Richtung gelten, von denen jeder wieder seine besondere Art besaß. Daneben ging aber immer noch eine Schule her, welche für die Gotik schwärmte und sie wiederzubeleben suchte. Der «klassische» Geist war in der englischen Baukunst früher zur Herrschaft gelangt als anderwärts, und daher erscheint England auch als Ausgangspunkt der klassizistischen Richtung, insbesondere übt es auf Frankreich einen Einfluß in dieser Richtung aus; der sogenannte «Empire-Stil» (Stil des Napoleonischen Kaiserreiches) ist nichts anderes als die englische Bauweise, wie sie seit 1730 sich herausgebildet hatte.
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Garten-Kunst. Ich hatte vorhin erwähnt, daß auch die Gartenanlagen den Unterschied zwischen romanischer und englischer Auffassung bekunden. Doch auch sonst steht die Gartenkunst in mannigfachen innigen Beziehungen zur Baukunst, daß es gerechtfertigt ist, derselben in Kürze zu gedenken.
Gärten «anzulegen», d. h. nach künstlerischen Gesichtspunkten und zu reinen Zierzwecken zu gestalten, kam erst im 16. Jahrhundert auf. Früher diente der Garten in erster Linie Nutzzwecken und war meist «ungeordnet». In Italien begann man zuerst mit wohldurchdachter Berechnung die Landschaft mit dem Bau in Beziehung und Verbindung zu bringen, und schuf dieselbe daher zu Gärten um. Raphael hat hauptsächlich den «römischen Park» ausgebildet, dessen Grundwesen darin besteht, daß die Landschaft baulich gestaltet und der Garten somit als ein Glied der Bauanlage dem Ganzen völlig untergeordnet wird. Terrassen, Rampen, Springbrunnen, kleine, eigentlich zwecklose, Ziergebäude, Grotten, dann Bildnereiwerke gehören zu den unerläßlichen Bestandteilen des italienischen Gartens, die Pflanzenwelt giebt für diese Baulichkeiten mehr nur den Hintergrund, die Farben- und Schattenstimmung ab.
In Deutschland und den Niederlanden wurden im 16. Jahrhundert die Gärten nur als Flächen-Schmuck des Bodens aufgefaßt; es fehlen die Baumgruppen, nur Beete giebt es. Zierwerk aus Linienbildungen und Farbenflecken, das auf dem Erdboden mit Benutzung von Pflanzen aufgezeichnet ist - das und nichts anderes stellt ein solcher Garten dar. Sie waren auch nicht zum Aufenthalt geschaffen, sondern nur zum Betrachten, am besten von der Stube aus. Das Beschneiden der Bäume wurde auch in Holland erfunden.
^[Abb.: 652. Bernini: Die hl. Theresia.
Rom. St. Maria della Vittoria.] ¶
Diese Teppichgärtnerei und die bauliche Gartengestaltung der Italiener vereinigten die Franzosen in ihrer Gartenkunst, deren größter Meister Andre Lenôtre (1613-1700) ist. Der französische Garten bleibt zwar in Beziehung zum Hauptbau, erscheint aber doch weit mehr selbständiges Kunstwerk als der italienische. Die Plananlage erfolgt unter baulichen Gesichtspunkten, mit Rücksicht auf perspektivische Wirkung, die Naturgebilde werden sozusagen wie Baustoffe verwendet, man formt aus den zugeschnittenen Bäumen Mauern mit Nischen, aus dem Rasen Flächenzierwerk, das in Linienführung und Musterung den baulichen ähnelt, kurz die Natur wird ihrer eigenen Erscheinungsform entkleidet und muß jene annehmen, welche den Absichten des Künstlers entspricht. Zierbauten, Bildnereiwerke und namentlich Wasserkünste bilden wesentliche Bestandteile der Anlage.
Die englische Gartenkunst stellte sich andere Ziele. Während die französische offenkundig die Absicht darlegt, aus der Natur ein erdachtes Kunstwerk zu schaffen, in welchem jede Einzelheit nach einem vorherbestimmten Plane seinen Platz und seine Rolle erhält, geht die englische darauf aus, durch künstlerische Anordnung der Einzelheiten eine nur «verbesserte», aber sonst «wirkliche» Natur zu bieten. Die Absicht der Umgestaltung soll möglichst verdeckt werden, es soll Alles wie zufällig erstanden erscheinen; man vereinigt nur Naturerscheinungen, die zwar einzeln in Wirklichkeit vorkommen, aber nicht zusammen sich finden, künstlich zu einem malerischen Gesamtbilde. Die französische Gartenkunst geht bildnerisch vor, indem sie dem Stoff - der Natur - eine neue Form giebt, die englische dagegen malerisch, beläßt der Natur im Wesentlichen ihre eigenen Formen und beschränkt sich auf deren Anordnung, um künstlerische Wirkung zu erzielen, ohne den Eindruck eines Kunstwerkes hervorzurufen.
^[Abb.: Fig. 653. Bernini: Denkmal Alexander VII.
Rom. St. Peter.] ¶