Pharmakognosie
(griech.), die Lehre von den arzneilich benutzten Rohstoffen des Pflanzen- und Tierreichs. Die in frühster Zeit gebrauchten Arzneien scheinen wohl dem Pflanzenreich entnommen worden zu sein; in den ältesten naturwissenschaftlichen Schriften der orientalische und europäischen Litteratur werden schon zahlreiche Arzneipflanzen [* 2] genannt, und viele derselben sowie manche ihrer Produkte lassen sich mit Sicherheit erkennen, ungeachtet der äußerst dürftigen Beschreibungen.
Nicht viel eingehendem
Beobachtungen an Heilpflanzen oder Heilstoffen aus der organischen
Natur wurden von den arabischen und
christlichen Medizinern und Botanikern des
Mittelalters angestellt. Erst als bei Beginn der Neuzeit die
Naturwissenschaft von
dem allgemeinen geistigen Aufschwung mit ergriffen wurde, tauchten genauere Schilderungen und bald auch Abbildungen von
Pflanzen
und
Tieren auf. Dazu gesellten sich neue Anregungen, als
Amerika
[* 3] und der Seeweg nach
Ostindien
[* 4] entdeckt
wurden und diese
Länder nun die
Medizin mit neuen Heilstoffen bereicherten. In diesem
Sinn trat schon 1533 an der
Universität
Padua
[* 5] Buonafede (als Lector simplicium) als erster
Lehrer der Pharmakognosie
auf, und ebenso lehrte um 1540
Valerius
¶
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Cordus, Professor in Wittenberg, [* 7] arzneiliche Rohstoffe in weit befriedigenderer Weise kennen als alle Vorgänger. Konrad Gesner in Zürich [* 8] war um dieselbe Zeit in gleicher Richtung thätig, und gute Beschreibungen altberühmter indischer Droguen entwarf um 1560 der portugiesische Arzt Garcia de Orta an Ort und Stelle in Goa. Von nun an kamen die Fortschritte der beschreibenden Naturwissenschaft jenen Heilstoffen regelmäßig zu gute, so daß ihre Eigenschaften im 16., 17. und 18. Jahrh. mehr und mehr festgestellt wurden.
Oft boten dazu die Pharmakopöen (s. d.) Anlaß, die herzoglich württembergische z. B. schilderte 1740 die von ihr vorgeschriebenen Droguen in musterhafter Weise. So hatte sich im Lauf der Zeit, weit mehr durch die Bemühungen der Ärzte und Botaniker als der Apotheker, die Lehre [* 9] von den Heilstoffen zur eignen Wissenschaft, Materia medica, herausgebildet. Der damalige Inhalt dieses Wissenszweigs findet sich in übersichtlicher Darstellung in Murrays »Apparatus medicaminum« (Götting. 1766-94, 6 Bde.). Diese Materia medica hatte sich auf die äußern Kennzeichen, die pharmazeutische Behandlung, die Anwendung und Wirkung der Heilstoffe erstreckt und erhielt sehr allmählich weitere Vertiefung, als sich besonders seit Paracelsus, vom 16. Jahrh. an, den rohen Heilstoffen (Droguen) des Pflanzenreichs und der Tierwelt auch auf chemischem Weg dargestellte Substanzen anreihten. Zu ihrer Kenntnis wurden nun von den Apothekern, hauptsächlich in Deutschland, [* 10] Frankreich, England, zahlreiche Beiträge geliefert.
Die folgenreichste hierher gehörige Thatsache ist die Auffindung des Morphins im Opium. Der Apotheker Sertürner in Hameln [* 11] (Hannover) [* 12] wies 1817 nach, daß jenem Stoff die Wirkung des Opiums zukomme, und bald wurden noch andre ähnliche Träger [* 13] giftiger oder heilender Wirkungen in reinem Zustand abgeschieden. Dadurch stieg die organische Chemie, welche sich jetzt machtvoll zu entwickeln begann, zum Rang einer Hauptstütze der Materia medica oder Pharmakologie, wie diese Wissenschaft jetzt auch häufig genannt wurde, empor.
Dieselbe bereicherte sich bald so sehr an Thatsachen, daß sich namentlich in Frankreich und Deutschland
eine Trennung des Faches vollzog, indem ein Teil davon mehr und mehr selbständig als Naturgeschichte der Droguen (pharmazeutische
Warenkunde) und endlich, seit dem zweiten Dezennium unsers Jahrhunderts, als Pharmakognosie
unterschieden wurde im Gegensatz zu der Pharmakologie
(s. d.). Die Hauptwerke, welche diese Anschauungsweise zur Geltung brachten,
wurden von wissenschaftlichen Apothekern verfaßt, so von Guibourt 1820 die »Histoire naturelle des drogues
simples«, heute noch das klassische Buch der Franzosen. In Deutschland schrieben Trommsdorff 1822 ein »Handbuch der pharmazeutischen
Warenkunde«, Göbel u. Kunze 1827-34 ihre »Pharmazeutische Warenkunde«, Ebermeier um die gleiche Zeit »Pharmakogn
ostische Tabellen«,
Martius 1832 den »Grundriß der Pharmakognosie
des Pflanzenreichs«. In England blieb die Pharmakognosie
mit der Pharmakologie unter
diesem letztern Namen oder als Materia medica und Therapie zusammengefaßt, wie z. B. in dem großen Lehrbuch von Pereira (1841).
Nachdem für die Botanik in der ausgedehntesten Benutzung des Mikroskops eine neue Zeit des Fortschritts angebrochen war, wurde
dieses Hilfsmittel endlich 1847 durch Schleiden zum erstenmal auch der Pharmakognosie
dienstbar gemacht in einer Arbeit
über Sassaparillewurzeln.
Eine ähnliche Leistung des französischen Botanikers Weddell begründete 1849 die Kenntnis des innern Baues der Chinarinden.
Nachdem einmal
durch diese vereinzelten Arbeiten und Pereiras Anregung die Bahn gebrochen war, kam es darauf an, das ganze Gebiet
der Pharmakognosie
in dieser Richtung zu durchforschen. Dieses Verdienst erwarben sich 1851-57 Berg in Berlin,
[* 14] Oudemans
in Rotterdam,
[* 15] Schleiden in Jena.
[* 16] Waren diese Forscher ziemlich ausschließlich bemüht, den innern Bau der Droguen aufzuklären,
so wurden dagegen z. B. von Pereira wie auch von Wiggers in Göttingen
[* 17] die Handelsverhältnisse und die äußern Merkmale
schärfer beleuchtet.
Die Aufgabe der heutigen Pharmakognosie
ist daher die allseitige Kenntnis der gegenwärtig in der Wissenschaft oder auch in der Volksmedizin
gebrauchten Rohstoffe, etwa mit Einschluß solcher Pflanzen oder ihrer Teile und Produkte, welche nur als Rohmaterial zur Gewinnung
bestimmter Heilmittel dienen. Diese Kenntnis umfaßt außer botanischen und zoologischen Eroberungen auch
die chemische Zusammensetzung der betreffenden Körper, von denen heutzutage nur eine verschwindende Zahl dem Tierreich angehört.
Namentlich für den Apotheker sind aber auch manche andre Beziehungen von Interesse, wie z. B. die Kultur der Arzneipflanzen,
die Gewinnung und Zubereitung der Droguen, die bezüglichen Handelsverhältnisse, und endlich will auch die
Geschichte ihr Recht haben und manche jener Stoffe durch die Jahrhunderte zurück verfolgen. In dieser umfassenden Weise haben
besonders Pereira und die Verfasser der unten genannten »Pharmacographia« die
Pharmakognosie
aufgefaßt. Die wichtigsten den gegenwärtigen Anforderungen entsprechenden pharmakognostischen Werke
sind folgende: Berg, Pharmazeutische Warenkunde (5. Aufl. von Garcke, Berl. 1878);
Derselbe, Anatomischer Atlas [* 18] zur pharmazeutischen Warenkunde (das. 1869);
Flückiger u. Tschirch, Grundlagen der Pharmakognosie
(2. Aufl., das.
1885);
Flückiger, Pharmakognosie
des Pflanzenreichs (2. Aufl., das. 1883);
Derselbe, Grundriß der Pharmakognosie
(das. 1884);
Schroff, Lehrbuch der
Pharmakognosie
(2. Aufl., Wien
[* 19] 1869);
Wigand, Lehrbuch der Pharmakognosie
(4. Aufl., Berl. 1887);
Wiggers, Handbuch der Pharmakognosie
(5. Aufl., Götting. 1864);
Guibourt, Histoire naturelle des drogues simples (7. Aufl., Par. 1876, 4 Bde.);
Planchon, Traité pratique de la détermination des drogues simples (das. 1875);
Flückiger u. Hanbury, Pharmacographia (2. Aufl., Lond. 1879);
Pereira, Elements of materia medica etc. (hrsg. von Bentley u. Redwood, das. 1874);
Oudemans, Handleiding tot de pharmacognosie (2. Aufl., Amsterd. 1880), und die Kommentare zu den Pharmakopöen (s. d.).