Akklimatis
ation,
die Gewöhnung lebender Wesen an die klimatischen Einflüsse eines ihnen fremden Landes. Es bedarf von seiten des Menschen oft nur der absichtlichen oder zufälligen Übertragung von Pflanzen und Tieren, um solche dort heimisch werden zu sehen, wo sie früher nicht existierten. So ist z. B. in einer frühern Epoche der Erdgeschichte, wie die Versteinerungen beweisen, das Pferd [* 3] in Amerika [* 4] verbreitet gewesen, in vorhistorischen Zeiten jedoch völlig ausgestorben und erst im Mittelalter mit solchem Erfolg wieder eingeführt worden, daß es in großen Herden verwildert dort lebt. In ähnlicher Art sind nordamerikanische Pflanzen zu uns und europäische nach Australien [* 5] gekommen und haben sich so energisch verbreitet, daß stellenweise selbst die heimische Flora vor den Fremdlingen zurückweichen mußte. Der Mensch gewöhnt sich im allgemeinen leichter an ein kälteres als an ein heißeres Klima, [* 6] doch üben auch Rasse, Geschlecht, Alter und Konstitution einen bedeutenden Einfluß aus. Neger ¶
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akklimatis
ieren sich leichter als Malaien, Mongolen leichter als Neger; ein geringes Akklimatis
ationsvermögen besitzt die amerikanische
Rasse, das größte die europäische. Allmählicher Übergang von einem Klima ins andre wird natürlich leichter ertragen als
schroffer Wechsel; sehr häufig jedoch erzeugt auch ersterer eine Reihe mehr oder minder lästiger und gefährlicher Akklimatis
ationskrankheiten,
welche in der Regel den Charakter der klimatischen Krankheiten an sich tragen. Bewohner nördlicher Zonen
bekommen in den Tropen gelbes Fieber, Leberentzündungen, Gallenruhren etc., Südländer dagegen in nördlichen Gegenden Skrofeln,
Lungensucht etc. Als Schutz dagegen ist allmähliche Gewöhnung an die Lebensweise des Landes sowie namentlich Mäßigkeit in
körperlichen Genüssen anzuraten.
Viel bedeutender erscheinen die Akklimatis
ationserfolge bei den Pflanzen; doch darf man nicht übersehen,
daß unsre Nutzpflanzen zum bei weitem größten Teil solche sind, welche im Winter als Samen
[* 8] oder Knollen
[* 9] ruhen und zwar gleichfalls
unter künstlichen Verhältnissen. Die Zahl der vollständig akklimatis
ierten Pflanzen ist nicht sehr groß; zu ihnen gehören
mehrere Obstbäume, viele Holzgewächse, in den Mittelmeerländern die Agave etc. Für die landwirtschaftliche
Praxis kommt indes diese vollständige Akklimatisation
wenig in Betracht; ihr genügt es, fremde Tiere und Pflanzen so zu züchten, daß
daraus erhebliche Vorteile für den Menschen entstehen.
Dies Bestreben, neue Produkte in die Kultur ihrer Länder einzuführen, zeigt sich schon bei den Griechen, mehr noch bei den Römern, und seit der Auffindung des Seewegs nach Ostindien [* 10] und der Entdeckung Amerikas sind zahlreiche neue Erwerbungen nach Europa [* 11] gelangt: Reis, Zuckerrohr, Roßkastanie, Baumwolle, [* 12] Kartoffel, Mais, Tabak, [* 13] Topinambour, Batate, Agave, Opuntie;
Truthahn, Bisamente, Meerschweinchen, Kochenille, Kanarienvogel, Lachtaube, Seidenhase, Goldfisch etc. Die neuern Bestrebungen beginnen mit dem Auftreten der Kartoffelkrankheit, doch ist über Erfolge, wenigstens für unsre Breiten, fast nichts zu berichten.
Viel glücklicher ist man in Australien gewesen, wo eine große Reihe europäischer Kulturpflanzen
mit Erfolg angebaut worden sind. Die Akklimatisation
svereine, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben, neue Pflanzen und
Tiere einzuführen, lieferten bis jetzt meist nur interessante naturwissenschaftliche Ergebnisse. Es sind große Hoffnungen
geweckt und mit vielem Eifer ist an zahlreichen Orten gearbeitet worden, aber die praktischen Resultate sind sehr gering. Am
aussichtsvollsten waren die Züchtungsversuche mit dem Dauw, Renntier, Zebu, Alpako, der Kaschmirziege, der Trappe und dem Fausthuhn;
wirklich wertvoll war die Einführung der italienischen und ägyptischen Biene,
[* 14] während die Versuche mit den neuen Seidenspinnern
noch immer zweifelhaft blieben.
Auch die Einführung ausländischer Stubenvögel
[* 15] ist erwähnenswert, weil dieselbe zur Schonung der heimischen Sänger sehr
erheblich beiträgt. Von allen Akklimatisation
svereinen ist die Société d'acclimatation in Paris
[* 16] mit ihren Filialen
in Algerien,
[* 17] Nancy,
[* 18] Grenoble,
[* 19] unterstützt durch die Marine und die Kolonien und begünstigt durch das schöne Klima Frankreichs,
die am besten situierte; sie eröffnete 1860 auf einem Terrain von 20 Hektar einen Akklimatisation
sgarten und publiziert ihre
Ergebnisse im »Bullétin de la société d'acclimatation«. Dieses Beispiel fand vielfach Nachahmung, und es
entstanden ähnliche Vereine in den Niederlanden, in Palermo,
[* 20] Berlin,
[* 21] Moskau,
[* 22] in Nordamerika
[* 23] und Australien. Im
Mittelalter haben
sich die Mönche große Verdienste um die Akklimatisation
erworben, und für Spanien
[* 24] haben in ähnlicher Weise die Araber gewirkt.
Vgl. Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere (4. Aufl., Berl. 1882).