Zwerg
,
ein
Mensch, welcher auffallend unter dem Minimalmaß seiner
Rasse oder seines
Stammes zurückbleibt. Für Mitteleuropa
beginnt das Zwerg
entum bei etwa 100-105
cm Körperlänge, den Übergang zur normalen
Größe bilden die zwerg
haften Gestalten
bis 140
cm Körperlänge. Als durchaus pathologische Form ist der kretinistische
Zwergwuchs zu betrachten,
der in gewissen Gegenden endemisch vorkommt und meist mit
Idiotie und
Kropf verbunden ist. Zwerge
werden meist sehr klein geboren,
stammen in der
Regel jedoch von normalen Eltern ab und haben oft normale
Geschwister.
Selten haben normale Eltern mehrere zwergige
Kinder. Bisweilen entwickeln sich normal geborne
Kinder im
Lauf der ersten Lebensjahre zu Zwergen
, indem das Wachstum vorzeitig abschließt. Zwerge besitzen nur ausnahmsweise einen
wohlproportionierten Körperbau, meist sind
Kopf und
Bauch
[* 2] zu groß,
Arme und
Füße verkürzt, es zeigt sich ein kindlicher
Habitus als
Resultat frühzeitig und plötzlich eingetretenen Stillstandes im Wachstum. Oft sind
Rücken
und Extremitäten verkrümmt, letztere sehr dick oder abnorm dünn.
Die Fortpflanzungsfähigkeit fehlt oder ist sehr beschränkt. Die Muskelkraft der Zwerge
ist meist sehr gering,
Neigung zu
Zorn,
Bosheit,
Eifersucht soll bei der
Mehrzahl angetroffen werden; ihre Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse ist
gering, sie altern früh und sterben bald. Über die
Ursache des Zwerg
wachstums ist wenig bekannt. Das
geringe
Gewicht bei der
Geburt deutet auf intrauterine Entwickelungsstörungen, vielleicht auf konzeptionelle Einflüsse; fötale
Rachitis mit beschleunigter
Verknöcherung, mit geringer Knorpelwucherung und abnormer
Verdichtung des Knochengewebes scheint
eine Hauptrolle zu spielen.
Auch bei normal gebornen
Kindern kommt
Rachitis neben
Störungen in der
Entwickelung des Großhirns (chronische
Gehirnwassersucht) in Betracht. Der kleinste Zwerg
, von dem wir glaubwürdige Nachrichten haben, maß 42
cm und wurde 37 Jahre
alt; eine Zwergin
,
Anna
Therese Sonbrey, aus den
Vogesen gebürtig, war 86
cm lang und erreichte ein
Alter von 64
Jahren. Die normal
gebaute
»Prinzessin
Pauline« war im
Alter von 9
Jahren 53,8
cm
hoch und 4 kg schwer. Bei den
Römern wurden die Zwerge
zu mancherlei
Verrichtungen, bisweilen selbst, des
Kontrastes willen, bei Fechterspielen gebraucht. Im deutschen
Mittelalter galten Zwerge
wie Krüppel weder für lehns- noch erbfähig, mußten aber von ihren nächsten Verwandten, die statt
ihrer erbten, ernährt und verpflegt werden.
Später, in den
Zeiten der
Hofnarren, dienten die Zwerge
zum
Vergnügen bei
Höfen, wo sie unter der nächsten Bedienung der
Fürsten
vorkamen und besonders bei
Tisch die
Gäste belustigen mußten.
Noch im 18. Jahrh. fehlte an den deutschen
Höfen selten ein
solcher »Kammerzwark«, der auch bisweilen die
Rolle eines
Hofnarren spielte. Am weitesten trieb es damit
Peter d. Gr. von Rußland,
der die Zwerge
seines
Reichs an seinem
Hofe versammelte und die bekannte Zwerg
enhochzeit veranstaltete.
Vgl.
Bollinger, Zwerg-
und Riesenwuchs (Hamb. 1884);
Arendes, Über Zwerg
bildung
(Götting. 1886).
Eine wichtige
Stelle nehmen die Zwerge
in der
Mythologie, besonders in der deutschen, ein. Über den Ursprung
der betreffenden
Vorstellung s.
Elfen. Sie sind teils Wolkendämonen (ursprünglich die
Sterne), teils werden sie in den Tiefen
der
Erde als
Schmiede (ursprünglich Gewitterschmiede) lokalisiert gedacht, die dann in den
Wolken ihre
Nebelkappen überziehen;
eine Beziehung zu den Geistern der Verstorbenen tritt endlich noch in den
Namen hervor, welche sie oft
in der deutschen Volkssage führen, wo sie häufig Üllerken, Ölken,
Alken, d. h. die Alten,
Ältern, genannt werden. In ersterer
Hinsicht entsprechen
sie den indischen
Maruts, in zweiter den Ribhus, in letzterer den Pitaras (lat. patres) und den
römischen
Manes.
Wie die
Maruts als Windgeister den
Indra in seinem
Kampf gegen die finstern Wolkenmächte unterstützen, so sind in der nordischen
Mythologie gerade die
Namen der vier Hauptwinde Austri
(Ost), Vestri
(West), Nordhri
(Nord) und Sudhri
(Süd) Zwerg
namen. Wie die
Ribhus dem
Indra den
Donnerkeil schmieden, schmieden die Schwarzelfen in der nordischen
Sage dem
Odin den
siegverleihenden
Speer Gungnir, dem Donnergott
Thor den
Hammer
[* 3] Miölnir (beides Blitzwaffen) und endlich der Sonnengöttin
Sif,
als Loki ihr hinterlistiger
Weise das
Haar
[* 4] abgeschnitten, neues
Haar von
Gold,
[* 5] welches wie natürliches wuchs (d. h. die Sonnenstrahlen).
In der deutschen Volkssage tritt besonders der Charakter als elementarer Erdgeister hervor; gewöhnlich werden sie als mißgestaltet gedacht. Sie stehen unter eignen Königen und wohnen im Innern der Erde, in Höhlen und Klüften, wo sie prächtige Gemächer bauen. Aber auch in Feld und Wald ist ihr Walten bemerkbar, und das Echo heißt dwergmâl (»Zwergensprache«). Deutlich noch spricht der Mythus diese Beziehung auf den Fruchtsegen aus, wenn er die Zwerge oder Elben im Gefolge der großen Göttin, der Gemahlin Odins, darstellt, als huldrevolk Frau Holda durch Wald und Feld begleitend oder als Heimchen [* 6] auf Berchtas Geheiß die Felder und Fluren der Menschen bewässernd.
Unsichtbar machen sie sich durch die Tarnkappe (s. d.), einen zauberischen Mantel oder Hut. [* 7] Wer einem Zwerg die Tarnkappe abgewinnt, erwirbt damit die Herrschaft über denselben und durch Anlegung der Tarnkappe Unsichtbarkeit und erhöhte Stärke. [* 8] Haben aber die Zwerge die Macht, den Menschen zu nützen, so besitzen sie auch die Macht, zu schaden, und die Mythen und Volkssagen wissen viel zu erzählen, wie sie durch Berührung, Anhauchen oder Blick Krankheiten, z. B. den Weichselzopf, ja selbst Tod bringen können, Wechselbälge statt der Kinder einlegen u. dgl. Oft machen sie auch Gemeinschaft mit den Menschen, welche sie mit sich in ihre unterirdischen Bergpaläste nehmen und dort herrlich bewirten, deren Hilfe sie auch häufig in Anspruch nehmen, namentlich bei Geburten, bei Einteilungen und großen Festen, zu denen sie sich die Benutzung von Sälen erbitten.
Geleistete Dienste [* 9] lohnen sie nicht selten durch Kleinode, welche den Häusern und Familien besonders Heil bringen. Die beiden Edden führen eine große Menge einzelner Zwerge an, welche noch nicht vollständig erklärt sind. Berühmt sind die Zwergenkönige Laurin und Alberich.
Vgl. Grimm, Deutsche Mythologie; [* 10] Kuhn, Die Sprachvergleichung und die Urgeschichte der indogermanischen Völker (in »Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung«, Bd. 4, Berl. 1854);
Schwartz, Ursprung der Mythologie (das. 1860, namentlich S. 18, 117, 247).