Osiris
,
[* 1] ägypt. Gottheit, welche namentlich als Gott der Unterwelt verehrt wurde, der älteste Sohn des Seb (Kronos) und der Nut (Rhea), [* 2] Bruder und Gemahl der Isis, [* 3] die ihm den jüngern Horos [* 4] gebar. Er war ursprünglich der Lokalgott zu This in Oberägypten und eine Form des Sonnengottes Ra. Nach Plutarch (»De Iside et Osiride«) ward ihm die Gesittung der Ägypter zugeschrieben, namentlich die Erfindung des Pflugs, der Gesetze und des religiösen Kultus. Auch Äthiopien, Arabien, Indien u. Vorderasien durchzog er, teils als siegreicher Kriegsherr, teils um durch die Gewalt der Rede und die Macht der Musik Kultur zu verbreiten.
Aber nach seiner Rückkehr verschwor sich
Typhon, sein ihm feindlicher
Bruder, mit 72 andern zu Osiris'
Untergang.
Sie schlossen ihn durch
List in eine prächtige
Lade und warfen diese in den
Nil, auf dem sie ins
Meer hinaustrieb.
Isis legte
Trauerkleider an, als sie die
Kunde erhielt, u. suchte klagend die
Leiche des Osiris.
Endlich fand sie die
Lade in
der Gegend von
Byblos an das Land geworfen und verbarg sie an einem sichern
Orte.
Typhon aber entdeckte dieselbe und zerschnitt
nun den
Körper in 14 Teile, die er überallhin zerstreute.
Isis suchte dieselben wieder und begrub sie, jeden an den
Ort, wo
sie ihn gefunden hatte (daher die zahlreichen Osiris
gräber in
Ägypten).
[* 5] Als aber
Horos, des Osiris
Sohn,
der in
Buto aufwuchs, zu
Kraft
[* 6] gelangt war,
[* 1]
^[Abb.: Osiris
(Berlin).]
[* 7]
¶
mehr
nahm er den Kampf gegen Typhon auf, und dieser ward endlich gänzlich besiegt. Nach Plutarch bedeutet das Einschließen des
Osiris
in den Sarg das Verschwinden des Nilwassers; doch faßt er den Osiris
auch allgemeiner als das Prinzip des Schaffenden, während
er in Typhon die zerstörende Gewalt der Natur erkennt. Mag nun auch der Mythus des Osiris
sich teilweise auf
das Austreten und Versinken des Nils beziehen, so liegt ihm doch jedenfalls eine weit tiefere Anschauung zu Grunde.
Isis wird aufgefaßt als die Mutter Erde, als empfangende Naturkraft, und ihr gegenüber bedeutet Osiris
die der Erde einverleibte
Zeugungskraft der Sonne.
[* 9] Wenn das Leben auf der Oberwelt erstorben ist, herrscht Osiris
mit Isis in der Unterwelt,
lebt aber auf der Oberwelt fort in seinem Sohn Horos (der jungen Frühlingssonne), in dem er sich immer wieder erneuert. Das
Schicksal des Osiris
ist nur ein Vorbild des menschlichen; daher wird in den heiligen Schriften der Ägypter
jeder Verstorbene ein »Osiris«
oder »Osirianer«
genannt.
Die Hauptstätten seiner Verehrung waren in Oberägypten Philä und Abydos, in Unterägypten Memphis, Sais und Busiris. Dargestellt
wird Osiris
in menschlicher Gestalt, mit dem Menschenhaupt, regelmäßig in Mumienform. In den frei vorgestreckten Händen oder
den über der Brust gekreuzten Armen trägt er die Zeichen der Herrschaft (Zepter und Geißel), auf dem Haupte
die Krone von Oberägypten, häufig an den Seiten besetzt mit der Straußfeder, dem Sinnbild der Wahrheit (s. Abbildung).
Vgl.
Engel, Isis und Osiris
(Nordhaus. 1866);
Lefébure, Le [* 10] mythe osirien (Par. 1874-75, 2 Bde.).