mehr
verschiedenen Naturforschern beschrieben wurde: farbloser oder schön smaragdgrüner Turmalin, roter und bläulicher Korund, Tremolit, Rutil, Pyrit, Eisenglanz, grüner oder weisslicher Talk. Zuckerkörniger Dolomit ist hier in einer Schicht von vielleicht 200 m Mächtigkeit entwickelt, deren Oberfläche so leicht verwittert, dass der Fuss wie in Stampfzucker einsinkt. Auch der Pizzo Forno (2909 m) hat den Mineralogen reiche Schätze geliefert, wie Cyanit, Staurolith, Granaten, schwarzen Turmalin etc.
Das Eisenoxyd ist im Tessiner Bergland ziemlich verbreitet, liegt aber an so ungünstigen Stellen, dass an seine Verwertung nicht gedacht werden kann, zumal auch das zur billigen Verhüttung notwendige Brennmaterial fehlt. Immerhin hat man dieses Mineral im Morobbiathal, nahe dem Dorf Carena am Fuss des San Joriopasses, noch um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts abgebaut. Die Ueberreste der 1831 durch eine Feuersbrunst zerstörten Hochöfen und die zerfallenen, langen Stollen zeigen, dass die Industrie zu ihrer Zeit von einer gewissen Bedeutung gewesen sein musste.
Gold und Silber treten in Gestalt verschiedener Erze an mehreren Stellen des Kantons, allerdings nur in geringen Mengen, auf und sind im Verzasca- und Maggiathal, bei Isone, an der Magliasina und im Tessinsand bei Sesto Calende unterhalb des Ausflusses aus dem Langensee gefunden worden. Reich an wertvollen Metallen erscheinen die Berge des Malcantone, besonders in der Umgebung von Astano, Novaggio und Miglieglia. Zwischen den Bänken des Glimmerschiefers stösst man hier nicht selten auf Erzgänge, die stellenweise bis zu 2 m mächtig sein können: Pyrit (Eisenkies), Galenit (Bleiglanz), Antimon, Misspickel mit Silber und Gold (13-20 gr Gold, 42-130 gr Silber und einige Gramm Wismut auf eine Tonne Erz).
Aus einer Tonne Pyrit mit Misspickel, Galenit und Blende hat man sogar 60 gr Gold und 150 gr Silber gewonnen. Ganz nahe Astano sieht man noch Reste der durch Wasser getriebenen Mühlen, in denen man im 18. Jahrhundert das Erz gemahlen hat. Das Gold wurde mit Hilfe von Quecksilber ausgezogen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte eine französische Gesellschaft unterhalb Astano und 200 m ö. der Strasse Luino-Ponte Tresa grosse Hochöfen und Fabrikgebäude zu einem rationellen Bergwerksbetrieb erstellt, musste aber wegen ungenügender Leitung nach wenigen Jahren die Arbeiten wieder einstellen.
Heute zeugen einzig noch die in Ruinen stehenden Bauten und die halb zerfallenen Stollen von dieser Industrie, die gute Resultate hätte zeitigen können, wenn sie von einer kapitalkräftigen und ernsthaften Unternehmung an band genommen worden wäre. Auch links vom Langensee findet man zwischen Vira Gambarogno und Alabardia reiche Adern von Silber- und kupferschüssigem Pyrit, die noch einer nähern Untersuchung harren. Am Ufer des Luganersees, auf Boden der Gemeinde Arogno und unterhalb Morbio Inferiore am Ausgang des Muggiothales tritt ferner Lignit auf, der trotz mehrfacher Versuche leider noch nicht zu einem regelrechten Abbau Veranlassung gegeben hat.
5. Mineralquellen.
Der Kanton Tessin besitzt eine Reihe von Mineralquellen, deren eine subthermal ist. Eine der bedeutendsten ist das Schwefelwasser von Stabio, das speziell gegen Hautkrankheiten Verwendung findet. Bei Acquarossa im Bleniothal entspringen links vom Brenno drei Quellen eines subthermalen (20° C.) Eisensäuerlings mit Gehalt an Arsenik, dessen am Ursprung sehr klares Wasser bald in reichlichem Masse rotes Eisenoxydul niederschlägt, nach welchem Quelle und Dorf den Namen erhalten haben.
Ganz nahe Locarno sprudelt im Bett der Navegna ein demjenigen von San Bernardino ähnlicher Säuerling, der ein gelblich-rotes Sediment niederschlägt. Am Ufer des Langensees finden sich zwischen Magadino und Vira einige bis jetzt noch nicht benutzte Schwefelquellen. Aus dem Fels der Madonna del Sacro Monte über Brissago entspringt eine Mineralquelle, die Eisen- und Magnesiumverbindungen enthält. Endlich findet sich im Bedrettothal ganz nahe Ossasco und 5/4 Stunden oberhalb Airolo eine salzige Eisen- und Magnesiumquelle, die an das berühmte Wasser von Sedlitz in Böhmen erinnert.
[G. Mariani.]
6. Hydrographie.
In hydrographischer Beziehung gehört der Kanton Tessin durch den Po dem Sammelgebiet des Adriatischen Meeres an. Da der Kanton politisch auf die N.-Flanke des Gotthardpasses übergreift, entspringt auf seinem Boden noch die Gotthardreuss, einer der grossen Quellarme der Reuss, der erst nach seinem Austritt aus dem von den Schmelzwassern des Lucendrogletschers genährten schönen Lucendrosee (2083 m) auf Urner Boden übertritt. Das Val Cadlimo endlich gehört dem Rheingebiet an und besitzt im Lago Scuro den Quellsee des Mittel- oder Medelserrheins.
Die nachfolgende Tabelle enthält einige angenäherte Zahlenwerte für die wichtigsten Flussläufe im Kanton Tessin:
Flusslauf | Fläche des Einzugsgebietes km2 | Lauflänge km | Wasserführung in m3 per Sek. | Bemerkungen | |
---|---|---|---|---|---|
Minimum | Maximum | ||||
Sopra Ceneri | Die Tessinkorrektion ist für ein Maximum von 2200 m3 berechnet. Das Hochwasser von 1868 hat ein Maximum von 2400-2500 m3 ergeben. | ||||
Tessin | 1650 | 88 | 16.000 | 1600 | |
Brenno | 405 | 37 | 3.500 | 400 | |
Moesa | 465 | 45 | 4.000 | 500 | |
Morobbia | 40 | 12 | 0.400 | 43 | |
Verzasca | 232 | 34 | 1.000 | 250 | |
Maggia | 920 | 60 | 6.000 | 1000 | |
Isorno | 145 | 25 | 1.200 | 150 | |
Melezza | 175 | 35 | 1.900 | 200 | |
Sotto Ceneri | |||||
Vedeggio | 102 | 32 | 0.600 | 120 | |
Cassarate | 70 | 18 | 0.400 | 80 | |
Magliasina | 30 | 17 | 0.300 | 50 | |
Breggia | 46 | 18 | 0.250 | 50 |
Wie sein Name besagt, wird der Kanton in der Hauptsache durch den Tessin und seine Nebenadern entwässert; eine Ausnahme bilden das Muggiothal und die Ebene von Chiasso, deren Wasser durch die Breggia und die Faloppia in den Comersee fliessen und damit dem Po durch das Einzugsgebiet der Adda zugehen. Die beiden hauptsächlichsten Nebenflüsse des Tessin sind der seine Quellen vom Lukmanier, der Greina und dem Rheinwaldhorn her sammelnde Brenno, der das Bleniothal durchfliesst und bei Biasca von links mündet, sowie die am St. Bernhardin
mehr
entspringende und die Mesolcina entwässernde Moesa, die in Grono von rechts die vom S.-Hang des Zapporthorns herabkommende Calancasca des Calancathales aufnimmt und zwischen Castione und Arbedo ebenfalls von links mündet. Von den zahlreichen übrigen Wildwassern, die dem Tessin zufliessen, seien genannt: Der dem Lago Ritom entfliessende und ob Quinto von links mündende Foss, der auf eine Länge von 2 km einen Höhenunterschied von 810 m überwindet und dessen Kraft samt derjenigen aller Wildbäche zwischen Airolo und Faido vom Bund zum künftigen elektrischen Betrieb der Gotthardbahn erworben worden ist.
Bei Faido mündet von rechts, die eine Reihe von sehr malerischen Fällen bildende Piumogna, sowie in der Biaschina, ebenfalls von rechts, der Ticinetto, der sich von der Terrasse von Chironico durch eine tiefe und grossartige Klamm ins Tessinthal hinunter stürzt. Die Wasserkraft des Ticinetto und des Tessin in der Biaschina ist von der schweizerischen Gesellschaft «Motor» erworben worden, die an eine Reihe von Industriebetrieben, die um Bodio und Giornico in Bälde entstehen sollen, elektrischen Strom abgeben wird. Bei Personico erhält der Tessin von rechts den Wildbach des Val d'Ambra, der einen prachtvollen Wasserfall bildet, und bei Giubiasco endlich, von links, die Morobbia. Nach etwa 90 km langem Lauf mündet dann der Tessin bei Magadino in das obere Ende des Langensees ein.
Im Sopra Ceneri findet sich noch die Maggia als der zweitgrösste Fluss des Kantons. Sie entspringt am NO.-Hang des Pizzo Cristallina, erhält bei Peccia den Wildbach des Val Peccia, dann denjenigen des Val Prato und bei Bignasco die Bavona mit dem Schmelzwasser der Gletscher am Basodino, um unterhalb Cavergno ihren bisherigen Namen Lavizzara zu verlieren, bei Cevio mit der Rovana die Wasser des Campo- und Boscothales und endlich unterhalb der Schlucht von Ponte Brolla mit der Melezza diejenigen des Centovalli und Onsernonethales aufzunehmen, worauf sie zwischen Locarno und Ascona ein mächtiges Delta bildet und nach 60 km langem Lauf ebenfalls in den Langensee mündet.
Das Elektrizitätswerk beim Ponte Brolla versorgt Locarno und seine Umgebungen bis Brissago, sowie die Bahn Locarno-Bignasco mit Kraft und Licht. Ebenfalls von Bedeutung ist die Verzasca, die für gewöhnlich zwar nur wenig Wasser führt, aber wie die Maggia durch ihre plötzlich eintretenden Hochwasser gefährlich werden kann. Sie mündet bei Tenero in den Langensee. 8 km oberhalb Gordola wird das Wasser des Verzascathales in einem durch Granit- und Glimmerschieferfels gehenden Stollen bis ob die Brücke von Tenero geführt, um so bei einem Gefälle von 300 m eine Wasserkraft von 5000 PS zu erzeugen, die nach Lugano geleitet wird.
Wenig bedeutend sind die Wasserläufe im Sotto Ceneri, wie der Vedeggio des Val d'Agno, der Cassarate des Val Colla, die Magliasina des Malcantone, der bei Stabio entspringende Laveggio und die Breggia. Mit Ausnahme der letztgenannten, münden sie alle in den Luganersee, der mit der Tresa sich wiederum zum Langensee entwässert. Zum Schluss wollen wir noch des Wildbaches Gaggiolo Erwähnung tun, der bei Stabio auf eine Strecke von 2 km auf Schweizerboden fliesst, um dann unter dem Namen Lanza sich mit der direkt dem Po zuwendenden Olona zu vereinigen.
Die Flüsse der obern Thäler zeigen im allgemeinen die Charaktere von Alpengewässern mit Hochwasser im Sommer und Herbst, sowie Niederwasser im Winter und einem Minimum im Februar oder März. Die Wasseradern des Sotto Ceneri weisen dagegen zweimal, im Winter und im Sommer, Niederwasser auf, wobei dasjenige des Sommers gewöhnlich länger andauert und schärfer ausgesprochen erscheint. Dank dem typischen Wildbachcharakter mit plötzlich eintretenden mächtigen Hochwassern ist der Wasserhaushalt des Tessin, des Brenno, der Verzasca und der Maggia genauer untersucht und beobachtet worden.
Die Unterschiede zwischen den äussersten Nieder- und Hochwassern können hier ganz erstaunliche Beträge erreichen. So ergaben die Messungen in Bellinzona für den Tessin Minima von bis zu 14 m3 und Maxima von bis zu 1400 m3 und diejenigen am Ponte Brolla für die Maggia Minima von bis zu 4 m3 und Maxima von bis zu etwa 1000 m3! Die Hochwasser dieser beiden Flüsse haben ihre Thäler schon furchtbar verwüstet und unberechenbaren Schaden angerichtet, so dass man das Land durch viele und zum Teil ausgedehnte Verbauungen und Korrektionen zu sichern genötigt war.
Von solchen namentlich im Verlauf der letztvergangenen 30 Jahre durchgeführten Schutzbauten, die z. T. noch nicht vollendet sind, nennen wir in erster Linie die grossartige Tessinkorrektion von Bellinzona bis zum Langensee mit der Verbauung der Tessinzuflüsse Morobbia, Trodo, Cugnasco und Carcale. Daneben sind zu erwähnen die Korrektion der Maggia zwischen Ponte Brolla und dem Langensee, sowie diejenige des Vedeggio, die gegenwärtig in Arbeit ist. Man plant ferner noch die Trockenlegung und Nutzbarmachung des Piano di Magadino und
mehr
die Regelung der Abflussverhältnisse des Luganersees, welche beiden Unternehmungen ein grosses öffentliches und technisches Interesse bieten.
Die Tessiner Alpen umschliessen weder grosse noch zahlreiche Gletscher. Erwähnenswert sind die Eis- und Firnfelder am Pizzo Lucendro, Pizzo Rotondo und Campo Tencia, einige kleinere Gletscher hinten über dem Bleniothal, sowie der Cavagnoli- und Basodinogletscher im Maggiagebiet. Dem Kanton Tessin gehören nur Teile von zweien der drei grossen oberitalienischen Seen (Verbano, Ceresio und Lario) an, nämlich im S. des Sopra Ceneri der oberste Zipfel des Langensees oder Verbano und im mittlern Sotto Ceneri der grössere Teil des Luganersees oder Ceresio, dessen Spiegel etwa 75 m höher liegt als derjenige des Verbano.
Ferner hat der Sotto Ceneri noch die kleinen Seen von Muzzano und Origlio, von denen jener an der Strasse zwischen Lugano und Agno liegt, während dieser sich 5 km n. Lugano am Weg Vezia-Cureglia-Origlio ausbreitet. In den Hochthälern des Sopra Ceneri findet man ziemlich zahlreiche kleine Alpenseen, so als grössten von allen im Val Piora den 49 m tiefen Lago Ritom (1831 m) mit seinen Nachbarseen Lago Tom, Lago di Cadagno, Lago del Stabio, Lago di Dentro und Lago Scuro; den Lago Chierra ob Faido gegenüber dem Lago Tremorgio (1828 m); im Maggiagebiet die Laghetti di Naret (2400 m) im Val Lavizzara und den Lago di Crosa im Bavonathal, sowie endlich die Gotthardseen in 2090 m. Landschaftlich hervorragende Punkte und Gegenden sind: in der Leventina der Engpass von Stalvedro bei Airolo, die grossartigen Schluchten des Monte Piottino s. Quinto und der Biaschina n. Giornico, sowie die Wasserfälle der Piumogna, des Ticinetto und von Personico;
im Bleniothal die Schlucht des Sosto zwischen Campo und Olivone und diejenige von Malvaglia;
im untern Tessinthal die Kaskaden von Santa Petronilla und von Sementina, im Maggiagebiet der Wasserfall des Soladino ob Someo, der Fall von Calneggia im Bavonathal und die Mündungsschlucht der Maggia bei Ponte Brolla;
im Verzascathal endlich die Schlucht zwischen Mergoscia und Gordola.
7. Wasserkräfte.
Der Tessin zählt zu den an Wasserkräften reichsten Kantonen der Schweiz und zeichnet sich auch dadurch aus, dass ein grosser Teil dieser Kräfte sehr leicht ausgebeutet werden kann. Nach den in jüngster Zeit angestellten Beobachtungen und Studien dürfen die gesamten Wasserkräfte des Kantons zur Zeit von Niederwasser auf etwa 148000 PS angeschlagen werden, die sich wie folgt verteilen:
PS | |
---|---|
Leventina | 50000 |
Bleniothal | 25000 |
Unteres Tessinthal | 17000 |
Verzascathal | 6000 |
Maggiathal | 43000 |
Sopra Ceneri: | 141000 |
Sotto Ceneri | 7000 |
Kanton: | 148000. |
Durch Akkumulation der Kräfte (Ritom- und Tresaprojekt) kann diese Zahl bis auf etwa 200000 PS gesteigert werden. Aus der Tabelle geht hervor, dass die weitaus grössere Menge der Wasserkräfte dem Sopra Ceneri angehören.
Das in dieser Hinsicht am reichsten ausgestattete Thal ist die Leventina, die drei Wasserkräfte ersten Ranges umschliesst, nämlich diejenigen des Lago Ritom, des Monte Piottino und der Biaschina. Die letztgenannte soll in nächster Zeit für den Betrieb von grossen industriellen Etablissementen ausgebeutet und zu einer Kraftlieferung von 25000 PS herangezogen werden. Die Kräfte des Lago Ritom und des Monte Piottino gehören heute dem Bund, der sie später zum elektrischen Betrieb der Gotthardbahn zu verwenden gedenkt.
Gegenwärtig werden benutzt:
PS | ||
---|---|---|
1) für kleinere Betriebe (Mühlen, Sägen Schmieden etc.) | 1500 | |
2) für grössere Industrien (Fabriken, Spinnereien etc.) | 600 | |
3) für elektrische Beleuchtung und Kraftabgabe | 2600 | |
In Ausführung oder projektiert sind: | ||
1) Verzascawerk | 5000 | |
2) Werk für den Betrieb der Valle Maggiabahn | 400 | |
3) Werk für die Bleniothalbahn | 1000 | |
4) Biaschinawerk | 25000 | 31400 |
Total | 36100. |
[Ing. C. Bonzanigo.]
8. Klima.
Der orographisch so mannigfach gestaltete Kanton Tessin, der von 200 m Höhe bis zur Gletscher- und Firnregion (3400 m) hinaufreicht, besitzt noch mehr als Graubünden und das Wallis ein abwechslungsreiches Klima. Während die Bezirke Locarno, Lugano,
mehr
Mendrisio und selbst noch Bellinzona eine sehr milde Temperatur und in ihren ebenen Teilen nicht selten einen fast schneefreien Winter haben, dauert in der Leventina, im obern Bleniothal und im Val Lavizzara der Winter oft genug 4-5 Monate. Das ausnahmsweise milde Klima des untern Tessin ist den Naturbeobachtern schon seit alten Zeiten aufgefallen. H. Schinz hat für die Jahre 1770-1772 die höchsten Monatsmittel und die Jahresmittel der Temperatur, sowie die Zahl der hellen und der Regentage für Locarno veröffentlicht und mit den entsprechenden Aufzeichnungen für Zürich verglichen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts stellten die Kapuziner auf dem Gotthardhospiz während elf aufeinanderfolgenden Jahren sehr genaue Beobachtungen an, und später machten auch die Benediktiner in Bellinzona unter der Leitung der schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft während einiger Zeit Beobachtungen, die bis 1853 dauerten. 1863 richtete man dann unter der Leitung der schweizerischen Meteorologischen Kommission eine meteorologische Station in Lugano ein, die seither mit der grössten Pünktlichkeit und Regelmässigkeit gearbeitet hat. Andere Hauptstationen bestehen gegenwärtig auch in Locarno, Bellinzona, Airolo, Faido etc., ferner eine Reihe von Regenmessstationen in den verschiedenen Abschnitten des Kantons, so dass man jetzt im Stande ist, ziemlich genaue und die klimatischen Eigenarten der italienischen Schweiz sehr scharf kennzeichnende Mittelzahlen zu geben.
Jährliche Regenmengen. - Anzahl der hellen und der bedeckten Tage.
Ort | Jährliche Regenmenge mm | Anzahl der hellen Tage | Bedeckte Tage |
---|---|---|---|
Airolo | 1520 | 108 | 109 |
Faido | 1388 | 116 | 111 |
Bellinzona | 1676 | 142 | 79 |
Lugano | 1707 | 133 | 106 |
Locarno | 1872 | 130 | 78 |
Brissago | 2090 | - | - |
Die im Vergleich zu einigen Stationen im Mittelland, Jura und Wallis (Olten 1007 mm, Neuenburg 938 mm, Sitten 636 mm) enorme Regenmenge in der tiefst gelegenen Landschaft der Schweiz (Ufer des Langensees) mit über 2000 mm erinnert etwas an die tropischen Regen, während der Tessin andrerseits die grösste Anzahl heller Tage und die wenigsten Regentage zählt. Aus den 37jährigen Beobachtungen in Lugano lassen sich folgende monatlichen Mittelwerte berechnen:
Monat | Zustand des Himmels | 1864-1903 | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
Helle Tage | Bedeckte Tage | Regentage | Neblige Tage | Regenmenge mm | % d. jährlichen Regenmenge | |
Januar | 13.3 | 8.4 | 6.8 | 0.4 | 64.7 | 3.8 |
Februar | 11.9 | 7.0 | 5.6 | 0.2 | 56.6 | 3.3 |
März | 10.4 | 9.5 | 9.2 | 0.2 | 104.2 | 6.0 |
April | 8.6 | 10.6 | 11.6 | 0.1 | 160.3 | 9.4 |
Mai | 7.6 | 13.2 | 14.2 | - | 179.6 | 10.5 |
Juni | 8.0 | 7.4 | 12.2 | - | 187.9 | 11.0 |
Juli | 12.2 | 4.5 | 11.1 | - | 163.3 | 9.6 |
August | 11.5 | 5.1 | 10.9 | - | 182.3 | 10.7 |
September | 10.5 | 6.7 | 9.5 | - | 187.6 | 11.0 |
Oktober | 8.4 | 10.6 | 11.5 | - | 211.8 | 12.4 |
November | 9.6 | 10.9 | 9.9 | 0.4 | 132.3 | 7.8 |
Dezember | 12.5 | 9.1 | 7.1 | 0.6 | 76.2 | 4.5 |
Jahr: | 124.5 | 103.0 | 119.6 | 1.9 | 1706.8 | 100.0 |
Die grösste Anzahl von Regentagen weisen im Frühjahr die Monate April und Mai, im Herbst die Monate September und Oktober auf, während Dezember und Januar, Juli und August am meisten helle Tage zählen. Man kann im Tessin im Monat Januar nicht selten 25 Sonnentage beobachten. Man zählt im Durchschnitt jährlich etwa 20 Gewitter mit starken Regengüssen, die am Regenmesser in 24 Stunden schon 160,5 mm und in 40 Minuten sogar schon 72 mm ergeben haben. Diese starken Regengüsse erklären den scheinbaren Widerspruch zwischen der grössten jährlichen Regenmenge einerseits und der geringsten Anzahl von Regentagen andrerseits.
Nebel ist nahezu unbekannt; Bellinzona, Locarno und Lugano zählen im Mittel jährlich nicht mehr als. 2 Nebeltage. Die Entstehung von Nebeln wird durch den nahezu ständig zirkulierenden Luftstrom in den Längenthälern verhindert. Sehr reichlich ist Schneefall im Bergland der Bezirke Leventina, Blenio, Riviera und Valle Maggia, während im S. (Bezirke Locarno, Lugano und Mendrisio) der Schnee in gewissen Wintern schon nach wenigen Stunden wieder verschwinden kann.
Immerhin zeigten die Jahre 1863, 1871, 1886, 1887 und besonders 1888 sehr beträchtliche Schneefälle, die grossen Lawinenschaden im Gefolge hatten. Die Höhenunterschiede bedingen beträchtliche Temperaturschwankungen: während z. B. das jährliche Temperaturmittel auf dem Gotthard -0,6 °C. beträgt, steigt es in Lugano auf 11,4 °C. und in dem noch windgeschützter gelegenen Locarno sogar auf 11,8 °C. (Mittel aus 1864-1900). Die in nebenstehender Tabelle verzeichneten Monatsmittel der Temperatur in Lugano können als Beispiel für den ganzen S.-Abschnitt des Kantons gelten; zum Vergleich fügen wir noch die Monatsmittel für den Gotthard bei.
Monatsmittel der Temperatur in °C. In Lugano und auf dem Gotthard.
Monat | Lugano 1864-1888. | Gotthard | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
7 h. Morg. | 1 h. Mitt. | 9 h. Abends | Mittel 1) | Absol. Min. | Jahr | Absol. Max. | Jahr | Mittel | |
Januar | -0,9 | 5.1 | 0.5 | 1.3 | -10,0 | 1887 | 18.2 | 1888 | -7,19 |
Februar | 1.1 | 7.9 | 2.9 | 3.7 | -9,4 | 1864 | 21.8 | 1867 | -9,43 |
März | 4.3 | 11.0 | 6.1 | 6.9 | -6,0 | 1883 | 27.0 | 1874 | -8,21 |
April | 9.2 | 15.4 | 10.6 | 11.4 | -1,0 | 1865 | 28.7 | 1867 | -3,69 |
Mai | 13.6 | 19.1 | 14.2 | 15.3 | 2.2 | 1887 | 32.9 | 1868 | 2.41 |
Juni | 17.6 | 23.1 | 17.7 | 19.1 | 5.9 | 1869 | 34.3 | 1872 | 5.83 |
Juli | 19.6 | 26.2 | 20.3 | 21.7 | 9.0 | 1888 | 37.0 | 1881 | 7.98 |
August | 18.6 | 25.3 | 19.3 | 20.6 | 7.0 | 1864 | 35.4 | 1881 | 7.92 |
September | 15.0 | 21.9 | 16.0 | 17.2 | 4.3 | 1885 | 32.3 | 1867 | 5.09 |
Oktober | 9.2 | 15.7 | 10.3 | 11.4 | -3,1 | 1869 | 25.0 | 1866 | -0,78 |
November | 4.0 | 9.9 | 5.2 | 6.1 | -5,2 | 1872 | 23.2 | 1881 | -4,70 |
Dezember | 0.6 | 5.9 | 1.6 | 2.5 | -11,0 | 1879 | 21.5 | 1873 | -6,40 |
Jahr: | 9.4 | 15.5 | 10.4 | 11.4 | -11,0 | 1879 | 37.0 | 1881 | -0,93 |
1) Mittel nach der Formel (7a + 1p + 2×9p)/4, die weit genauere Resultate ergibt als die gewöhnlich übliche Formel (7a + 1p + 9p)/3.
Die Windverhältnisse sind durch die besondere Anordnung der Bergketten bedingt. Je nach Ort und Jahreszeit wechseln N.-, NW.-, SW.- und SO.-Winde miteinander ab. Bei schönem Wetter macht sich im ganzen Kanton eine vom Gotthard herabkommende, N.-S. streichende Luftströmung bemerklich. Um Locarno, wo sie «inverna» genannt wird, biegt sie nach SW. und um Lugano unter dem Namen «breva» nach SO. ab. Zur Nachtzeit springt der Wind
mehr
im ganzen Kanton um und bläst dann je nach der Landesgegend aus SO., S. oder SW. Die vom Camoghè über der Monte Ceneri zum Monte Gambarogno ziehende Kette lenkt den S.-Wind nach W. ab, sodass er dann aus O. bläst und als sog. «Muscendrin» (Monte Cenerino) im Gebiet des obern Langensees sehr heftig werden kann. Wenn der N.-Wind heiss und sehr trocken ist, wird er zum eigentlichen Föhn (favonio der Tessiner),
der immer gutes Wetter mit sich bringt. Ein anderer warmer, dafür aber feuchter Wind ist der hier «marenca» genannte Scirocco, der aus SW. kommt und zeitweise mit furchtbarer Gewalt blasen kann. Im September und Oktober wird er sehr gefürchtet, da ihn dann ausgibige Regengüsse (bis 170 mm in 24 Stunden) begleiten. Für den Oktober 1907, welcher Monat sich durch vorherrschenden warmen und feuchten SW.-Wind auszeichnete, zeigte der Regenmesser in Locarno einen wässerigen Niederschlag von 700 mm, welche Summe dem mittlern jährlichen Niederschlag verschiedener Orte im Jura und im Wallis entspricht. Auch der ausserordentlich hohe Wasserstand des Langensees in den Jahren 1868, 1872 und 1907 ist durch die «marenca» verursacht worden, die ferner das Wasser des bei Sesto Calende den See verlassenden Tessin rückstauen und so am Ausfliessen hindern kann.
[G. Mariani.]
9. Flora.
Die Vegetation des Kantons Tessin lässt zwei Bezirke unterscheiden: a) das insubrische Seengebiet und b) den alpinen Bezirk, d. h. das Gebiet über der mittlern obern Höhengrenze des Kastanienwaldes (etwa 1000 m). In der Hauptsache fällt der insubrische Bezirk mit dem S.-Tessin etwa südl. der Linie Bellinzona-Locarno, der alpine Bezirk dagegen mit dem N.-Tessin nördl. dieser Grenzlinie zusammen. Eine scharfe Abgrenzung der beiden Florenbezirke ist selbstredend nicht vorhanden.
Die grossen warmen Thäler des nördl. Kantonsteiles geben Veranlassung, dass insubrische Florenbestandteile mit Erfolg weit in das alpine Gebiet vordringen. So haben wir z. B. oberhalb Airolo im Val Bedretto bis 1320 m noch Carex nitida, einen typischen Vertreter der sonnverbrannten Walliser Felsenheide, angetroffen, vergesellschaftet mit anderen südl. Typen wie: Galium rubrum, Stachys rectus, Polygala vulgaris ssp. comosum, Galium mollugo ssp. Gerardi etc. Andrerseits beherbergen die Berglandschaften des Sotto Ceneri auch noch eine reichhaltige subalpine und alpine Flora.
Die furchtbare Steilheit vieler Gehänge, verbunden mit der grossen Feuchtigkeit, welche auch in den Tieflagen angetroffen wird, ermöglichen vielen Alpenpflanzen, bis in unmittelbare Seenähe herabzusteigen. Dagegen vermag die gewaltige Insolation auch in den Hochlagen Verhältnisse zu schaffen, welche der Ansiedelung von Thermophyten zusagen. Diese eigentümliche Mischung von Pflanzen aller Höhenlagen ist ein bezeichnender Zug der Pflanzenwelt des Tessin. Die rostblättrige Alpenrose sammeln wir am Langensee bei Vira und Gerra bei 205 m und Paradisia liliastrum bei Bignasco im Maggiathal. Hohe Standorte sind dagegen: Castanea sativa im Val Bavona bis 1300 m, Stupa pennata im Val Bavona bis 2100 m, Carex nitida am Grat zwischen Robiei und Lago Bianco (Val Bavona) bis 2200 m.
Folgendes sind die pflanzengeographisch bezeichnendsten Formationen des Kantons Tessin:
A. Wald- und Gebüschformationen.
a) Die Kastanienselven. Die zahme Kastanie ist der wichtigste Charakterbaum des Tessin und besonders in der Höhenlage von 350-700 m überall verbreitet. Alle vor dem Wind geschützten Felshänge sagen ihr besonders zu. Im Tessin meidet der Baum kalkhaltigen Boden, bevorzugt dagegen hauptsächlich im nördl. Kantonsteil und in den höheren Lagen warme, nach S. exponierte Abhänge. Gegen Kälte ist er nicht sehr empfindlich. Alte Stämme erreichen in Brusthöhe einen Umfang von bis 13,5 m (nach Christ beim Dorf Peccia im Val Lavizzara).
Neben lichten Hochwäldern, in denen sie als Fruchtbaum für breite Volksschichten von grösster Wichtigkeit ist, wird die Kastanie auch sehr viel als Niederwald gepflanzt, den man periodisch kahl schlägt. Im ersten Jahre nach dem Abtrieb entstehen oft Jahrestriebe von 2-3 m Höhe. Diese Niederwälder liefern Rebstickel und Brennholz. Die Bäume werden auch geschneitelt. Der Kastanienwald dient der Landwirtschaft ferner als mittelmässige Weide und das dürre Laub als Streue. - b) Die Eichenniederwälder. Die Eichen sind im Tessin selten als Hochstämme entwickelt. Eichenhochwälder gibt es keine, dagegen treten in wärmeren Lagen des südl. Tessin öfters Buschwälder auf, die hauptsächlich aus Eichen bestehen. Es sind Mischwaldungen aus Quercus lanuginosa und Quercus sessiliflora, zu denen sich gelegentlich auch noch die Zerreiche (Q. cerris), die Hopfenbuche (Ostrya italica) und die Mannaesche (Fraxinus ornus) beigesellen. - c) Der Buschwald findet sich an felsigen, flachgründigen Abhängen, so z. B. in schönster Ausbildung am Luganersee zwischen Gandria und Oria. Das Wachstum erfolgt so rasch, das alle sechs Jahre abgeholzt werden kann. Aus den Stockausschlägen erneuert sich immer wieder der Bestand; nie wurde aufgeforstet, so dass man von einem wirklichen Naturwald sprechen kann. Die Haupteigentümlichkeit dieser Buschwälder ist die
mehr
ausserordentlich grosse Zahl von Arten, welche sie zusammensetzen, wie auch die starke Mengung der verschiedenen Spezies. Von einer oder einigen vorherrschenden Arten kann kaum gesprochen werden. Bunt gemengt erscheinen Fraxinus ornus, Celtis australis, Cytisus laburnum, Laurus nobilis, Mespilus germanica, verwilderter Oelbaum, Feige, zahme Kastanie, Ostrya italica, Quercus lanuginosa etc. -
d) Der Auenwald. Auf den Alluvionen der Flussböden stocken oft lichte, schmale Waldstreifen von Pappeln, Weiden und Schwarzerlen, die sich nicht selten stundenweit hinziehen. Auf der Gotthardroute treten diese bezeichnenden Begleiter der grossen südl. Flussthäler schon bei Ambri auf, um dann ganz besonders von Giornico bis zur Mündung des Tessin in den Langensee grosse Flächen zu bedecken. Der anspruchslose Sanddorn (Hippophaës) und die deutsche Tamariske (Myricaria germanica) fehlen nie und bedecken zuweilen für sich allein ganze Flussinseln. Auch auf frischen Thalwiesen und Thalmatten des Sotto Ceneri finden sich oft Auenwälder. Diese bestehen hauptsächlich aus Schwarzpappeln (Populus nigra) und Birken (Betula verrucosa). Die lichte Bestockung und Belaubung der Bäume behindert den Graswuchs nur unbedeutend. Gelegentlich werden die Auenwälder geschneitelt, so z. B. im Vedeggiothal. - e) Der Birkenwald. Die Birke (Betula verrucosa) ist für den Tessin von ganz besonderer Bedeutung, da sie sich dank ihrer Genügsamkeit auf völlig kahlen, trockenen Abhängen ansiedelt, allerdings mit Vorliebe in N.-Lage. In den Tessineralpen tritt sie sehr häufig in reinen Beständen auf, welche oft unmittelbar an die Kastanienselven angrenzen. - f) Die Haselstrauchformation. Am S.-Fuss der Alpen bildet Corylus avellana an steilen Geröllhalden oft ausgedehnte Bestände, die nicht selten weit in die Fichtenregion vordringen. R. Keller schildert einen solchen grossen Haselbuschbestand vom N.- und O.-Hang der Punta di Larescia bei Olivone. Nach den sorgfältigen Untersuchungen von Keller ist der Haselbuschwald teils durch Bewirtschaftung des Menschen, teils durch die Wirkung des Weidganges entstanden und gehört somit eigentlich zu den künstlich gezogenen, zoogenen Pflanzengesellschaften. - g) Der Buchenwald gedeiht am besten in der Höhenlage von 800-1200 m. Die höchsten Standorte erreicht die Buche mit 1700 m einerseits im Verzascathal (nach Chenevard) und andrerseits im obern Val Colla (nach Freuler). Während die Buche mit wenig Ausnahmen im ganzen Sotto Ceneri den obersten Waldgürtel bildet, schiebt sie sich im N.-Tessin zwischen die Kastanien- und Fichten-, bezw. Lärchenregion ein. Der Buchenalpwald ist überall dem intensivsten Weidgang unterworfen; vielerorts ist der Wald so licht, dass man ihn ebenso gut als eine mit Buchen bestockte Weide bezeichnen könnte. Um die Alphütten stehen oft stattliche Exemplare als Schirm- und Schattenbäume. - h) Von Nadelhölzern sind besonders vertreten Fichte und Lärche, im Sotto Ceneri auch die Bergföhre (Pinus montana var. uncinata); im N.-Tessin tritt ganz vereinzelt noch die Arve (Pinus cembra) auf, und zwar nur auf der S.-Seite des Lukmanier, am Ritomsee im Piorathal, auf der Alpe Campo la Torba im Lavizzarathal und auf der Alpe di Formazzora im obern Bedrettothal.
Die Fichte bildet an den Thalhängen des nördl. Tessin ausgedehnte, zusammenhängende Waldungen; im S.-Tessin ist sie nur im Val Caneggio (auf der N.-Seite des Camoghè) spontan anzutreffen. Die Lärche ist der Charakterbaum der höheren Gebirgslagen. Während sie tiefer unten vereinzelt oder gruppenweise dem Fichtenwald eingesprengt ist, wird sie von 1400 m an häufiger, um nun in allen Thälern des nördl. Tessin über 1750 m bis zur oberen Waldgrenze fast reine Bestände zu bilden. Im S.-Tessin ist dagegen Larix decidua bestandbildend nur im Camoghègebiet anzutreffen, wo sie merkwürdigerweise mit der Buche vergesellschaftet erscheint; das Unterholz wird durch Tros (Alpenerle) und Rhododendron gebildet. Endlich muss noch auf eine Eigentümlichkeit der Tessiner Holzgewächse verwiesen werden, nämlich auf deren niedere obere Höhengrenzen. Gegenüber dem benachbarten Wallis besitzt das Tessin eine um 200-300 m tiefer gelegene Wald- bezw. Baumgrenze, worüber folgende Tabelle Auskunft gibt:
Höchste Standorte.
Tessin m | Wallis m | Graubünden m | |
---|---|---|---|
Fichte (Picea excelsa) | 2000 | 2260 | 2140 |
Lärche (Larix europaea) | 2010 | 2400 | 2280 |
Arve (Pinus cembra) | 2130 | 2470 | 2400 |
Obere Waldgrenze: | 1920 | 2150 | 2170 |
Ausschlaggebend für diesen auffallenden Unterschied in den Höhengrenzen sind die grossen Niederschläge und ganz besonders die bedeutend geringere Massenerhebung der Tessineralpen gegenüber Wallis und Graubünden.
B. Heideformationen.
Sie sind vorherrschend xerophytische Vergesellschaftungen von Pflanzen, welche meist aus Halbsträuchern oder aus kleinen derbblättrigen Zwergsträuchern bestehen und in trockener sandiger oder in humöser Erde wurzeln. Im Tessin treten folgende Heidetypen auf: a) Die Besenstrauchheide mit Sarothamnus scoparius als Leitpflanze, besonders oft als Unterholz im Kastanienwald. - b) Die eigentliche Heide (Callunetum), besonders charakteristisch für die Rundhöckerlandschaften, so z. B. in grosser Ausdehnung zwischen Losone und Ronco. - c) Die Farnheide (Pteridetum). Sie wird vom Adlerfarn gebildet und ergibt eine doppelte Nutzung als Weide für das Schmalvieh und als Streue. - d) Die Alpenrosenbestände, hauptsächlich Rhododendron ferrugineum, von etwa 1700-2300 m; doch fast nur in N.-Lage. - e) Die alpine Zwergstrauchheide von der Waldgrenze bis über 2800 m; besteht aus immergrünen, klein- und derbblättrigen, humikolen Zwergsträuchern, besonders Erikazeen.
C. Matten und Wiesen.
Geschlossene Formationen aus Stauden, Kräutern und Gräsern. a) Fettmatten. Sie werden gedüngt und treten entsprechend dem gegenüber der N.-Schweiz weniger intensiv betriebenen Wiesenbau selbst im insubrischen Bezirk hinter den Magermatten eher zurück. Die Düngung ist zudem nicht so intensiv, was vor allem im beinahe vollständigen Fehlen der Anthriscus- Wiesen deutlich zum Ausdruck kommt. Eine sehr verbreitete und bezeichnende Leitpflanze der transalpinen Fettwiesen ist das wollige Honiggras (Holcus lanatus). Oefters sind in diesen Wiesen, roten Inseln vergleichbar, Unmengen der klebrigen Pechnelke (Viscaria viscosa) eingesprengt. Der Goldhafer (Trisetum flavescens) ist ein häufiger und oft vorherrschender Bestandteil der Fettmatten, und zwar von den tiefsten Lagen bis weit in die montane Region hinauf. In dieser Höhenlage tritt dann das Agrostidetum mit dominierendem gemeinem Straussengras (Agrostis vulgaris), eine schwach gedüngte, sehr
mehr
artenreiche Mähwiese auf, in der das transalpine Polygonum alpinum mit seinen gelblichweissen Blütensträussen physiognomisch stark hervortritt. In der eigentlich alpinen Region fehlen die Fettwiesen; die an ihrer Stelle auftretende Lägerflora ist von derjenigen nördl. der Alpen spezifisch kaum verschieden. - b) Magermatten. Die Grosszahl der Charakterpflanzen der Tessinerflora gehört den Magermatten an. Die Mannigfaltigkeit dieser Flora ist begründet in der verschiedenen Höhenlage, in der Verschiedenheit der Bodenbeschaffenheit und vor allem in den Belichtungsunterschieden und den damit verbundenen Differenzen in der Bodenfeuchtigkeit.
Man denke einerseits an die sonnverbrannten Abhänge der untern Thalstufen und andrerseits an die Schattenwiesen als Begleiter des Kastanienwaldes. So wechseln nicht nur die Leitpflanzen, sondern mit ihnen der grösste Teil des Gesamtflorenbestandes. Da eine Erörterung der verschiedenen Magermattentypen eine genauere systematische Kenntnis der südalpinen Phanerogamenflora voraussetzt, müssen wir auf deren nähere Charakterisierung verzichten. Interessenten verweisen wir auf die am Schluss des Artikels aufgeführte Literatur. Die vier wichtigsten Typen sind: Burstwiese, Schattenwiesen der Kastanienselven, das Brachypodietum und die Festuca rubra-fallax- Wiese. - c) Weiden und Wildheuplanggen.
Der weitaus verbreitetste Weidetypus der ausgedehnten Gebirgslandschaften des nördl. Tessin ist leider die sehr minderwertige Borstgras- oder Nardusweide, eine Weide von sehr trivialem Charakter, in der das harte und vom Vieh verschmähte Borstgras (Nardus stricta) vorwiegt. Diese Weiden sind z. T. wasserzügig; andere wiederum sind steinig-felsig und können daher im Verhältnis zu ihrer Grösse nicht stark bestossen werden. Gegenüber diesen ausgedehnten tessinischen Narduswüsten treten alle übrigen Weidetypen sehr zurück. Es sind dies Vergesellschaftungen, wie sie auch den N.-Alpen eigentümlich sind. Die Zahl speziell südalpiner Typen, die sich diesen Weiden beimengen, ist nicht gross.
D. Geröll- und Felsflora.
Soweit der Fels nicht im Waldesschatten liegt oder nicht beständig durchfeuchtet ist, sind diese Standorte einer intensiven Besonnung bei gleichzeitigem Wassermangel ausgesetzt. Die Flora umfasst daher fast ausschliesslich Thermophyten, bezw. Xerophyten und ist ausserordentlich artenreich. Viele dieser Felspflanzen erreichen im Tessin ihr Massenzentrum oder sind in der Schweiz sogar nur im Kanton Tessin vorhanden. Nach der chemisch-physikalischen Bodenbeschaffenheit unterscheidet man als besondere Fazies die Felsenflur, die Felsschuttflora, die eigentliche Felsenflora, die Schutt- und Geröllflora, die Grat- und Gipfelflora.
E. Sumpf- und Wasserflora.
Seit der Tessinkorrektion sind die Sumpfgebiete im Kanton Tessin nicht mehr häufig und beschränken sich auf einige Sumpfwiesen im Mündungsgebiet des Tessin, im Vedeggiothal zwischen Lamone und Agno, auf eine Reihe kleinerer Sümpfe im Mendrisiotto, sowie auf eine grössere Zahl kleiner sumpfiger Thalwiesen und Hängemoore im Alpenland. Einige seltene, in der N.-Schweiz entweder fehlende oder nur sporadisch auftretende Sumpfpflanzen des Tessin sind: Cyperus longus und C. serotinus, Thalictrum exaltatum, Fimbristylis annua, Oenanthe peucedanifolia, Holoschoenus vulgaris, Juncus tenagea etc. Sehr reich an seltenen Arten von oft sehr sporadischer Verbreitung ist endlich die Hydrophytenflora.
Wir verstehen darunter die beständig submers vegetierenden Arten, besonders stehender Gewässer, und die periodisch überschwemmten Schlamm- und Sanduferpflanzen der grossen Seen. Ganz hervorragend reich sind das N.-Ende des Langensees bei Locarno, die Bucht von Agno des Luganersees und der kleine Lago di Muzzano. Wir nennen: Vallisneria spiralis, Isoëtes echinospora, Callitriche autumnalis, die drei Elatine- Arten, Trapa natans in ihren verschiedenen, oft auf einzelne Wasserbecken lokalisierten Varietäten, Linderniapyxidaria, Schoenoplectus supinus, Juncus supinus, Heleocharis ovata, Montia rivularis und M. minor.
Im Tessin unterscheiden wir folgende Regionen:
1) Kulturregion oder kolline Region
von 200-1000 m, d. h. bis zur oberen Grenze der grossen Kastanienselven. Für diese Region sind von den natürlichen Formationen folgende bezeichnend: Eichenniederwaldungen, Buschwälder, in den Thalfurchen die Auenwälder. Vorwiegen der Fettmatten gegenüber den Magermatten, die besonders durch die Burstwiesen und als Begleiter des Kastanienwaldes durch den Schattenwiesentypus der Festuca ovina var. capillata und der Festuca heterophylla vertreten sind.
Auf steinig-buschigen Abhängen ist die Felsenflur mit ihrem starken Kontingent südalpin-montaner und mediterraner Einstrahlungen entwickelt. Die Sumpfwiesenflora ist zum grössten Teil, die Hydrophytenflora fast ausschliesslich auf diese Region beschränkt. Sehr oft wird die obere Grenze der Kulturregion durch eine Klus oder Thalstufe gebildet. Ganz besonders bezeichnend für die kolline Region ist intensive Bebauung des Bodens. Die Zahl der angebauten Kulturgewächse ist sehr gross. Es sind:
a) Der Weinstock. Die Art seiner Pflege als Liane an toten oder lebenden Stützen oder an Pergolas (Reblauben) und Guirlanden gibt der transalpinen Landschaft einen poetischen Gehalt (Christ). Der kleinblättrige Feldahorn wird meist an Stelle unserer Rebstickel verwendet. Diese Kulturarten ermöglichen im Rebberg im Schatten des Weinstockes den Anbau von Gartengewächsen; besonders Leguminosen, aber auch Mais und Gerste, gelegentlich selbst Hirse werden angepflanzt. Im Kanton Tessin wird fast nur Rotwein gebaut.
Der geringe Säuregehalt und der starke Erdgeschmack verraten den Einfluss des Südens. Im Grossen wird besonders die widerstandsfähige amerikanische Rebe (Vitis labrusca) angepflanzt. Am höchsten geht die Rebe bei Arvigo im bündnerischen Val Calanca, wo sie einzeln bis 850 m ansteigt, während jedoch eigentliche Rebberge nur etwa 750 m Höhe erreichen. Das Rebenareal ist in den letzten Dezennien stark zurückgegangen. 1876 war der Kanton Tessin mit 7488 ha Rebareal bei weitem das grösste Weinland der Schweiz, 1888 betrug das Rebareal des Kantons nur noch 6610 ha, 1897 nur noch 5643 ha und 1906 noch 5180 ha.
b) Die weisse Maulbeere (Morus alba) wurde längs den Flurwegen, aber auch in langen Reihen auf den Wiesen und Feldern angepflanzt. Zweige und Blätter liefern das Material für die Seidenraupenzucht. Die Bäume stehen immer weit auseinander. Das saftige Grün des glänzenden Laubes gibt der Kulturzone des Tessin einen geradezu üppigen Charakter. Höhengrenzen: Val Maggia bis Broglio 750 m, im Bleniothal zwischen Aquila und Olivone bei 840 m. Die Hauptkulturzentren des Maulbeerbaums sind der Mendrisiotto, die untern Teile des Val Colla und das Val Vedeggio, die Riviera von Bellinzona über
mehr
Locarno nach Brissago, sowie das Val Maggia unterhalb Cevio.
c) Der Mais (Zea mays) liefert die Nationalspeise des Tessiner Bauern (Polenta). Er gedeiht in den warmen Tessinerthälern in üppigster Fülle.
d) Zu diesen drei Hauptkulturpflanzen kommt dann noch eine grössere Zahl anderer, deren Anbau, obwohl z. T. weit verbreitet, doch keine so grossen Flächen in Anspruch nimmt. Es ist meist Obst- und Gemüsebau, der sich gewöhnlich auf die nähere Umgebung der Ortschaften beschränkt, so Pfirsichbäume, Kirschen, Tafelobst, Mandeln, Feigen. Im insubrischen Gebiet, besonders um Lugano, bei Gandria und bei Locarno, wird mehr als eine seltene Zierde, ein Kulturrelikt, denn als wirkliche Nutz- und Nährpflanze auch noch der Oelbaum (Olea europaea) vereinzelt angetroffen.
Noch in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ist die Kultur der Olive im südl. Tessin offenbar recht verbreitet gewesen. Fäsi sagt noch 1772, dass der Oelbaum um Lugano stark angebaut war, besonders auch zur Gewinnung von Zweigen für die kirchlichen Feste am Palmsonntag. Nach der Roggenernte wird öfters als zweite Frucht Buchweizen gehalten, aus dessen Körnern man eine schwarze Polenta zubereitet. Die Ernte erfolgt im Oktober. Seltener sind die uralten Kornpflanzen Hirse und Fennich geworden, wichtiger dagegen ist der Anbau des Tabak.
Zur Charakteristik der Kulturregion gehört endlich noch die Erwähnung der exotischen Pflanzenwelt, wie sie in den zahlreichen Gärten und Parkanlagen des südl. Tessin in so üppiger Fülle entwickelt ist. Ihre schönste Entfaltung erreicht sie allerdings erst ausserhalb der Landesgrenze; es sei nur an die Villa Carlotta in der Tremezzina (Comersee) und an die Borromäischen Inseln bei Pallanza erinnert. In diesen Parkanlagen und Gärten ist eine grosse Zahl subtropischer Gewächse beider Hemisphären vertreten, so das Mittelmeergebiet (Oleander, Pinie, Aleppokiefer, Zypresse), Japan (Kamelien, Goldlärche, Jezzokiefer, japanischer Flieder, Spindelbaum, Mispel etc.), Südchina und Indien (Cunninghamia, Kampherbaum, Theestrauch, Azaleen), der Himalaja (Pinus excelsa, Cupressus torulosa), Australien (Fieberbäume, mehrere Akazien), die Norfolkinsel (Araucaria excelsa), Kalifornien (Mammutbaum), die südl. Staaten der Union (Magnolien, virginische Sumpfzypresse oder Taxodium distichum), das mexikanische Hochland (Agave americana, Pinus religiosa), ja selbst Chile (Araucaria imbricata, und Jubaea spectabilis, die chilenische Kokospalme) fehlt nicht.
2) Die montane Region,
Laubwald- oder Bergregion, nach ihrem Charakterbaum wohl auch als Buchenregion bezeichnet, von etwa 1000-1500 m. Neben den Buchenwäldern ist diese Höhenzone durch Birkenwälder, sowie die Grauerlen- und Haselstrauchformation ausgezeichnet. Stellenweise spielen auch die Farnheiden eine bedeutende Rolle. Auf alten Bergsturzgebieten und auf den Schuttkegeln siedelt sich die Felsschuttflora an. Letzte Spuren des Getreidebaus; intensiver Wiesenbau, schwach gedüngt, besonders als Festuca rubra-fallax- oder Trisetum flavescens- Typus. Flora reich an südalpin-montanen Elementen.
3) Die subalpine Region.
Koniferen- oder Nadelwaldgürtel; reicht von der Buchengrenze bis zur mittleren Baumgrenze, d. h. rund 1500-2000 m. Diese Region zerfällt in zwei Unterabteilungen: a) Subregion der Fichte von 1500-1750 m und b) Subregion der Lärche von 1750-2000 m. Fettmatten zurücktretend, verbreitet das Agrostetum; Magermatten häufiger, besonders das Brachypodietum. An feuchtwaldigen Stellen und in Schluchten finden sich oft mehr oder weniger ausgedehnte Hochstaudenfluren. In Lawinenzügen gedeihen Alpenerlen und Alpenrosen. Die subalpine Region fällt schon beinahe vollständig auf den N.-Abschnitt des Kantons und ist südl. Bellinzona nur noch im Gebiet des Camoghè vertreten. Auftreten der Arve in vier kleinen Inseln. Die Flora ist arm und erscheint als eine Mengung subalpiner, montaner und alpiner Pflanzen, die meist Arten von weiter Verbreitung angehören. Hauptnutzung: Holzwirtschaft; Uebergangsgebiet vom Wiesenbau zur Alpwirtschaft.
4) Die alpine Region
umfasst alle Gebiete über 2000 m. Letzte spärliche Reste des Pionierwaldes (Lärche, Arve). Holzwuchs sonst nur noch durch Alpenerlen und Alpenrosengestrüpp, in den höchsten Lagen durch die Zwergstrauchheide vertreten. Hauptformation: Weide vom Typus der Borstgras- oder Nardus weide. Auf besseren Böden: Milchkrautweide und Alpenkleematten; an steilen Hängen Wildheuplanggen, bald als Horstseggenrasen, bald als Krummseggenrasen ausgebildet.
Die alpine Region lässt sich einteilen in a) die eigentliche Alpenregion, zwischen Baumgrenze und Schneegrenze, mit seltenen ost- und westalpinen Einstrahlungen; b) die nivale Subregion, oberhalb der
Landwirtschaft und Bodenerzeugnisse des Kantons Tessin
Lief. 246.
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Verlag von Gebrüder Attinger, Neuenburg.
^[Karte: 6° 30’ O; 46° 20’ N; 1:400000]
Stück Rindvieh auf 100 Einw.
░ 15-20
▒ 30-35
▓ 50-60
▐ 60-80
░ Weinbau
▒ Ackerland
▓ Bergackerland
▐ Wald
░ Weide
▒ Unproduktiver Boden
▴ 50 Pferde
● 200 Rinder
❙ 100 Schweine
v 100 Ziegen
⥾ 100 Schafe
^ 100 Bienenst.
× Tabak
⤧ Steinbruch
Mce. Borel & Cie. Neuchâtel.
Attinger, sc.
LANDWIRTSCHAFT UND BODENERZEUGNISSE DES KANTONS TESSIN
mehr
Schneegrenze, mit geringer Artenzahl, meist Felspflanzen. Die Vegetation ist hier nur noch ausnahmsweise geschlossen, meist aber sehr offen. Schneethälchenflora. Grat- und Gipfelpflanzen, viele polsterbildende Arten.
Herkunft der Flora des Tessin.
Der Grundstock (etwa 85%) der Tessinerflora wird von baltisch-silvestren oder alpinen Elementen gebildet, d. h. der Kanton Tessin ist trotz seiner Lage südl. der Alpen doch noch dem grossen nordischen Florenreich zuzuzählen, das sich vom Atlantischen Ozean durch Mittel- und Nordeuropa und das ganze nördl. Asien bis zum Stillen Ozean erstreckt. Pflanzengeographisch ist die Flora des Tessin gegenüber der übrigen Schweizerflora durch eine grössere Zahl (etwa 12%) südalpin-montaner Arten und mediterraner Hygro- und Tropophyten ausgezeichnet, während mediterrane Xerophyten, spezifisch ost- oder westalpine Elemente und Neophyten nur eine sehr untergeordnete Rolle (etwa 3%) spielen. Da die Pflanzenwelt der Poebene wieder ganz mitteleuropäischen Charakter trägt, indem die südl. Bestandteile der Tessinerflora fehlen, so liegt der Gedanke nahe, wenigstens den insubrischen Tessin als eine Exklave des mediterranen Florenreiches und die Flora selbst als eine Reliktenflora zu erklären.
Dies trifft jedoch nicht zu. Die Pflanzen der Tessinerflora ziehen sich fast ohne Unterbrechung längs dem S.-Fuss der ganzen Alpen hin. Viele von uns oft als Tessinerpflanzen angesprochene Arten sind bis ins Friaul und längs der Dinara bis in die Herzegowina zu verfolgen, wie auch nach W. wenigstens für einzelne Arten, der Anschluss an das mediterrane Florengebiet erwiesen ist. Es ist die grossartige Spalierwirkung der Alpen, welche die Vegetation vor den kalten N.-Winden schützt, ferner die gewaltige Insolation, das Seeklima und die reichlichen Niederschläge, die hier zusammen für die Pflanzenwelt ausserordentlich günstige Lebensbedingungen schaffen.
Die Flora zeigt daher eine Ueppigkeit, wie sie im Mittelmeergebiet nur selten, unter ausnahmsweisen und fast immer nur lokalen Bedingungen angetroffen wird. Biologisch ist somit die Flora des Kantons Tessin eine Mesothermophyten- und nicht eine Xerophytenflora. Xerophyten spielen nur eine ganz untergeordnete Rolle. Nur da, wo edaphische Verhältnisse ihre Ansiedelung begünstigen, vermögen sich Xerophytenkolonien zu halten. Ueber Spezialfloren vergl. die Art. Pizzo Camoghè, Monte Generoso, Bezirk Locarno, Valle Maggia, Lago di Muzzano, Val Piora, Monte San Giorgio, Monte San Salvatore und Sankt Gotthard unseres Lexikons.
Eine besonders reiche Lokalflora besitzt die Umgebung von Gandria östl. Lugano. Der ausgleichende Einfluss des Seespiegels, die volle S.-Lage der sehr steilen Gehänge und die Kalksteinunterlage sind hier drei überaus günstige Faktoren zur Ansiedelung einer Thermophytenflora. Die Pflanzenwelt zwischen Gandria und Castagnola trägt daher auch einen südl. Anstrich, wie kaum eine zweite Lokalflora der Schweiz. Man findet da Buschwälder, welche hauptsächlich aus Ostrya italica, Quercus lanuginosa und Q. cerris, Fraxinus ornus, Cotinus coggygria, Celtis australis, Cornus mas, Prunus mahaleb und Cytisus laburnum (selbst der Lorbeer und Feigenbaum fehlen nicht) bestehen; ferner Felsfluren, die bald in offener, bald in geschlossener Formation auftreten; dazwischen zeigen sich auch noch einzelne Magerwiesen vom Typus der Burstwiese.
Die wichtigsten Vertreter dieser Florula sind: Rhamnus saxatilis, Fumana procumbens und Amelanchier vulgaris;
ferner Stupa pennata, Melica ciliata, Bromes erectus ssp. condensatus, Aceras anthropophora, Lilium croceum, Clematis recta, Erysimum helveticum, Ruta hortensis, Dictamnus albus, Campanula spicata, Phyteuma corniculatum, Chrysanthemum corymbosum, Lactuca perenni etc., sowie an feuchten Felsen in einer Bachschlucht Pteris cretica.
Auf nahezu unzugänglichen Stellen der Felsen an der Rocca di Gandria ist Agave americana völlig eingebürgert und längs dem Seeweg finden sich hin sind wieder einzelne Oelbäume als letzte Reste einer früher auch hier intensiver betriebenen Kultur. Oberhalb Castagnola befinden sich über dem hier terrassierten Kulturgelände kleinere Kastanienselven mit folgender Begleitflora: Festuca ovina var. capillata, Ophrys apifera, Ornithogalum pyrenaicum, Lathyrus montanus var. linifolius und L. vernus var. gracilis, Vicia Gerardi und V. tenuifolia, an Wegborden auch noch Vicia villosa;
Trifolium rubens, Genista, germanica, Aristolochia rotunda, Thesium bavarum, Euphrasia brevipila, Centaurea variegata var. axillaris etc.
Bibliographie.
Aus der bereits sehr umfangreichen Literatur über die Flora des Tessin seien hier nur einige Hauptarbeiten herausgehoben: Bettelini, A. La Flora legnosa del Sotto Ceneri. Zürich 1905. - Chenevard, P. Note sur la lacune tessinoise (im Boll. della Soc. Tic. di sc. nat. 1, 1901). - Christ, H. Das Pflanzenleben der Schweiz. 2. Aufl. Zürich 1882. - Franzoni, Alb. Le piante fanerogame della Svizzera insubrica. Zurigo 1890. - Freuler, B. Forstliche Vegetationsbilder aus dem südl. Tessin (in den Verhandl. der schweiz. naturf. Gesellsch. Locarno. 1903). - Keller, Rob. Vegetationsbilder aus dem Val Blegno (in den Mitt. der naturw. Gesellsch. in Winterthur. 4 und 5, 1903 und 1904). - Merz, F. Die forstlichen Verhältnisse des Kantons Tessin (in den Verhandl. der schweiz. naturf. Gesellsch. Locarno 1903). - Rikli, M. Zur Kenntnis der Pflanzenwelt des Kt. Tessin. (Berichte der zürch. botan. Gesellschaft. 10, 1907). - Schroeter, C., und M. Rikli. Botanische Exkursionen im Bedretto-, Formazza- und Boscothal (in den Verhandl. der schweiz. naturf. Gesellsch. Locarno 1903; auch separat Zürich 1903).
[Dr. M. Rikli.]
10. Land- und Forstwirtschaft.
Die enormen Höhenunterschiede der einzelnen Gebiete des Kantons Tessin von 200 m der Tessinebene bis hinauf nach den 2000-3000 m sich erhebenden Alpen bedingen auch gewaltige Unterschiede im Klima und in der Kultivierung des Bodens in den verschiedenen Landesgegenden. Während in den vier nördl. Hauptthälern (Maggia, Verzasca, Leventina und Blenio) die Wiesen und Alpen, sowie die Nadelholz- und Buchenwaldungen vorherrschen, treffen wir in der untern Region ausgedehnte Rebberge und Aecker, die mit Maulbeerbäumen für die Seidenzucht übersät sind, während die steilen Berghänge mit Buschwäldern von Kastanien, Hopfenbuchen, Akazien und andern südl. Holzarten bekleidet erschienen.
Abgesehen von dem immer zunehmenden Fremdenverkehr und einigen neuern Industrien, die durch die allmählige Nutzbarmachung der Wasserkräfte in hohem Masse gefördert werden, ist der Kanton Tessin industriearm. Seine Bevölkerung beschäftigt sich zu ⅔ mit Landwirtschaft. Trotz den Anstrengungen der Regierung und des über 3000 Mitglieder zählenden landwirtschaftlichen Vereins befindet sich die tessinische Landwirtschaft noch auf einer relativ niedrigen Stufe. Es mag dies der ausserordentlichen Zerstückelung des Grundeigentums, dann aber auch der überseeischen und periodischen Auswanderung zugeschrieben werden, welche namentlich die jungen Arbeitskräfte der Landwirtschaft entfremden. Die Güterzerstückelung ist namentlich in den Berggemeinden zu Hause, wo die einzelnen Familien 100-200, ja öfters 300 bis 400 Grundstücke besitzen. Dass
mehr
bei einer solchen Zerstückelung von Grund und Boden von einer rationellen Landwirtschaft keine Rede sein kann, versteht sich wohl von selbst. Die Zusammenlegung dieser kleinen, oft nur 4-10 m2 haltenden Parzellen stösst aber auf grosse Schwierigkeiten, ist doch das vorzügliche Gesetz betr. die Güterzusammenlegung bis Ende 1905 noch in keinem Falle zur Anwendung gekommen. Als grosser Fortschritt wäre es schon zu bezeichnen, wenn das Verbot respektiert würde, Grundstücke nicht mehr zu teilen, wenn die Parzellen nach erfolgter Teilung bereits weniger als 700 m2 Fläche erhalten haben. In der Tessinebene, sowie in den Bezirken Lugano und Mendrisio trifft man häufig noch grosse zusammenhängende Landkomplexe mit eigenen Oekonomiegebäuden, während sonst die landwirtschaftliche Bevölkerung nicht auf ihrem Gute, sondern vereint in Dörfern oder Weilern wohnt.
Schon seit einigen Jahren wird die Gründung einer landwirtschaftlichen Schule angestrebt; allein Sparsamkeitsrücksichten und die Befürchtung einer zu schwachen Frequenz liessen das Projekt bis jetzt noch nicht zur Verwirklichung kommen. Als Ersatz dafür wurde das Institut eines landwirtschaftlichen Wanderlehrers eingeführt, dem schon viele schöne Fortschritte zu verdanken sind, so dass in nächster Zeit eine landwirtschaftliche Schule entstehen dürfte.
Der wichtigste Zweig der Tessiner Landwirtschaft ist die Viehhaltung mit Futterbau und Alpwirtschaft. Im Jahr 1833 existierten nach Aufzeichnungen von Franscini 1500 und im Jahr 1859 nach Lavizzari 1045 Pferde. Laut den eidgenössischen Viehzählungen betrug die Anzahl der Pferde im Jahre 1866: 1067;
1876: 1222;
1886: 973;
1896: 1543;
1901: 1853;
1906: 2502. Man glaubte seiner Zeit, dass nach der Eröffnung der Gotthardbahn (1882) die Pferdezahl bedeutend abnehmen würde.
Diese Reduktion im Pferdebestand hielt aber nur kurze Zeit an, und in den letzten Jahren konstatiert man, wohl infolge des zunehmenden Fremdenverkehrs und der Einführung vieler Industrien, eine stetige Zunahme der Pferde. Pferdezucht wird hier nicht getrieben, dagegen werden noch häufig Maultiere als Kreuzungsprodukt von Esel und Pferd aufgezogen. Im Jahr 1901 existierten im Kanton Tessin 230 (1906: 231) Maultiere und 448 (1906: 409) Esel, deren Zahl seit 50 Jahren ziemlich konstant geblieben ist.
An Rindvieh sollen in den Jahren 1833 und 1859 52600 bezw. 33366 Stück existiert haben, während die erste eidgenössische Viehzählung vom Jahr 1866 deren 45020 Stück ergab, welche 1886 auf 50475 Stück stiegen und 1901 auf 42651, sowie 1906 auf 43654 zurückgingen. Im Sopra Ceneri und ganz speziell in der Leventina hat die Viehzucht in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht infolge Bildung von Viehzuchtgenossenschaften und alljährlichem Ankauf vorzüglichen Zuchtmaterials aus dem Kanton Schwyz. Demzufolge sind auch die Viehpreise beträchtlich gestiegen; während früher für ein Stück Vieh kaum mehr als 400 Fr. bezahlt wurden, ist jetzt ein Preis von 700-750 Fr. keine Seltenheit mehr. Der Wert des gesamten Rindviehbestandes wird auf etwa 11 Mill. Franken geschätzt.
Bund und Kanton werfen für Viehprämierungen jedes Jahr etwa 30000 Fr. aus; hievon kamen im Jahr 1906:
Fr. 18030 auf 129 Zuchtstiere,
Fr. 5960 auf 517 Kühe und Rinder,
Fr. 4790 auf 34 Viehzuchtgenossenschaften,
Fr. 1950 auf 33 Zuchteber.
Die obligatorische Viehversicherung gewinnt allmählig an Boden; es bestehen bereits 20 Viehversicherungsgenossenschaften mit 1200 Besitzern und 2800 Stück Vieh im Gesamtwert von rund 600000 Fr.
Auch der Schweinezucht scheint man immer mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Seit dem Jahr 1876 ist die Zahl der Schweine von 8793 auf 13241 gestiegen. Die Schafe haben dagegen bedeutend abgenommen: im Jahr 1866 existierten deren 25028 und 1906 deren nur noch 9503. Auch die Zahl der Ziegen, deren im Jahr 1866 63461 gehalten wurden, ist etwas zurückgegangen (1906: 53106); in einigen Gemeinden sind sie gänzlich abgeschafft worden, weil man die hirtenlose Ziegenweide, welche namentlich dem Obstbau und dem jungen Wald grossen Schaden zufügt, in mancher Gegend nicht mehr dulden will.
Die Bienenzucht findet immer mehr Freunde, obwohl ihr noch lange nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird; im Jahr 1876 existierten 3342 Bienenstöcke und 1901 deren 6656. In jüngster Zeit hat sich ein kleiner Verein zur Hebung der Bienenzucht gebildet, wie auch zur Verbesserung der Geflügelzucht ein rühriger Verein seit einigen Jahren besteht und recht schöne Erfolge aufzuweisen hat. Vor etwa 20 Jahren hat der kantonale landwirtschaftliche Verein die Genossenschaftskäsereien im Kanton Tessin eingeführt; es sind deren gegenwärtig etwa 50 im Betrieb, namentlich in der Leventina und im Sotto Ceneri.
Von den 265 Gemeinden des Kantons besitzen 145 Alpen, deren im Ganzen 465 existieren. Auf ihnen weiden 23000 Stück Gross- und 45000 Stück Kleinvieh. Der jährliche Ertrag an Käse und Butter beträgt rund 1200000 Fr.
Ein Hauptproduktionszweig ist auch der Weinbau mit einem jährlichen Ertrag von 1-1½ Mill. Franken, wovon bisher fast die Hälfte auf die amerikanische Rebe fiel. Immer mehr sucht man aber die amerikanische durch die einheimische Rebe zu ersetzen und die gegen die Phylloxera widerstandsfähigen Reben einzuführen, auf welche dann die einheimischen guten Qualitäten gepfropft werden.
Die Seidenraupenzucht hat heute nicht mehr die Bedeutung wie in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, in welchen der Jahresertrag an Kokons 1 Mill. Franken überstieg, während er in den letzten Jahren kaum mehr 200000 Fr. erreichte. Ursache dieses Rückganges ist das Sinken der Kokonspreise, sowie die jetzt allgemein verbreitete Krankheit (Diaspis) der Maulbeerbäume.
Tabak wird nur im Sotto Ceneri angebaut mit einer Jahresproduktion von etwa 1200 Kilozentnern im Wert von 65000 Fr.
Die Waldungen haben einen Flächeninhalt von etwa 600 km2 und bedecken etwa ⅓ der produktiven Fläche von 1870 km2. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde in den Waldungen des Tessin übel gehaust, indem man es damals auf eine eigentliche Waldzerstörung abgesehen hatte. Statt die Zinsen des Kapitals, d. h. den jährlichen Holzzuwachs von etwa 200000 Festmeter zu nutzen, wurde das 2-3 fache Quantum geschlagen und alljährlich für 2-3 Mill. Franken Holz exportiert. Holzmangel und Ueberschwemmungen waren die Folgen dieses Raubsystems. Das im Jahr 1870 eingesetzte Forstinspektorat hatte einen schweren Stand, diesen Uebernutzungen so wie dem zügellosen
mehr
Weidgang von etwa 60000 Ziegen entgegenzutreten und die des Waldschmuckes entblössten Thäler wieder aufzuforsten.
In den letzten 15 Jahren wurden mit rund 12 Millionen Pflanzen 1500 ha kahle Flächen aufgeforstet und 45 Wildbäche und Rüfen mit über 60000 m3 Mauerwerk nebst vielen Flechtwerken und Entwässerungsgräben verbaut. Durch das Forstinspektorat wurden auch 24 gefährliche Lawinenzüge mittels Erstellung von über 54000 m3 Trockenmauerwerk und unzähligen Pfahlreihen unschädlich gemacht.
Diese Aufforstungen, Lawinen- und Wildbachverbauungen, welche etwa 1600000 Fr. gekostet haben, finden bei Behörden und Bevölkerung immer mehr Anerkennung; ihre Ausführung allerdings wäre nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige Unterstützung von Seite der Eidgenossenschaft und des Kantons.
Auch die land- und alpwirtschaftlichen Bodenverbesserungen finden hier immer mehr Eingang. So wurden in den 14 Jahren 1891-1904 ausgeführt:
Anzahl | Kosten Fr. | Bundesunterstützung Fr. | |
---|---|---|---|
Entwässerungen | 1 | 1414 | 492 |
Bewässerungen | 11 | 113781 | 27741 |
Urbarisierungen | 3 | 33812 | 6859 |
Alpsäuberungen | 17 | 58565 | 16704 |
Stallbauten auf den Alpen | 23 | 115554 | 25577 |
Wasserversorgungen | 20 | 76858 | 20638 |
Alpwege und Brücken | 38 | 200514 | 66933 |
Total | 113 | 600498 | 164944 |
Die Bundesssubvention betrug mithin durchschnittlich 27% der Kosten, die Unterstützung seitens des Kantons durchweg 20% oder im ganzen rund 120000 Fr.
An forstlichen und landwirtschaftlichen Bodenverbesserungen wurden mithin in den letzten 15 Jahren Arbeiten im Gesamtbetrag von 2200000 Fr. ausgeführt.
[Kantonsforstinspektor Merz.]
Ergebnisse der eidg. Viehzählung vom für den Kanton Tessin:
a) Pferde, Maultiere und Esel.
Bezirke | Pferde | Maultiere | Esel |
---|---|---|---|
1. Bellinzona | 323 | 63 | 21 |
2. Blenio | 72 | 2 | 56 |
3. Leventina | 113 | - | 8 |
4. Locarno | 419 | 27 | 46 |
5. Lugano | 920 | 37 | 170 |
6. Mendrisio | 463 | 101 | 97 |
7. Riviera | 106 | - | 6 |
8. Valle Maggia | 86 | 1 | 5 |
Kanton Tessin: | 2502 | 231 | 409 |
b) Rindvieh.
Bezirke | Kälber, Jungvieh und Rinder | Kühe | Zuchtstiere und Ochsen | Total |
---|---|---|---|---|
1. Bellinzona | 2968 | 2946 | 171 | 6085 |
2. Blenio | 2327 | 2113 | 196 | 4636 |
3. Leventina | 2678 | 2859 | 41 | 5578 |
4. Locarno | 3188 | 4450 | 75 | 7713 |
5. Lugano | 3323 | 5796 | 380 | 9499 |
6. Mendrisio | 1176 | 2158 | 959 | 4293 |
7. Riviera | 1022 | 1025 | 35 | 2082 |
8. Valle Maggia | 1911 | 1830 | 27 | 3768 |
Kanton Tessin: | 18593 | 23177 | 1884 | 43654 |
c) Kleinvieh.
Bezirke | Schweine | Schafe | Ziegen |
---|---|---|---|
1. Bellinzona | 2193 | 520 | 6646 |
2. Blenio | 1125 | 1094 | 5804 |
3. Leventina | 1135 | 1696 | 5888 |
4. Locarno | 1239 | 1472 | 13127 |
5. Lugano | 5073 | 1860 | 4615 |
6. Mendrisio | 972 | 871 | 1252 |
7. Riviera | 733 | 709 | 4551 |
8. Valle Maggia | 771 | 1281 | 11223 |
Kanton Tessin: | 13241 | 9503 | 53106 |
Es gab damals im Kanton Tessin: 1897 Besitzer von Tieren des Pferdegeschlechtes, 13592 Rindviehbesitzer und 11699 Kleinviehbesitzer.
[H. Brunner.]
11. Jagd und Fischerei.
Wie die Land- und Forstwirtschaft ist auch die Jagd je nach der Höhenlage eine ganz verschiedene. Die Hochwildjagd beschränkt sich auf Gemsen, Murmeltiere, Auer- und Birkhähne und Steinhühner. Nachdem aber die Eidgenossenschaft Vetterli- und Peabodygewehre zum Preise von 5 Fr. per Stück abgegeben, sind fast alle Alpen mit guten Schusswaffen versehen und ist der Wildstand, namentlich derjenige der Gemsen, in den meisten Thälern arg zurückgegangen, wenn nicht ganz vernichtet worden.
Seit vielen Jahren bestehen hier allerdings zwei Bannbezirke, um den Wildstand zu schützen und zu mehren. Da aber die Aufsicht in diesen ausgedehnten Bannbezirken eine sehr schwierige ist, werden sie häufig von Wildern abgesucht, so dass ihr Nutzeffekt in der Tat von ganz untergeordneter Bedeutung ist. In jüngster Zeit werden auch für die Niederjagd (Hasen, Rebhühner etc.) Schonreviere geschaffen, welche wegen der leichtern Aufsicht jedenfalls bedeutend bessere Resultate liefern werden.
Die früher namentlich im Sotto Ceneri gebräuchlichen und in Italien jetzt noch massenhaft bestehenden Vogelherde, Roccoli genannt, sind durch das eidg. Jagdgesetz verboten worden und schon seit Jahrzehnten im Tessin nicht mehr im Gebrauch. Trotzdem hat sich die Zahl der gefiederten Bewohner nicht vermehrt; man scheibt dies dem Mangel an Lockvögeln zu, wodurch die Zugvögel nicht mehr angehalten werden, sondern durchziehen, ohne sich hier aufzuhalten und zu nisten. Durch das massenhafte Abfangen der Zugvögel in den zahlreichen Netzen Italiens nimmt aber die Anzahl der Vögelchen immer mehr ab, und diejenigen, die sich hier niederlassen, finden in den vielen Jägern ihre Verfolger.
In keinem Kanton der Schweiz werden so viele Jagdpatente erlassen wie hier. Im Jahr 1905 wurden 2163 Patente zu 10 Fr. abgegeben; es traf daher einen patentierten Jäger auf je 65 Einwohner, die häufigen Wilderer nicht mitgerechnet, während es z. B. im Kanton Zürich einen Jäger auf je 1077, im Kanton Bern einen auf je 589 und im Kanton Waadt einen Jäger auf je 344 Einwohner trifft. Dass die Jagd im Kanton Tessin keine lohnende ist, braucht kaum betont zu werden; die grösste Zahl der Jäger betrachtet die Jagd als eine Erholung in freier Luft, verbunden mit dem Abschiessen einiger Vögelein welche, mit Polenta zubereitet, ein Lieblingsgericht der Südländer bedeutet. Um das Fangen von Vögeln mit verbotenen Fanggeräten einzuschränken, werden vom Bund und Kanton Prämien verabfolgt für die Zerstörung der Schlingen und anderer Geräte. Im Jahr 1905 wurden an die eidg. Zollwächter und die Landjäger für Zerstörung von 27901 verbotenen Fanggeräten Fr. 558 an Prämien ausbezahlt. Ueberdies wurden eine Anzahl Gemeinden gebüsst, auf deren Gebiet diese Geräte gefunden wurden.
Von weit grösserer Wichtigkeit als die Jagd ist die Fischerei, welche im Kanton Tessin mit seinen zahlreichen Bächen, Flüssen und Seen zu einem ganz bedeutenden Zweige des Nationaleinkommens erhoben werden könnte. Eigentliche Berufsfischer gab es bisher nur auf dem Luganer- und dem Langensee, aber auch hier war von rationeller Fischerei keine Rede. Sie wurde vielmehr als Raubwirtschaft betrieben, wobei sich die Fischer um die Erhaltung und Mehrung des Fischstandes nicht bekümmerten.
Während in den Gewässern des Kantons die Fischerei durch das eidgenössische bezw. kantonale Fischereigesetz geregelt wird, stehen die internationalen Gewässer wie die beiden Seen, die Tresa, Breggia etc. unter den Vorschriften einer italienischschweizerischen Konvention, welche in jüngster Zeit erneuert worden ist. In den Flüssen und Alpenseen beschränkt sich die Fischerei fast ausschliesslich auf die Forelle, welche jene Gewässer dank den ständigen Einsetzungen von etwa ½ Million kleiner Forellen per Jahr bevölkert.
Die Resultate dieser Einsetzungen können als sehr befriedigende bezeichnet werden, und hunderte von Angelfischern erhalten jetzt ihre Familien zum grössten Teil mit dem Ertrage der Fischerei. In den letzten Jahren waren etwa 15 Fischbrutanstalten im Betrieb, welche vom Bund und Kanton unterstützt werden. Neben den Forelleneiern werden in denselben jährlich etwa 300000 Blaufelcheneier ausgebrütet; die Felchen wie die Seeforellen werden im Luganer- und Langensee eingesetzt. Ausser der Forelle wird in den Flüssen auch die Aesche
mehr
und der Aal gefangen; letzterer ist aber in unsern Gewässern seltener geworden in Folge der Stauvorrichtungen am Ausfluss des Langensees unterhalb Arona, wodurch der Aufstieg der im Meere laichenden Fische verhindert wird. Die neue Fischereikonvention mit Italien sieht die Erstellung von Fischwegen vor, welche das Aufsteigen der Aale und Maifische (Cheppie) ermöglichen sollen.
Man schätzt den Ertrag der Fischerei in den Flüssen des Sopra Ceneri auf 20000 Fr. und in denjenigen des Sotto Ceneri auf 12000 Fr., während die Fischerei auf dem schweizerischen Gebiete des Langensees jährlich mindestens 50000 Fr. und auf demjenigen des Luganersees 185000 Fr. abwirft. Von besonderer Bedeutung für die Fischerei im Kanton Tessin sind:
Die Forelle, la trota (Salmo variabilis);
der Hecht, il luccio (Esox Lucius);
der Maifisch, l'agone (Alosa finta);
der Flussbarsch, il peste persico (Perca fluviatilis);
die Aesche, il temolo (Thymallus vulgaris);
die Schleihe, la tinca (Tinca vulgaris);
der Alet, il cavedano (Squalius cavedanus);
der Hasel, il vairone (Squalius Agassizi);
der Aal, l'anguilla (Anguilla vulgaris) die Karpfe, la carpa (Cyprinus carpi);
die Barbe, il barbo (Barbus fluviatilis);
der Schwal, il triotto (Leuciscus aula und L. pigus);
das Felchen, il coregono (Coregonus helvelicus);
das Laugeli, l'alborella (Alburnus alborella).
[Kantonsforstinspektor Merz].
12. Bevölkerung.
Im Kanton Tessin gehen zwei Arten von Volkszählungen nebeneinander: die die Wohnbevölkerung und die ortsanwesende Bevölkerung gebenden eidg. Volkszählungen und die kantonalen Zählungen, die sich auf die Bevölkerung hinsichtlich ihres Rechtsdomizils beziehen. Die aus diesem letztern Modus sich ergebenden Konflikte zwischen den beiden Prinzipien der Heimat und des Wohnortes sind durch das Kompromissgesetz vom (legge sull'anagrafi cantonale) gehoben worden.
Dieses schliesst von der Zählung aus: die Ausländer, die in andern Kantonen niedergelassenen Tessiner und die seit vier Jahren im Ausland lebenden oder dort den Sitz ihres Geschäftes habenden Tessiner. Infolge dieser Beschränkungen hat die kantonale Volkszählung von 1901 eine Gesamtbevölkerung von bloss 114181 Köpfen ergeben, wovon 111337 Tessiner und 2844 Schweizer aus andern Kantonen. Stimmberechtigte Bürger zählte man damals im ganzen 32802. Die eidg. Volkszählung von 1900 ergab eine Wohnbevölkerung von 138638 Köpfen, wovon 104843 Tessiner, 3338 übrige Schweizer und 30457 Ausländer. Während also der Kanton Tessin unter den schweizerischen Ständen hinsichtlich seiner Fläche im 5. Rang steht, nimmt er mit Bezug auf seine Einwohnerzahl die 8. Stelle ein.
Wie im Kanton Genf sind auch im Tessin die Ausländer ziemlich stark vertreten. Auf sie entfallen 220‰ (Genf 397‰), auf die Schweizer aus andern Kantonen 24‰ (Genf 274‰) und auf die Angehörigen des eigenen Kantons 756‰ (Genf 329‰) der Gesamtbevölkerung. Von den Ausländern entfallen volle 29285 auf Italiener, was sich durch die Grenzlage des Kantons gegen Italien leicht erklärt, 435 auf Reichsdeutsche, 487 auf Oesterreicher, 92 auf Franzosen und 54 auf Engländer. Die grosse Mehrzahl der Italiener gehört der Arbeiterklasse an und sitzt namentlich in den Bezirken Mendrisio (6404 Italiener auf 24292 Ew.), Lugano (9599 auf 45031), Locarno (4533 auf 24594), Bellinzona (4009 auf 17742) und Riviera (2057 auf 6021), während die Bezirke ohne industrielle Tätigkeit deren nur sehr wenige zählen. Die Riviera zieht die Italiener in erster Linie durch ihre grossen Steinbrüche an.
1888 zählte der Tessin 126751 Ew., wovon 106628 Bürger des Wohnkantons, 1840 Bürger andrer Kantone und 18283 Ausländer. Daraus geht hervor, dass die Bevölkerungszunahme von 11887 Köpfen hauptsächlich der Einwanderung zugeschrieben werden muss. Der Anzahl der im eigenen Kanton wohnenden Tessiner ist dagegen bis 1900 infolge der beständigen Auswanderung um 1785 Köpfe zurückgegangen. Die einzelnen eidg. Volkszählungen seit 1850 haben folgende Resultate ergehen:
Zählung | Ew. | wovon Ausländer |
---|---|---|
1850 | 117759 | 7807 |
1860 | 116343 | 6675 |
1870 | 121591 | 8683 |
1880 | 130394 | 20471 |
1888 | 126751 | 18283 |
1900 | 138638 | 30457 |
Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass die Bevölkerungsziffer ohne die Einwanderung fast stationär geblieben wäre. Zuwachs zeigt sich in der Tat hauptsächlich bloss in den städtischen Zentren (Lugano, Bellinzona, Locarno, Mendrisio mit Chiasso), die die Fremden anziehen. Allerdings ist zu beachten, dass zur Zeit der Zählung (1. Dezember) die im Winter periodisch auswandernden Kastanienbrater, Orangen- und Südfrüchtenhändler etc. aus dem Kanton abwesend und die periodischen Auswanderer der Sommerszeit (Erdarbeiter, Maurer, Gipser, Flachmaler, Steinhauer, Glaser, Kaminkehrer etc.) noch nicht alle heimgekehrt waren.
1905 verzeichnete der Kanton 4429 Geburten auf 143180 Ew., d. h. etwa 309 Geburten auf je 10000 Ew. (Mittel für die Schweiz: 284), sowie im ganzen 2930 Sterbefälle oder etwa 205 auf je 10000 Ew. Der Geburtenüberschuss hat in der Tat einer leichten Vermehrung der Einwohnerzahl gerufen, die ohne die Auswanderung noch schärfer markiert gewesen wäre. Mit Bezug auf Geschlecht, Muttersprache, Konfession und Zivilstand verteilt sich die Bevölkerung (nach der Zählung von 1900) wie folgt:
a) Geschlecht | Ew. | % |
---|---|---|
Männlich | 62907 | 45 |
Weiblich | 75731 | 55 |
b) Muttersprache | ||
Italienisch | 134774 | 97 |
Deutsch | 3180 | 2.2 |
Französisch | 403 | ↘ |
Romanisch | 107 | 0.8 |
Andre | 174 | ↗ |
c) Konfession | ||
Katholiken | 135828 | 98 |
Reformierte | 2209 | 1.6 |
Israeliten | 18 | 0.4 |
Andre | 583 | ↗ |
Die katholische Konfession ist durch die Kantonsverfassung von 1830 als Staatsreligion anerkannt. Die 2209 Reformierten sind fast ausschliesslich Schweizer aus andern Kantonen, denen sich in Biasca, Novaggio etc. auch noch einige wenige Tessiner selbst zugesellen.
d) Zivilstand | Ew. | % |
---|---|---|
Ledige | 84182 | 60 |
Verheiratete | 43948 | 32 |
Verwitwete | 10430 | 8 |
Geschiedene | 78 | ↗ |
In zusammen 25707 Häusern wohnen 33262 Haushaltungen. Auf eine Haushaltung entfallen durchschnittlich 4,17 Personen. Die Volksdichte beträgt 51 Ew. (auf 1 km2), womit der Tessin unter den 25 Schweizerkantonen an die 20. Stelle rückt.
mehr
13. Auswanderung.
Die Tessiner und im besondern die Bewohner der Bezirke Lugano, Locarno und Mendrisio sind schon seit Jahrhunderten mit grosser Vorliebe ausgewandert. Schon im 15., 16. und 17. Jahrhundert finden wir in allen Ländern Europas Tessiner Künstler, die sich als Maler, Bildhauer, Baumeister und Stukkateure rühmlichst ausgezeichnet haben. Als später die natürlichen Hilfsmittel des jeden industriellen Erwerbs entbehrenden Landes bei der stets zunehmenden Einwohnerzahl nicht mehr genügten, begannen die Männer ganz allgemein ihren Unterhalt ausserhalb der engern Heimat zu suchen.
Der Entwicklung von industrieller Tätigkeit im Tessin stellten sich der Alpenwall im N. und die hohen Zollschranken im S. hindernd in den Weg. So finden wir heute Tessiner Auswanderer in aller Welt: in Norditalien aus dem Sotto Ceneri stammende Arbeiter und Fabrikanten des Ziegelei- und Backsteingewerbes, in der Toscana eine Anzahl Maler aus der Gemeinde Ronco sopra Ascona, in Florenz und Rom Messerschmiede und Scherenschleifer aus Losone bei Locarno, in Livorno Lastträger und Kolonialwarenhändler aus der Landschaft Pedemonte am Eingang ins Val Onsernone;
im Piemont die Leute aus dem Onsernonethal, die sich mit Strohindustrie beschäftigen, welche bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts noch in ihrem heimischen Thal blühte, dann aber infolge der ausländischen Konkurrenz und der hohen Ausfuhrzölle nach Italien stark in Rückgang gekommen ist;
in den grössern Städten Italiens, Frankreichs (besonders Paris) und Englands (London) Kellner und Besitzer von Gastwirtschaften und Hotels aus Brissago, dem Bleniothal und der Leventina;
in Frankreich zahlreiche Glaser aus der Riviera;
in allen Kantonen der deutschen Schweiz Hausierer (Blechwaren, Brillen etc.) aus Gambarogno am linken Ufer des Langensees;
in allen Städten der Schweiz, Frankreichs und sogar Englands die Kastanienbrater aus dem Maggia- und dem Bleniothal. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lockten die Goldminen Australiens und Amerikas viele Tessiner aus allen Thalschaften, namentlich aber aus dem Maggia- und dem Verzascathal an.
Diese überseeische Auswanderung ist heute noch von Bedeutung und geht in erster Linie nach Kalifornien, wo sich die Tessiner meist der Viehzucht und Milchwirtschaft widmen. Die Auswanderer aus dem Sotto Ceneri wenden sich dagegen mit Vorliebe nach Südamerika, wo sie sich im Baugewerbe und im Handel lebhaft betätigen. Einige der bedeutendsten Handelshäuser von Buenos Aires, Rosario und Montevideo sind in den Händen von Tessiner Geschäftsherren. Mehrere Luganesen sind in Nordafrika zu grossem Reichtum gelangt.
Bürger der Gemeinden Ascona und Gambarogno leben in Paris und andern Städten Frankreichs als Ofensetzer und Kaminkehrer, in welcher Eigenschaft man während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Leute aus Cavergno und Bignasco (Maggiathal), sowie aus Brione sopra Minusio auch in Holland, Oesterreich und Ungarn antraf. Mehrere Tessiner Familien haben sich in diesen Ländern dauernd niedergelassen. Die Ausdehnung, die seit etwa 20 Jahren die periodische Auswanderung von Maurern, Gipsern, Steinhauern, Flachmalern, Zimmerleuten etc. in die übrigen Kantone der Schweiz genommen, erscheint für die volkswirtschaftliche, landwirtschaftliche und moralische Zukunft des Tessin beunruhigend.
Die ihre Familie im Frühjahr verlassenden Männer überlassen die Sorge um Haus, Vieh und Ackerland den Frauen, die infolge dieser Ueberlastung ihrer Arbeit nicht mit der nötigen Sorgfalt und Ausdauer nachzukommen vermögen. Daraus erklärt sich u. a. der Rückstand des Bauerngewerbes, der trotz aller von anderer Seite gemachten Anstrengungen und gebrachten Opfer zur Hebung von Viehzucht und Ackerbau sich nicht heben lassen will. Daher auch der Rückgang im Wert von Grund und Boden, wie er in gewissen Thalschaften des Kantons zu beobachten ist.
Die im Frühjahr weggezogenen Auswanderer kehren zwar im November wieder heim, betrachten dann aber vielfach den Winter als eine angenehme Ferienzeit, während welcher sie jeder ernsthaften Arbeit aus dem Wege gehen und im Wirtshaus oft die ganzen Ersparnisse des Sommers mit Spiel und Trunk verprassen. Man muss dringend wünschen, dass die Gotthardbahn und die allmählig sich entwickelnden Industrien dieser kräftigen Jungmannschaft lohnende Arbeit im heimatlichen Kanton selbst zu verschaffen imstande sein werden. Im Verschwinden begriffen ist eine ganz eigene Art von winterlicher Auswanderung: zahlreiche Kinder im Alter von 7-14 Jahren aus dem Verzascathal und Centovalli pflegten einst im November ihre Dörfer und Weiler zu verlassen, um im Piemont und in der Lombardei als Kaminkehrer ein recht mageres Brot zu verdienen. Dieser offene Schaden ist nun aber dank einer strengen Aufsicht von Seiten der Schulbehörden nahezu vollständig verschwunden.
Der Ausgewanderte zeigt sich stets seinem Heimatkanton sehr anhänglich und pflegt mit seinen Ersparnissen so rasch als möglich wieder in sein heimatliches Dorf zurückzukehren. Auch fern der Heimat nimmt er am öffentlichen und politischen Leben, sowie am wirtschaftlichen Wohl des Tessin lebhaftesten Anteil. So sehen wir in Paris, Mailand, London, New York, Washington, Buenos Aires und anderswo Vereine bestehen, deren Zweck es ist, bei ihren Mitgliedern die Anhänglichkeit an das Vaterland wach zu erhalten und in Not geratenen Mitbürgern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Man schätzt die Zahl der periodisch auswandernden Tessiner auf jährlich 13000 und diejenige der überseeischen Auswanderer auf über 500 Köpfe. Ihre Uebersiedelung vermitteln 10 Auswanderungsagenturen, von den 6 ihren Sitz in Chiasso, 2 in Locarno und je eine in Giubiasco und Bodio haben. Die Zahl der überseeisch auswandernden Männer ist doppelt so gross als diejenige der Frauen.
14. Tracht.
Die malerischen Volkstrachten der verschiedenen Thalschaften sind leider auf den Aussterbeetat gesetzt. Doch sieht man im Maggia- und besonders im Verzascathal noch oft Frauen mit kurzem, enggefälteltem dunkelfarbigen Wollen- oder Baumwollenrock, farbiger hoher und über der Brust gebundener Schürze, sowie einem vorn offenen Mieder, das das weisse Hemd aus grober Leinwand frei lässt. Um den Kopf wird fast immer ein buntfarbiges Wollentuch geschlungen. Ferner tragen die Frauen lange und bis zu den Schuhen herunterreichende Wadenstrümpfe (ohne Fussstück), die sie gewöhnlich aus Stoffresten selbst verfertigen.
Einige Männer bedienen sich noch der Kniehosen. Der immer seltener werdende Kopfschmuck der Frauen im Mendrisiotto erinnert an denjenigen der Bewohnerinnen der Brianza in der Lombardei und besteht aus einer Art Halbkreis von ins Haar gesteckten silbernen Pfeilen. Die Landleute und zahlreiche in den Städten ansässige Arbeiterinnen tragen das ganze Jahr hindurch als Schuhwerk sog. «zoccoli», die aus einer dem Fuss genau angepassten Sohle aus Pappel-, Erlen- oder Weidenholz bestehen und vorn mit einem Lederstreifen geschlossen sind. Die Mädchen des Sotto Ceneri legen Wert darauf, dass der Lederstreifen beiderseits abgeschnitten und durch buntfarbige Bänder verknüpft ist, was ihrem Gang und zierlichem Tanz eine ganz besondere Anmut und Eleganz verleiht.
[G. Mariani.]
15. Industrie.
Der Tessin gehört nicht zu den eigentlichen Industriekantonen der Schweiz. Ein mächtiges