die volle Wirklichkeitstreue also die Darstellung ohne Stilisierung - der sog. Naturalismus - in aller Schärfe zum Ausdruck kommt. Schön war für Donatello nur das Natürliche, das in der Wirklichkeit Vorhandene, und so müssen wir die Schönheit seiner Werke auch nicht im «Idealen» suchen, sondern in der Wahrhaftigkeit der Darstellung und in dem malerischen Reiz, welchen er ihnen durch die vollendete Behandlung des Bildstoffs verleiht.
Seinen Zoll an den Kunstgeist des Trecento zahlt Donatello in dem sitzenden Johannes, welcher das einzige Werk ist, das noch etwas an die Darstellungsweise der Vorgänger erinnert (Fig. 436). Die Größe Donatellos kommt jedoch schon in dem kraftvollen Kopf zum Ausdruck, aus dessen strengen, ernsten Zügen die volle Naturwahrheit spricht. In der Haltung, obwohl diese mit Rücksicht auf die vorhandenen Gegenstücke nicht frei gewählt werden konnte, sowie in der ganzen Auffassung deutet der Johannes schon auf ein noch fernes Werk hin: auf Michelangelos Moses. Hinter dem Kopf des Johannes muß jener des Standbildes des Petrus zurückstehen, doch ist hier die Gewandbehandlung schöner.
Das erste vollkommen eigenartige Werk ist der heilige Georg (Fig. 437), bei welchem nun nicht mehr der Kopf allein, sondern die ganze Haltung, die Geberden der Hände, die Fußstellung, Träger des Ausdrucks sind. Das Gewand verhüllt nicht mehr den Körper, um der Darstellung des letzteren überhoben zu sein, sondern läßt durch knappes Anliegen die Formen deutlich sichtbar werden. Die Fähigkeit, das Nackte darzustellen, bewies Donatello später in dem Bronzebilde des David, welches zugleich von seiner glänzenden Bildstoffbehandlung Zeugnis ablegt.
Die Zeit
von 1416-26 wurde wieder von Arbeiten für den Dom in Anspruch genommen. Es entstanden Werke,
welche die Wirklichkeit mit aller
Schärfe wiedergaben und besonders in den
Köpfen den Ausdruck vollster Lebenswahrheit tragen:
es sind dies die Standbilder am Glockenturm, Johannes der Täufer, Ezechias, David (der Prophet Abdias ist von Nanni di Bartolo).
Ohne Rücksicht auf die Heiligkeit der Dargestellten und die deshalb sonst übliche «Idealisierung»
nahm er als Vorbilder Gestalten aus dem
Volke und gab sie ohne Verschönung wieder (Fig. 438). Es sind also nach jetzigem
Sprachgebrauch «naturalistische Porträts.»
Bald wurde Donatello denn auch als Bildniskünstler geschätzt; er erhielt zahlreiche Aufträge und schuf
in diesen wohl das Schönste, was die Renaissance
hinterlassen hat. Zu den besten Arbeiten zählen die
Terrakotta-Büste der
Ginevra Cavalcanti, bei welcher er durch lebhafte Bemalung den Ausdruck der Lebenswahrheit noch zu steigern suchte, sowie
jene des Niccolo da Uzzano (Fig. 440).
^[Abb.: Fig. 455. Mazzoni: Beweinung Christi.
Im Jahre 1420 trat er mit dem Baukünstler Michelozzo in Verbindung, und derselben verdankt eine Reihe von Werken ihre Entstehung,
welche in glücklicher Verschmelzung bildnerischer und Bauformen auch auf dem Gebiete schmuckhafter Kunst Neues und Vorbildliches
darstellen. Vornehmlich sind es Grabmäler, welche zu dieser Zeit
entstanden, - so das Grabmal Johannes
XXIII. im Baptisterium zu Florenz - ferner Altäre, Kanzeln und Tabernakel.
Mit diesen Werken trat eine neue Aufgabe an Donatello heran, die Darstellung im Flachbild. Auch hier bildete er sich seinen eigenen Stil. Das Malerische, das schon Ghiberti so vollkommen erreicht hatte, steigerte er noch und vermochte z. B. in den Bronzetafeln am Altar des heiligen Antonius zu Padua (mit Darstellungen aus dem Leben des Heiligen), trotz des Ueberreichtums an Gestalten und trotz aller Bewegtheit volle Klarheit und Uebersichtlichkeit der Handlung zu wahren.
Donatellos Kunst ging vielfach über die bisherigen Grenzen hinaus. Er war nur Bildhauer, beherrschte aber sein Gebiet vollständig, sowohl hinsichtlich Handfertigkeit - er schuf in Holz, Bronze, Marmor, Terrakotta - wie in der Darstellungsweise. Den Hauptstoff bildeten seinen Aufträgen entsprechend biblische Darstellungen und unter diesen befand sich auch ein Werk, welches wieder ein Herkommen über den Haufen warf, indem es die an strenge Ueberlieferung gebundene Madonnen-Darstellung völlig veränderte. Um sich darüber klar zu werden, vergleiche man die Verkündigung Fig. 441 mit früheren; das «menschliche» Erschrecken und die Befangenheit Marias ist nie so wahr dargestellt worden. Die heilige Jungfrau ist hier nicht Himmelskönigin, sondern ein einfaches, edles Weib, und diese Auffassung wird nun maßgebend für viele folgende Darstellungen dieser Art, auch in der Malerei.
^[Abb.: Fig. 456. A. da Fossano: Flachbildschmuck am Hauptthore der Certosa.] ¶