Dampfkesse
lexplosion,
ein fast momentanes Zerreißen oder Zerspringen eines
Dampfkessels, welches
eintritt, wenn das
Material desselben dem inwendigen Dampfdruck nicht mehr genügenden
Widerstand leistet, und wobei Teile
oder Bruchstücke in der
Regel mit geschoßartiger Heftigkeit auf weite
Entfernungen fortgeschleudert, mächtige Ergießungen
siedenden
Wassers erzeugt und oft erschreckende Verheerungen angerichtet werden. Obgleich es nicht bei allen
Explosionen möglich
ist, die
Ursachen genau zu ermitteln, so ist doch festgestellt worden, daß in den meisten
Fällen entweder
der Erbauer (durch schlechte
Konstruktion oder schlechtes
Material), der Wärter (durch nachlässige Wartung) oder der
Besitzer
des
Kessels (durch Sorglosigkeit) an der Dampfkesse
lexplosion schuld hatte.
Hervorgerufen kann die Dampfkesse
lexplosion werden entweder dadurch, daß der
Kessel zu schwach ist, um dem normalen Dampfdruck
zu widerstehen, oder daß die Kesselwandungen von einem bedeutend über das normale
Maß angewachsenen
Druck gesprengt werden,
oder aber daß beide Umstände zusammentreffen. Daß ein
Kessel von vornherein zu schwach gewesen sei, um dem normalen Dampfdruck
widerstehen zu können, kann wegen der
vor der Benutzung ausgeführten Wasserdruckproben kaum angenommen
werden; dagegen kann ein
Kessel bei fehlerhafter
Konstruktion, Anwendung schlechten
Materials oder unverständiger Wartung
so
geschwächt und abgenutzt werden, daß er schon beim gewöhnlichen Dampfdruck explodiert.
Derartige Schwächungen des Kessels sind Risse, die er durch wiederholte Biegungen der Bleche, wie sie mit Temperaturschwankungen verbunden sind, erhalten kann, sowie Zerfressung durch Rosten von innen oder außen. Hat sich erst einmal ein großer Riß gebildet, so kann durch denselben plötzlich eine Menge Dampf [* 2] austreten, und es entsteht im Kessel eine momentane Druckverminderung, welche bei der verhältnismäßig hohen Wassertemperatur eine kolossale, plötzliche Dampfentwickelung, verbunden mit mächtigem Aufwallen des Wassers, zur Folge hat, so daß der Kessel zerrissen wird.
Durch einfache allmähliche Spannungssteigerung wird ein Kessel nur bei grober Unachtsamkeit des Heizers oder bei einer unglücklicherweise gleichzeitig eintreffenden Unbeweglichkeit der Sicherheitsventile und des Manometers explodieren können. Dagegen sind sehr gefährlich die plötzlichen Spannungssteigerungen, wie sie auf verschiedene Weise herbeigeführt werden können. Vor allem ist hier das Glühendwerden der Kesselwandungen zu erwähnen, welches insofern doppelt gefahrbringend ist, als es einerseits leicht zu einer rapiden Dampfentwickelung Veranlassung geben kann, anderseits aber auch die Festigkeit [* 3] des Kessels vermindert (da glühendes Eisen [* 4] viel weniger widerstandsfähig ist als kaltes).
Die Kesselwände können nun dadurch stellenweise oder ganz überhitzt oder glühend werden, daß entweder der Wasserstand bis unter die obere Grenze der Heizkanäle sinkt (Wassermangel, tritt am häufigsten durch zu lange verzögerte Speisung, also durch die Schuld des Wärters, aber auch durch unvorhergesehenes Undichtwerden oder Lecken des Kessels ohne Verschulden des Wärters ein), oder dadurch, daß sich auf der Kesselwandung eine dicke, die Wärmeleitung [* 5] stark hemmende Kesselsteinschicht gebildet hat, oder auch dadurch, daß sich unter einer Schicht von losgelösten Kesselsteinstücken eine Dampfblase entwickelt hat, welche den Wasserzutritt verhindert.
Gewöhnlich reicht das bloße
Glühen von Teilen der Kesselwände noch nicht aus, um eine
Explosion hervorzurufen,
oder wenigstens kann eine solche durch rechtzeitiges Eingreifen in der
Regel noch vermieden werden. Dagegen ist eine Dampfkesse
lexplosion unvermeidlich,
wenn auf diese entblößten
Stellen plötzlich
Wasser gelangt, weil dann eine so kolossale und plötzliche Dampfentwickelung
eintritt, daß die schon durch das
Glühen geschwächten Kesselwände unmöglich widerstehen können.
War Wassermangel die Ursache des Erglühen, so bringt daher das Nachspeisen von frischem Wasser unfehlbar eine Explosion hervor. Dieselbe tritt auch ein, wenn der Kesselstein, welcher die Ursache des Erglühens der Kesselwand war, plötzlich Sprünge bekommt, durch welche das Kesselwasser zu dem glühenden Eisen treten kann, oder wenn die erwähnte Dampfblase zufällig einen Abzug erhält und dadurch dem Wasser Platz macht. Die einzige Möglichkeit, einen schon glühenden Kessel zu retten, ist dadurch gegeben, daß man durch Herausreißen des Feuers und Öffnen der Feuerthüren und der Reinigungsthüren der Feuerzüge (wobei kalte Luft unter dem Kessel hinwegstreicht) eine Abkühlung des Kessels herbeiführt, indem man zugleich jede Dampfabführung vermeidet und dem Sicherheitsventil die Abführung des noch entstehenden Dampfes überläßt. Vor allen Dingen darf man, auch wenn das Glühen durch Wassermangel herbeigeführt ist, unter keinen Umständen Wasser einführen, bevor der Kessel gehörig abgekühlt ist. ¶
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Jedenfalls muß ein solcher Kessel, bevor er wieder in Betrieb gesetzt wird, sorgfältig untersucht und, wenn das Glühen dem Blech geschadet hat, repariert werden.
Nach Boutigny tritt bei der Wasserbenetzung der erglühten Kesselwandungen zunächst der sogen.
sphäroidale Zustand (Leidenfrosts Phänomen) ein, d. h. das Wasser bleibt über den glühenden Stellen, ohne
diese zu berühren, in Form von kugelförmigen Tropfen stehen, welche zuerst langsam zu verdampfen beginnen und erst dann,
wenn die Eisenfläche sich bis auf einen gewissen Grad abgekühlt hat, fast momentan in Dampf verwandelt werden. Die Anschauung,
daß durch glühend gewordenes Kesselblech das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt und diese Gasmischung
(Knallgas) entweder durch die glühenden Wände selbst oder durch zufällig im Kessel durch Reibung
[* 7] des Dampfes entstehende elektrische
Funken zur Explosion gebracht werde und dadurch auch die Dampfkesse
lexplosion herbeiführe, wird vielfach bestritten.
Außer dem Erglühen der Kesselwände wird von vielen (nach Dufour) auch der Siedeverzug als eine Ursache plötzlicher starker Dampfentwickelung angesehen. Es hängt nämlich die Temperatur, bei welcher das Wasser zu sieden beginnt (Siedepunkt), von dem auf seiner Oberfläche lastenden Druck ab. Das Sieden kann frühstens dann eintreten, wenn der aus dem Wasser sich entwickelnde Dampf diesen Druck eben zu überwinden im stande ist. Doch kann das Wasser bedeutend über seinen Siedepunkt erhitzt werden, ohne sich in Dampf zu verwandeln (Siedeverzug, Überhitzung), wenn es völlig luftfrei ist und Erschütterungen fern gehalten werden.
Wenn sich aber nach Überschreitung des normalen Siedepunktes infolge einer Erschütterung Dämpfe bilden, so entwickeln sie
sich sogleich massenhaft und tumultuarisch. Der Siedeverzug kann auch durch Druckverminderung über dem
Wasser herbeigeführt werden. Auf diese Thatsache gestützt, erklärt Dufour die während der Ruhezeit oder unmittelbar darauf
folgende Dampfkesse
lexplosion in nachstehender Weise. Sobald bei einem in Betrieb stehenden Kessel die Feuerung eingestellt wird, tritt im Dampfraum
eine Druckverminderung ein, so daß die Verhältnisse gegeben sind, unter welchen das Wasser leicht in
den überhitzten Zustand treten kann.
Ist das einmal geschehen, so wird durch eine beim Wiederbeginn des Betriebes fast unvermeidliche Erschütterung des Kessels
eine rapide Dampfentwickelung entstehen, welcher die Festigkeit der Kesselwände nicht gewachsen ist. Doch hat diese Anschauung
auch ihre Gegner, welche meinen, daß die Explosionen nach den Betriebspausen dadurch entstehen, daß
durch das von neuem angefachte Feuer die Kesselplatten ziemlich schnell und stark, die darüberliegende Kesselsteinschicht
viel langsamer erhitzt wird und so durch die verschiedene Ausdehnung
[* 8] ein Reißen und Abspringen des Kesselsteins herbeigeführt
und die glühende Kesselwand der Wasserberührung ausgesetzt wird, wodurch dann eine heftige Dampfentwickelung
und die Dampfkesse
lexplosion verursacht wird.
Die Vorsichtsmaßregeln, welche einem Kesselbesitzer zur Vermeidung von Dampfkesselexplosionen
zu empfehlen sind, bestehen
vor
allem darin, daß er die Dampfkessel
[* 9] nur von den besten und renommiertesten Firmen bauen läßt, von welchen die Wahl einer
zweckmäßigen Konstruktion und guten Materials zu gewärtigen ist, daß er schon gebrauchte Kessel nie
ohne vorherige Untersuchung durch einen zuverlässigen Sachverständigen kauft und in Betrieb setzt, und daß er seinen Kessel
tüchtigen und gewissenhaften Wärtern anvertraut, welche ihrerseits dafür zu sorgen haben, daß die Sicherheitsventile,
Wasserstandszeiger,
[* 10] Speiseapparate etc. in gutem Zustand bleiben, daß die Feuerung regelmäßig geschieht, daß alle Stöße
und Erschütterungen der Kessel vermieden und die Dampf- und Sicherheitsventile nur langsam geöffnet werden, daß alle schlechten
Stellen, Sprünge und Risse rechtzeitig repariert werden, daß stets hinreichender Wasservorrat im Kessel ist, und daß eine
oftmalige und sorgfältige Reinigung vom Schlamm und Kesselstein vorgenommen wird.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die von 1877 bis 1882 in Deutschland
[* 11] stattgehabten Dampfkesselexplosionen
u. die dabei verunglückten Personen:
Anzahl der Dampfkesselexplosionen, mutmaßlich verursacht durch | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
Jahr | mangelhafte Konstruktion u. schlechtes Material | mangelhafte Wartung | Erglühen infolge von Wassermangel oder Kesselstein | Abnutzung, Beschädigung, Alter | Zusammen | Hierbei verunglückte Personen |
1877 | 6 | 4 | 5 | 5 | 20 | 58 |
1878 | 10 | 1 | 3 | 7 | 21 | 32 |
1879 | 5 | 2 | 6 | 5 | 18 | 78 |
1880 | 3 | 4 | 8 | 5 | 20 | 28 |
1881 | 3 | 1 | 6 | 1 | 11 | 27 |
1882 | 2 | 2 | 2 | 5 | 11 | 48 |
Vgl. Fischer, Zur Geschichte der Dampfkesselexplosionen
(»Dinglers Journal« 1874, Bd. 213, S. 296);
Flimmer, Dampfkesselzerstörungen und deren Verhütung (Leipz. 1884),
und die Litteratur bei Artikel »Dampfkessel«.