen einer geometrischen Deutung
fähig. Es hat nämlich zuerst Wallis
in seiner
»Algebra« (1693) darauf aufmerksam gemacht, daß man jede komplexe
Zahl a±b ^[Wurzel]-1
durch einen
Punkt P der
Ebene darstellen kann, dessen
Abscisse x=a und dessen rechtwinkelige
Ordinate y=±b
ist (s.
Koordinaten);
[* 5] die reellen
Zahlen werden dann durch die
Punkte der Abscissenachse, die rein imaginären durch die
Punkte
der Ordinatenachse dargestellt. Weiter ausgeführt und auf die geometrische
Addition und
Multiplikation komplexer
Zahlen angewandt
hat diesen
Gedanken zuerst Argand in seinem »Essai sur
une manière de représenter les
quantités imaginaires« (1806), zum Allgemeingut der
Mathematiker
ist er aber erst durch
Gauß gemacht worden.
Auf dem gleichen
Gedanken beruht
Bellavitis'
Methode der
Äquipollenzen. - Die
Algebra führt auf keine andern als aus der reellen
Einheit 1 und der imaginären ^[Wurzel]-1=i zusammengesetzte; wenn man aber die Gültigkeit einzelner arithmetischer
Regeln opfert, so kann man andrer Art als die
oben besprochenen erhalten.
Das bemerkenswerteste Beispiel hierfür bilden die 1843 von Hamilton erfundenen Quaternionen, Zahlen, welche aus vier Einheiten, der reellen Einheit +1 und den drei andern Einheiten i, j, k zusammengesetzt sind. Letztere sind durch die Gleichungen ii=-1, jj=-1, kk=-1, ij=k definiert, aus denen jk=i und ki=j, aber auch ik=-j, ji=-k und kj=-i folgt, so daß also ij=-ji, jk=-kj und ki=-ik ist, welche drei Gleichungen einer Hauptregel der Arithmetik widersprechen. Die ersten drei Definitionsgleichungen scheinen allerdings den Schluß zu rechtfertigen, daß i=j=k=± ^[Wurzel]-1 ist; da indessen die reelle Zahl a, welche durch einen Punkt in der Abscissenachse repräsentiert wird, durch Multiplikation mit ^[Wurzel]-1 imaginär wird und nun einen ebensoweit vom Koordinatenanfang abstehenden Punkt der Ordinatenachse als Repräsentanten hat, so kann man diese Multiplikation als eine Drehung um 90° auffassen, und unter den Einheiten i, j, k kann man sich ebensolche Drehungen um je eine der drei rechtwinkeligen Koordinatenachsen im Raum denken.
Auf solche Weise ergibt sich nicht bloß die Zulässigkeit der Definitionen, sondern auch die übrigen Gleichungen erhalten eine anschauliche Bedeutung. Über den Quaternionenkalkül, der namentlich von britischen Mathematikern vielfach angewandt wird, vgl. Hamilton, Elemente der Quaternionen (deutsch von Glan, Leipz. 1882-85, 2 Bde.);
Tait, Elementares Handbuch der Quaternionen (deutsch, das. 1880);
Odstrcil, Kurze Anleitung zum Rechnen mit den Quaternionen (Halle [* 6] 1879);
Graefe, Vorlesungen über die Theorie der Quaternionen (Leipz. 1883).
Die gemeinsame
Quelle
[* 7] der gewöhnlichen komplexen
Größen und
Quaternionen weist nach Lipschütz, Untersuchungen über die
Summen von
Quadraten (Leipz. 1886).