Titel
Herisau
(Kt. Appenzell, A. R., Bez. Hinterland). 778 m. Gem., Flecken und einer der Hauptorte des Kantons Appenzell A. R., im nw. Kantonsabschnitt; in 9° 16' 53,7" OL. von Greenwich (6° 56' 38,7" OL. von Paris) und 47° 23' 10,7" N. Br.;
in wiesen- u. waldreicher Hügellandschaft gelegen. 3,5 km sw. Winkeln;
8,5 km sw. St. Gallen u. 12,5 km nw. Appenzell.
Station der schmalspurigen Appenzellerbahn (Winkeln-Herisau
-Appenzell), durch die die Ortschaft an die Linie
Zürich-Winterthur-St.
Gallen angeschlossen wird. Der Bahnabschnitt
Winkeln-Urnäsch 1875, der Abschnitt
Urnäsch-Appenzell 1886 dem Betrieb übergeben.
Es wird ferner der Bau einer Normalspurbahn St. Gallen-Herisau
-Uznach geplant. Postbureau, Telegraph, Telephon; Postwagen
nach
Degersheim,
Schwellbrunn und
Teufen. Die Gemeinde Herisau
umfasst zahlreiche
Weiler, so
Au,
Hub,
Moosberg,
Mühlebühl,
Rohren,
Säge,
Schloss,
Tobel,
Zu Wilen u. a. Zusammen: 1564
Häuser, 13497 Ew. (wovon 11475 Reformierte und 1986 Katholiken).
Flecken Herisau:
568
Häuser, 5267 Ew. Kirchgemeinde. Die Gemeinde steigt nach S. gegen die
Vorberge des
Alpsteins oder
Säntis an und senkt sich allmählich gegen N., wo sie eine stark gewellte Hochfläche mit zahlreichen Thälchen und
Waldtobeln
(Fichten,
Tannen, Lärchen) umfasst. Der Boden ist mit
Wiesen und
Weiden bestanden, denen sich hie und da vereinzelte
Kartoffelfelder und kleine Haferparzellen beigesellen. An geschützten
Stellen gedeihen auch einige Obstbäume.
Herisau
ist eine stark industrielle Ortschaft. Hauptindustrie ist die Maschinenstickerei mit ihren Nebenzweigen,
wie
Bleichen,
Sengen,
Färben, Ausrüsten etc. Man zählt 10 Appreturen, 8 Bleichereien, 4 Sengereien, 2 Färbereien, 1 Zwirnerei
und eine Reihe von Maschinenstickereien, ferner eine Kabel- und Telegraphendrahtfabrik, 3 Buchdruckereien (deren eine eine
Zeitung herausgibt), 2 Lithographien und einige Buchbindereien. Die Mehrzahl dieser Betriebe ist sowohl
in technischer wie in hygienischer Hinsicht durchaus den Anforderungen der Neuzeit entsprechend eingerichtet.
Zwei Tanken: die 1877 eröffnete Kantonalbank und eine seit 1866 bestehende Privatbank. Recht rege ist auch das gesellige
Leben in Herisau
, das von zahlreichen Gesellschaften und Vereinen für Musik, Gesang, Theater, Turnen
etc. gepflegt wird. Knaben- und Mädchensekundarschule, Gewerbeschule und Haushaltungsschule. Mehrere Bibliotheken und ein
Lesesaal. Ausgezeichnete Wasserversorgung mit Hydrantennetz. Gasfabrik. Das Elektrizitätswerk
Kubel versorgt die Ortschaft
mit Licht und Kraft.
Reformierte Kirche mit mächtigem
Turm, der mit Unrecht als römischen
Ursprungs betrachtet wird; Kirche 1516 erbaut und 1782 völlig
umgebaut. Das Untergeschoss des
Turmes ist beträchtlich älter als die Kirche und reicht wahrscheinlich bis in die bewegten
Zeiten des 11. Jahrhunderts oder noch früher zurück. Er enthält 5 Glocken, deren grösste dem badischen Kloster Salamansweiler
um den Preis von 8000
Gulden abgekauft worden ist. Sie ist überhaupt eine der grössten Glocken in der
Schweiz und wiegt 9120 kg. Die in gotischem Stil gehaltene schöne katholische Kirche ist 1878-79 aus dem Ertrag von
Liebesgaben erbaut worden. Herisau
hat eine Reihe von öffentlichen Gebäuden, wie das Rathaus mit dem Grossratssaal, ein
fast völlig aus dem Ertrag von freiwilligen Beiträgen erbautes und 1868 eröffnetes Realschulgebäude,
ein schönes Post- und Telegraphengebäude, eine
Kaserne mit
Zeughaus und ein Kasino. Der
Spital
¶
Plan von Herisau
Lf. 78.
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Verlag von Gebr. Attinger, Neuenburg.
^[Karte: 7° 20’ O; 46° 30’ N; 1:8000]
V. Attinger sc.
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liegt auf einer Terrasse n. des Dorfes und ist allen modernen Anforderungen entsprechend eingerichtet. Weiter w. steht eine
Turnhalle und befindet sich der Ebnet geheissene Exerzierplatz. Die Kaserne ist auf Kosten der Gemeinde erbaut, 1865 von dieser
dem Kanton und später von diesem der Eidgenossenschaft übergeben worden und bietet Baum für 1300 Mann
Fusstruppen. Seit 1795 besteht ein Bürgerasyl und seit 1817 ein Waisenhaus. Eine Viertelstunde ö. Herisau
steht das grosse
Heinrichsbad, ein stark besuchter Luftkurort.
Vor Kurzem hat die Landsgemeinde den Bau einer kantonalen Irrenheilanstalt beschlossen, die 20 Minuten sw. vor Herisau
errichtet
werden soll und deren Kostenvoranschlag von mehr als einer Million Franken zum grossen Teil bereits durch
freiwillige Beiträge gedeckt ist. In Herisau
werden ein schon seit 1537 bestehender Wochenmarkt und ein stark besuchter
jährlicher Viehmarkt abgehalten, der zugleich einer der wichtigsten der Ostschweiz überhaupt ist.
Die Umgebungen von Herisau
sind reich an Aussichtspunkten. Viel besucht werden die beiden Burgruinen
Rosenberg und Rosenburg, sowie der Gipfel des Lutzenland (912 m), dessen Aussicht die Appenzeller, Tiroler und Schwyzer Alpen,
das Toggenburg, die Berge des Zürcher Oberlandes (Hörnli), die thurgauische Landschaft, die Stadt St. Gallen und den Bodensee
umfasst. Während die Säntisgruppe aus Kreidekalken aufgebaut ist, gehört die Hügellandschaft um Herisau
der miocänen Molasse an, die hier besonders aus Sandsteinen und Nagelfluh besteht.
Letztere ist in drei W.-O. streichende Zonen angeordnet, deren nördlichste an Herisau südlich vorbei gegen St. Gallen zieht. Im Schachen, 500 m w. von Herisau, baut man eine schöne, feinkörnige bunte Nagelfluh ab, die unter dem Namen Appenzellergranit bekannt ist und einen ausgezeichneten Baustein liefert. Am N.-Rand der Gemeinde findet sich ein Band von mariner Molasse mit fossilen Mollusken. Ablagerungen der Eiszeit sind in Form von Glaziallehmen mit geschrammten Geschieben vorhanden.
Historischer Ueberblick.
Die Gegend von Herisau ward zu Beginn des 5. Jahrhunderts von den Alemannen besiedelt. Nachdem der h. Gallus sich an den Ufern der Steinach niedergelassen und hier sein Kloster gegründet hatte, begannen auch die schon bestehenden Weiler sich allmählig zu entwickeln und zu Markgenossenschaften zu vereinigen. Die erste dieser Marken, hinter der Sitter gelegen, war die 824 genannte Gossauer Mark, auf deren Boden neben andern Ortschaften auch Herinisauva (868: Herineshouva; 875: Herinesouva; «Au des Herni») stand. Nachdem ein hier lebender Trienimer sein Gut dem Kloster St. Gallen vergabt hatte, gelang es dem Abt Grimoald 868, durch Tausch oder Rückkauf den grössten Teil des heutigen Gemeindegebietes von Herisau an sich zu bringen. Das Kloster brachte dem aufblühenden Ort grosse Aufmerksamkeit und Wohlwollen entgegen u. setzte hier einen eigenen Verwalter ein.
Abt und Bischof Salomon erhob Herisau zum Rang einer eigenen Kirchgemeinde, deren Kirche bei Anlass ihrer Lostrennung von der von Gossau 907 zum erstenmal genannt wird. Der Gemeinde stand das Recht zu, ihre zivilen und richterlichen Behörden selbst zu ernennen, während der Ammann vom Abt, als dem grössten Grundbesitzer in der Gegend, eingesetzt wurde. Die Oberherrlichkeit des Klosters wurde aber stets mehr nur als eine Schutzherrschaft denn als wirkliche Obrigkeit betrachtet.
Die hohe Gerichtsbarkeit übte ein von Zeit zu Zeit hierher kommender Reichsvogt aus. Die im 11. Jahrhundert beginnenden Feindseligkeiten zwischen Kloster und Reich brachten dem Land aufgeregte und schwierige Zeiten. Es ist wahrscheinlich, dass aus dieser Zeit der Bau des Glockenturmes der Kirche und der beiden heute zerstörten Burgen Rosenberg und Rosenburg (s. und ö. über Herisau) stammt. Die Klostervögte entwickelten sich bald zu oft recht anmassenden Burgherren und erlaubten sich den Landleuten gegenüber zahlreiche ¶
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Uebergriffe, was zu steten Reibereien führte. Als der Abt Kuno ein hartes Regiment einführen und die Lasten und Abgaben der Appenzeller erhöhen wollte, erhob sich das Volk gegen das Klosterjoch, zerstörte 1403 die beiden Burgen und zwang die äbtischen Amtsleute zum Verlassen des Landes. Herisau selbst kaufte sich dann 1517 völlig vom Kloster frei.
Herisau bildete zusammen mit Schwellbrunn und Waldstatt eine unabhängige politische Gemeinde und ebenso eine eigene Kirchgemeinde, an die sich bis 1417 noch Urnäsch und Schönengrund anschlossen. 1516 beschloss man den Bau einer neuen Kirche, die 1520 geweiht werden konnte. Ueber dem Hauptportal sieht man jetzt noch den Appenzeller Bären, der die Schlüssel St. Peters in seinen Tatzen hält. Dieses Wappen war den Appenzellern in Anerkennung ihrer während der Mailänder Kriege geleisteten Hilfe vom Kardinal Matthäus Schinner verliehen worden und ward nun auf Befehl und Kosten des päpstlichen Hauptmannes Berweger aus Herisau über dem Portal der neuen Kirche in den Stein gehauen.
Nun kamen die Zeiten der Reformation, die zur Trennung des bisher einzigen Kantons Appenzell in zwei konfessionell geschiedene Hälften führte. Die Messe ward in Herisau 1529 abgeschafft. Von diesen Zeiten an schwang sich der Ort zu grösserer politischer Bedeutung auf, vermochte aber bei der 1597 stattfindenden Trennung nicht, Hauptort des neuen Kantons Appenzell A. R. zu werden. 1648 trennten sich Schwellbrunn und 1719 Waldstatt als eigene Gemeinden von Herisau ab. Im 18. Jahrhundert tobten zeitweilig heftige Parteikämpfe, die soweit gingen, dass z. B. im Landhandel die unter Führung des Landammannes Wetter aus Herisau stehenden sog. Harten und die dem Landammann Zellweger aus Trogen anhängenden sog. Linden im Grossratssale selbst mit einander ins Handgemenge kamen.
Die Reibereien und Feindseligkeiten im ganzen Kanton waren allgemein und so häufig, dass sich ein Bürgerkrieg nur mit Mühe verhüten liess (1732). Nach der französischen Revolution pflanzte man auch in Herisau einen Freiheitsbaum auf; dann rückten die fremden Truppen ins Land, die auch Herisau durch beständige Einquartierungen und Auferlegen von Kriegssteuern schwer schädigten. Am zerstörte eine Feuersbrunst 24 Gebäude. 1871 wurden in Herisau 1600 französische Soldaten interniert. Herisau ist die Heimat von zahlreichen verdienten Staatsmännern und Verwaltungsbeamten aus den Geschlechtern Tanner, Wetter, Nef, Meier, Schiess etc.