Paläographie
(griech.), die Kunde von den verschiedenen Schriftarten des Altertums und Mittelalters, welche das Verständnis der alten Handschriften und sonstigen geschriebenen Denkmäler eröffnet. Sie zieht sowohl das Material als die Form der Schrift in Betracht und gibt Anleitung, nicht nur alte Schriften zu lesen, sondern sie auch bis zu ihrer Entstehung hinauf zu verfolgen und die Veränderungen und Umbildungen, welche eine und dieselbe Schrift im Lauf der Zeit erlitten, kennen zu lernen.
Weil früher alles Geschriebene aus älterer Zeit Gegenstand der Paläographie
war, so fiel diese mit der
Diplomatik zusammen, weshalb
in den diplomatischen
Schriften von
Mabillon,
Maffei,
Gatterer u. a. auch vieles in die Paläographie.
Gehörige enthalten ist. Auch die
Epigraphik, die
Kunde von den auf alten, besonders griechischen und römischen,
Inschriften vorkommenden
Schriftarten sowie auch vom
Inhalt dieser
Inschriften, hat sich neuerdings von der Paläographie
ganz abgetrennt. Die Paläographie ist eine höchst
wichtige Hilfswissenschaft für alle
Zweige des
Wissens, die auf geschriebenen
Büchern beruhen, also namentlich für Geschichte,
Philologie,
Theologie und
Jurisprudenz. Am wichtigsten ist die lateinische Paläographie
, welche die mannigfaltigen
Wandlungen des lateinischen
Alphabets, namentlich von der spätrömischen Zeit an bis zur
Erfindung der
Buchdruckerkunst, verfolgt.
Die Römer [* 2] bedienten sich teils der Uncialschrift, die aus lauter großen, unverbundenen Buchstaben ohne Trennung der Wörter besteht, teils der daraus abgeleiteten Kursiv. Sie besaßen auch bereits ein sehr ausgebildetes System von Abbreviaturen (s. d.), vermittelst deren sie fast so rasch zu schreiben vermochten wie die Stenographen der Neuzeit. Die Uncialschrift kommt noch in lateinischen Handschriften des 3.-10. Jahrh. vor; daneben entwickelte sich aber aus der Kursiv die Semiunciale oder Minuskel, die teils örtlich verschieden ist je nach dem Land, in dem sie sich findet (angelsächsische, langobardische, fränkische Minuskel etc.), teils noch bedeutendere zeitliche Verschiedenheiten aufweist ¶
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(merowingische, karolingische Minuskel etc.). Die zur Zeit Karls d. Gr. ausgebildete fränkische oder karolingische Minuskel gewann indessen nach und nach überall die Oberhand und schließlich die Alleinherrschaft. Doch traten auch noch in den spätern Jahrhunderten des Mittelalters bedeutende Veränderungen in der Schrift ein, welche es leicht machen, das ungefähre Alter einer Handschrift nach den Schriftzügen zu bestimmen; so kommt z. B. der Punkt auf dem i vor dem 12. Jahrh. noch nicht vor.
Vgl. die Tafel zum Artikel [* 4] »Schrift«.
Der Gebrauch, durch größere Buchstaben, Majuskeln genannt, gewisse Wörter hervorzuheben, namentlich
Eigennamen, indem man entweder den Anfangsbuchstaben oder das ganze Wort damit schrieb, stammt ebenfalls
erst aus dem spätern Mittelalter; die Ausdehnung
[* 5] dieses Gebrauchs in Deutschland
[* 6] dahin, daß alle Substantive mit großen Anfangsbuchstaben
geschrieben werden, datiert sogar erst aus dem 17. und 18. Jahrh. Endlich ist den Handschriften des spätern Mittelalters, besonders
des 14. und 15. Jahrh., der Gebrauch einer außerordentlich großen Menge von Abkürzungen eigentümlich.
Die Abkürzungen bilden auch eins der wichtigsten Kapitel der griechischen Paläographie;
sie finden sich sogar großenteils in den ältern
Drucken griechischer Werke, sind indessen, soweit sie dort vorkommen, in den griechischen Grammatiken von Buttmann u. a. genügend
erklärt. Im übrigen hat sich die griechische Schrift ähnlich entwickelt wie die lateinische, nur mit
geringern Veränderungen; während in der ältern Zeit die Uncialschrift herrschte, mit großen Buchstaben ohne Worttrennung,
Accente, Spiritus
[* 7] und Interpunktion, beginnt seit dem 7. Jahrh. die Minuskel überhandzunehmen, die schon im 9. Jahrh. in einer
der jetzt üblichen nahestehenden Form auftritt und dabei in der Hauptsache stehen geblieben ist.
Vgl. Montfaucon, Palaeographia graeca (Par. 1708; im Auszug von Rambach, Halle [* 8] 1778);
Walther, Lexicon diplomaticum (Götting. 1745-47, 3 Bde.);
Kopp, Palaeographia critica (Mannh. 1817-29, 4 Bde.);
Champollion-Figeac, Paléographie universelle (Par. 1839-41, 4 Bde.);
Pertz, Schrifttafeln zum Gebrauch bei diplomatischen Vorlesungen (Hannov. 1844-69, 10 Hefte);
Wattenbach, Schrifttafeln zur Geschichte der griechischen Schrift (2. Aufl., Berl. 1883);
Fabretti, Paläograph
ische Studien (deutsch,
Lpz. 1877);
W. Arndt, Schrifttafeln (Berl. 1874 u. 1878, 2 Hefte);
Wattenbach, Anleitung zur lateinischen Paläographie
(4. Aufl., Leipz.
1886), zur griechischen Paläographie
(2. Aufl., das. 1877);
Gardthausen, Griechische Paläographie
(das. 1879);
Chatelain, Paléographie des classiques latins (Par. 1884 ff.). -
Die orientalische Paläographie
ist bisher noch weniger gepflegt worden. Der Begründer derselben ist Kopp in dem schon genannten Werk,
der sich jedoch vorwiegend nur mit den semitischen Sprachen beschädigte. Ein vortreffliches Werk über indische Paläographie
ist das
von Burnell, Elements of South-Indian palaeography (2. Aufl., Lond. 1878).
Vgl. außerdem Möller, Orientalische
Paläographie
(Gotha
[* 9] 1844), und die Publikationen der engl. Palaeographical Society.