Zola
(spr. sola),
Emile, franz. Romanschriftsteller, geb. zu
Paris,
[* 2] Sohn eines italienischen
Ingenieurs, der
den
Bau des
»Kanals Zola«
in der
Provence leitete, aber schon 1847 in
Aix starb, verbrachte seine
Jugend im
Süden, besuchte seit 1858 das
Lycée
St.-Louis in
Paris und trat dann, um sich dem
Buchhandel zu widmen, in das
Geschäft von
Hachette ein.
Seine Mußestunden zu schriftstellerischen
Arbeiten benutzend, schrieb er litterarische und theatralische
Kritiken für verschiedene
Zeitschriften und versuchte sich bald auch auf dem Gebiet des
Romans mit: »Les mystères de
Marseille«
[* 3] und »Le
[* 4] vœu d'une morte«.
Mehr Beachtung als diese Werke fanden schon seine
»Contes à
Ninon« (1864) und die
»Confession de
Claude«
(1865),
während »Thérèse Raquin« (1867) die Richtung des Autors sowie sein Talent, die Nachtseiten der menschlichen Natur mit grausamer Wahrheit zu schildern, unzweifelhaft bekundete. Nachdem er darauf »Madeleine Férat« (1868),
eine Studie über die Fatalität der ererbten Anlagen, gleichsam als Vorspiel vorausgeschickt, begann er seinen berühmten, dasselbe Thema in ausgeführterer Weise behandelnden Romancyklus »Les Rougon-Macquart«, den er selbst als die »psychologisch-soziale Geschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich« bezeichnet, und von dessen projektierten 20 Bänden (1870-89) 16 erschienen sind, nämlich: »La fortune des Rougon«, »La Curée Ventre«, »Le ventre de Paris«, »La conquête de Plassans«, »La faute de l'abbé Mouret«, »Son excellence Eugène Rougon«, »L'Assommoir«, »Une page d'amour«, »Nana«, »Pot-Bouille«, »Au Bonheur des dames«, »La joie de vivre«, »Germinal«, »L'Œuvre«, »La Terre«, »Le Rêve« und »La bête humaine«. Vom »Assommoir« an erlebten alle Romane der Serie erstaunliche Auflagen, die stärksten der eben genannte (300,000 Exemplare),
»Nana«, nicht minder begehrt, und »La
Terre«, 150,000
Exemplare in 18
Monaten. Über den leitenden
Gedanken, der durch das Werk
hindurchgehen soll, spricht sich Zola
in der Vorrede zum ersten
Band
[* 5] selbst aus. Er wolle, sagt er, durch
Lösung der doppelten
Frage des angebornen
Temperaments und der umgebenden
Welt den
Faden
[* 6] zu verfolgen suchen, der mit mathematischer
Genauigkeit von einem
Menschen zum andern führe. Wie die
Schwerkraft, so habe auch die
Erblichkeit ihre bestimmten
Gesetze.
Das charakteristische Merkmal der Rougon-Macquart sei die Zügellosigkeit der
Begierden, die unersättliche Genußsucht, welche,
physiologisch betrachtet, als die langsame
Folge gewisser
Zufälle im
Blut- und Nervenleben angesehen werden
müssen, die sich aus einer ersten organischen
Verletzung in einer
Rasse entwickeln und je nach der umgebenden
Atmosphäre bei
jedem
Individuum dieser
Rasse die
Gefühle,
Triebe,
Leidenschaften, die natürlichen und instinktiven Kundgebungen des
Menschen
bestimmen, deren Ergebnisse man gemeinhin
Tugenden und
Laster nenne etc. Die Art, wie Zola
diese Aufgabe
gelöst, hat ihm ebenso heftige
Angriffe wie unbegrenzte Bewunderung eingetragen und ihn jedenfalls als Chorführer der Naturalisten
legitimiert.
Allein er hat die Anwendung des Grundsatzes der Realisten, daß der Schriftsteller alles solle darstellen dürfen, was die menschliche Handlungsweise bestimmt, daß er es der Wahrheit schuldig sei, nichts zu verschweigen und nichts zu beschönigen, fast mit jedem neuen Gliede der Kette gesteigert. Bei »Nana« glaubte man, er wäre jetzt an der äußersten Grenze des Widerwärtigen, Ekelerregenden, Unflätigen angelangt; aber man irrte sich, wie »Pot-Bouille«, »Germinal« und »La Terre« bewiesen.
Die übrigen vier Werke bezeichnen je einen Stillstand in der krankhaften Schmutzmalerei Zolas
, obwohl
sie den
Leser stellenweise ebenfalls anwidern konnten; im
»Rêve« machte der Verfasser sogar eine gewaltige Anstrengung, um
eine »weiße
Symphonie« vor ein darüber mehr erstauntes als entzücktes
Publikum hinzuzaubern, das sich Zola
nicht als den Dichter
der Unschuld und Reinheit zu denken vermochte, und mit
Recht. Der
Kritiker Zola
, der für den
»Voltaire«,
den
»Figaro« und den in
Moskau
[* 7] erscheinenden
»Europäischen
Boten« schrieb, solange der
Roman ihm nicht ein reichliches
Auskommen
bot, zeichnete sich durch Verstandesschärfe, aber auch durch
Einseitigkeit aus, wie es von dem Schriftsteller nicht
anders zu erwarten ist, der das
Wort
Thiers': »Die
Republik wird konservativ sein, oder sie wird nicht sein« abgeändert hatte
in: »Die
Republik wird naturalistisch sein, oder sie wird nicht sein«.
Charakteristisch genug nannte
er den ersten
Band seiner
gesammelten Abhandlungen über lebende Schriftsteller und ihre Werke
»Mes haines« (1866, neue Ausg. 1879).
Die übrigen
Bände sind: »Le roman expérimental« (1880),
»Les romanciers naturalistes«, »Le naturalisme au théâtre«, »Nos auteurs dramatiques«, »Documents littéraires« (1881). Am schroffsten gab er seinen Meinungen, seinem »Haß«, Ausdruck in einem Artikel der erwähnten Moskauer Zeitschrift, der ins ¶
mehr
Französische zurückübersetzt viel Aufsehen erregte und Zola
keine Freunde schuf. Er hält sich für berufen, wie dem Roman,
so auch dem Theater
[* 9] neue Bahnen zu weisen, dringt aber damit nicht durch, ob er seine Romane allein für die Bühne zustutze
oder mit Hilfe William Busnachs das Gröbste und Anstößigste daraus entferne. »Thérèse Raquin« und »Bouton
de rose«, die er ohne fremde Mitwirkung aufführen ließ, wurden ausgezischt; »L'Assommoir«
hingegen, »Le ventre de Paris« und »Nana« behaupteten sich lange auf dem Theaterzettel, während »Germinal«, bei dem Zola
, wie
er hatte verkündigen lassen, das meiste that, nach 17 Vorstellungen einging und »Renée« (Bearbeitung
der »Curée«),
für die er ganz allein verantwortlich war, nicht einmal einen Achtungserfolg erzielte.