Gerichtsge
brauch
(Usus fori), die Gleichförmigkeit der
Grundsätze, welche ein
Gericht in Ansehung des gerichtlichen
Verfahrens (formeller Gerichtsge
brauch) oder bei
Entscheidung vorkommender
Fälle (materieller Gerichtsge
brauch) beobachtet. Unter letzterm
versteht man die fortdauernde Geltendmachung gewisser Rechtssätze durch gleichförmige
Aussprüche seitens eines und desselben
Gerichts; in diesem
Sinn haben die
Urteile der
Gerichte keinen größern Wert als das sogen.
Recht der
Wissenschaft, d. h. die
Aussprüche schaffen kein bindendes
Recht und stehen einer andern für richtiger erkannten
Auslegung des
Gesetzes nicht
im Weg.
Ebensowenig sind die Entscheidungen der höhern Gerichte für die untern bezüglich andrer Fälle maßgebend, denn der Richter hat nur nach seiner Überzeugung Recht zu sprechen. Indessen haben die gleichförmigen Aussprüche eines obersten Gerichtshofs für die Untergerichte eine große Bedeutung, denn die Praxis richtet sich naturgemäß in zweifelhaften Fällen nach dem Vorgang des Obergerichts in frühern gleichartigen Fällen. Darum ist für die Einheitlichkeit der Gerichtspraxis in Deutschland [* 2] das Vorhandensein eines gemeinsamen höchsten Gerichtshofs, wie wir ihn im Reichsgericht besitzen, von so großer Wichtigkeit. Gleichlautende Urteilssprüche können in Ländern, in welchen das Gewohnheitsrecht Geltung hat, in der Weise in Betracht kommen, daß durch sie das Bestehen eines Gewohnheitsrechts bezeugt wird.