Zünfte
,
die fachgenossenschaftlichen Handwerkerverbände in den besondern Formen, die sie im mittelalterlichen Städtewesen
erhalten haben.
Schon bei den
Römern gab es Collegia der Handwerker, von
denen man nur so viel mit Bestimmtheit
sagen kann, daß sie nicht zur Förderung gemeinschaftlicher gewerblicher Interessen dienten, also mit den spätern Zünfte
nichts
gemein hatten. In der Kaiserzeit scheinen sie eine Art von
Steuergesellschaften gewesen zu sein, die für den
Staat bestimmte
Dienste
[* 3] und Naturallieferungen zu leisten hatten. Im Anfang des Mittelalters wurden auf den großen Fronhöfen
die hörigen Handwerker desselben
Gewerbes häufig zu Einungen oder
Innungen (s. d.) verbunden, und da aus vielen dieser
Höfe
allmählich
Städte geworden sind, so haben wahrscheinlich auch häufig solche hofrechtliche, ursprünglich unfreie
Verbände
den
Kern gebildet, aus dem durch Eintritt freier Handwerker Zünfte
im eigentlichen
Sinne hervorgegangen sind.
Diese entstanden als freie
Vereinigungen von Fachgenossen seit dem 12. Jahrh., vielfach auch im Zusammenhang mit
den ältern Schutzgilden. Von Anfang an hatten sie wohl den Zweck, die Kleinbürger gegen die Übergriffe der herrschenden
Familien zu schützen, und infolge dieses Strebens erlangten sie zeitweise große Bedeutung für das polit. Parteileben
der
Städte.
Trotz des
Widerstandes der
Patricier, selbst der
Kaiser, errangen diese untereinander verbundenen Korporationen inmitten der
Kämpfe jener Zeit eine steigende Macht, so daß man sich genötigt sah, die Satzungen der einzelnen Zünfte
zu bestätigen
und ihnen Einfluß auf die städtische
Verwaltung durch
Wahl von Magistratsgliedern oder Deputierten u. s. w.
einzuräumen. Selbst die Städtebewohner, welche gar kein gewöhnliches
Gewerbe trieben (Künstler, Gelehrte, unvermögende
Adlige, Notare u. s. w.), mußten dann, um im Gemeinwesen eine polit.
Stellung zu erlangen, sich einer Zunft anschließen. Der engherzige Monopolgeist des spätern Zunftwesens trat in dieser
Glanzzeit noch nicht hervor.
In dem
Maße aber, wie der ursprüngliche
Geist der Zünfte
entwich und zugleich
die einfachen gewerblichen Verhältnisse durch die allmähliche
Entwicklung des Großbetriebes und des Welthandels gestört
wurden, gewannen monopolistische
Tendenzen immer mehr
Boden. Es entstanden so nicht allein die
Verbietungsrechte gegen alle
Pfuscher und sog.
Böhnhasen (s. d.), sondern auch die Abschließung einzelner
Städte durch Verbot der
Einführung fremder
Arbeiter, die
Beschränkung der
Innungen auf eine geschlossene Zahl von
Meistern (geschlossene Handwerker)
oder wenigstens die äußerste Erschwerung jeder
Vermehrung der Meisterzahl durch lästige
Bedingungen beim Meisterwerden (Zunftzwang
im weitern
Sinne, s. auch
Befähigungsnachweis), endlich eine solche Abgrenzung der Gebiete einzelner Handwerke durch die Zunftartikel,
daß auch
Meister ganz verwandter Handwerke gehindert wurden, mit ihren Erzeugnissen das so abgegrenzte
Gebiet zu überschreiten (Zunftzwang im engern
Sinne).
Außerhalb der Zünfte
gab es nur vereinzelt selbständige Gewerbtreibende, die sog.
Freimeister. Mit der Befestigung und
Ausdehnung
[* 4] der landesherrlichen Macht und dem
Untergange der städtischen
Autonomie verschwand
zwar die polit. Bedeutung des Zunftwesens, aber es wurde als polizeiliche Organisation der
Gewerbe beibehalten.
Die
Notwendigkeit von
Reformen wurde allerdings seit dem 18. Jahrh. immer mehr empfunden, und in
Deutschland
[* 5] richteten sich
unter anderm die Reichsgesetze von 1731 und 1764 sowie die
Edikte
Josephs II. von 1771 gegen die bestehenden
Mißbräuche. Dagegen
blieben
¶
mehr
überall die gewerblichen Vorrechte der Zünfte
bestehen, wenngleich die veränderte Gestalt des technischen Betriebes, die Entstehung
ganz neuer Gewerbe, welche demnach unzünftig blieben, die Ausbildung des Fabrikprincips und die Berührung der Handwerker
mit Handel und Fabriken in der Praxis mannigfache Milderungen der alten Strenge erzeugten. In England hatte das Zunftwesen
schon im vorigen Jahrhundert alle praktische Bedeutung verloren, wenn auch in den ältern Städten die Zünfte
als bürgerliche
Korporationen ohne gewerblichen Charakter noch beute bestehen.
In den rasch aufgeblühten neuern Fabrik- und Handelsstädten dagegen gab es von Anfang an keine Zünfte
, sie
sind zu nennenswerter Bedeutung da auch später nicht gelangt. In Frankreich machte Turgot 1776 einen ersten,
jedoch unglücklichen Versuch zur Aufhebung der Zünfte
, die erst mit einem Schlage 1791 erfolgte. An ihre Stelle trat die volle
Gewerbefreiheit, und Gleiches geschah später auch in den von der Französischen Revolution unmittelbar berührten Ländern.
In den deutschen Staaten verlief der Auflösungsprozeß der Zünfte
langsamer und in gleichem Schritt mit Entfaltung
der wirtschaftlichen Interessen. (S. Gewerbegesetzgebung.) Das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom löste die Frage
für sämtliche Bundesstaaten durchgreifend, indem hiermit die Zünfte
und kaufmännischen Korporationen einfach das Recht verloren,
andere vom Betriebe eines Gewerbes auszuschließen. Über die Bemühungen, die freien Innungen wieder in
eine neue Form der Zünfte
umzuwandeln und den Beitritt zu denselben zu erzwingen, s. Innungen.
Das für die Zünfte
geltende Recht ist niedergelegt in den Zunftrollen, auch Zunftbriefe, Die wirtschaftliche Bedeutung des Zunftwesens
war in seiner Blütezeit sehr groß. Die Zunft vertrat mit Nachdruck die Interessen der Produzenten und
ließ sich angelegen sein, dem Einzelnen ein standesgemäßes Einkommen zu gewährleisten, aber sie erkannte auch die Bedürfnisse
der Konsumenten an und hielt sich für verpflichtet, für tadellose, gute Waren und Leistungen Sorge zu tragen. Auch erfüllte
sie polit. Funktionen und pflegte gesellige
Beziehungen der Zunftgenossen. (S. Association, Freizügigkeit,
Gewerbe, Gewerbegesetzgebung, Handwerk.)
Die auch jetzt noch von den Innungen geführten Zunft- und Gildenwappen sind keineswegs,wie zuweilen angenommen wird, einheitliche und überall in derselben Gestalt gültige Embleme, sondern zeigen wechselnde Formen an den verschiedenen Orten. Die auf den beifolgenden Tafeln: Zunftwappen I und II zusammengestellten Wappen [* 7] bilden gewissermaßen die Quintessenz aus der ungeheuren Menge des vorhandenen Materials.
Vgl. Hüllmann, Über das Städtewesen im Mittelalter (4 Bde., Bonn [* 8] 1825–29);
Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland (4 Bde., Erlangen [* 9] 1869–71);
Wehrmann, Die ältern Lübeckischen Zunftrollen (Lübeck [* 10] 1864);
Rüdiger, Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen (Hamb. 1895);
Bodemann, Die ältern Zunfturkunden der Stadt Lüneburg [* 11] (Hannov. 1883);
Schönberg, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Zunftwesens im Mittelalter (Berl. 1868);
Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht, Bd. 1 (ebd. 1868);
Brentano, Die Arbeitergilden der Gegenwart, Bd. 1 (Lpz. 1871);
Stahl, Das deutsche Handwerk (Bd. 1, Gieß. 1874);
Stieda, Die Entstehung des deutschen Zunftwesens (Jena [* 12] 1876);
Schanz, Zur Geschichte der deutschen
Gesell
enverbände (Lpz. 1877);
Schmoller, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft (Straßb. 1879);
Neuburg, [* 13] Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung u. s. w. (Jena 1880);
Artikel «Zunftwesen» von Stieda im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 6 (ebd. 1894);
Brügel, Die Ansbacher Schneiderzunft.
Ein Beitrag zur Geschichte des Zunftwesens (Ansbach [* 14] 1897).