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Thal- als eine Bergstrasse, die mit einer Steigung von nur etwa 200 m durch ein altes, abgestorbenes Thal des Rhein zwischen Falknis und Fläscherberg von Maienfeld nach dem Fürstentum Liechtenstein führt und in wohl nicht mehr ferner Zeit durch eine Sekundärbahn ergänzt werden wird. Die schweizerische Landesgrenze ist hier von der Passhöhe nach N. bis ganz nahe an das liechtensteinische Balzers verschoben. Das Schlappinerjoch (2200 m) am O.-Ende des Rätikon war früher (bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts) ein ziemlich befahrener Saumpfad, über den unter anderm auch die Weinfuhren ans dem Veltlin ins Montafun gingen.
Auch Kriegszüge haben gelegentlich den Pass benützt. So fielen über ihn im Oktober 1621 die Oesterreicher unter Brion ins Prätigau ein. Die über den eigentlichen Hauptkamm des Rätikon führenden Pässe lassen sich in drei Gruppen bringen, die man als St. Antönier-, Schierser- und Seewiserpässe bezeichnen kann. Die St. Antönierpässe sind: das St. Antönierjoch (2375 m) von St. Antönien östl. hinüberführend nach Gargellen; der Plasseckenpass (2345 m) und der Grubenpass (2235, resp. 2222 m), jener an der O.-Seite, dieser an der W.-Seite der Scheienfluh vorbeiführend von St. Antönien ins Gampadelzthal und nach Schruns; der Grubenpass (Variante 2222 m) speziell ist der vielbenutzte Uebergang von Partnun (Pension Sulzfluh) nach der Tilisunahütte.
Die Schierserpässe sind das Drusenthor oder die Sporrenfurka (2400 und 2350 m) zwischen Sulzfluh und Drusenfluh, Uebergang von Schiers-Schuders ins Gauerthal (Lindauerhütte) und nach Schruns; das Schweizerthor (2151 m) zwischen Drusenfluh und Kirchlispitzen, niedrigster, aber interessantester Pass des Rätikon, Uebergang ins Rellsthal und in Verbindung mit dem Nerrajöchl und der Garschinafurka oft als Uebergang vom Lünersee nach Partnun benutzt; das Cavelljoch (2238 m) zwischen Kirchlispitzen und Scesaplana, Uebergang von Schiers-Schuders nach dem Lünersee und Brand-Bludenz.
Seewiserpässe: das Lünereck (2299 m) ebenfalls zwischen Kirchlispitzen und Scesaplana (speziell Kanzelkopf) von Seewis durch die Valser Alp und hart am Cavelljoch vorbei zum Lünersee;
die Kleine Furka (2238 m) und Grosse Furka (2367 m), erstere zwischen Scesaplana und Hornspitze, letztere zwischen Hornspitze und Tschingel, beide von Seewis über die Alp Fasons zum Nenzinger Himmel (Gamperdonathal) und nach Nenzing;
der Pass Auf den Platten oder Barthümeljoch (2328 m) westl. vom Tschingel, von Seewis über die Alp Stürvis wiederum ins Gamperdonathal;
endlich das Jes Fürkli (2352 m) zwischen Naafkopf und Hinter Grauspitz von Seewis über Stürvis ins Saminathal und von da nach Frastenz-Feldkirch oder Vaduz-Triesen.
Ausser diesen Touristenpässen gibt es noch manche Jäger-, Hirten- und Schmugglerpfade.
Aber nicht nur landschaftlich und touristisch, sondern auch geologisch gehört der Rätikon zu den interessantesten Gebirgen der Schweiz. Es finden sich da ganz merkwürdige und eigenartige Verhältnisse, deren Studium den Fleiss und Scharfsinn zahlreicher Geologen herausgefordert hat und jetzt noch nicht abgeschlossen ist. Es hält immer noch schwer, sich aus dem Gewirr von Ansichten und Theorien ein einigermassen befriedigendes Bild von dem Gesteinsmaterial, der Stratigraphie und Tektonik dieses Gebirges zu machen.
Die Geologische Karte der Schweiz von Heim und Schmidt lässt uns im Rätikon drei grössere geologische Provinzen erkennen: eine Trias-, eine Jura-Kreide- und eine Bündnerschieferprovinz. Das Triasgebiet umfasst im ganzen die nördl. Seitenketten, erreicht aber in der Scesaplana auch den Hauptkamm. Am N.- und W.-Rand ist es von einem schmalen Flyschstreifen umschlossen. Das Jura-Kreidegebiet umfasst im ganzen den Hauptkamm vom Falknis bis zur Sulzfluh, jedoch ohne die Scesaplana. Im Gebiet des Falknis ist es ziemlich breit, verschmälert sich aber nach O. immer mehr, bis es südl. vor der Scesaplana auf einen ganz schmalen Streifen eingeschränkt ist, um dann in Kirchlispitzen, Drusenfluh und Sulzfluh wieder breiter (doch nicht mehr so breit wie im Falknis) zu werden.
Mit dem Osträtikon biegt diese Jura-Kreidezone nach S. um und bildet die Scheienfluh, Rätschenfluh und einige dazwischenliegende kleinere Gipfel und Bänder vor dem krystallinen Hauptkamm dieses Osträtikon. Die Bündnerschiefer-, bezw. Flyschprovinz endlich umfasst die südl. Seitenketten des Westrätikon und reicht auch bis in den Osträtikon hinein, abgesehen davon, dass dieser Bündnerschiefer-Flysch sich jenseits der Landquart noch weit durch das nördl. Graubünden fortsetzt. Der Hauptkamm des Osträtikon besteht aus vom Silvrettamassiv herübergeschobenen
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krystallinen Gesteinen (Gneis, Glimmerschiefer, Hornblendeschiefer etc.). Wir können dieses Gebiet als eine vierte geologische Provinz bezeichnen, die jedoch kleinern Anteil am Rätikon hat und nur nördl. der Sulzfluh etwas weiter nach W. vordringt. Einige kleinere Vorkommnisse von Gneis und ophiolithischen Gesteinen (Serpentin etc.) in der Nachbarschaft der Sulz- und Drusenfluh fallen für das Gesamtbild wenig in Betracht. Das Hauptinteresse wendet sich dem Jura-Kreidezug zu. Nach den neusten Untersuchungen von Th. Lorenz beteiligen sich an diesem folgende Gesteine: 1. Tertiär-Flysch: verschiedenfarbige (braune, gelbe, schwarze und grüne) Mergelschiefer, glimmerige, quarzitische graue Kalke in Bänken und Schiefern, eisenschüssige Sandsteine, bezw. Quarzite, und polygene Breccien.
Dabei lassen sich drei Faziesausbildungen erkennen, eine sandige, eine mergelige und eine kalkige mit Uebergängen von der einen in die andere. Das Alter dieser Prätigauer Bündnerschiefer ist sicher eogen, vermutlich genauer oligocän. Im Prätigau von grosser Ausbreitung, hängt er nur durch einen schmalen Streifen mit dem Flysch des Liechtensteinischen zusammen. Er bildet die südl. Vorberge des Rätikon und bricht am Hauptkamm ab (etwa längs der Linie Gleckkamm, Sanalada, Wurmhalde, Lünereck, Garschinafurka).
Doch geht ein schmaler Streifen davon vom Lünereck hinter Kirchlispitzen, Drusenfluh und Sulzfluh durch, so dass diese drei Berge im N. und S. von Flysch umschlossen sind und nach Art der Klippen in den nordschweizerischen Alpen (Kant. Schwyz etc.) darin zu schwimmen scheinen. 2. Obere Kreide: ein vorläufig nicht weiter zu gliedernder Schichtenkomplex aus vorwiegend dichten, mehr oder weniger dünnschieferigen Kalken von hellgrauer Grundfarbe mit grünen und roten Partien und darum auch als «Couches rouges» bezeichnet.
Das massenhafte Auftreten an Protozoen ist für dieselben charakteristisch. Eine zweite Form der obern Kreide im Rätikon bilden die sog. Seewenschichten, wie solche auch vom N.-Rand der Schweizeralpen bekannt sind. Die Couches rouges gehören jedoch nicht wie die Seewenschichten der helvetischen Fazies, aber auch nicht der ostalpinen Fazies, sondern einer Zwischen- oder Mischform an, die Lorenz die vindelizische Fazies nennt. 3. Untere Kreide, ein in petrographischer Beziehung echter Flysch, bestehend aus braunen eisenschüssigen Sandsteinen, bezw. sandigen Kalken, grauen Kalken in Bänken mit braunen Hornsteinlagen, glaukonitischen Quarziten, braunen, schwarzen und grünen algenreichen Mergel-Kalkschiefern und feinbrockigen Breccien.
Bei flüchtiger Betrachtung ist diese Gesteinsserie leicht mit oligozänem Flysch und liasischem Algäuschiefer zu verwechseln. Das beste Erkennungsmittel des Kreide-Flysch sind die darin vorkommenden polygenen Breccien, die von Lorenz nach einer Hauptstelle ihres Vorkommens (dem «Tristel» in der Alp Jes) Tristelbreccie genannt und ihrem Alter nach mit Sicherheit als Urgon-Apt bezeichnet worden sind. In der untern Kreide finden sich auch einzelne Intrusionslager von Diabasporphyrit. 4. Jura und zwar fast ausschliesslich als Malm in ziemlich grosser Verbreitung.
Lias fehlt vielleicht ganz oder hat jedenfalls nur geringe Bedeutung. Der Malm tritt in verschiedenen Ausbildungsweisen oder Fazies auf. Die verbreitetsten davon sind: a) Ein dunkelgrauer Kalk mit Hornsteinbändern. Er gleicht dem Hochgebirgskalk der Schweizeralpen, unterscheidet sich aber durch häufige schwarze und braune Hornsteinlagen doch von der helvetischen Fazies. Durch Aufnahme von Sand und Grus krystalliner Gesteine und anderer fremder Gesteinsbrocken entsteht aus diesem grauen Kalk die sog. Falknisbreccie, die durch Fossileinschlüsse als dem Tithonalter angehörend erscheint.
Diese grauen Kalke samt der Falknisbreccie reichen vom Falknis bis auf die S.-Seite der Kirchlispitzen. b) Eine landschaftlich sehr hervortretende Fazies ist ein dichter, hellleuchtender, grauer dolomitischer Kalk. Aus ihm sind vor allem die Kirchlispitzen, die Drusen- und die Sulzfluh und im Osträtikon Scheienfluh und Rätschenfluh zusammengesetzt. Er gehört ebenfalls dem Tithon an. Von untergeordneter Bedeutung sind die bunten Radiolarienhornsteine an der N.- und S.-Seite der Kirchlispitzen, ein roter brecciöser Kalk-Mergelschiefer am Nerrajöchl und ein Châtelkalk am Tussberg in Liechtenstein. 5. Trias findet sich im Hauptkamm des Rätikon in grosser zusammenhängender Masse nur vom Hornspitz über die Scesaplana bis zum Kanzelkopf am Lünereck. Es ist ein vorgeschobener Posten der Trias des Nordrätikon und besteht grösstenteils aus Hauptdolomit, am Gipfel der Scesaplana auch aus Kössenerschiefer.
Diese gesamte Gesteinsfolge zeigt gewisse Eigentümlichkeiten, die weder in der helvetischen, noch in der ostalpinen Fazies wiederkehren, so dass der Hauptkamm des Rätikon keiner dieser Fazies rein angehört, wohl aber Anklänge an beide zeigt. Der oligozäne Flysch z. B. ist beiden Faziesgebieten gemeinsam, während umgekehrt die Couches rouges der obern Kreide beiden fehlen, aber ein hervorstechendes Merkmal der schweizerischen Klippenregion sind und von Lorenz als selbständige «vindelizische» Fazies aufgefasst werden.
Die Ausbildung der untern Kreide im Rätikon ist völlig neu und hat ausgesprochenen Flyschcharakter. Der hellleuchtende, zum Teil oolithische Kalk der Kirchlispitzen, Drusenfluh, Sulzfluh etc. stimmt ganz mit dem Mythenkalk unterhalb der Rotspitze überein. Die bunten Radiolarienhornsteine des Rätikon sind sowohl aus der ostalpinen als aus der vindelizischen Fazies bekannt. Es ergibt sich also, dass im Hauptkamm des Rätikon eine Mischfazies auftritt, die zwischen der helvetischen und ostalpinen vermittelt und die grösste Aehnlichkeit mit der vindelizischen Fazies der Klippen am N.-Rand der Alpen hat. Diese Fazieszone zieht sich vom Rätikon durch die Strelakette bis ins Oberhalbstein um das Flyschgebiet des Prätigau und Schanfigg im Bogen herum. Der Fläscherberg gehört noch ganz der helvetischen, der nördl. Rätikon (nördl. Seitenketten und Scesaplana) der ostalpinen Fazies an.
Die Tektonik des Rätikon, insbesondere von dessen Hauptkamm, ist von einer Grossartigkeit, wie sie in den Alpen nicht leicht ihresgleichen findet. Sie zeigt die Struktur gewaltiger Ueberschiebungen von kontinuierlicher Faltung bis zur Schuppenbildung, die ihrerseits
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durch Erosion und Denudation zur Klippenbildung geführt hat. Th. Lorenz gab davon noch 1902 ungefähr folgende Erklärung: Vom Falknis bis zur Sulzfluh sind die Kalkberge von N. resp. NO. her überschoben. Ohne Unterbrechung biegt die Kette an der Scheienfluh nach S. um, nimmt ungefähr bei Klosters sw. Richtung an und streicht dann über die Strelakette bis Parpan-Churwalden fort, um so einen allerdings etwas unregelmässigen Bogen von etwa 180° zu beschreiben. Einen ähnlichen Bogen bildet die Glarner Doppelfalte, die man nach Lorenz ebenso gut als Glarner Bogenfalte bezeichnen kann, da sie von der Wiggis-Churfirsten-Alvierkette über den Fläscherberg zum Calanda und Ringelspitz streicht.
Die gemeinsame Ursache für die Bildung dieser zwei konzentrischen Bogenfalten, resp. Ueberschiebungen dürfte wohl im Einbruch der krystallinen Brücke zwischen Aarmassiv und Silvrettamassiv zu suchen sein. Dabei gehört aber die Glarner Bogenfalte der helvetischen Fazies, die Rätische Bogenfalte der vindelizischen und der ostalpinen Fazies an. Da im Rätikon die Ueberschiebung von NO. kam, so streichen die Schichten im allgemeinen nach SO. In diesem Verlauf zeigen sich aber gewisse Störungen. Am Tristel (NO.-Seite von Jes) und am Tschingel z. B. biegen die SO. streichenden Schichten scharf zu NO. streichenden Synklinalen um, der geradlinige Verlauf der Schichten ist öfters gestört, die Streichrichtung der Transversalschieferung verläuft senkrecht zur Schichtung.
Diese Erscheinungen sind Folgen einer zweiten Faltung, deren Streichrichtung eine nordöstl. ist und die mit der Hauptalpenfaltung zusammenfällt. Die Rätische Bogenfaltung ist die frühere und stärkere, ihr Einfluss auf die Physiognomie des Gebirges von fundamentalerer Wirkung als die spätere Hauptalpenfaltung. Ein Blick auf die topographische Karte zeigt, dass die Hauptkämme das Streichen der Rätischen Bogenfaltung aufweisen. Auch die Thälchen von Radaufis, Jes und der Barthümelalp folgen dieser Richtung. Im westl. Teil des Gebirges, vom Falknis bis zum Tschingel, zeigt sich die rätische Schubmasse in Form dreier regelmässig gefalteter Schuppen, im östl. Teil, Kirchlispitzen bis Sulzfluh, ist sie in Klippen aufgelöst.
Diese sind Ueberdeckungsschollen, die dem oligozänen Flysch auflagern und in deren Gebiet eine chaotische Schichtenfolge herrscht. Neuerdings wird aber die Theorie der Bogenfalten zu gunsten von Lugeon's «Ueberfaltungsdecken» wieder aufgegeben (auch von Lorenz selber). Neben den Glarner Ueberfaltungsdecken spricht man auch von einer Falknis- und einer Rätikondecke, die wie jene von Süd nach Nord überschoben sind, aber viel weiter südlich wurzeln und aus Gesteinen ostalpiner Fazies in durch den Gebirgsdruck meist sehr reduzierter und veränderter Form bestehen.
Sie stehen zum Bündnerschiefer in derselben Beziehung wie die Glarnerfalten zum tertiären Flysch, d. h. diese Schiefermassen sind gleichsam das Füll- und Schmiermittel, in und auf welchem sich die Decken bewegten. Die Triasdecke des Rätikon ist die gewaltigste aller alpinen Ueberfaltungsdecken. Sie zieht sich vermutlich durch die ganze Länge der Alpen und ist gegen 100 km breit. In Graubünden legt sie sich fast überall auf den Bündnerschiefer oder auf die zerrissenen Rudimente und basischen Eruptivgesteinsbrocken der Falknisdecke, östl. des Rhein dagegen auf die hier abgesunkenen Glarnerdecken. (Heim, Arnold. Zur Kenntnis der Glarner Ueberfaltungsdecken. Berlin 1905).
II. Als Plessurgruppe
bezeichnet man das Gebirge, das vom Prätigau, dem Wolfgangpass (Klosters-Davos), Landwasser- oder Davoserthal, untern Albulathal, Domleschg und Churer Rheinthal (Reichenau-Landquart) eingeschlossen ist. Es zerfällt durch die Tiefenlinien Plessurthal-Strelapass und Churwalden-Lenzerheide, die hinter Chur rechtwinklig aufeinanderstossen, in drei natürliche Gruppen:
1) die Hochwangkette einschliesslich dem kleinen Totalp-Casannagebiet zwischen Schanfigg und Prätigau;
2) die Stätzerhornkette zwischen Churwalden-Lenzerheide und Domleschg;
3) das zentrale Plessurgebirge, alles übrige umfassend in dem Dreieck zwischen Schanfigg-Strela, Landwasser-Albula und Lenzerheide-Churwaldenthal. Die beiden ersten Gruppen sind, abgesehen von dem kleinen Totalp-Casannagebiet, geologisch und orographisch wenig gegliedert und zeigen die sanft geneigten, gerundeten Formen des Flysch, ähnlich den südl. Vorbergen des Rätikon. Im zentralen Plessurgebirge dagegen finden wir die grösste Mannigfaltigkeit der geologischen Verhältnisse (in Gesteinsmaterial und Tektonik) und der äussern Formen. Es herrschen da die jäh und steil aufragenden, kahlen, zerrissenen Wände des Kalk- und Dolomitgebirges oder die zwar ruhigern, aber imposanten Formen krystalliner Massen.
Die Hochwangkette im engern Sinn reicht östl. nur bis ans Fondeithal und den Duranna-, resp. Casannapass (2124 und etwa 2240 m), welch' letztere Langwies im Schanfigg mit Konters, resp. mit Serneus oder Klosters im Prätigau verbinden. Das Stammstück dieses Gebirges vom Hochwang (2535 m) bis zum Mattlishorn (2464 m), zwei ausgezeichneten Aussichtspunkten, ist nur etwa 8 km lang. Es fällt mit steilen, terrassierten und von zahlreichen engen Tobeln durchschnittenen Rasenhängen nach S. ab,
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während nach N. einige Seitenketten abzweigen, zwischen welchen das Fiderisertobel, das Jenazertobel und das Valzeinathal eingegraben sind, die als enge Schluchten ins Hauptthal münden, weiter hinten zum Teil sich verzweigen und schöne Alpweiden enthalten, wie die Fideriser Heuberge und die Alpen hinter Furna. Die westlichste und längste Seitenkette reicht vom Hochwang bis zur Prätigauer Klus, wo sie mit glatter Wand steil abbricht. Auch dem Rheinthal wendet sie meist steile und von engen Tobeln durchschluchtete Hänge zu. Die südl. Fortsetzung davon bildet der vom Hochwang gegen Chur vorspringende kurze Zweig des Montalin (2263 m). Der zweite der nördl. Seitenzweige ist an seiner Wurzel ganz schmal, verbreitert sich aber nach N. allmählig so sehr, dass er zwischen den Mündungen des Schranken- und des Furnerbaches mit einer etwa 8 km breiten Stirn, dem Landquartberg, abbricht.
Die zwei noch übrigen Zweige sind kürzer, enthalten aber die weit gegen das Prätigau vorspringenden Gipfelpunkte des Glattwang (2380 m) und Kistenstein (2478 m). Die ganze Hochwangkette ist ein typisches Flyschgebirge mit all' den guten und schlimmen Seiten eines solchen: den sanften, breiten, fast durchweg in grüne Alp weiden gekleideten Formen in der Höhe, den glatten Schieferwänden, steilen Waldhängen und zahllosen Tobeln, Schluchten und Runsen, aus welchen oft verderbliche Rüfen hervorbrechen, in den untern Sockelpartien.
Der Hochwangkette völlig gleichgeartet ist die Stätzerhornkette, die sich in südl. Richtung in einer Länge von etwa 18 km und einer grössten Breite von 9 km von Chur bis zur Schynschlucht zieht. Vom übrigen Plessurgebiet wird sie getrennt durch das Thal von Parpan (Churwalden-Lenzerheide), einen abgestorbenen Teil des alten Ostrheinthales aus der Zeit, da der aus dem Oberhalbstein kommende Ostrhein noch hier durchfloss, bis ihn ein Seitenbach des Westrhein durch den nun umso rascher sich vertiefenden Schyn ablenkte.
Bei Parpan haben wir also eine Thalwasserscheide, von der einerseits die Rabiusa nach N. zur Plessur, andererseits der Heidbach nach S. zur Albula abfliesst. Gegen diesen Thaltorso fällt die Stätzerhornkette mit mässiger Steilheit ab, steiler dagegen nach W. gegen das Domleschg. Doch finden sich auch hier zwischen der Gipfelregion und den untern Steilhängen sanfter geneigte Partien mit weitausgebreiteten Alpweiden, die wie im Hochwanggebiet bis auf die Kämme und Gipfel reichen.
Auf hohen Terrassen liegen die Dörfer Feldis, Scheid, Trans und mehrere kleinere Weiler. Im nördl. Abschnitt dieses Bergzuges stösst der Fuss des Steilabsturzes unmittelbar an den Hinterrhein, weiter südl. dagegen legt sich dazwischen die dörferbesäte, wohlangebaute Terrassenlandschaft des Domleschg. Als Gipfel, die jedoch nur wenig über den Hauptkamm sich erheben, sind zu nennen die Spontisköpfe (1839 m), der Dreibündenstein (2176 m), der Faulenberg (2578 m), das Stätzerhorn (2576 m), der Piz Danis (2508 m), der Piz Scalottas (2328 m) und der Crap la Pala (2152 m).
Wesentlich von diesen zwei Schiefergebirgen verschieden ist die kleine Totalp-Casannagruppe, die nur ihrer Lage wegen mit der Hochwanggruppe vereinigt wird, ihrem ganzen Charakter nach aber besser zum zentralen Plessurgebirge gehört. Ihr geologischer Bau ist ein äusserst verwickelter, und es beteiligen sich daran die verschiedenartigsten Gesteine. Den grössten Raum nehmen Triasgesteine (Kalke und Dolomite) und Serpentin ein. Aus jenen vor allen sind Casanna (2561 m), Weissfluh (2836 und 2818 m) und Schiahorn (2713 m) aufgebaut, aus Serpentin dagegen besteht die düstere Totalp und das Totalp-Schwarzhorn (2672 m). Zu diesen Hauptgesteinen kommen Granit, Gneis, Verrucano, Rauhwacke, Gips, Sandsteine, Quarzite etc. aus verschiedenen Formationen.
Auch mancherlei Mineralien finden sich darin, wie Kupfer- und Schwefelkies, Eisenoxyd etc. Arn N.-Hang der Casanna und des von ihr über die Cotschna nach O. streichen, den Rückens finden sich noch die Mündungen von Bergwerksstollen, aus denen einst wahrscheinlich Eisen und Blei gefördert wurden. Die Sage erzählt auch von reicher Goldausbeute. Eigentümlich ist diesem Gebirgsabschnitt eine auch in der Strelakette wiederkehrende Längsdepression, durch welche die Gipfelregion in zwei Züge geteilt wird.
Der längere Zug streicht von der Casanna über das Schwarzhorn zum Schiahorn, der kürzere bildet die Weissfluh und das Haupterhorn (2580 m), vom erstern getrennt durch die Depression zwischen Weissfluh und Schwarzhorn, die nach S. ins Haupterthäli, nach N. ins Obersässthäli übergeht. Von der Weissfluh springt ein langer Sporn über Zähnjefluh (2688 m) und Stelli (2628 m) nach W. gegen Langwies vor. Weissfluh, Casanna und Schiahorn sind viel besuchte Aussichtsberge.
Das zentrale Plessurgebirge zerfällt selber wieder in drei orographisch gut unterschiedene Glieder: 1. Die Gruppe des Aroser Rothorns, zum Teil aus zentralmassivischen, zum Teil aus Sedimentgesteinen zusammengesetzt. Sie bildet einen schöngeschwungenen, nach W. geöffneten Bogen um die Alp Sanaspans und umfasst die Gipfel Parpaner Rothorn (2870 m), Aroser Rothorn (2985 m), Piz Naira (2872 m), Piz Musch (2694 m) und Lenzerhorn (2911 m). Von den zwei letztern springen noch der Piz Mulein (2579 m) und der Piz Linard (2770 m) nach SO. vor. Da ferner ein Kamm vom Lenzerhorn nach NW. und ebenso einer vom Parpaner Rothorn nach SW. streicht, so erscheint der ovale Zirkus von Sanaspans rings geschlossen. Nur eine enge Rinne erlaubt seinem Bach den Austritt nach W., ihn dabei zu einem hübschen Wasserfall zwingend. Ein Anhängsel an diesen Zirkusbogen ist die Kette des Erzhorns (2922 m), die vom Aroser Rothorn bis zum Schafrücken (2378 und 2493 m) nach NO. streicht. Von diesen Gipfeln sind namentlich das Aroser Rothorn und das Lenzerhorn bündnerische Aussichtspunkte ersten Ranges. 2. Die Strelakette verknüpft
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sich an der Furcletta (2577 m), dem Pass vom Welschtobel (Arosa) nach Alvaneu, mit der vorigen Gruppe (Piz Naira) und reicht nach NO. bis zum Strelapass. Sie ist eigentlich eine Doppelkette mit zwei parallelen Reihen von Gipfeln, die zusammen eine aufgebrochene liegende Falte bilden. So erklärt sich die merkwürdige Längsdepression zwischen den beiden Gipfelreihen, die durch einige Querriegel in mehrere getrennt entwässerte Becken zerfällt, wodurch der hydrographische Charakter dieser Gegend etwas Verworrenes erhält.
Die Gipfel dieser Doppelkette von NO. nach SW. sind a) im westl. Zug die Küpfenfluh (2655 m) mit dem Strelakopf (2636 m), die Mädrigerfluh (2668 m), die Thiejerfluh (2786 m) und das Furkahorn (2728 m), das Schiesshorn (2610 m) und die Leidfluh (2455 und 2562 m), mit welcher dieser westl. Zug untertaucht; b) im östl. Zug Wannengrat (2518 m) und Körbshorn (2654 m), Schafgrind (2621 m), Kummerhubel (2599 m), Amsel- oder richtiger Ramselfluh (2772 und 2785 m), Strehl (2677 m), Valbellahorn (2769 m). Sandhubel (2768,5 m), dann vier unbenannte Gipfel (2790, 2797, 2790 und 2805 m) und endlich der Guggernell (2743 und 2683 m). Am NO.- und SW.-Ende dieser Doppelkette ist je nur ein Zug vorhanden, dort in der Küpfenfluh der westl., hier vom Sandhubel bis zum Guggernell der östl. Alle diese Gipfel haben sanftere Abdachungen nach SO., während sie nach NW. und überhaupt auf der Schanfiggerseite hohe schroffe Steilwände aufweisen. Im westl. Zug zeigen alle Gipfel diese Pultform, sie sind bei aller Verschiedenheit im einzelnen doch im ganzen nach einem Modell geschaffen. Im östl. Zug finden sich grössere Verschiedenheiten, indem hier nördl. von der Maienfelder Furka die Gipfel gerundeter und niedriger, südl. von dieser Furka dagegen schroffer, kühner gebaut und höher sind.
Nur der Sandhubel zeigt da, seinem Namen entsprechend, gerundete Formen. Wie die einzelnen Gipfel, so ist auch die Strelakette als Ganzes beschaffen: steil abbrechend nach NW., sanfter abgedacht nach SO., beide Seiten von vielen kleinen, wenn auch oft recht wilden Tobeln durchschnitten, so vom Schia-, Alberti- und Frauentobel, dem Kumma- und Bärenthal bei Davos und von den vielen Tobeln von Wiesen bis Alvaneu. Unter den dazwischen liegenden Rücken und Rippen ist namentlich der Altein hervorzuheben mit seiner breiten Hochfläche, einer weiten schönen Alp, die sich langsam gegen Wiesen senkt.
Von da führt die Alteinfurka (2506 m) in das Hochbecken des Alteiner Tiefenberg und weiter nach Arosa. Die Hauptpässe der Strelakette sind aber der Strelapass (2377 m) und die Maienfelder Furka (2445 m), ersterer mit gutem Weg von Davos Platz nach Langwies, letztere teilweise pfadlos, aber gut markiert von Davos Frauenkirch nach Arosa führend. Ueberdies kann man auch ohne Schwierigkeiten über die Lücken zwischen Küpfenfluh und Mädrigerfluh oder zwischen dieser und der Thiejerfluh von Davos nach Arosa gelangen. 3. Das dritte Glied der zentralen Plessurgruppe ist die Gebirgsgabel nördl. vom Rothornmassiv und von diesem getrennt durch die Aroser Furka (2622 m), die als Pass von Arosa nach Parpan benutzt werden kann.
Der Gabelpunkt ist das Parpaner Weisshorn (2828 und 2781 m) und das von den Gabelzinken eingeschlossene Urdenthal, weshalb wir dieses Gebirgsglied die Weisshorn- oder Urdengruppe nennen. Vom Parpaner Weisshorn streicht ein allmählig breiter werdender Zweig nach NO. über den Tschirpen (2733 m), das Hörnli (2497 m), das Plattenhorn (2560 m) und das Aroser Weisshorn (2655 m), um mit breitem, waldumkleidetem Fuss zwischen Langwies und dem Urdentobel an die Plessur zu stossen.
Der andere, selber noch einmal gegabelte Zweig streicht nördl. zum Parpaner Schwarzhorn (2690 m), Gürgaletsch (2441 m) und Alpstein (2306 m) und senkt sich schliesslich über das Churer Joch zur Thalgabel von Passugg, wo die Rabiusa in die Plessur mündet. Die beiden Weisshörner, das Schwarzhorn, der Gürgaletsch und das Joch sind wiederum gern besuchte Aussichtspunkte. Am Weisshorn vorbei führt der Carmennapass (2377 m) von Arosa nach Tschiertschen und Chur, und eine andere Passroute führt von Arosa am Hörnli vorbei zum Urdensee und von da über das Urden Fürkli nach Parpan.
Das Plessurgebirge hat sowohl in den äussern Formen als im geologischen Bau viel Aehnlichkeit mit dem Rätikon. Dies zeigt sich besonders schön, wenn man die beiden Gebirge etwa vom Hochwang aus, wo man die Hauptkämme beider annähernd in gleichem Abstand vor sich hat, überblickt. Man steht hier auf dem höchsten Punkt einer zentralen Depression, die von einem grossen, ungefähr halbkreisförmigen Gebirgsbogen im N., O. und S. umschlossen wird. Dieser Bogen beginnt im NW. mit dem Falknis und zieht sich über Scesaplana, Drusenfluh, Sulzfluh, Scheienfluh, Rätschenfluh, Casanna, Weissfluh und durch die ganze Strelakette dahin.
«Während man zu Füssen überall die einer Schieferformation eigentümlichen, berasten, zumeist sanften Bergformen hat, baut sich jener grosse Gebirgsbogen aus steilen, imposanten Mauern auf, die seltsam mit der nähern Umgebung kontrastieren. Dem Geologen, der vertraut ist mit den modernen Theorien des alpinen Gebirgsbaues, erscheint es unwillkürlich, als hätte hier von allen Seiten ein Uebergreifen anders gearteter Berge stattgefunden über ein Schieferland, in dessen Zentrum er steht.» (Hoek).
Für den Rätikon ist dies bereits erörtert worden, hier ist es noch für das Plessurgebirge zu tun. Auch dieses zeigt, abgesehen von den beiden Schiefergebirgen der Hochwang- und Stätzerhornkette, die wie die südl. Vorberge des Rätikon aus oligozänem Flysch bestehen, einen äusserst komplizierten Bau und eine grosse Mannigfaltigkeit des Gesteinsmaterials. Und auch hier hat es des Fleisses mancher Forscher bedurft, um Licht über diese verwickelten Verhältnisse zu bringen. Wir schliessen uns der Schule Steinmann's, speziell Hoek, an, der sich am eingehendsten mit dem Gebiet beschäftigt und eine genaue geologische Kartenaufnahme desselben in 1:50000 gemacht hat. Er unterscheidet vier geologische Regionen:
1. Das Gebiet des normalen Faltenbaus, d. h. die Strela- und die Erzhornkette. Die W.-Grenze verläuft in der Steilwand der Mädrigerfluh, der Thiejerfluh, des Furkahorns, Schafrückens und über den Aelplisee zur Aroser Furka. 2. Die Aufbruchzone, dem erstgenannten westl. vorgelagert; reicht nach W. bis zu den Steilwänden des Weisshorns und Plattenhorns. 3. Das kleine keilförmige Gebirgsstück des Parpaner Weisshorns und Tschirpen, in mancher Beziehung zur Aufbruchzone gehörig, aber doch auch wieder davon verschieden. 4. Das nach W. und NW. sich ausdehnende Schiefergebirge, dem sich dann auch die Stätzerhorn- und Hochwangkette anschliessen.
Das dabei beteiligte Gesteinsmaterial
ist sehr mannigfaltig: a. Krystalline Gesteine finden sich in grösseren Komplexen im Rothornmassiv (beide Rothörner und Aelplihorn) und nordwestl. unter der Mädrigerfluh, dann zerstreut in kleinern Vorkommnissen in der Aufbruchzone (bei Arosa,
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Alp Pretsch etc.) und zwar Granitit, Gneis, Augengneis, Hornblendeschiefer und Glimmerschiefer, in geringerm Mass auch Casannaschiefer (z. B. bei Arosa) und eine krystalline Breccie (z. B. nördl. vom Tschirpen). b. Verrucano, in normaler Lage stets zwischen Granit oder Gneis als Liegendem und Triasgesteinen als Hangendem, ausschliesslich beschränkt auf das relativ normale Faltungsgebiet der Strelakette und hier den Kern einer grossen aufgebrochenen Antiklinale bildend. Es ist ein meist roter oder grüner Sandstein, in den höhern Lagen ein roter Schiefer.
Dem Verrucanosandstein eingelagert sind oft beträchtliche Massen von Quarzporphyren und deren Tuffen, die z. B. den Schafgrind, Kummerhubel und Sandhubel bilden. c. Triasgesteine. Buntsandstein, grob-bis feinkörnig, in geringer Verbreitung in der Aufbruchzone, besonders am Aroser Weisshorn. Untere Rauhwacke (mit Einschlüssen von rotem Ton und rotem Sandstein aus dem Verrucano) findet sich nur in der normalen Faltungszone und zwar in zwei Bändern über und unter dem Verrucano.
Muschelkalk, ein harter, schwarzer, unter dem Hammer klingender, in dünnen Bänken geschichteter Kalk, findet sich nur in der Strelakette und zwar zu beiden Seiten der von Verrucano erfüllten Längsdepression einmal über und einmal unter der Rauhwacke, je nach der normalen oder verkehrten Schichtfolge, erstere in der östl., letztere in der westl. Gipfelreihe. Der Wettersteinkalk resp. Wettersteindolomit bildet zusammen mit dem unten zu nennenden Hauptdolomit die landschaftlich am meisten hervortretenden Formen. Seine mächtigen, gelblichen, gut geschichteten, schwach zerklüfteten, kalkigen und dolomitischen Bänke (bis 2 m dick) bauen die Wände der Strelakette bis zu den Spitzen der Berge auf, in der östl. Bergreihe normal über Verrucano und Rauhwacke - das Hangende (der Hauptdolomit) ist hier überall durch Erosion verschwunden, - in der westl. Reihe verkehrt unter Verrucano und über Hauptdolomit.
In der Erzhornkette liegt er normal unter dem Hauptdolomit, teilweise aber auch infolge einer Ueberschiebung nochmals auf diesem. In der Aufbruchzone und im Parpaner Weisshorn-Tschirpengebiet fehlt der Wettersteindolomit. Dagegen ist in letzterem Gebiet und am Schafrücken die jüngere Raibler Rauhwacke vertreten, die den übrigen Gebieten fehlt. Im Parpaner Weisshorn besonders zieht sie in zwei dünnen Bändern durch die N.-Wand, je das Liegende des doppelt auftretenden Hauptdolomites bildend.
Der Hauptdolomit ist weniger gelblich, klotziger, klüftiger und weniger gut geschichtet als der Wettersteindolomit. Er findet sich in verkehrter Lagerung unter dem Wettersteindolomit (ohne Raibler Rauhwacke) in der westl. Gipfelreihe der Strelakette, fehlt aber infolge Abtragung in der normal geschichteten O.-Reihe. Das doppelte Vorkommen (verbunden mit Raibler Schichten) am Parpaner Weisshorn und Tschirpen ist bereits erwähnt. In der Aufbruchzone liegt er teils auf krystallinem Untergrund, teils bildet er zahlreiche kleine Schollen meist in Verbindung mit Liasgesteinen, hie und da auch mit Rät.
Das Rät ist im Plessurgebirge nur durch die Kössener Schichten vertreten. Es sind in der Hauptmasse dunkle, weiche Mergel mit vielen, aber selten gut erhaltenen Fossilien; dazwischen treten bis 3 m dicke hellfarbige Kalkbänke auf. In der Strelakette fehlen die Kössener Schichten, da sie im östl. Teil - im hangenden Schenkel - durch Erosion verschwunden, im westl., liegenden Schenkel wahrscheinlich zwischen dem gedoppelten Hauptdolomit ausgequetscht sind. Sehr gut entwickelt sind sie am Erzhorn und Aroser Rothorn und am Parpaner Weisshorn-Tschirpen, spärlich vorhanden auch in der Aufbruchzone (z. B. am Aroser Weisshorn), inkl. das Casanna-Totalpgebirge. d. Juragesteine. In der Strela- und in der Erzhornkette fehlen die Jura- und alle jüngern Gesteine, da diese, soweit sie ursprünglich vorhanden gewesen sein mögen, durch Abtragung verschwunden sind.
Die jüngsten Bildungen sind dort Hauptdolomit, resp. Kössener Schichten. Im Gebirgsstück Tschirpen-Parpaner Weisshorn findet sich Lias in sehr geringer Mächtigkeit in der Form harter, rötlich-weisser, unter dem Hammer klingender und scherbenartig zerspringender Kalke zwischen Rät und oberjurassischem Radiolarit, teils als leicht verfolgbare Bänke, teils als kleine zerquetschte Schollen. Die Basis der Kalkbänke wird durch eine grobe Breccie aus Triasbruchstücken gebildet.
Dieselbe Breccie findet sich auch am Oefenpass des Rätikon. Anders sind die Liasbildungen der Aufbruchzone beschaffen: Mergelschiefer, Kalkschiefer, Tonschiefer, Kieselschiefer mit reinen Keiselbänken, sandige Schiefer, Sandsteine, feine und grobe polygene Breccien. Die Aehnlichkeit mit sicherem Eozän-Flysch ist so gross, dass es kaum möglich ist, eine Grenze zu ziehen. Fossilien fehlen fast ganz. Nur die polygenen Breccien sind leichter zu bestimmen. Völlig unsicher sind die Schiefervorkommnisse im Plessurbett unterhalb Arosa und an der Mutta
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beim Schwellisee und die Sandsteine zwischen diesem See und dem Hörnli. Umso leichter ist der Malm in der Form des meist leuchtend roten Radiolarites (Radiolarienhornsteins) zu erkennen, wenn er auch da und dort durch Quetschung in eine weissliche Kieselmasse übergeht. Im Tschirpen-Parpaner Weisshorngebiet bildet er ein zusammenhängendes Band, in der Aufbruchzone ist er fast überall vorhanden, bald in grossen Zügen, bald in einzelnen Schollen. Ein zeitliches Aequivalent des Radiolarites ist der allgemein für Tithon erklärte «Pretschkalk» (nach einer Lokalität nördl. von Maran benannt). An einzelnen Stellen kann man den allmähligen Uebergang des einen dieser Gesteine in das andere beobachten. e. Kreidegesteine finden sich nur in der Form der Cenomanbreccie, aus Bruchstücken von Radiolarit, Kalk, Dolomit, Gneis und Glimmerschiefer bestehend.
Oft herrscht der Radiolarit stark vor und gibt dann dem Gestein eine tiefrote Farbe. Doch kann er auch spärlicher auftreten oder fast ganz fehlen. Die Cenomanbreccie ist auf die Aufbruchzone beschränkt und zwar fast ausschliesslich auf die Gegend von Maran und am Brüggerhorn. f. Tertiärgesteine. Die einförmigen Schiefermassen ausserhalb der Aufbruchzone, sowie weiter in der Hochwang- und Stätzerhornkette sind oligozäner Flysch. Ob und wie weit derselbe in die Aufbruchzone hineinreicht, lässt sich einstweilen nicht sagen, da es immer noch an einem sichern Kriterium zur Unterscheidung von Lias und Flysch fehlt. g. Jungeruptive, ophiolithische Gesteine, wie Serpentine, Spilite, Grünschiefer, finden sich im Plessurgebirge nur in der Aufbruchzone (inkl. die Totalpgruppe), aber hier an zahlreichen Stellen und oft in grossen Massen. Bald durchsetzen Serpentingänge alle hier vorkommenden Sedimente, bald liegen sie fast konkordant zwischen denselben. Selbst der turmartige Felsbau des Hörnli bei Arosa z. B. erweist sich als eine zwischen zwei Schiefermassen konkordant eingepresste Spilitmasse, die durch Erosion freigelegt wurde. Im sicher oligozänen Flyschgebiet fehlen die ophiolithischen Gesteine.
Wie nach dem Gesteinsmaterial, so sind die vier Regionen des zentralen Plessurgebirges auch in der Tektonik voneinander verschieden. Die Strelakette bildet eine grosse, nordwestl. überliegende Falte, deren höchste Teile durch Erosion zerstört sind. Damit erklären sich auch die eigentümlichen hydrographischen Verhältnisse dieser Gebirgszone, die orographisch als eine Doppelkette erscheint. Die östl. Gipfelreihe - Amselfluh-Valbellahorn-Guggernell - bildet den hangenden, die westl. Reihe - Küpfenfluh-Thiejerfluh-Schiesshorn-Leidfluh - den liegenden Schenkel der Falte, jener mit normaler, dieser mit verkehrter Schichtenfolge.
Die Schichtenreihe zeigt dort von unten nach oben, hier von oben nach unten Verrucano, untere Rauhwacke, Muschelkalk, Wettersteindolomit, Hauptdolomit, wobei aber dieser letztere im hangenden Schenkel durch Erosion entfernt ist. Zwischen den beiden Reihen von Triasbergen zeigt sich in der zentralen Längsdepression Sandhubel-Alteiner Tiefenberg-Kummerhubel-Schafgrind, die den erodierten Scheitel der Falte darstellt, überall als tiefstes sichtbares Glied der Verrucano (samt Quarzporphyr) in grosser Entfaltung.
Vom Schiesshorn nach NO. ist der hangende Schenkel so weit abgetragen, dass dort keine östl. Reihe von Triasgipfeln mehr vorhanden ist. Im SW. dagegen sind es sogar drei solcher Reihen, indem die Schafrücken-Erzhornkette ebenfalls eine liegende Triasfalte darstellt. Sie lässt sich als Muldenschenkel mit der vorhergehenden Falte verbinden. Es erscheint dann die Gipfelreihe Amselfluh-Guggernell als aus dem Gewölbeschenkel, die Gipfelreihe Küpfenfluh-Leidfluh als aus dem Mittelschenkel und die Schafrücken-Erzhornkette als aus dem Muldenschenkel einer grossen liegenden Falte herausmodelliert, die erste und dritte Kette mit normaler, die mittlere mit verkehrter Schichtenfolge. Ganz im SW., etwa auf der Linie Guggernell-Erzhorn, zerreisst der Mittelschenkel und die östl. Falte (Strelakette) schiebt sich teilweise auf die westl. Falte hinauf. Letztere (Erzhorn) bildet selber eine vollständige liegende Triasfalte mit Gewölbe-, Mittel- und Muldenschenkel, die auf dem krystallinischen Grundgebirge ruht, da der Verrucano fehlt und der Gewölbeschenkel mit Hauptdolomit und Kössener Schichten abschliesst.
Die Zerreissungen und Ueberschiebungen gehen dann noch weiter, so dass schon das Gebirgsstück des Parpaner Weisshorns und Tschirpen nicht mehr eine normale Falte bildet, sondern aus zwei aufeinanderliegenden Schuppen besteht. Die untere Schuppe, mit Rauhwacke, Hauptdolomit, Rät, Lias und Radiolarienhornstein (Malm) ist auf den Liasschiefer des Urdenaugstberges, die obere Schuppe, aus Rauhwacke und Hauptdolomit gebildet, ihrerseits auf die untere hinaufgeschoben, und dann ist auch noch das Krystalline des Rothornmassivs auf die obere Schuppe geschoben. In der Aufbruchzone endlich tritt eine völlige Zerstückelung und Auflösung des Faltenbaus ein.
Auch der landschaftliche Charakter ändert sich vollständig. Es fehlen die zusammenhängenden Ketten und die Berge von annähernd gleicher Form. An ihre Stelle tritt ein unruhiges, unübersichtliches Bergland. Ueberall ist der Boden von dunkeln Serpentinmassen durchsetzt. Die von O. und SO. in unregelmässigen, sanften Linien ansteigenden Berge (Weisshorn, Plattenhorn etc.) fallen in schroffen, wilden Wänden jäh zum Urdenthal ab. Bei vorwaltendem NO.-Streichen und SO.-Fallen der Schichten herrscht in deren Aufeinanderfolge eine unentwirrbare Regellosigkeit.
Ueberall liegen Gesteine verschiedenen Alters durch-, neben- und aufeinander. Nirgends findet man auf längere Strecken verfolgbare Schichten einheitlichen Charakters. Man ist in einer Zone wild durcheinander geschobener, bald grösserer, bald kleinerer schuppenartiger Schollen, die wie Kartenblätter durcheinander gestochen sind, wie man dies besonders am Brüggerhorn beobachten kann. Wo der Blick nicht durch Schutt oder Vegetation gehindert ist, kann man mancherorts beobachten, dass die Gesteine dieser Aufbruchzone längs einer schwach geneigten Fläche auf den Oligozän-Flysch hinaufgeschoben sind. Steinmann und nach ihm Hoek (auch Jennings) erklären dieses Aufbruchgebiet als die direkte Fortsetzung der normalen östl., in der Tiefe wurzelnden Falten, d. h. als die letzte, weit über die helvetische Flyschregion hinüber gelegte Falte des ostalpinen Kalkgebirges, wobei aber diese liegende Falte durch Längs- und Querbrüche vielfach zerstückelt und die einzelnen
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Stücke durcheinander geschoben und zerknittert wurden. Diese Verwicklungen wurden noch verschärft durch das Auftreten der ophiolithischen Gesteine, deren Injektion wohl gerade durch die weitgehende Zerstückelung der Schichten erleichtert war. Auch die Erosion hat grosse Lücken in den einstigen Zusammenhang hinein gerissen, so dass die Aufbruchzone nun in lauter Schollen und Klippen verschiedenster Dimension und Zusammensetzung aufgelöst erscheint.
Einzelne abgetrennte Stücke der Ueberschiebungsdecke, so besonders Gürgaletsch und Alpstein, liegen weit draussen auf dem Flyschvorland. Beim Rätikon wurde schon darauf hingewiesen, dass derselbe mit dem zentralen Plessurgebirge - beide verbunden durch Osträtikon und Totalpgruppe - zu einer grossen Bogenfalte gehört. Die neuerdings mehr zur Anerkennung gelangte Auffassung Lugeon's setzt an Stelle der letztern die grosse von S. nach N. überschobene Rätikondecke, von der auch das Plessurgebirge einen Teil bildet. Eine Ueberschiebung auch von N. und O. wäre danach ausgeschlossen.
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[Dr. Ed. Imhof.]