die durch die zuständige Behörde angeordnete Unterbringung verwahrloster
Kinder in geeigneten
Familien oder in Erziehungsanstalten (s.
Rettungshäuser).
Nach den preußischen
Gesetzen vom und kann
bei vernachlässigter
Erziehung durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts Zwangserziehung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, ausnahmsweise
sogar bis zur
Großjährigkeit angeordnet werden.
diejenige Maßregel, wodurch auf Grund gesetzlicher Bestimmungen den Eltern oder sonstigen Fürsorgern
sittlich verwahrloster jugendlicher Personen das ihnen zustehende Erziehungsrecht entzogen und der zuständigen Staatsbehörde
übertragen wird. Die Zwangserziehung ist geboten, wenn das sittliche Wohl der verwahrlosten Kinder durch Mißbrauch
oder durch grobe Vernachlässigung des Erziehungsrechts gefährdet ist, oder wenn sich die Erziehungsgewalt der Eltern und
die Zuchtmittel der Schule als unzulänglich erwiesen haben. Die Zwangserziehung kann also zur Anwendung gebracht
werden bei schon bestraften jugendlichen Verbrechern oder bei solchen, die wegen Strafunmündigkeit (s. d.)
überhaupt nicht strafrechtlich verfolgt werden oder wegen mangelnder Erkenntnis freigesprochen sind, oder auch bei noch
nicht bestraften jugendlichen Personen, deren sittliche Verwahrlosung aber schon einen hohen Grad erreicht hat.
1) Gegen strafunmündige Kinder, d. h. solche unter 12 Jahren, verzichtet das Strafgesetz (§. 55) auf
Strafe überhaupt, gestattet aber (Novelle vom Maßregeln zur Besserung und Beaufsichtigung, insbesondere Unterbringung
in einer Erziehungs- und Besserungsanstalt, nachdem die Vormundschaftsbehörde die Unterbringung für zulässig erklärt hat.
Die nähern Vorschriften enthalten die Landesgesetze (Preußen
[* 3] vom und die Altersgrenze nach
unten ist in der Regel das 6. Lebensjahr; die Unterbringung in der Anstalt ist in Preußen Sache des Provinzial-Kommunalverbandes,
in Berlin
[* 4] und Frankfurt
[* 5] a. M. der Stadt, auf deren Kosten auch die Anstalten unterhalten werden.
Hinsichtlich der Personen von 12 bis 18 Jahren, welche wegen Mangels der zur Erkenntnis der Strafbarkeit
erforderlichen Einsicht freigesprochen sind, kann nach §. 56 des Strafgesetzbuchs im Urteil bestimmt werden, daß solche
in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt unterzubringen seien. Die Staatsanwaltschaft giebt dann die Akten an den Landrat,
dieser an den Regierungspräsidenten ab; letzterer trifft die Vollzugsanordnung. Die Kosten trägt regelmäßig der
Staat.
- 2) Können auch ohne strafrechtliche Unterlage Kinder den Eltern zum Zwecke der Zwangserziehung weggenommen werden.
Nach Deutschem Bürgerl. Gesetzbuch (Einführungsgesetz Art. 135) ist dies zulässig: a. wenn
das geistige oder leibliche Wohl des Kindes durch die elterliche Erziehung gefährdet wird (§. 1666), b. bei Mündeln, wenn
das Vormundschaftsgericht es für zweckmäßig hält (§. 1838), c. allgemein, wenn die Zwangserziehung zur
Verhütung des völligen sittlichen Verderbens notwendig ist. Im Übrigen ist die Regelung der Zwangserziehung dem
Landesrecht überlassen. In Bayern,
[* 6] Sachsen
[* 7] und Württemberg
[* 8] hat man sich bisher mit Vorschriften begnügt, die ein Einschreiten
der Polizei oder Vormundschaftsbehörde in den dringendsten Fällen zulassen. Das preuß.
Gesetz von 1878 ist das älteste, aber deshalb unzureichend, weil es die Zwangserziehung von dem Vorliegen einer Strafthat
abhängig macht. Dagegen legt das bad. Gesetz vom den Schwerpunkt
[* 9] auf die sittliche
Verwahrlosung, ohne zwischen Bestraften und Nichtbestraften einen Unterschied zu machen. Dem letztern sind die Gesetze
in Hessen,
[* 10] Braunschweig
[* 11] und Elsaß-Lothringen
[* 12] nachgebildet. - Darüber, ob verwahrloste Kinder in Familien oder in besondern
Anstalten unterzubringen seien, gehen die Ansichten und die gesetzlichen Vorschriften auseinander; jedenfalls müssen, falls
man sich für letzteres entscheidet, die Anstalten selbständig und von den für die strafrechtliche Nachhaft (Strafgesetzb.
§. 362) bestehenden Korrigendenanstalten streng gesondert sein. So auch die Gesetze. - Die Landesgesetze
können die Entscheidung darüber, ob der Minderjährige, dessen Zwangserziehung angeordnet ist, in einer Familie oder in einer Anstalt
unterzubringen sei, einer Verwaltungsbehörde übertragen, wenn die Unterbringung auf öffentliche Kosten zu erfolgen hat.
Neben den staatlichen oder kommunalen Besserungsanstalten stehen in weitem Umfange in Deutschland
[* 13] die privaten
Rettungshäuser (s. d.). In Hamburg
[* 14] besteht eine besondere Behörde für Zwangserziehung, gebildet aus Beamten und Bürgern, in Preußen haben
die Waisenräte die Überwachung der Zwangserziehung. Die Altersgrenze ist teils das 16., teils das 18. Lebensjahr,
teils ist eine solche überhaupt nicht bestimmt; die Gesetze sind in diesem Punkt sehr verschieden, Preußen
hat als äußerste Grenze der Zwangserziehung verwahrloster Kinder den Termin der Großjährigkeit; allgemein ist auch eine vorläufige
Entlassung auf Probe vorgesehen und endlich haben die Gesetze teilweise noch Bestimmungen über Fürsorge auch nach der endgültigen
Entlassung. -
Vgl. ArtikelZwangserziehung in Stengels «Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts»
(2 Bde., Freib. i. Br.
1889-90; Aschrott, Die Behandlung der verwahrlosten und verbrecherischen Jugend (Berl. 1892);
Appelius, Die Behandlung jugendlicher
Verbrecher und verwahrloster Kinder (ebd. 1892).