Varro
,
Marcus Terentius, von seinem Geburtsort Reate im Sabinerland Reatinus genannt, der größte Gelehrte des alten Roms, wurde 116 v. Chr. geboren. Er bekleidete die höhern Staatsämter bis zur Prätur und kämpfte dann im Bürgerkriege auf seiten des Pompejus in Spanien. [* 2] Nach dem Ende des Krieges kehrte er, von Cäsar zum Vorstand der zu gründenden öffentlichen Bibliothek bestimmt, nach Rom [* 3] zurück. Von Antonius proskribiert, verlor er, wenn auch nicht sein Leben, so doch einen Teil seiner Bibliothek und seinen Grundbesitz. Er starb im höchsten Greisenalter.
Ein
Vertreter der alten nationalen Römersitte, erstreckte Varro
seine Forschungen auf alle Gebiete
des menschlichen Lebens, insbesondere aber auf die des röm.
Altertums
(Sprache,
[* 4]
Religion,
Sitten,
Recht, staatliche Einrichtungen
u. s. w.). Unter seinen poet. Werken ragen die 150
Bücher
«Saturae Menippeae»
hervor, in denen Prosa und
Poesie, sowie Ernst
und Scherz, ähnlich wie bei dem Cyniker
Menippus, gemischt waren; unter den prosaischen Werken freierer
Art und Form die 76
Bücher «Logistorici», welche philosophische, namentlich ethische Erörterungen
mit vielen
Belegen aus
Mythen und Geschichte enthielten.
Unter den gelehrten Werken V.s war das bedeutendste eine röm.
Altertumskunde in 41
Büchern, von denen 25 dem öffentlichen
und Privatleben, 16 dem Sakralwesen gewidmet waren. Daneben treten bedeutsam die 15
Bücher «Imagines»
oder «Hebdomades», welche außer dem biogr.
Text 700 Porträtbilder (wahrscheinlich durch
Schablonen hergestellt) nebst beigegebenen
Versen enthielten. Von weittragender Bedeutung waren ferner die 9
Bücher «Disciplinae»,
die erste röm.
Encyklopädie, aus
der später die sog. sieben freien Künste des Mittelalters hervorgegangen
sind. (S. Martianus
Capella.) Dazu hat Varro
die hier zusammengefaßten Disciplinen großenteils auch in Einzelschriften bearbeitet
und auch Werke über die
Landwirtschaft und
«De jure civili» geschrieben.
Endlich hat er außer einem großen Hauptwerke
«De
lingua latina» mehrere Specialschriften grammatischen
Inhalts verfaßt.
Erhalten sind nur «De re rustica» (hg. neuerdings von H. Keil zusammen mit Catos Buch, Bd. 1, Lpz. 1884, und Bd. 2, Heft 2, 1891),
sowie sechs Bücher, aber unvollständig, von den 25 des Werks «De lingua latina» (hg. von Spengel, Berl. 1826 u. 1885, und von O. Müller, Lpz. 1833). Eine Sammlung und Bearbeitung der zahlreichen Fragmente der übrigen Werke fehlt zur Zeit noch. Die der «Saturae Menippeae» besorgten Öhler (Quedlinb. 1844),
Riese (Lpz. 1865),
Bücheler in der Ausgabe des Petronius (3. Aufl., Berl. 1882); die der «Logistorici» Riese (in der Ausgabe der «Saturae», Lpz. 1865) und mit denen der «Heptomades» Chappuis (Par. 1868). Von dem gelehrten systematischen Hauptwerk V.s über die röm. Altertumskunde sind die Fragmente der ersten Hälfte im 5. Bände der «Leipziger Studien» (1882),
die der andern, welche das Sakralwesen enthielt, von Merkel in seiner Ausgabe von Ovids Fasten (Berl. 1841) gesammelt; die der Schrift «De vita populi romani» hat Kettner (Halle [* 5] 1863),
die der vier Bücher «De gente populi romani» derselbe in den «Varronischen Studien» (ebd. 1865), die der grammatischen Schriften Wilmanns bearbeitet (Berl. 1864). Von ältern Gesamtausgaben ist zu nennen die von Stephanus mit Scaligers Anmerkungen (Par. 1581‒91). –
Vgl. K. L.Roth, Das Leben des Varro
(Bas. 1857);
Ritschl, Die
Schriftstellerei des M. T. Varro
(im 3.
Band
[* 6] der «Opuscula», Lpz. 1877) nebst den
andern
Arbeiten desselben über Varro;
Boissier, Étude sur la vie et les ouvrages de Varron
(Par. 1861).