in
Afrika
[* 3] vorkommende, am
Schluß der menschlichen Größenskala, die sich zwischen 1900
mm (Samoaner)
und 1330
mm
(Obongo) bewegt, stehende
Völker.
Schon die Pygmäensage der Alten, deren Schauplatz nach
Aristoteles in denSümpfen
am obern
Nil war, weist auf Zwergvölker hin, und Herodot berichtet von »kleinen
Männern, nicht einmal von mittlerer
Größe«, im Innern
Afrikas.
Direkt mit einem afrikanischen Zwergvolk in Berührung kam
zuerst ein Reisender im 17. Jahrh., der die Dongo im äquatorialen
Afrika dort fand, wo 1864
Du Chaillu dieObongo
sah, die nach seinen Messungen zwischen 1330 und 1525
mm hatten und sich durch schmutzig gelbe
Farbe vor den weit dunklern
Aschango auszeichneten, unter denen sie in kleinen Dörfern zerstreut leben.
Das Vorhandensein der
Obongo (besser Babongo oder Abongo) ist dann später durch die Mitglieder der deutschen westafrikanischen
Expedition bestätigt worden, und namentlich haben wir durchLenz (»Mitteilungen der
WienerGeographischenGesellschaft« 1878) darüber nähere Nachrichten erhalten. Die Portugiesen wollen im 17. Jahrh.
im Innern
Afrikas ein Zwergvolk, die Baka-Baka (ba ist die Pluralbezeichnung bei den Bantusprachen), gefunden haben, was ebenfalls
auf die
Akka hinweist.
Kölle hörte in
Sierra Leone von mehreren Zwergvölkern im Innern, von denen er die Kenkob und Belsan
nennt. Auch auf
Madagaskar
[* 4] existiert, in der
ProvinzBetsileo, ein kleiner
Stamm, die
Kimo, über den trotz vieler
Kontroversen
nähere Nachrichten noch fehlen, und südlich von
Kaffa wohnt, nach
Krapfs Erkundigungen, das Zwergvolk der
Doko. Auch dieBuschmänner,
deren Mittelgröße
Fritsch zu 1444
mm angibt, müssen hierher gerechnet werden.
Mehr Aufsehen als alle diese Zwergvölker machten jedoch
die durch G.
Schweinfurth entdeckten
Akka (s. d.), welche ein ausgedehntes Gebiet im
Süden der
Monbuttu bewohnen und teilweise
dem Monbuttukönig unterworfen sind.
Die größten erreichen 1500
mm, doch maß
Schweinfurth auch Individuen von 1340
mm.
IhreFarbe ist ein mattes
Kaffeebraun;
auffallend ist eine außerordentliche Prognathie des
Schädels.
Die
Akka leben zerstreut in kleinen Dörfern, sind eifrige
Jäger und benutzen
Bogen
[* 7] und
Pfeile alsWaffe; ihr einziges
Haustier ist das
Huhn.
IhreSprache
[* 8] ist noch unbekannt.
Schweinfurth u. a. nehmen an, daß die
Akka mit den
Buschmännern und übrigen ZwergvölkernAfrikas die Reste einer afrikanischen
Urrasse ausmachen, eine
Annahme, welcher gewichtige Bedenken entgegenstehen, da die einzelnen Zwergvölker unter sich keineswegs sehr
ähnlich sind und ihre gegenseitige
Stellung noch nicht genügend erörtert ist.
Die
Ansicht, daß die
Akka degenerierte
Neger, die
Buschmänner degenerierte
Hottentoten und die
Obongo degenerierte
Abantu sind,
gewinnt dagegen immer mehr Anhänger. Auch
Stanley hörte von einer Zwergnation, den Watwa, am
Aruwimi Wambuti genannt, und
Serpa Pinto fand auf seiner
Reise quer durchAfrika einen degenerierten Volksstamm, die Mucassequere, ebenso
Wißmann bei seiner Durchquerung des
Kontinents, Schutt hörte von
Zwergen, den Znuta Chitu,
Wolf,
Wißmann,
François und Grenfell
fanden im Congogebiet die
Batua, so daß diese
Ansicht immer mehr
Stützen gewinnt. Hierher gehören ohne
Zweifel auch die Kenkob
und Ketsan
(Sân)
Kölles und die Dongo Battels.
Daß eine Verbindung zwischen den einzelnen Zwergvölkern, deren man bei genauerer Durchforschung Afrikas
immer mehr unter den übrigen Stämmen verstreut aufgefunden hat, früher bestanden habe, gilt allen Forschern
als unzweifelhaft. Die durchschnittliche Körpergröße ist als gemeinsames Merkmal dieselbe. Etwanige Abweichungen in der
äußern Erscheinung können wegen der räumlichen Entfernung durch andre tellurische und klimatische Einflüsse oder durch
eine verschiedene Lebensweise ihre Erklärung finden.
Während einzelne Forscher die Zwergvölker anthropologisch von den sie umgebenden Völkerschaften scheiden wollen,
sehen andre mit mehr Recht in ihnen nach ihren körperlichen Merkmalen nur eine Abart der Negerrasse. Von den als für sie
charakteristisch angeführten Hängebäuchen, wie Schweinfurth sie bei den Akka, Fritsch sie bei den Buschmännern fanden, nahmen
Emin, Casati,
Stanley und Jephson nur bei ganz jugendlichen Mitgliedern etwas wahr. Der Grund für diese
abweichende Erscheinung ist wohl darin zu suchen, daß die einen mehr animalische, die andern mehr vegetabilische Nahrung zu
sich nehmen. Am Lulua, dem großen rechtsseitigen Zufluß des Kassai, fand LudwigWolf die Batua, an denen Wissmann auf seiner
spätern zweiten Durchquerung Afrikas Messungen machen konnte.
IhreGröße wechselte von 0,9-1,4 m; ihr Durchschnittsgewicht betrug 40 kg.
Die Hautfarbe beschreibt er als der eines halbgebrannten roten Ziegelsteins ähnlich, die Kinnladen vorstehend,
die Oberlippe in der Mitte steil nach oben geschwungen, die Gestalt wohlgeformt. Sie waren eifrige und geschickte Jäger, welche
nomadisierend umherzogen, wegen ihrer tödlichen Giftpfeile bei den umwohnenden Stämmen gefürchtet, aber auch sehr geschätzt
als außerordentlich wachsame Kundschafter.
Jephson, der seine Größenmaße den anthropologischen Aufzeichnungen Emins entnahm, welcher eine große Anzahl gemessen hat,
sagt, daß sie 1,20-1,24, nie aber über 1,245 m groß sind und auf
dem ganzen Körper einen dicken Filz von steifem, graulichem Haar
[* 10] haben, der ihnen ein eigentümliches koboldartiges Ansehen
gebe. Die Männer haben oft einen langen Bart, was bei den Negerrassen sehr ungewöhnlich ist, und beide
Geschlechter einen eigentümlichen starken und höchst unangenehmen Geruch.
Die Wälder schienen sie vorzuziehen, die bei Emin und Stanley verweilenden Zwerge befanden sich im offenen Lande niemals wohl,
sie schienen die Sonne
[* 11] und die kalten Nächte nicht vertragen zu können und waren stets fieberkrank. Während
die Zwergenfrauen, die im Gegensatze zu den Männern oft hübsche Formen haben, gute Dienerinnen abgeben und unermüdlich arbeitsam
sind, sind die Männer weniger zu Diensten geneigt, beide aber, Männer wie Frauen, bewahren stets ein gewisses Unabhängigkeitsgefühl.
Nach Jephson scheint bei diesen Zwergen Kannibalismus getrieben zu werden. CasatisBeobachtungen im Lande
der Monbuttu ergänzen die vor ihm von Schweinfurth gemachten. Nach ihm leben im S. der von den Sandeh bewohnten Gegenden,
die zwischen die Stämme Medsche, Maigo, Monfu und Mabode eingeschoben sind, zahlreiche Kolonien kleiner, kühner, unabhängiger
und gefürchteter Menschen. Die Efe, so nennen sie sich selber, werden von den MonbuttuAkka, von den Sandeh
Tiki-Tiki, von den Monfu Moriu und von den Mabode Afifi genannt.
Die einen, klein und flink, mit rötlichbrauner, reichbehaarter Haut,
[* 12] sind Waldbewohner, die andern, von höherm Wuchs, stärkerm
Gliederbau und von dunklerer Farbe der Haut, die mit dickerm, aber spärlicherm Haar bedeckt ist, bewohnen
hohe, offen gelegene Ortschaften. Die Größe wechselt zwischen 1,30 und 1,50 m.
Den Kopf bedeckt überreiches, rötliches Haar, das in einzelnen Fällen braun, gekräuselt, wollig ist; erwachsene Männer haben
starke Bärte, doch mit nur wenig Haaren auf der Oberlippe. Sie sind Jäger, aber keine
¶
mehr
1017 Ackerbauer, und berauben oftmals die Felder ihrer Nachbarn. Als Krieger sind sie wegen ihrer Gewandtheit in Handhabung
des Bogens, der Schnelligkeit ihrer Bewegungen und ihres angebornen Mutes sehr geschätzt. Der französische Reisende Crampel
entdeckte den Zwergstamm der Bayaga im Gebiete der M'Fangs, nördlich vom Ogowe, unter 11° östl. L. und
2° nördl. Br. Die Bayaga sind Jäger, die M'Fangs dagegen Ackerbauer. Jeder Häuptling der letztern hat seine bestimmte Horde
Bayagas, die im Wald in der Nähe des Dorfes, meist in der Stärke
[* 14] von 15 Köpfen hausen. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist die
Elefantenjagd. Ihre Durchschnittsgröße ist 1,40 m; sie sind kräftig gebaut, mit vorstehenden
Backenknochen, gebogener Nase,
[* 15] sehr kurzem Hals, gewölbter Brust, starken Armen, gekrümmten Beinen und stark vorspringenden
Knöcheln. Wie bei manchen andern Zwergstämmen wurde bei ihnen der eigentümlich scheue Gesichtsausdruck bemerkt.
Bei allen beobachteten Zwergstämmen fällt die eigentümliche politisch-soziale Absonderung auf. Was ihre geographische Verbreitung
betrifft, so können wir heute süd-, zentral- und westafrikanische Verbreitungsgebiete dieser Völker
unterscheiden, da keiner der kleinen Stämme nördlicher als 5° nördl. Br. und östlicher als 31° östl. L. v. Gr.
beobachtet
worden ist. Als die westlichsten müssen die vonLenz beschriebenen Babongo am untern Ogowe gelten, als die östlichsten die
von Stanley am Semliki und von Wissmann am Ubudschwe beobachteten.
Außerdem fand StanleyZwerge in einem Gebiete, das begrenzt wird durch Ugarrowas Station am Ituri im W., den Hochlandrand über
dem Albertsee im O. und die Nordabhänge des Ruvenzori im S. Diese östlichen Stämme sind nach Rasse und Lebensweise nahe
verwandt mit den Völkern, die in Südafrika
[* 16] als Buschmänner, bei den Monbuttu als Akka, am Tschuapa als
Watua, bei den Mabode als Balia, im Thale des Ihuru als Wambutti und von den Wäldern nördlich vom Ruvenzori bis zum Lulua
als Batua bezeichnet werden. Im südlichen Kongobecken bewohnen sie nach François ein Gebiet von der GrößeBayerns. Über den Lomami, wo Grenfell sie traf, greifen sie in das östliche Kongogebiet über, wo wir sie am obern Uëlle,
ihrem nördlichsten Punkt, bis südöstlich vom Kabambarreh in Manjema finden. Junker traf ihre nomadisierenden Kolonien südlich
vom Bomokandi, Serpa Pinto im SW. als fernste Glieder
[* 17] die Mukassequere.
oder Pygmäen, eine Reihe von Völkern, die, im Innern Afrikas lebend, durch den auffallend kleinen Wuchs
(nicht über 150 cm) und die abweichende (hellere) Hautfarbe von ihren Nachbarn sich unterscheiden. Sagenhafte
Kunde von ihnen findet man schon bei Homer und Herodot; Aristoteles verlegte ihre Wohnsitze an die QuellendesNils. Im 16. Jahrh.
hörten portug. Seefahrer märchenartige Erzählungen über die Mima und BakeBake an der Loangoküste; ähnliche
Berichte erhielt Krapf 1840 über die Doko südlich von Abessinien und Koelle 1854 über die Kenkob und Betsan in Westafrika.
Du Chaillu traf als erster Europäer 1867 am Gabun persönlich mit dem Zwergvolk der Abongo (s. Französisch-Kongo) zusammen.
Wissenschaftlich beobachtet und beschrieben wurden zuerst die Akka (s. d. und Tafel: Afrikanische Völkertypen,
[* 18]
Fig. 10) im Lande derMonbuttu durch Schweinfurth.
Serpa Pinto berichtete dann über die Mucassequere, Stanley, Wissmann und Wolf über die Batua oder Watwa, François über die
Bapoto im Kongobecken, Kund über die Bojaeli im Hinterland von Kamerun, Emin Pascha über die Zwergvölker (Ewe) im Nilgebiet. Die neueste
und ausführlichste Beschreibung verdankt man Stuhlmann, der 1893 zwei Batuafrauen aus der Gegend westlich
vom Ruwensori nach Europa
[* 19] brachte.
Das durch die bisherigen Forschungen sicher gewonnene Resultat ist Folgendes.
Die Zwergvölker sind unter verschiedenen Namen und ohne irgend welchen polit. Zusammenhang in kleine Gruppen verteilt, von den Quellen
des Ituri, am rechten und linken Ufer des mittlern Kongo, bis zum Unterlauf des Sankuru verbreitet, leben
ausschließlich in Wäldern als Jäger und betreiben niemals Ackerbau. Sie sind zwar kleine, aber wohlproportionierte Leute;
die Hautfarbe ist schokoladenbraun oder von gelblichem Grundton. Der untere Gesichtsteil tritt zurück; die Lippen sind nicht
dick gewulstet, das Haupthaar wollig, aber nicht büschelartig wachsend.
Rote Lippen und ein weicher, grauweißlicher Haarflaum über den ganzen Körper bezeichnen den charakteristischen Unterschied
vom Negertypus. Sie kleiden sich dürftig in Rindenstoffe, tragen keinerlei Schmuck, verstümmeln weder die Zähne,
[* 20] noch durchbohren
sie die Lippen oder Ohrläppchen; in seltenen Fällen trifft man bei ihnen Beschneidung oder Tätowierung
an. Ihre Waffen
[* 21] sind winzig kleine Bogen mit Rottangsehne, vergiftete Pfeile mit meist hölzerner Spitze.
Sie wohnen in halbkugelförmigen, 1-1,3 m hohen Laubhütten und halten sich als Haustiere nur Hunde.
[* 22] Man ist gegenwärtig
noch im Zweifel, ob sie eine ihnen allein eigentümliche Sprache besitzen; vermuthlich sprechen sie überall
nur ein etwas verändertes Idiom der benachbarten Negerstämme. Die meisten Ethnographen der Neuzeit neigen zu der Hypothese,
daß die Zwergvölker im Kongobecken stammverwandt mit den Buschmännern sind und mit ihnen die eigentlich autochthone Rasse Afrikas
bilden, daß sie einst ein viel größeres Gebiet bewohnten, aus dem sie durch die Einwanderung der Bantustämme
in die Urwälder gedrängt wurden. Zwergvölker giebt es auch in Asien,
[* 23] besonders in Vorderindien und Ceylon.
[* 24]
Auch hier sind körperliche und geistige Eigenschaften der weit zerstreuten Stämme, wie der Dschangal, Dschuanga und Putua
im Nordosten, der Kurumba in Maisur, der Veda im äußersten Süden, der Wedda (s. d.) auf Ceylon u.a. so
ähnlich, daß sie auch hier als die Reste der Urbevölkerung angesehen werden können. Daß es auch in Europa früher Zwergvölker gegeben
hat, scheinen aus der Urzeit stammende Funde, wie z. B. beim Schweizersbild (s. d.), zu zeigen. –