mehr
An den wirtschaftlichen Verhältnissen der Stadt partizipieren zunächst die fünf grossen Nachbargemeinden, im weitern auch die übrigen Gemeinden des Bezirks, selbst die Nachbarbezirke und der angrenzende Teil des Kantons Thurgau. Die Mehrzahl der Industriearbeiter wohnt auswärts, kommt und geht alltäglich teils zu Fuss, teil mit den nach allen Richtungen eingelegten Arbeiterzügen.
Schulwesen und geistiges Leben.
Dem Unterrichtswesen ist in Winterthur von jeher besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden. Von Johannes Vitoduranus vernehmen wir, dass hier schon im Jahr 1315 eine Schule existierte, und der Kulturhistoriker Joh. Scherr (Gartenlaube 1873) bezeichnete Winterthur als ein Gemeinwesen, welches für das Schulwesen mehr tue als irgend eine Gemeinde Europas. Für das vorschulpflichtige Alter betreibt die Hülfsgesellschaft mehrere Kindergärten in besonders dafür eingerichteten Gebäuden.
Ausgaben 1906: Fr. 17070, wovon die Stadt Fr. 4000 beisteuerte. Ausserdem bestehen einige Kleinkinderschulen, alle unter Aufsicht der Schulpflege. An der Primarschule, unterrichteten 1907: 55 Lehrer (wovon 11 weibliche) 2570 Schüler. Für Schwachbegabte bestehen 2 Spezialklassen. Neben den städtischen Primarschulen existiert seit 1873 eine freie Schule mit 2 Lehrern und etwa 100 Schülern. An der Sekundarschule unterrichten 21 Lehrer 323 Knaben und 297 Mädchen. Die höhern städtischen Schulen, unter Aufsicht des Schulrates, gliedern sich in a) Gymnasium mit Anschluss an die Primarschule und Abschluss nach 7 Jahreskursen; 202 Schüler, wovon eine Anzahl weibliche. - b) Industrieschule mit Anschluss an die Sekundarschule oder an die 3. Klasse des Gymnasiums; 4 Jahreskurse mit total 80 Schülern. - c) Höhere Mädchenschule mit Anschluss an die Sekundarschule; 2 Jahreskurse, 33 Schülerinnen. - Das Lehrpersonal dieser 3 Stufen zählt 16 Professoren und 14 Hülfslehrer.
Auf allen Schulstufen wird den körperlichen Uebungen grosse Aufmerksamkeit zugewendet. Im Winter steht die Eisbahn Zelgli unentgeltlich zur Verfügung. Den Abschluss des Sommersemesters bildet eine traditionelle dreitägige Festlichkeit, bestehend in Wettturnen, Kadettenmanöver. Gabenverteilung, Umzug und Fackelzug. Das Kadettenkorps (300 Infanteristen, 50 Artilleristen mit 5 Bronzegeschützen, 30 Spielleute) führt seine Gründung in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurück.
Für die theoretisch-praktische Berufsbildung bestehen folgende Anstalten:
1) Die Fortbildungsschule für Töchter, 1888 von der Primarschulpflege gegründet und auch jetzt noch unter ihrer Leitung, umfasst 50-60 Kurse mit rund 200 wöchentlichen Stunden. Die Zahl der Schülerinnen beträgt 450-550, wovon rund 200 aus andern Ortschaften. An der Anstalt wirken 20 Lehrerinnen. - 2) Die gewerbliche Fortbildungsschule unter Leitung der Gewerbekommission; 1907 mit 126 Kursen und 1260 Schülern. - 3) und 4) Die Fortbildungsschulen der Lokomotivfabrik und von Gebr. Sulzer sind für die Lehrlinge dieser Geschäfte obligatorisch. Die Geschäfte stellen die Lokalitäten zur Verfügung und unterhalten das Lehrpersonal. - 5) Die kaufmännische Fortbildungsschule unter Leitung einer Kommission des kaufmännischen Vereins umfasst etwa 45 verschiedene Semesterkurse mit rund 70 wöchentlichen Stunden und zählt 26 Lehrer und 215 Schüler. - 6) Die Haushaltungsschule des Frauenbundes, gegründet 1891, seit 1901 im eigenen Schulgebäude an der Trollstrasse. Ausser den 5 fünfmonatlichen Kursen zur Heranbildung von Töchtern in den Arbeiten der Hauswirtschaft werden zahlreiche Koch- und Glättekurse u. dergl. erteilt. - 7) Die Berufschule für Metallarbeiter, gegründet 1889, Eigentum der Stadt, verfügt über ein gut eingerichtetes Gebäude mit Lehrsälen und Werkstätten.
Sie umfasst folgende Zweige: Mechanik, Kleinmechanik, Bau- und Kunstschlosserei, Modellschreinerei, Metallgiesserei. Die Frequenz beläuft sich auf 80 ordentliche Schüler mit dreijähriger Lehrzeit, 40 ausserordentliche Schüler und 15 Schüler der Werkmeisterkurse. An der Anstalt wirken 1 Direktor, 9 Werkmeister und 2 Lehrer. Ausgaben Fr. 116000. Die Anstalt wird vom Bund und Kanton subventioniert mit 12000 und 11000 Fr. -
8) Die Musikschule des Musikkollegiums, gegründet 1873. Etwa 225 Schüler, 7 Lehrer. Daneben bestehen einige grössere private Musikschulen. - 9) Die landwirtschaftliche Winterschule, seit 1905 in Winterthur, ist eine Filiale der kantonalen landwirtschaftlichen Schule im Strickhof. Der Kurs dauert jeweilen vom 1. November bis Mitte März. Der Unterricht wird erteilt vom Lehrpersonal des Strickhofs und einigen Lehrern Winterthurs. Rund 25-30 Schüler. - 10) Das kantonale Technikum, eröffnet 1874, ist untergebracht im Technikumsgebäude an der Kasernenstrasse. Es ist 1907/08 durch einen Anbau im O. bedeutend vergrössert worden. Die Anstalt umfasst folgende Abteilungen: Maschinentechnik, Bauschule, Elektrotechnik, Chemieschule, Kunstgewerbe, Geometer, Handel, Eisenbahnbeamte. Sie zählt 600-700 Schüler, wovon 40% aus dem Kanton, 45% aus der übrigen Schweiz, 15% aus dem Auslande. An der Anstalt wirken 36 Professoren und 12 Hülfslehrer.
Als Bildungsanstalten im weitern Sinne sind zu nennen:
1) Das Gewerbemuseum in einem Anbau des Technikums, Eigentum der Stadt. Es enthält reiche mechanisch-technische und kunstgewerbliche Sammlungen, unterhält ein Zeichnungsbureau, veranstaltet auch Vorträge und Instruktionskurse. Es stellt ein Lesezimmer mit 90 aufliegenden Fach-Zeitschriften zur Verfügung und hat eine technisch-kunstgewerbliche Bibliothek von 4500 Bänden. Im Museum sind zum Teil die Sammlungen des historisch-antiquarischen Vereins untergebracht, ein anderer Teil befindet sich im Schloss Mörsburg. Die Aufsicht übt die vom Grossen Stadtrat gewählte Gewerbekommission. - 2) Die Stadtbibliothek und das Museum im Museumgebäude, bestehend seit 1661, Eigentum der Bürgergemeinde, jedoch von der politischen Gemeinde subventioniert (1907 mit Fr. 14500). Die Bibliothek zählt 70000 Bände. In der Sammlung älterer Werke finden sich wertvolle Inkunabeln, Elzevier- und andere seltene Drucke. Das Museum enthält eine Kunstsammlung mit Gemälden und Porträts, plastische Arbeiten, Medaillen, Kupferstiche, Aquarellen, Glasscheiben etc., sowie umfangreiche naturhistorische Sammlungen, Antiken und ethnographische Gegenstände, sowie eine numismatische Sammlung von hohem Werte. - 3) Die Kunsthalle an der Marktgasse enthält die Sammlungen des Kunstvereins und gilt als eine der bedeutenderen Galerien der Schweiz. Der Verein bewahrt in seinen Gesellschaftsräumen 6500 Zeichnungen und Kupferstiche auf. Der Antikensaal enthält 40 Gipsabgüsse. Im Treppenhaus befindet sich eine Kollektion von 13 Standesscheiben von höchstem Kunstwert. Dazu kommen weitere 20 Scheiben ebenfalls aus der Blütezeit der ¶
mehr
schweizerischen Glasmalerei. - 4) Die öffentlichen Lesesäle in der Kunsthalle und im Tössfeld, ersterer 1901, letzterer 1908 eröffnet, beide von der Stadt errichtet und betrieben. - 5) Das Stadtarchiv im Stadthaus, sachgemäss geordnet, enthält wertvolle und weit zurückdatierende Urkunden.
Trotz der auf Erwerb gerichteten Arbeit der Bewohner finden künstlerische Bestrebungen einen guten Boden. Auf dem Gebiet der bildenden Kunst entfaltet der 1848 gegründete Kunstverein eine fruchtbare Tätigkeit. Für theatralische Vorstellungen steht der Theatersaal im Kasino zur Verfügung. Das Schauspielerpersonal einer benachbarten Stadt, meist St. Gallen, gibt über den Winter eine Serie von Vorstellungen und erhält von der Stadt eine Subvention von 4500 Fr. mit der Verpflichtung zu billigen Volksvorstellungen. Seit vielen Jahren besteht im «Strauss» ein Sommertheater. - Das Musikkollegium, eine seit 1629 bestehende Gesellschaft, unterhält während des Winters ein Stadtorchester und veranstaltet alljährlich eine Serie von Abonnementskonzerten, sowie regelmässige Volkskonzerte. Es erhält dafür eine städtische Subvention von Fr. 2500. Die Instrumentalmusik pflegen ausserdem zwei uniformierte Musikgesellschaften, verschiedene Dilettantenorchester, Musikvereine etc. Sehr zahlreich sind die Gesangvereine.
Von Vereinen mit künstlerischen und wissenschaftlichen Zwecken verdienen Erwähnung: Der historisch-antiquarische Verein, der Kunstverein, die kaufmännische Gesellschaft, die naturwissenschaftliche Gesellschaft. Letztere gibt alle 2 Jahre eine Publikation mit Originalarbeiten heraus. Bemerkbar macht sich auch die Tätigkeit des seit 1899 bestehenden Verkehrs- und Verschönerungsvereins. Von den 10 ausser der Landeskirche bestehenden religiösen Gemeinschaften sind die an Zahl bedeutendsten: Die Gesellschaft des evangelischen Vereinshauses und die Methodistengemeinde.
Die Zahl der Vereine ist sehr gross. 1908 zählte man in Winterthur deren 276.
In Winterthur erscheinen 3 politische Tagesblätter: Der Landbote als Organ der Demokraten, das Neue Winterthurer Tagblatt als Organ der Freisinnigen und die Winterthurer Arbeiterzeitung, Organ der Sozialdemokraten.
Gemeindeordnung und Verwaltung.
Die Gemeindeordnung vom Jahr 1895 ist im wesentlichen immer noch die gleiche, wie sie die kantonale Verfassung und das Gemeindegesetz für die zürcherischen Gemeinden vorschreiben. Doch sind einige durch den Umfang des Gemeinde und den Verwaltungsmechanismus bedingte Ausnahmen zu konstatieren. So steht zwischen der hauptsächlichsten Verwaltungsbehörde, dem Stadtrat, und der Gemeinde der Grosse Stadtrat, welcher die Vorprüfung der an die Gemeindeversammlung gehenden Geschäfte besorgt.
Mit der politischen Gemeinde fallen räumlich zusammen die Schulgemeinde, der Sekundarschulkreis, die Bürgergemeinde und die reformierte Kirchgemeinde. Diesen selbständigen Gemeinden stehen vor der Stadtrat, die Schulpflege, die Sekundarschulpflege, die bürgerliche Armenpflege, die Kirchenpflege. Für die Rechnungsführung und den Geldverkehr dieser Gemeinden besteht eine zentrale Verwaltung. Die katholische Kirchgemeinde umfasst auch die Nachbargemeinden Töss, Wülflingen, Veltheim, Oberwinterthur und Seen.
Sie hat keinen Kontakt mit der städtischen Zentralverwaltung. Die Amtsdauer sämtlicher Behörden und Beamten beträgt drei Jahre, diejenige des Friedensrichters, der Lehrer und der Geistlichen 6 Jahre. Stadtrat, Grosser Stadtrat, die Schulbehörden, Steuerkommission, Armenpflege, Kirchenpflege werden von der Gemeinde durch die Urne gewählt, letztere beiden Behörden durch die Stimmberechtigten der Bürgergemeinde, bezw. der reformierten Kirchgemeinde.
Durch die Gemeindeversammlung werden gewählt die kantonalen und eidg. Geschwornen, sowie das aus 120 Mitgliedern bestehende Wahlbureau. Die Gemeindeversammlung bildet in Gemeindeangelegenheiten die oberste, entscheidende Instanz. Ihr sind die Budgets, die Rechnungen, die Geschäftsberichte der Verwaltungsbehörden, sowie sämtliche Anträge der Behörden, die eine einmalige Ausgabe von mehr als 10000 Fr. oder regelmässig wiederkehrende Ausgaben von über 5000 Fr. zur Folge haben, und die über 2500 Fr. hinausgehenden Besoldungsansätze zur Genehmigung zu unterbreiten.
Der Grosse Stadtrat hat für alle diese Geschäfte die Vorbereitung und Antragstellung; er dekretiert Ausgaben unter den genannten Ansätzen, entscheidet endgiltig über Kauf- und Verkaufsverträge und wählt die Gesundheitskommission, die Gewerbekommission, die Krankenpflege, die Rechnungsprüfungskommission, die Geschäftsprüfungskommission. Die Mitglieder der Behörden erhalten ein Sitzungsgeld von 3 Fr. Der Stadtrat wählt alle Angestellten der städtischen Verwaltung mit Ausnahme derjenigen der Bürger- und der Kirchgemeinde.
Von den 7 Mitgliedern sind der Stadtpräsident und der Bauamtmann voll besoldet (5600 und 5400 Fr.) und haben sich ausschliesslich ihrem Amt zu widmen. Die übrigen Mitglieder erhalten je nach Beanspruchung Entschädigungen von 3000-4000 Fr. Die Zahl der Stimmberechtigten der politischen Gemeinde beträgt 5880, der Bürgergemeinde 2230, der reformierten Kirchgemeinde 4900. An der Gemeindeversammlung, die im Jahr etwa viermal einberufen wird, beteiligen sich in der Regel bloss 2-5% der Stimmberechtigten. Beteiligungen von 5-10% sind seltene, solche von über 10% ausserordentliche Vorkommnisse.
Die Rechnung der politischen Gemeinde für 1907 weist auf: an Einnahmen Fr. 2892730 und an Ausgaben Fr. 2916607. Das Defizit von Fr. 23878 wurde durch Entnahme aus der Steuerreserve (Fr. 526638) gedeckt.
Mit der Staatssteuer im Betrage von Fr. 995000 hat die Stadt Fr. 2085000 an Steuern aufgebracht (ohne die Armen- und die Kirchensteuer).
Die Gemeindesteuern sind durch Gesetz vom gleich denjenigen der Stadt Zürich organisiert. An Stelle der in den Landgemeinden bestehenden Haushaltungssteuer tritt eine progressive Einkommensteuer. Die politische Gemeinde verfügt über folgende Steuerkräfte:
Vermögen 130 Mill. Fr., Einkommen 7 Mill. Fr. und Mannsteuer 6400 Fr.
Der Steuerfuss beträgt gegenwärtig 6 Fr. vom 1000 Fr. Vermögen, 9 vom Mann und das sechsfache der einfachen Einkommensteuer. Von der männlichen Bevölkerung vom 20. bis zum 50. Altersjahr, sofern sie nicht aktiven Dienst leistet, wird eine Feuerwehrsteuer erhoben in 12 Klassen von 2-60 Fr.
Bürgergemeinde: Einnahmen (1907) Fr. 192669, Ausgaben Fr. 162594;
Vermögen Fr. 1587600.
Die reformierte Kirchgemeinde verzeichnet an Einnahmen und Ausgaben je Fr. 42798. Steuerkapital 115 Mill. ¶