Titel
Zivilprozeß
(lat.), Inbegriff der Rechtsgrundsätze über das
Verfahren, um private (bürgerliche) Rechtsansprüche
zur gerichtlichen
Anerkennung und rechtlichen Wirksamkeit zu bringen (Zivilproze
ßrecht, Zivilprozeß
theorie); dann dies
Verfahren
selbst, sowohl im allgemeinen
(Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Prozeßverfahren) wie in
einem einzelnen gegebenen
Fall, d. h. in einem bestimmten Privatrechtsstreit;
Zivilprozeßordnung, ausführliches
Gesetz, wodurch
das gerichtliche
Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten geordnet ist.
Den
Gegensatz zum Zivilprozeß
bildet zunächst der
Straf- oder
Kriminalprozeß. Es ist nämlich eine Hauptaufgabe des
Staats, seine
Angehörigen
in ihren
Rechten zu schützen. Zu diesem
Zweck muß einmal die
gesetzgebende Gewalt des
Staats thätig sein,
welche die
Rechte und
Pflichten der Einzelnen im
Verhältnis zu einander und im
Verhältnis zur Gesamtheit feststellt. Es muß
aber außerdem auch dafür Sorge getragen werden, daß jede
Verletzung der bestehenden Rechtsordnung möglichst vermieden,
und daß der Rechtszustand des
Staats und seiner
Angehörigen aufrecht erhalten werde.
Jede Rechtsverletzung charakterisiert sich nun entweder als ein relatives oder als ein absolutes Unrecht, d. h. sie erscheint entweder als Rechtsverletzung, weil sie das besonders begründete Recht eines Einzelnen nicht respektiert, oder sie erscheint als eine Verletzung der staatlichen Rechtsordnung überhaupt, als eine widerrechtliche Erhebung des Einzelwillens über den staatlichen Gesamtwillen, als ein strafbares Unrecht. Der Schuldner, welcher mir eine Summe Geldes, die er mir aus einem Rechtsgeschäft schuldet, nicht rechtzeitig gewährt, verletzt lediglich meine Privatrechtssphäre, und es ist meinem Ermessen anheimgestellt, ob ich ihn deshalb verklagen will oder nicht.
Der Dieb dagegen, welcher mir eine Summe Geldes entwendet, verletzt dadurch die staatliche Rechtsordnung überhaupt, und ebendarum läßt der Staat zur Sühne des begangenen Unrechts und zur Sanktion und Wiederherstellung der verletzten Rechtsordnung die Bestrafung des Verbrechers eintreten. Der Strafrichter hat es also mit der Untersuchung von Verbrechen zu thun, während der Zivilrichter oder Prozeßrichter über Privatansprüche im bürgerlichen Prozeßverfahren rechtliche Entscheidung fällt.
Gegenstand eines Zivilprozesses
(Zivilproze
ßsache) ist also stets ein privatrechtlicher Anspruch. Aber damit ist das Gebiet
des Zivilprozesses noch nicht völlig abgegrenzt. Es ist vielmehr dem streitigen Gerichtsverfahren auch noch dasjenige Gebiet
der
Rechtspflege entgegenzustellen, auf welchem zwischen den beteiligten
Personen ein Streit nicht obwaltet, und
in dem die richterliche Thätigkeit eintritt, um
Rechte zu sichern und Rechtsverhältnisse klarzustellen und zu schützen.
Es ist dies das Gebiet der sogen. freiwilligen
Gerichtsbarkeit, wohin z. B. das gerichtliche Hypothekenwesen, das Grundbuchwesen,
die Verlautbarung gewisser
Verträge, das Vormundschaftswesen u. dgl.
gehören.
Endlich ist aber der Umstand, daß im Z. nur Rechtsfragen zum Austrag und zur Entscheidung kommen, auch um deswillen zu betonen, weil hierin der Unterschied zwischen der streitigen Rechtspflege und der Verwaltungsrechtspflege begründet ist (s. Verwaltung). Aber wenn auch nach dem bisher Ausgeführten das Privatrecht das eigentliche Gebiet des Zivilprozesses ist, so erscheint doch auch bei solchen streitigen Privatrechtssachen der Staat als mitbeteiligt. Denn es ist mit einem geordneten Staatswesen schlechterdings unverträglich, daß in derartigen Fällen der Verletzte auf seine Selbsthilfe angewiesen wäre, welche einerseits oftmals nicht ausreichend sein und anderseits nicht selten zu weit gehen und ebendarum die staatliche Ordnung gefährden würde.
Deshalb gehören solche Ansprüche vor den von
Staats wegen bestellten
Richter, und daher müssen auch
das
Verfahren, in welchem über derartige Ansprüche entschieden wird, und die Art und
Weise, wie auf
Grund des Richterspruchs
schließlich die zwangsweise Geltendmachung des Rechtsanspruchs erfolgen soll, durch das
Gesetz ein für allemal festgestellt
sein. Das Prozeßverfahren kann von den
Parteien nicht willkürlich gestaltet werden; ein »Konventionalprozeß«
ist unzulässig. Das Zivilprozeß
recht ist also wesentlich formelles
Recht; es bestimmt die
Formen, in denen das materielle
Zivilrecht
(Privatrecht,
bürgerliches Recht) verwirklicht u. nötigen Falls erzwungen werden kann. Es ist aber
auch
öffentliches Recht, indem es die Rechtsverhältnisse des Einzelnen der
Staatsgewalt gegenüber betrifft
(s.
Recht).
[Geschichtliches.]
Bis bestand in
Deutschland
[* 2] der
Gegensatz zwischen gemeinem deutschen Zivilprozeß
und dem partikulären
oder besondern Zivilprozeß
der einzelnen deutschen
Staaten. Grundlagen des gemeinen deutschen Zivilprozesses waren das römische und
das
kanonische Recht. An die
Stelle des ursprünglichen mündlichen
Verfahrens vor
Schöffen aus dem Laienstand
trat nämlich vom 13. Jahrh. an allmählich der bei den geistlichen
Gerichten ausgebildete schriftliche Zivilprozeß
, und die Rechtsprechung
gelangte mehr und mehr in die
Hände rechtsgelehrter
Richter, durch deren Einfluß die fremden Prozeßnormen noch schneller
als das fremde
Privatrecht in
Deutschland Eingang fanden.
Zur Vollendung kam dies Prozeßverfahren durch die Anwendung und weitere
Ausbildung bei den
Reichsgerichten,
bis endlich die Reichsgesetzgebung diesen durch die
Praxis geregelten Prozeßzustand sanktionierte und, wenn auch keine vollständige
Reichszivilprozeß
ordnung, so doch verschiedene auf den Zivilprozeß bezügliche
Reichsgesetze hinzufügte: die Reichskammergerichtsordnung
von 1495, zuletzt erneuert und vervollständigt 1555, den Deputationsabschied von 1600 und den jüngsten
Reichsabschied
von 1654. Diese
Gesetze hatten jedoch zunächst nur das
Verfahren bei den
Reichsgerichten zum Gegenstand.
Bei den
Landesgerichten aber bildete sich im Anschluß an jenes
Verfahren durch den
Gerichtsgebrauch in den einzelnen Territorien
der Landesprozeß aus, für welchen das Reichsprozeßrecht als subsidiäre Rechtsquelle betrachtet wurde. Namentlich war
unter den Landesprozessen der sächsische Zivilprozeß
von Bedeutung. Die neuere Zeit brachte
dann vielfach umfassende
Zivilprozeßordnungen, so namentlich in
Preußen
[* 3] die allgemeine
Gerichtsordnung von 1795, woran sich
dann
Gesetze von 1833, 1846 und 1849 über das Prozeßverfahren und über die
Gerichtsorganisation anschlossen; dann die braunschweigische
Prozeßordnung vom die hannöversche vom die oldenburgische vom
die badische vom die württembergische vom und die bayrische von 1869, welch letztere sich im wesentlichen
an das französische Prozeßrecht anlehnte. Überhaupt ist das französische
Recht auf die deutsche Zivilprozeß
gesetzgebung
von besonderm Einfluß gewesen, ja der französische
Code de procédure civile von 1806 behauptete sich
sogar in Rheinpreußen und in
Rheinhessen bis in die neueste Zeit in praktischer Geltung. Diese Zerrissenheit des
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mehr
Rechtszustandes auf dem zivilprozessualischen Gebiet hatte schon 1862 zu einem Beschluß des Bundestags Veranlassung gegeben, wonach in Hannover [* 5] ein 1866 veröffentlichter Entwurf zu einer allgemeinen deutschen Zivilprozeßordnung ausgearbeitet ward. Allein die zu Hannover tagende Kommission war von Preußen nicht mitbeschickt worden, vielmehr wurde in Berlin [* 6] ein »Entwurf einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den preußischen Staat« aufgestellt.
Nach der inzwischen erfolgten Gründung des Norddeutschen Bundes wurde dann unter Berücksichtigung des hannöverschen und
des preußischen Entwurfs der Entwurf einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Norddeutschen Bund
ausgearbeitet. Nach der Errichtung des neuen Deutschen Reichs endlich beschloß der Bundesrat behufs definitiver
Feststellung eines deutschen Zivilprozeß
entwurfs die Einsetzung einer aus zehn Mitgliedern gebildeten Kommission, welche
unter dem Vorsitz des preußischen Justizministers Leonhard zusammentrat und ihre Arbeiten abschloß.
Der Entwurf der deutschen Zivilprozeßordnung ward dann von dem Reichstag samt den Entwürfen einer deutschen Strafprozeßordnung und eines deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes einer besondern Kommission von 28 Mitgliedern (der sogen. Justizkommission) überwiesen, von welcher er im Herbst 1876 vor das Plenum des Reichstags gelangte, welches ihn fast mit Stimmeneinhelligkeit annahm. Die Publikation der nunmehrigen deutschen Zivilprozeßordnung erfolgte Sie trat gleichzeitig mit der Strafprozeßordnung, dem Gerichtsverfassungsgesetz und mit der Konkursordnung in Kraft. [* 7]
Zur vollständigen Normierung des deutschen gerichtlichen Verfahrens in einheitlicher Weise sind noch das Gerichtskostengesetz vom die Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher vom die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom die deutsche Rechtsanwaltsordnung vom und die Gebührenordnung für Rechtsanwalte vom hinzugekommen. Auf diese Weise ist auf dem Gebiet des Zivilprozeßrechts die lang ersehnte Rechtseinheit in Deutschland hergestellt.
Auch für das cisleithanische Österreich [* 8] ist eine auf den Grundsätzen der Mündlichkeit des Verfahrens und der freien Beweiswürdigung durch den Richter beruhende Zivilprozeßordnung in Vorbereitung (Entwürfe von 1876 und 1881). Der frühere Justizminister Glaser (s. d. 2) hat sich um die hierauf bezüglichen Vorarbeiten besonders verdient gemacht. Sein Entwurf schließt sich zwar vielfach der deutschen Zivilprozeßordnung an, ist aber gleichwohl eine selbständige Leistung, indem er namentlich die Berufung nur noch gegen Urteile der Einzelrichter zuläßt und die formellen Parteieide durch die eidliche Vernehmung der Parteien ersetzt.
Gegenwärtig beruht der österreichische Zivilprozeß noch immer auf der Josephinischen Gerichtsordnung von 1781 und auf der damit wesentlich übereinstimmenden westgalizischen Gerichtsordnung (für Galizien, Bukowina, Tirol [* 9] und Vorarlberg, Istrien, [* 10] Triest [* 11] und Dalmatien) von 1797. Dazu kommen dann neuere Verordnungen und Spezialgesetze, namentlich das Gesetz vom über das Verfahren in Bagatellsachen (bis zur Höhe von 50 Guld.). Durch seine Kostspieligkeit und Weitläufigkeit ist das englische Prozeßverfahren auf dem Kontinent in übeln Ruf gekommen und auch in England selbst vielfach angegriffen worden. Dasselbe kennt nämlich auch im Z. die Mitwirkung von Geschwornen. In neuerer Zeit haben aber verschiedene Prozeßgesetze (von 1852, 1873, 1875, 1876) wirksam eingegriffen. Dazu kommt die Einrichtung der County-Courts (Grafschaftsgerichte) für Streitsachen bis 50 Pfd. Sterl. Wert, von denen Beweisfragen auch durch den Richter ohne Zuziehung der Jury entschieden werden können.
[Arten des Zivilprozesses.]
Der Zivilprozeß zerfällt in den ordentlichen und den summarischen (schleunigen) Prozeß. Dazu kommt noch das Verfahren im Konkurs (s. d.) der Gläubiger (Konkursprozeß). Während im ordentlichen Prozeß die Parteien ihre Rechtsbehelfe uneingeschränkt zur Anwendung bringen können, kommt es im summarischen Verfahren auf schleunige Beweisführung an, und Angriffs- und Verteidigungsmittel, bei welchen es an dieser Möglichkeit fehlt, sind ausgeschlossen.
Die deutsche Zivilprozeßordnung kennt in dieser Hinsicht den Exekutiv- oder Urkundenprozeß (s. d.), zu welchem auch der Wechselprozeß gehört; ferner den Arrestprozeß (s. Arrest) und die einstweiligen Verfügungen (s. d.). Außerdem ist zwischen dem regelmäßigen und dem besondern Prozeßverfahren zu unterscheiden. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung ist das ordentliche Verfahren vor dem Landgericht umständlicher als vor dem Amtsgericht im einzelrichterlichen Verfahren.
Für das Verfahren vor den Landgerichten und allen Gerichten höherer Instanz besteht der sogen. Anwaltszwang, d. h. jede Partei muß sich durch einen bei dem Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, wenn sie nicht selbst zu den Rechtsanwalten gehört (Anwaltsprozeß). Für diejenigen Rechtsstreitigkeiten (Parteiprozesse) dagegen, welche vor den Amtsgerichten verhandelt werden, besteht kein Anwaltszwang. Besondere Arten des Verfahrens sind außer dem amtsgerichtlichen (einzelrichterlichen) Zivilprozeß: das Mahnverfahren (s. d.), das Verfahren in Ehesachen, in Entmündigungssachen und das vorbereitende Verfahren in Rechnungssachen, Auseinandersetzungen und ähnlichen Prozessen. In ausführlicher Weise ist ferner die gerichtliche Zwangsvollstreckung (s. d.) in der Prozeßordnung normiert bis auf die Vorschriften über die gerichtliche Hilfsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, welche vorerst noch der Landesgesetzgebung der einzelnen Staaten überlassen sind. Dagegen enthält die Reichszivilprozeßordnung ausführliche Vorschriften über das Aufgebots- oder Ediktalverfahren u. über das schiedsrichterliche Verfahren.
[Hauptgrundsätze des deutschen Zivilprozesses.]
Wie in allen Verfassungsstaaten besteht auch im Deutschen Reich und in den deutschen Einzelstaaten das Verbot der sogen. Kabinettsjustiz und das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit, Grundsätze, welche schon zur Zeit des frühern Deutschen Reichs reichsgesetzlich anerkannt waren und jetzt in allen deutschen Staaten verfassungsmäßig gewährleistet sind. Nicht nur, daß der Regent nicht selbst in den Gang des [* 12] Verfahrens eingreifen darf, sondern eine Zivilprozeßsache soll auch unter keinen Umständen dem zuständigen Gericht entzogen werden. Ebensowenig darf die Rechtshilfe verweigert oder verzögert werden. In letzterer Hinsicht ist in der deutschen Reichsverfassung (Art. 77) vorgesehen, daß es, wenn in einem Bundesstaat der Fall einer Justizverweigerung eintritt und auf gesetzlichem Weg ausreichende Hilfe nicht erlangt werden kann, dem Bundesrat obliegen soll, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaats zu beurteilende Beschwerden über ¶
mehr
verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen und darauf die gerichtliche Hilfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß gegeben hat, zu bewirken. Auch ist in dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz (Art. 1) der Grundsatz obenan gestellt: Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt. Damit hängt die vollständige Trennung der Justiz und der Verwaltung (s. d.) zusammen, welche jetzt in ganz Deutschland durchgeführt ist.
Um aber die Unparteilichkeit und die Gründlichkeit der richterlichen Entscheidung noch mehr zu sichern, hat die moderne Gesetzgebung das Prinzip der richterlichen Entscheidung durch Kollegialgerichte mehr und mehr zur Anwendung gebracht. Freilich ist damit ein größerer Zeit- und Kostenaufwand und eine größere Umständlichkeit des Verfahrens verknüpft, und ebendies läßt es als gerechtfertigt erscheinen, wenn in geringfügigen und besonders dringlichen Fällen auch noch im modernen Prozeßverfahren die Entscheidung durch Einzelrichter (Amtsrichter) erfolgt (s. Gericht, S. 165). Gelangt jedoch eine einzelrichterliche Sache im Weg der Berufung an das Obergericht, so erfolgt hier stets die Entscheidung durch ein kollegialisch besetztes Gericht, so daß also auch für jene Sache die Möglichkeit einer eingehenden Prüfung durch ein Richterkollegium gegeben ist. So zweckmäßig aber auch die Einrichtung eines gerichtlichen Instanzenzugs auf der einen Seite im Interesse der Unparteilichkeit und der Gründlichkeit der richterlichen Entscheidung ist, so liegt darin doch auf der andern Seite die Gefahr der Verschleppung und der Verteurung der Prozesse, und ebendarum hat man es sich neuerdings angelegen sein lassen, das Berufungsrecht auf ein gewisses Maß zurückzuführen.
Nach der deutschen Zivilprozeßordnung ist gegen die Endurteile der Amtsgerichte, deren Kompetenz, soweit es sich um vermögensrechtliche Ansprüche handelt, bis zum Betrag von 300 Mk. reicht (s. d.), an das zuständige Landgericht und gegen Endurteile der Landgerichte in erster Instanz an das zuständige Oberlandesgericht Berufung zulässig. Gegen sonstige beschwerende Verfügungen ist Beschwerde an das Berufungsgericht nachgelassen. Die dritte Instanz, das Reichsgericht oder der höchste Landesgerichtshof, aber kann nur bei landgerichtlichen Sachen angerufen werden und zwar mit dem Rechtsmittel der Revision, welches gegen die in der Berufungsinstanz von den Oberlandesgerichten erlassenen Entscheidungen gegeben ist, wofern es sich um die angebliche Verletzung einer Rechtsnorm durch das angefochtene Erkenntnis handelt, und wofern bei Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche der Wert des Beschwerdegegenstandes (Revisionssumme) den Betrag von 1500 Mk. übersteigt.
Eine genaue Regelung der Zuständigkeit der Gerichte ist durch das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz erfolgt (s. Gericht, S. 164). Sodann ist der gemeinrechtliche Grundsatz des wechselseitigen Gehörs (audiatur et altera pars) in der Zivilprozeßordnung durchgeführt. Das Gericht darf nämlich nie auf einseitiges Vorbringen einer Partei eine Entscheidung zu ungunsten der andern treffen, wofern nicht der letztern Gelegenheit zur Verteidigung gegeben war.
Ferner ist auch die Verhandlungsmaxime beibehalten, d. h. der Grundsatz, wonach das Gericht bei seinen Entscheidungen an die Vorträge und Anträge der Parteien gebunden ist (sogen. Dispositionsprinzip im Gegensatz zum Offizialprinzip des Strafprozesses). Hiernach dürfen nur diejenigen Thatsachen und Beweismittel, abgesehen von Ehe- und Entmündigungssachen, vom Gericht berücksichtigt werden, welche von den Parteien selbst vorgebracht sind, und auf welche sich die Parteien selbst in ihren Vorträgen berufen haben.
Keiner Partei soll mehr zugesprochen werden, als sie selbst verlangte; nur zur Tragung der Prozeßkosten kann eine Partei verurteilt werden, auch ohne daß die Gegenpartei ausdrücklich darauf angetragen hat. Dem Prozeßgericht steht jedoch ein weitgehendes Prozeßleitungsamt zu, welches bei Kollegialgerichten durch den Vorsitzenden ausgeübt wird. Namentlich hat derselbe ein umfassendes Fragerecht (Aufklärungsrecht), durch dessen Ausübung er auf die Erläuterung unklarer Anträge, auf die Ergänzung ungenügender thatsächlicher Angaben, auf die Bezeichnung der Beweismittel, kurz auf die Abgabe aller für die Feststellung des Sachverhältnisses erheblichen Erklärungen hinzuwirken hat.
Dazu kommt die sogen. formale Prozeßleitung durch Anberaumung der erforderlichen Termine, Ansetzung der Fristen, Leitung der mündlichen Verhandlung etc. Im Gegensatz hierzu wird die in negativer Weise, durch Zurückweisung von Anträgen überflüssiger Art u. dgl., sich äußernde Prozeßleitung als materielle bezeichnet. In der Entscheidung selbst ist dem richterlichen Ermessen volle Freiheit eingeräumt, namentlich ist die richterliche Überzeugung nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden (s. Beweis, S. 866).
Hervorzuheben ist ferner das Prinzip der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Verhandlung. Der Schwerpunkt [* 14] des Verfahrens liegt in der mündlichen Verhandlung, und die schriftlich zu redigierenden Entscheidungen des Gerichts sollen sich nicht auf die Prozeßschriften der Parteien allein oder doch hauptsächlich, sondern vielmehr in erster Linie auf die mündliche Rede und Gegenrede der Parteien in der gerichtlichen Verhandlung stützen. Schriftsätze der Parteien, welche namentlich im landgerichtlichen Verfahren zwischen denselben gewechselt werden, haben zumeist einen vorbereitenden Zweck mit Rücksicht auf die nachfolgende mündliche Verhandlung, wenn auch einzelne Prozeßschriften, wie namentlich die Klage selbst, die bei Gericht eingereicht wird, von wesentlicher Bedeutung sind.
Übrigens kann die Klage im amtsgerichtlichen Verfahren auch mündlich zu Protokoll des Gerichtsschreibers erklärt werden. Wichtig ist ferner der Grundsatz des unmittelbaren Prozeßbetriebs durch die Parteien. Hiernach geschehen nämlich, wenigstens der Regel nach, Ladungen, Zustellungen und sonstige prozessualische Maßregeln nicht mehr, wie früher, durch das Gericht, sondern unmittelbar durch die Parteien selbst mittels der von ihnen beauftragten Gerichtsvollzieher oder, insofern es sich um Ladungen und um die Zustellung von Schriftsätzen handelt, auch durch die Post (s. Zustellung). Endlich ist auch noch der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens hervorzuheben (s. Öffentlichkeit).
[Litteratur.]
Unter den Lehrbüchern des frühern gemeinen deutschen Zivilprozeßrechts sind hervorzuheben die Systeme von Renaud (2. Aufl., Leipz. 1873) und Wetzell (3. Aufl., das. 1878) und Bayer, Vorträge über den gemeinen ordentlichen Zivilprozeß (10. Aufl., Münch. 1869);
Kommentare der neuen deutschen Zivilprozeßordnung von Bülow (2. Aufl., Hannov. 1882), Gaupp (Freiburg [* 15] 1881, 3 Bde.), Struckmann u. Koch (5. Aufl., Berl. 1887), Wilmowsky u. Levy (4. Aufl., das. 1885), Reincke (das. 1885) u. a.; systematische Bearbeitungen von Bar (2. Aufl., Leipz. 1882), Fitting (6. Aufl., Berl. 1884), Lincke ¶
Zum Duden
Nr. | Ergebnis | Zivilprozeß |
---|---|---|
1 | Zi|vil|pro|zess, der (Rechtsspr.): Prozess, in dem über eine Zivilsache entschieden wird. |
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- 119: Juristentag
- 120: ⇒ Benutzung des Schlüssels
- 121: ⇒ Civilproce
Quellen, Literatur
Band - Seite | Artikel | Autor | Titel | Ausgabe |
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16.947 | Zivilprozeß | Kaserer | Verfahren in | (österreich.) |
16.947 | Zivilprozeß | Paraquin | Die | (franz.) |
16.947 | Zivilprozeß | Füger-Wessely | Gerichtliches Verfahren in | (österreich.) |
4.197 | Cognitor | Keller | Römischer Zivilprozeß, § 52 ff. | (5. Aufl., Leipz. 1877) |
2.866 | Beweis | v. Bar | Recht und B. im Zivilprozeß | (Leipz. 1867) |
3.895 | Centumviri | v. Keller | Römischer Zivilprozeß | (3. Aufl., Leipz. 1863) |
16.947 | Zivilprozeß | Ullmann | Österreichisches Zivilprozeßrecht | (2. Aufl., Prag 1887) |
16.947 | Zivilprozeß | v. Keller | Römischer Z. | (6. Ausg. von Wach, Leipz. 1883) |
10.838 | Litiskontestation | Keller ^[Derselbe] | Römischer Zivilprozeß, § 59 ff. | (6. Aufl., Leipz. 1883) |
16.946 | Zivilprozeß | Bayer | Vorträge über den gemeinen ordentlichen Z. | (10. Aufl., Münch. 1869) |
16.888 | Zeuge | Schrutka-Rechtenstamm | Zeugnispflicht und -Zwang im österreichischen Zivilprozeß | (Wien 1879) |
15.386 | Streitverkündigung | Deutsche Zivilprozeßordnung | § 69 ff.; Kipp, Die Litisdenunziation im römischen Zivilprozeß | (Leipz. 1887) |
16.947 | Zivilprozeß | Boitard | Colmet-Daage u. Glasson, Procédure civile | (14. Aufl., Par. 1884, 2 Bde.) |
16.947 | Zivilprozeß | Meyer | Anleitung zur Prozeßpraxis nach der Zivilprozeßordnung vom 30. 1877 | (Berl. 1879) |
2.349 | Bar | "Recht und Beweis im Zivilprozeß" | (Leipz. 1867) | |
17.277 | Eisele | "Abhandlungen zum römischen Zivilprozeß" | (das. 1888) | |
5.617 | Endemann | "Der deutsche Zivilprozeß" | (das. 1878-79, 3 Bde.) | |
6.317 | Fitting | "Der Reichs-Zivilprozeß" | (6. Aufl., Berl. 1884) | |
2.896 | Bickell | "Beiträge zum Zivilprozeß" | (Kassel 1836) | |
14.654 | Schultze | "Die Nebenintervention im Zivilprozeß" | (das. 1880) | |
6.769 | Fuchs | "Beiträge zum Zivilprozeß" | (das. 1855 u. 1863, 2 Hefte) | |
14.160 | Sachverständige | Deutsche Zivilprozeßordnung | § 367-379; Strafprozeßordnung, § 72-93; Deutsches Strafgesetzbuch, § 154 ff.; Obermeyer, Lehre von den Sachverständigen im Zivilprozeß | (Münch. 1880) |
10.802 | Linde | "Abhandlungen aus dem deutschen gemeinen Zivilprozeß" | (Bonn 1823-29, 2 Bde.) | |
2.532 | Bayer | "Vorträge über den gemeinen ordentlichen Zivilprozeß" | (Münch. 1828, 10. Aufl. 1869) | |
8.277 | Heffter | "Zivilprozeß im Gebiet des allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten" | (das. 1856) | |
2.827 | Bethmann-Hollweg | "Der Zivilprozeß des gemeinen Rechts in geschichtlicher Entwickelung" | (Bonn 1864-74, 6 Bde.) | |
9.668 | Keller | "Der römische Zivilprozeß und die Aktionen" | (Leipz. 1852, 6. Aufl. von A. Wach 1883) | |
2.827 | Bethmann-Hollweg | "Grundriß zu Vorlesungen über den gemeinen Zivilprozeß" | (Berl. 1821; 3. Aufl., Bonn 1832) | |
8.302 | Heimbach | "Erörterungen aus dem gemeinen und sächsischen Zivilrecht und Zivilprozeß" | (das. 1849, Bd. 1) | |
16.303 | Wach | Kellers | "Der römische Zivilprozeß und die Aktionen" | in 5. und 6. Ausg. (Leipz. 1876 u. 1883) |
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