Zurechnung
(Imputatio), das
Urteil über das
Verhältnis einer
Thatsache zu ihrem
Urheber oder die
Annahme, daß eine
Person
als
Ursache einer That betrachtet werden müsse. Die Zurechnung
ist eine bloß thatsächliche oder faktische (imputatio
facti, Zurechnung
zur That), wenn z. B. jemand den
Tod eines
Menschen bewirkt hat, oder eine rechtliche (i. juridica, i. juris,
Zurechnung
zur
Schuld), wenn jemand die willkürliche
Ursache dieser
Wirkung ist.
Letztere heißt auch, mit Beziehung
auf das Moralgesetz, sittliche Zurechnung
(i. moralis) und ist entweder Zurechnung
zum
Verdienst (i. ad meritum) oder Zurechnung
zur
Schuld (i. ad culpam) im engsten
Sinn; bei der juridischen Zurechnung
kann der
Natur der
Sache nach
nur Zurechnung
zur
Schuld zur
Frage kommen.
Die Zurechnung
zur That ist eine unmittelbare, wenn jemand die
Handlung selbst vornahm, aus welcher ein gewisser
Erfolg hervorging (physische Urheberschaft), oder eine mittelbare (intellektuelle Urheberschaft), wenn der
Anstifter die
Handlung
durch einen andern verrichten ließ. Die Zurechnung
zur That ist vollständig, wenn die
Handlung als die für sich allein hinreichende
Ursache des eingetretenen Erfolgs betrachtet werden muß, z. B. der
Tod durch eine für sich allein tödliche
Verletzung; sie ist unvollständig, wenn die
Handlung für sich allein den Erfolg
nicht haben konnte oder gehabt haben würde, sondern eine andre mitwirkende
Ursache, z. B. schlechte ärztliche Behandlung
eines Verwundeten, eine zweite
Verletzung u. dgl., hinzutrat.
Die Zurechnung
zur
Schuld erfordert, daß die
Handlung mit ihrem Erfolg aus dem
Willen eines
Menschen hervorgegangen
sei, so daß derselbe für diesen Erfolg verantwortlich ist. Diese Verantwortlichkeit tritt aber vielfach auch schon bei
bloßer
Fahrlässigkeit (s. d.) des Handelnden ein. Die strafrechtliche Zurechnung
setzt
aber ferner nicht allein Zurechnung
sfähigkeit (imputabilitas) des Handelnden, d. h.
Volleinsicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, voraus, sondern auch Zurechenbarkeit der
Handlung, d. h. eine derartige
Beschaffenheit des Geschehenen, daß das letztere auf den freien
Willen einer
Person als die
Ursache des Erfolgs zurückzuführen
ist.
Zureichender Grund - Z

* 2
Seite 16.997.
Die
Negation der Zurechnung
sfähigkeit ist die
Unzurechnungsfähigkeit. Das deutsche
Strafgesetzbuch (§ 51 ff.) nimmt letztere
dann als vorhanden an, wenn jemand zur Zeit der Begehung einer sonst strafbaren
Handlung sich in einem
Zustand von
Bewußtlosigkeit oder krankhafter
Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung
ausgeschlossen war. Außerdem ist das Kindesalter wegen der ihm mangelnden Einsicht in das Strafbare seiner
Handlungen von
strafrechtlicher
¶
mehr
Verantwortlichkeit frei. Das österreichische Strafgesetzbuch setzt hier das vollendete 14., das deutsche Strafgesetzbuch das 12. Lebensjahr als Altersgrenze fest. Der Lebensabschnitt zwischen dem vollendeten 12. und dem vollendeten 18. Lebensjahr aber bildet nach dem deutschen Strafgesetzbuch insofern eine Zwischenstufe, als der Angeschuldigte in diesem Alter freizusprechen ist, wenn er bei Begehung der That die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. Im entgegengesetzten Fall ist das jugendliche Alter ein Strafmilderungsgrund.
Endlich erklärt das Strafgesetzbuch auch Taubstumme dann für straffrei, wenn sie die zur Erkenntnis der Strafbarkeit einer
von ihnen begangenen Handlung erforderliche Einsicht nicht besitzen. Dagegen hat das deutsche Strafgesetzbuch
den Standpunkt der gemeinrechtlichen Doktrin verlassen, welche den Zustand des höchsten Affekts für ein Moment der Unzurechnungsfähigkeit
erachtete. Der Affekt kann wohl unter Umständen, wie z. B. beim Totschlag, ein Strafminderungsgrund sein; aber einen selbständigen
Grund zur Ausschließung der Zurechnung
sfähigkeit kann er nicht abgeben, da die Beherrschung der Leidenschaften als
eine sittliche Pflicht aufzufassen ist.
Ausschluß der Zurechenbarkeit, also Straflosigkeit einer zurechnung
sfähigen Person wegen einer an sich strafbaren Handlung,
tritt dann ein, wenn der Thäter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf
andre Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden
war, zu der Handlung genötigt worden ist (s. Zwang), und ebenso, wenn er sich im Zustand der Notwehr (s. d.) oder des Notstandes
(s. d.) befunden hat.
Endlich kann auch ein thatsächlicher Irrtum oder ein Nichtwissen einen Strafausschließungsgrund abgeben, insofern nämlich, als, wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Thatbestand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, ihm diese Umstände nicht zuzurechnen sind. So ist z. B. die Beleidigung des Landesherrn mit strenger Strafe bedroht. Beleidigt nun jemand den Landesherrn, ohne zu wissen, daß es der Landesherr ist, so kann er nur wegen Beleidigung, nicht aber wegen Beleidigung des Landesherrn bestraft werden.
Unkenntnis des Strafgesetzes (Rechtsirrtum) ist dagegen kein Strafausschließungsgrund.
Vgl. Casper, Handbuch der gerichtlichen Medizin (7. Aufl. von Liman, Berl. 1881);
Krafft-Ebing, Grundzüge der Kriminalpsychologie (2. Aufl., Stuttg. 1882);
Derselbe, Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie (2. Aufl., das. 1882);
Hoppe, Die Zurechnung
sfähigkeit (Würzb.
1877);
Liman, Zweifelhafte Geisteszustände vor Gericht (Berl. 1869);
Legrand du Saulle, La folie devant les tribunaux (Par. 1864);
Clark, An analysis of criminal liability (Cambr. 1880);
Lucas, Die subjektive Verschuldung im heutigen deutschen Strafrecht (Berl. 1883).