Taine
(spr. tähn), Hippolyte, franz. Literarhistoriker, Ästhetiker und Geschichtschreiber, geb. zu Vouziers (Ardennes), besuchte die Normalschule in Paris, [* 2] bekleidete sodann Oberlehrerstellen an verschiedenen Lyceen in der Provinz, geriet aber wegen seiner freien Anschauungen in Konflikte mit seinen Vorgesetzten, so daß er seinen Beruf aufgab und nach Paris ging. Hier studierte er Naturwissenschaften und moderne Sprachen, erhielt 1863 eine Professur an der Ecole des beaux-arts und wurde 1878 Mitglied der Französischen Akademie. Er starb zu Paris. Außer der gekrönten Preisschrift «Essai sur Tite-Live» (1856; 2. Aufl. 1860) und der «Voyage aux eaux des Pyrénées» (1855 u. ö.) erschienen von ihm: «Essais de critique d'histoire (ebd. 1858) und »Nouveaux essais" (1865),
" Les philosophes français du XIXe siècle» (Par. 1857 u. ö.; 6. Aufl. u. d. T. «Les philosophes classiques du XIXe siècle en France»),
und dann seine «Histoire de la littérature anglaise» (4 Bde., ebd. 1864; in deutscher Bearbeitung von Katscher, 3 Bde., Lpz. 1877-78),
ein bedeutendes Werk, das seinem Autor Anklagen wegen Atheïsmus zuzog. Hieran schlossen sich: «Idéalisme anglais, étude sur Carlyle» (1864),
«Le [* 3] positivisme anglais, étude sur Stuart Mill» (1864),
«Philosophie d l'art en Italie» (1866),
«Voyage en Italie» (2 Bde., Par. 1866),
«Notes sur Paris. Vie et opinions de M. Fréd. Thomas Graindorge (1867), »L'idéal dans l'art" (1867),
«Philosophie de l'art dans les Pays-Bas» (1866),
«Philosophie de l'art en Grèce» (1869),
«De l'intelligence» (2 Bde., 1870; deutsch von Siegfried, 2 Bde., Bern [* 4] 1880),
«Notes sur l'Angleterre» (1872). In seinen frühern
Schriften zeigt sich Taine
als entschiedener
Anhänger des deterministischen
Gesichtspunkts bei der Beurteilung und Betrachtung der menschlichen Dinge; darin besteht seine
schriftstellerische Originalität; sein
Name und Ruf verknüpften sich mit der Anwendung der
Physiologie
und Mechanik auf Geschichtschreibung. Seine größern Werke sind jedoch nicht nach einem festgehaltenen
Plane gearbeitet,
und der Verfasser bleibt sich dabei weder in der
Tendenz noch in der Ausführung immer gleich.
Das schlagendste Beispiel von derartigem Widerspruch zwischen Ausgangspunkt und Resultat, zwischen Prämissen und Schluß ist T.s Hauptwerk: «Les origines de la France contemporaine» («L'ancien régime», 1875, «La révolution», 3 Bde., 1878-84, «Le régime moderne», 2 Bde., 1890-94),
das von Katscher deutsch bearbeitet wurde (Lpz. 1877 fg.). Nach seinem Tode erschienen: «Derniers essais de critique et d'histoire» (1894) und «Carnets de voyage. Notes sur la province» (1897). -
Vgl.
Katscher, H. Taine
(in
«Unserer Zeit», Jahrg. 1876, 2. Hälfte).