Zollverein.
Das alte Deutsche Reich [* 2] hatte als solches keine selbständige Handelspolitik getrieben. Einzelne Bestimmungen, insbesondere Verbote, zu denen es sich gelegentlich aufraffte, wurden nicht ausgeführt. Die Ausbildung der Landeshoheit, der zunehmende Verkehr und der wachsende Staatsbedarf veranlaßten seit dem 17. Jahrh. die einzelnen größern Staaten, ihr Zollwesen selbständig zu ordnen. Die Errichtung des Deutschen Bundes hatte hieran nichts geändert, trotzdem Handel und Verkehr eine einheitliche Regelung dringend erheischten.
Eine solche wurde durch Preußen [* 3] angebahnt, nachdem dasselbe schon 1816 den erfolglos gebliebenen Vorschlag gemacht hatte, die Verwaltung des Zollwesens dem Bund zu überweisen. Durch das preußische Zollgesetz vom welches die Grundlage für die spätere deutsche Zollpolitik bildete, wurden die Zollstellen an die Landesgrenzen verlegt, dabei aber, ohne daß jedoch irgend welche Binnenzölle erhoben wurden, zwischen den westlichen und östlichen Provinzen unterschieden. Ein- und Ausfuhrverbote wurden aufgehoben und neben Finanzzöllen mäßige Abgaben auf Getreide [* 4] und Fabrikate (10 Proz. vom Wert) sowie Ausfuhrzölle nur für wichtigere Rohstoffe zum Schutz der inländischen Gewerbsamkeit beibehalten. Bei der Durchfuhr wurde nur der allgemeine Eingangszoll sowie der betreffende Ausfuhrzoll erhoben. Sich auf preußische Unterthanen beziehende Erleichterungen und ¶
mehr
Beschränkungen andrer Länder sollten entsprechend erwidert werden. Auf dieser Grundlage schloß Preußen nach dem Prinzip
der Reciprozität mit mehreren Staaten (Dänemark,
[* 6] Großbritannien,
[* 7] Mecklenburg-Schwerin, Skandinavien, Brasilien
[* 8] und den Vereinigten Staaten
[* 9] Nordamerikas) Handelsverträge ab. In Deutschland
[* 10] machte sich inzwischen das Streben nach einheitlicher Regelung des deutschen
Zollwesens immer mächtiger geltend. Fr. List trat für dieselbe im Namen des Deutschen Handelsvereins in
einer Eingabe an den Bundesrat ein, während Nebenius in einer Denkschrift praktische Vorschläge zur Organisierung des Zollvereins
machte.
Preußen verlieh diesem Streben zunächst dadurch praktischen Ausdruck, daß es mit benachbarten, von seinem Gebiet eingeschlossenen Ländern (zuerst 1819 mit Schwarzburg-Sondershausen) Verträge abschloß, nach welchen die eingeschlossenen Landesteile mit dem preußischen Zollgebiet vereinigt und jenen Ländern nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl Anteile am Reinertrag der Zölle gewährt wurden. Hierauf folgte auf Grund des Vertrags vom eine Zolleinigung mit Hessen-Darmstadt, nach welcher die einzelnen Regierungen Erhebung und Verwaltung der Zölle in ihren Gebieten selbständig, jedoch in gleichmäßigen Formen, besorgen und die Zollerträge nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer verteilt werden sollten, Bestimmungen, die fortan beibehalten worden sind.
Bayern
[* 11] und Württemberg
[* 12] bildeten einen süddeutschen Zollverein
, der 1829 mit dem preußisch-hessischen einen Handelsvertrag
abschloß. Ein dritter Verband,
[* 13] zwischen Sachsen,
[* 14] Hannover,
[* 15] Kurhessen, den meisten thüringischen Staaten,
Braunschweig,
[* 16] Oldenburg,
[* 17] Nassau und Frankfurt
[* 18] a. M., konstituierte sich als Mitteldeutscher Handelsverein, löste sich
aber mit dem Anschluß Kurhessens an den preußischen Zollverein
wieder auf. Nach längern Verhandlungen kam eine
Vereinigung des bayrisch-württembergischen mit dem preußisch-hessischen Verband zu stande; erklärte
auch Sachsen seinen Anschluß, und im Mai folgte der inzwischen zu einem engern Bund vereinigte Handelsverein der acht kleinern
thüringischen Staaten. So trat der große preußisch-deutsche Zollverein
zunächst auf die Dauer von acht Jahren ins Leben.
Er umfaßte 18 Staaten mit etwa 7719 QM. und 23 Mill. Einw.
In den folgenden Jahren traten ihm bei 1835 Homburg,
[* 19] Baden
[* 20] u. Nassau, 1836 Frankfurt a. M., 1838 Waldeck,
[* 21] 1841 und 1842 Lippe,
[* 22] Braunschweig
und Luxemburg,
[* 23] nachdem Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Lippe sich zu einem besondern Zollverein
, dem sogen. Steuerverein,
vereinigt hatten. So war denn, abgesehen von den durch die Verschiedenheit der innern Verbrauchssteuern
noch bestehenden Beschränkungen, im allgemeinen Verkehrsfreiheit im Innern mit einem gleichmäßigen Tarif nach außen hergestellt.
Dagegen litt der Zollverein
an dem Übelstand der Vielköpfigkeit. Die periodisch zusammentretende Generalzollkonferenz,
bestehend aus Bevollmächtigten der einzelnen Zollverein
sglieder, konnte nur solche Beschlüsse fassen, die einhellige
Zustimmung fanden. Schon nach Ablauf
[* 24] der ersten achtjährigen Vertragsdauer 1842 konnte eine Erneuerung der Verträge nur nach
langwierigen Verhandlungen durchgesetzt werden.
Die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung bestimmte in § 33: »Das Deutsche Reich soll Ein Zoll- und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze, mit Aufhebung aller Binnengrenzzölle, und es bleibt der Reichsgewalt vorbehalten, auch nicht zum Reiche gehörige Länder und Landesteile mittels besonderer Verträge dem deutschen Zollgebiet anzuschließen«. Blieb auch die Reichsverfassung unausgeführt, so verfolgte doch Österreich [* 25] den angeregten Gedanken weiter und stellte 1849 und 1850 wiederholt das von Preußen stets abgelehnte Verlangen, daß die Herstellung einer Zolleinigung zwischen Österreich und Deutschland als Bundesangelegenheit betrieben werden solle.
Nachdem es 1850 seine sämtlichen Binnenzölle aufgehoben und einen neuen Zolltarif veröffentlicht hatte, welcher das österreichische
Zollsystem im wesentlichen dem des Zollvereins
gleichstellte, lud es die Regierungen des Zollvereins
zur Beratung eines Zoll-
und Handelsvertrags in Wien
[* 26] ein. Inzwischen aber hatte Preußen nach langen Verhandlungen mit dem Steuerverein einen
Vertrag über die Vereinigung des letztern mit dem Zollverein
(sogen. Septembervertrag)
abgeschlossen, welcher ins Leben treten sollte, und in welchem Hannover besondere Vergütungen (in der amtlichen
Sprache
[* 27] Präzipuum genannt) zugestanden wurden, da der Verbrauch mehrerer der am höchsten besteuerten
Artikel im Steuerverein ein beträchtlich höherer als im Z. sei.
Hiernach konnte Preußen auf die Vorschläge Österreichs in betreff hoher Einfuhrzölle auf Fabrikwaren in einem österreichisch-deutschen
Zollverein
nicht mehr eingehen, und es lehnte daher die Einladung zur Wiener Konferenz ab. Die übrigen zollverbündeten Regierungen,
über Preußens
[* 28] Vorgehen verstimmt, berieten auf Ministerialkonferenzen in Bamberg
[* 29] und Darmstadt
[* 30] (Darmstädter
Konferenz vom den Plan eines mitteleuropäischen Zollvereins
mit Österreich, worauf Preußen den Zollvertrag für
Ende 1853 kündigte.
Der Austrag der Streitigkeiten wurde durch den Handels- und Zollvertrag zwischen Österreich und Preußen vom herbeigeführt, welcher die gänzliche Zolleinigung zwischen Österreich und Deutschland vorbereiten sollte. Die wichtigsten Bestimmungen desselben sind: Aufhebung aller Handelsverbote im gegenseitigen Verkehr, ausgenommen für Tabak, [* 31] Salz [* 32] und Schießpulver; [* 33]
gegenseitige Zollfreiheit für rohe Naturerzeugnisse beider Gebiete und Zollermäßigung auf die gewerblichen Erzeugnisse derselben nach einem vereinbarten Tarif (Zwischenzolltarif);
Ausgangsabgaben sind im wechselseitigen Verkehr nur auf die im Vertrag bezeichneten wenigen Artikel zulässig;
der Zwischenverkehr wurde wesentlich erleichtert, Österreich sollte das preußische Zollverfahren einführen, die Grenzzollämter beider Staaten sollten zusammengelegt werden.
Die Dauer des Vertrags
wurde vorläufig bis festgesetzt und der Beitritt aller Staaten vorbehalten, die oder später zu
dem Zollverein
mit Preußen gehören oder mit Österreich zollverbündet sein würden. Auf dieser Grundlage wurden 4. April zu Berlin
[* 34] von
den Bevollmächtigten sämtlicher Staaten des bisherigen Zoll- und Steuervereins die Verträge über die Erneuerung des Zollvereins
auf 12 Jahre, die Aufnahme des Steuervereins in denselben u. den Beitritt zu dem preußisch-österreichischen
Zoll- und Handelsverein unterzeichnet. Sonach umfaßte der Zollverein
das gesamte nichtösterreichische Deutschland mit Ausnahme der
drei Hansestädte, von Liechtenstein,
[* 35] Mecklenburg
[* 36] u. Schleswig-Holstein.
[* 37] Bremen
[* 38] schloß sich durch Vertrag vom dem Zollverein
als
mittelbares Glied
[* 39] insofern an, als in der Stadt ein zollverein
sländisches Hauptzollamt und eine Niederlage für
Zollgüter errichtet wurden.
¶
mehr
Noch vor Ablauf der endigenden dritten Vertragsperiode führte der Abschluß des deutsch-französischen Handelsvertrags zu einer heftigen Krisis. Nachdem Frankreich mit England und Belgien Handelsverträge abgeschlossen und solche mit der Schweiz [* 41] und Italien [* 42] eingeleitet hatte, durch welche es mit seinem bis dahin festgehaltenen System des hohen Zollschutzes, teilweise der Prohibition, brach, drohte Deutschland die Gefahr der Ausschließung vom französischen Markt, wenn es nicht einen ähnlichen Vertrag abschlösse.
Preußen begann auf Grund einer Ermächtigung sämtlicher übriger Staaten Unterhandlungen mit Frankreich, die dahin führten, daß ein Vertrag paraphiert und 2. Aug. d. J. von den kontrahierenden Staaten vollzogen wurde. Gegen den Inhalt desselben erhob sich sofort eine starke Agitation. Man tadelte, daß Frankreich nicht ebenso bedeutende Zollermäßigungen bewilligt habe, als es für sich in Anspruch nahm. Den Hauptanstoß aber gab die Klausel der Meistbegünstigung, welche ein Hindernis für die begehrte Zolleinigung mit Österreich bildete.
Auch Österreich protestierte gegen den Vertrag, erklärte sich dagegen zur gänzlichen Zolleinigung auf
Grund des bisherigen Zollverein
starifs bereit. Preußen antwortete jedoch ablehnend, während Österreich in dieser Frage Bundesgenossen
an den Mittel- und Kleinstaaten fand. Außer Koburg-Gotha und Oldenburg trat nur Sachsen entschieden aus Preußens Seite; Bayern,
Württemberg, Hessen-Darmstadt und Hannover lehnten dagegen den Handelsvertrag ab. Preußen erklärte hierauf,
eine definitive Ablehnung als Kündigung des Zollvereins
auffassen zu müssen, dessen Auflösung jedoch den Interessen der Vereinsstaaten
widersprach.
Eine neue Phase der Krisis trat mit dem Handels- und Schiffahrtsvertrag ein, den Preußen mit Belgien abschloß, sofern die in demselben den Waren zollvereinsländischen Ursprungs zugestandenen Begünstigungen eine Schutzwehr gegen den Zerfall des Zollvereins boten. Im November 1863 trat die Zollkonferenz in Berlin zusammen, auf welcher eine Verständigung dadurch ermöglicht wurde, daß Österreich infolge der Wendung, die gleichzeitig in der schleswig-holsteinischen Frage eintrat, seinen Einfluß auf die Mittelstaaten verlor.
Sachsen einigte sich mit Preußen auf der Grundlage des französischen Handelsvertrags;
dann folgten 3. Juni Frankfurt a. M., 28. Juni Baden, Kurhessen, die thüringischen Staaten und Braunschweig;
10. Juli Oldenburg und Hannover, das wenigstens einen Teil seines Präzipuums zu retten wußte;
12. Sept. Hessen-Darmstadt und zuletzt auch Württemberg, Nassau und Bayern, so daß auf der Zollkonferenz in Berlin 30. Sept. wieder alle Staaten vertreten waren. Am 14. Dez. verständigte sich Preußen hierauf den Wünschen der übrigen Zollvereinsstaaten gemäß mit Frankreich über einige Modifikationen des Handelsvertrags.
Auf ähnlichen Grundlagen wurden alsdann auch Verträge mit Österreich, England und Italien abgeschlossen.
Durch den Krieg von 1866 wurde der Zollverein hinfällig. Zwischen den Staaten des Norddeutschen Bundes wurde eine besondere Einigung über das Zollwesen durch den Inhalt der Bundesverfassung überflüssig. Mit den vier süddeutschen Staaten aber schloß der Norddeutsche Bund Verträge, vermöge derer die bestehende Zolleinigung zunächst bis Ende 1877 verlängert werden sollte. Die frühere Generalzollkonferenz mit dem liberum veto der Einzelstaaten wurde durch den Zollbundesrat mit Majoritätsbeschluß ersetzt und für die Gesetzgebung über Zollwesen und innere Verbrauchssteuern eine eigne parlamentarische Vertretung (das Zollparlament, zusammengesetzt aus dem norddeutschen Reichstag und einer entsprechenden Anzahl süddeutscher Abgeordneten) gebildet.
Aus jener Zeit stammt das noch jetzt gültige Vereinszollgesetz vom An Stelle dieser Einrichtungen und Bestimmungen sind seit 1871 diejenigen der Reichsverfassung getreten, welche die Gesetzgebung im Zollwesen ausschließlich dem Reich überwiesen hat. Mecklenburg, Schleswig-Holstein und Lauenburg [* 43] waren bereits als Glieder [* 44] des Norddeutschen Bundes in die Zollgrenze desselben eingetreten. Die drei Freien Städte erhielten die Befugnis, über ihren Eintritt in die Zollgrenze sich selbst schlüssig zu machen; Lübeck [* 45] allein wählte den Anschluß.
Inzwischen ist aber auch der Anschluß von Hamburg [* 46] und Bremen mit Ausschluß entsprechender Freihafengebiete erfolgt. (Vgl. den Situationsplan zum Artikel »Hamburg«.) Die Tarifpolitik des Zollvereins ruhte auf der Grundlage des preußischen Tarifs von 1818. In der Zeit 1842 bis 1846 wurde derselbe mehr zu gunsten der protektionistischen Strömung umgestaltet. 1861 wurden nach langen Kämpfen die Durchgangsabgaben beseitigt. 1865 traten auf Grund der mit Frankreich, Österreich, England, Belgien, Italien abgeschlossenen Handelsverträge, deren Bestimmungen in den allgemeinen Tarif aufgenommen wurden, Reformen in freihändlerischem Sinn ein, welche 1873 ihren Abschluß fanden, in welchem Jahr die noch vorhandenen Ausfuhrzölle fielen und die Aufhebung der Eisenzölle (mit Ausnahme derjenigen auf feine Eisenwaren) teils erfolgte, teils unter stetiger Abminderung der Zölle bis 1877 bestimmt wurde.
Inzwischen aber hatte sich die Lage der Eisenindustrie, wie überhaupt diejenige vieler Wirtschaftszweige, erheblich verschlechtert. Infolgedessen fand ein auch vom Reichskanzler gestützter und geförderter Umschwung der öffentlichen Meinung statt, welcher zu dem Tarif von 1879 führte. Derselbe charakterisiert sich dadurch, daß er die Idee des Schutzes verallgemeinerte, die Zölle für eine Reihe von Produkten erhöhte, für andre, insbesondere auch verschiedene Rohstoffe und Lebensmittel, neu einführte und, wenn er auch allgemein spezifische Zölle brachte, für Baumwollgarne Staffeltarife enthält.
Vgl. Nebenius, Der Deutsche Zollverein (Karlsr. 1835);
Junghanns, Der Fortschritt des Zollvereins (Leipz. 1848);
Emminghaus, Entwickelung, Krisis und Zukunft des Deutschen Zollvereins (das. 1863);
Ägidi, Aus der Vorzeit des Zollvereins (Hamb. 1865);
Seelig, Schleswig-Holstein und der Zollverein (Kiel [* 47] 1865);
Weber, Der Deutsche Zollverein (2. Aufl., Leipz. 1872);
v. Festenberg-Pakisch, Geschichte des Zollvereins (das. 1869);
Matlekovits, Die Zollpolitik der österreichisch-ungarischen Monarchie von 1850 bis zur Gegenwart (Budapest [* 48] 1877).